Monthly Archives: August 2014

Howard Linskey: Gangland

(c) Knaur

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Mit seinem starken Krimidebüt “Crime Machine” hat Howard Linskey die Latte sehr hoch gelegt. Ich wählte das Buch daher auf Platz drei meiner Lieblingskrimis des Jahres 2012. In seinem Debüt wandelte sich David Blake vom Berater und Saubermann in der Truppe rund um den Newcastler Gangster Bobby Mahoney zum obersten Verbrecherboss. Das las sich mitunter brutal, gleichzeitig überzeugte Linskey durch starke Dialoge und trockenen Humor.

Nun liegt Teil zwei der Gangster-Saga rund um David Blake vor: “Gangland”. Übersetzt hat das Buch erneut Conny Lösch – für mich ist das ein Qualitätsmerkmal schlechthin, wie ich hier ohnehin immer wieder betone, da sie bislang fast nur außergewöhnliche Bücher des Krimigenres übersetzt hat. Es mag sein, dass manche, die von “Crime Machine” begeistert waren, dies nun bei “Gangland” nicht mehr sein werden. Das liegt vor allem daran, dass die Originalität des ersten Buches nur schwer ein zweites Mal wiederholt werden kann. Denn nun geht es Blake um die Absicherung seiner Macht – mit allen Mitteln. Das wirkt wenig sympathisch – und ist es ja auch nicht.

Blake geht einem blutigen Gewerbe nach. Und genau als ein solches empfindet er sein verbrecherisches Dasein. Zwischendurch hat man das Gefühl, Blake sei ohnehin nur so etwas wie ein Firmenchef – fast schon ein Guter unter Bösen. Die Ökonomie der Newcastler Unterwelt nimmt einen großen Platz in dem Gangsterkrimi ein:

“Je mehr Geld man verdient, desto schwieriger wird es, da muss man den Behörden über jeden Penny Rechenschaft ablegen. Das Problem ist so alt wie mein Beruf. Ich sage nur: Al Capone. Hätte er seine Steuern gezahlt, hätten sie ihn niemals drangekriegt.”

Blake will kein blutdurstiger Gangster sein, vielmehr spricht er von “Umstrukturierungsmaßnahmen” und weltweiten Operationen. Er “sorgt” sich um seine Angestellten. Er hat es gern zivilisiert – zögert aber gleichzeitig nicht, harte Entscheidungen mit brutalen Konsequenzen zu treffen. Und gerade hier liegt eine der Stärken des Buches. Blake eignet sich nicht wirklich zum Sympathieträger – er widerlegt vielmehr die Mär vom guten Gangster. Umso mehr er seine Taten vor sich selbst als notwendig rechtfertigt, umso mehr wird er zu jenem kaltherzigen Gangster, der er nie sein wollte.

Zugegeben, “Gangland” ist nicht so gut wie “Crime Machine”. Zu oft springt Blake dem Tod in allerletzter Sekunde von der Schaufel und auch über Linskeys Frauenbild ließe sich streiten. Das ändert aber nichts daran, das mich auch Teil zwei in den Bann gezogen hat und ich gespannt auf Teil drei (im Original: “The Dead” – ob uns der Titel etwas verraten soll?) warte.

7 von 10 Punkten

Howard Linskey: “Gangland”, übersetzt von Conny Lösch, 412 Seiten, Knaur.

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Jim Nisbet: Der Krake auf meinem Kopf

(c) Pulp Master

(c) Pulp Master

Danke, Pulp Master, dass es euch gibt! Dieser kleine, feine Verlag steht für Krimiperlen abseits des Mainstreams. Auch wenn mich Jim Nisbets “Der Krake auf meinem Kopf” nicht ganz so begeistert hat wie die zuletzt erschienenen Bücher “Dirty Old Town” von Garry Disher und “Götterdämmerung in El Paso” von Rick de Marinis: Ein lautes Danke für Krimikost, die ohne schrullige Kommissare, Gourmet-Ermittler und Morden in Reiseführer-Landschaften auskommt.

Im Zentrum des Roman steht der titelgebende Mann mit der Krake auf dem Kopf (der ist dort tätowiert), Curly Watkins. Der abgehalfterte Musiker besucht seinen alten Musikerkollegen Ivy und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Als dann auch noch Ex-Freundin Lavinia auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse rasch.

Dennoch erzählt Nisbet nicht nach klassischen Krimimustern. Sein Erzähltempo ist durchaus gewöhnungsbedürftig. Aber immer genau dann, wenn man denkt, jetzt verliert er den Faden und driftet in Belanglosigkeit ab, immer dann überrascht Nisbet seine Leser mit irgendeiner Wendung. Dass er nach fast zwei Drittel auf einmal die Erzählperspektive vollkommen überraschend wechselt, überrascht dann schon kaum mehr. Und noch selten hat es mich so wenig gestört, dass ein Serienmörder (wer diesen Blog liest, weiß ja mittlerweile, dass Whodunits und Serienmörder-Krimis so gar nicht meines sind) in einer Geschichte vorkommt.

Nisbet erzählt mit bitterbösem Humor über Verlierer – aus der Sicht von Verlierern. Das liest sich dann etwa so: Als der knapp dem Tod von der Schaufel gesprungene Curly im Spital aufwacht und die zwei TV-Geräte im Zimmer schwarz sind, erklärt ihm Ivy (der diese abgedreht hat):

“Es muss die Hölle sein, aus dem Reich der Toten zurückzukehren und festzustellen, dass die Belohnung für das Überleben im täglichen Fernsehprogramm besteht.”

Hier zur wohlwollenden Kritik auf Kriminalakte: “‘Der Krake auf meinem Kopf’ ist ein feiner, schwarzhumoriger Noir und ein interessantes Porträt von San Francisco und wie sich die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten veränderte.”

6 von 10 Punkten

Jim Nisbet: “Der Krake auf meinem Kopf”, übersetzt von Ango Laina und Angelika Müller, 320 Seiten, Pulp Master.

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Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast

(c) suhrkamp nova

(c) suhrkamp nova

Bevor ich hier näher auf Adrian McKintys “Die Sirenen von Belfast” eingehe, will ich kurz Joe R. Lansdale zitieren, der in meiner Krimi-Bibel “Books to die for” Raymond Chandlers Schreibmethode erklärt: “Write the best scene and dialogue possible between people and keep about your work an air of mystery and suspense, and it won’t matter if all the gears click at the end. It’s the scenes that matter, and if your have enough good ones, the reader will forgive you.”

Warum ich dieses Zitat hier voranstelle? Weil es “Die Sirenen von Belfast” perfekt beschreibt. McKinty ist ein Meister der Szenen und Dialoge. Das ihm diesmal nicht der geniale Plot gelungen ist, stört (zumindest mich) nicht – denn das Buch ist voll von feinen Szenen. Es wäre allerdings vermessen, McKinty vergeben zu wollen. Danken muss ich ihm. Seitenweise war ich wirklich fasziniert und sehr demütig: Es war mir eine Ehre, durch die Seiten blättern zu dürfen. Es macht Spaß, einen Autor zu lesen, der ein derart perfektes Gefühl für Szenen hat. Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig. Bilder entstehen im Kopf, auch seinen Humor mag ich. Und immer wieder der Gedanke: Ja, so möchte ich auch schreiben können…

Sein Roman ist letztlich – wie auch schon der Vorgänger, “Der katholische Bulle” – ein Sittenbild Nordirlands in einer der heißesten Phasen seiner Geschichte. Der mittlerweile in Australien lebende Autor baut unglaublich viele popkulturelle Bezüge in seine großartig erzählte Geschichte ein. Insider werden Chandler-Anspielungen erkennen, die TV-Serie “Dallas” wird ebenso wie der Tod des Kultautors Philip K. Dick erwähnt. Zudem wählt er mit Vorliebe Songtitel als Kapitelüberschriften aus (z.B. “A Town Called Malice” der britischen Band The Jam). So hat das Buch seinen ganz eigenen Soundtrack.

Im Zentrum steht wieder Detective Sergeant Sean Duffy. Als ein tiefgekühlter Torso in einem Koffer gefunden wird, scheint auf den ersten Blick klar, dass es sich nur um ein weiteres Opfer des Nordirlandkonflikts handeln kann. Doch bei McKinty ist nichts, wie es scheint. Fasziniert hat mich auch, wie er diesmal die Firmengeschichte der DeLorean Motor Company in seine Geschichte einwebt. Ausgerechnet der windige John DeLorean wird zum Hoffnungsträger der nordirischen Stadt Carrickfergus. DeLorean war im General-Motors-Vorstand, ehe er seine eigene Firma gründete, um seinen Traum eines “ethischen” Sportwagens zu verwirklichen. Diesen ließ er in Nordirland bauen, was kurzzeitig die Schaffung von Arbeitsplätzen bedeutete. Der DeLorean DMC-12 – das einzige tatsächlich hergestellte Modell, ein Flop – wird schließlich erst ab 1985 durch die “Zurück in die Zukunft”-Trilogie weltweit bekannt. Zu hohes Gewicht und zu schwacher Motor ließen den futuristisch aussehnden DMC-12 gegen den Porsche 911 und die Corvette alt aussehen.

Ich will exemplarisch nur eine von den zahlreichen guten Szene hervorheben. Er beschreibt, was für ein überraschendes Bild eine dunkelhäutige Frau auf den Straßen von Carrickfergus im Jahr 1982 darstellte: “Carrickfergus war ethnisch so komplex und bunt wie eine Mitgliedervollversammlung von Nazipartei und Ku-Klux-Klan.” Dennoch übt er sich nicht in political correctness: “Ich starrte die Frau einen Augenblick lang an. Das war nicht sehr feinfühlig, aber ich konnte nicht anders.”

9 von 10 Punkten

Adrian McKinty: “Die Sirenen von Belfast”, übersetzt von Peter Torberg, 387 Seiten, suhrkamp nova.

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Krimis, die man 2014 lesen sollte (VIII)

(c) Metrolit

(c) Metrolit

Es freut  mich besonders, dass ausgerechnet mein Geburtsmonat August viele wirkliche Crime-Fiction-Highlights zu bieten hat. Gleichzeitig zeigt sich an folgenden Bücher auch wieder einmal, wie vielseitig dieses Genre ist. Nic Pizzolatto ist mit “Galveston” (ab 18. August erhältlich) ein absolutes Pflichtbuch für mich. Der Drehbuchautor der HBO-TV-Serie “True Detective” hat diesen Noir – der Noir angeblich neu definiert – kurz vor seinem großen TV-Erfolg geschrieben. Dem Metrolit-Verlag ist da ein großer Coup gelungen, denn offenbar sicherte er sich die Rechte bereits vor dem großen Hype.

toetedeinenchefUnd wieder einmal vertraue ich auf die Übersetzerin Conny Lösch. Sie hat Shane Kuhns “Töte deinen Chef” (ab 20. August im Handel) übersetzt. Der Verlagstext: “Als Killer ist John Lago einer der besten. Angestellt ist er bei einer »Personalagentur«, die ihre Leute in Firmen einschleust, um dort die richtig dicken Fische auszuschalten. Für ihre Aufträge haben die Killer die beste Tarnung – sie sind Praktikanten. So kommt man an Informationen, erhält Zugang zu den wichtigen Bereichen und kann nach Erledigung des Jobs spurlos verschwinden. Denn wer wird sich schon an den Namen des unscheinbaren Praktikanten erinnern? Mit fünfundzwanzig ist John nun im Rentenalter seiner Profession und soll seinen letzten Auftrag in einer von Manhattans renommiertesten Anwaltskanzleien erledigen.” Klingt vielversprechend, kann aber auch genial scheitern…

(c) Tropen

(c) Tropen

Wo der Name Joe R. Lansdale draufsteht, kann eigentlich nichts schiefgehen. Ab 23. August ist sein neues Buch “Das Dickicht” erhältlich. Der Verlagstext: “Allein in einer gewalttätigen Welt, muss Jack schnell erwachsen werden, wenn er seine Schwester retten will. Und er braucht dringend Hilfe, die beste, die er kriegen kann. Aber die einzigen Kopfgeldjäger, die zur Verfügung stehen, sind Shorty, der Zwerg, und Eustace, der Sohn eines ehemaligen Sklaven. Zusammen mit Jimmie Sue, einer genauso klugen wie käuflichen Dame, nehmen sie die Verfolgung in eine berüchtigte Gegend auf: das Dickicht. Dort sprudelt aus den ersten windschiefen Bohrtürmen illegal das flüssige Gold, doch Jack ist fest davon überzeugt: Blut ist dicker als Öl.” Das klingt nach einer spannenden Ausgangssituation.

(c) Liebeskind

(c) Liebeskind

Dazu passend erscheint von Bruce Holbert “Einsame Tiere” (ab 25. August). Der Verlagstext: “Okanogan County, Anfang der 1930er Jahre. Eigentlich hat sich Sheriff Russel Strawl zur Ruhe gesetzt. Er ist müde geworden, seine Hände zittern beim Schießen. Doch dann kommt es im Indianerreservat zu einer Reihe grausamer Ritualmorde, und Strawl soll ermitteln. Ein letztes Mal noch steigt er in den Sattel – und begibt sich in einen Abgrund der Gewalt. Dort holt ihn auch seine eigene Vergangenheit ein.” Das klingt jetzt nicht weniger spannend und könnte eine feine Abrundung zu Lansdales Buch sein.

(c) Kriminalroman Nautilus

(c) Kriminalroman Nautilus

Declan Burke hat sich als Mitherausgeber von “Books to die for” für mich ohnehin fast unsterblich gemacht. Nun erscheint sein Krimi “Absolute Zero Cool” (ab 27. August), der perfekt mit dem Genre spielt. Der Verlag schreibt: “Absolute Zero Cool stellt alle Traditionen des Krimigenres auf den Kopf und begeistert und verstört in gleichem Maße. Der Roman ist ein witziger selbstreflexiver Angriff auf das Genre selbst, eine einfallsreiche Story über die Fähigkeit des menschlichen Geistes, nicht nur schöpferisch, sondern auch zerstörerisch zu sein.” Und noch so ein Pflichtbuch 😉

(c) Polar

(c) Polar

Und auch um das letzte Buch, das ich hier vorstelle, werde ich nicht herumkommen. Gene Kerrigans “Die Wut” (ab 25. August) wurde 2012 mit dem “Golden Dagger Award” ausgezeichnet. Das allein wäre Grund genug, das Buch zu lesen. Ein anderer gewichtiger Grund ist der Verlag Polar, der in den nächsten Monaten (zur Verlagsvorschau) eine Reihe spannender Bücher herauszugeben scheint. Nicht vorenthalten will ich ein Zitat von Polar-Verleger Wolfgang Franßen, weil es ziemlich gut meinen momentanen Lesegeschmack trifft:

“Wir suchen keine reinen Whodunitautoren, bei denen der Kniff, der Clou, das Rätsel im Mittelpunkt steht. Keine kriminell aufgehübschte Comedy. Keine Dörfer, um zu zeigen wie schön es auf dem Land doch ist. Keine Ideologie, keine Morde auf Rezept, keine Weinprobe mit anschließendem Ersticken. Kein Schwelgen in Melancholie, Sehnsüchten oder Happy Ends, die das Jetzt ausklammern Auch keinen Soziokrimi, kein ödes Nachstellen der realen Ereignisse, keine Kolportage und keine Agitprop. Der Polar erzählt von den Umständen eines Verbrechens, nicht vom bloßen Töten als Blutorgie. Der Polar ist und bleibt die Literatur der Krise.”

 

 

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C.S. Forester: Gnadenlose Gier

(c) dtv premium

(c) dtv premium

Im Vorjahr ist der seit Jahrzehnten verschollene Kriminalroman “Tödliche Ohnmacht” des Briten C.S. Forester (1935 verfasst, aber damals nie publiziert) erstmals auf Deutsch erschienen. Über Foresters Wirken und Bedeutung hat Tobias Gohlis damals geschrieben: Man stelle sich vor, Miss Marple oder Harriet Vane, Lord Peter Wimseys Gattin, redeten von Verhütungsmitteln. Shocking! Die Leserinnen von Agatha Christie und Dorothy Sayers ließen die Teetassen fallen. (…) Hätte sich 1926 sein Krimidebüt Payment Deferred (“Zahlungsaufschub”) durchgesetzt, und nicht Agatha Christies im selben Jahr erschienener Rätselkrimi The Murder of Roger Ackroyd (“Alibia”), wäre die Geschichte der Kriminalliteratur anders verlaufen.” Über “Tödliche Ohnmacht” urteilte er damals: “Tödliche Ohnmacht könnte von einer klarsichtigen, wütenden Feministin geschrieben sein.”

Ich habe Forester nun aber mit seinem bereits 1930 erschienenen Buch “Plain Murder”, das als “Gnadenlose Gier” neu übersetzt wurde, kennengelernt. Man kann übrigens von der ersten vollständigen Übersetzung reden, denn die erste deutsche Übersetzung (Titel: “Ein glatter Mord”) aus dem Jahr 1964 hat dem damaligen Trend entsprechend das Originalwerk offenbar ziemlich kannibalisiert. Überrascht und überzeugt hat mich bei der Lektüre vor allem, mit welchem psychologischen Scharfsinn Forester schreibt – vor allem wenn man das Buch im Kontext seiner Zeit betrachtet. “Gnadenlose Gier” ist über weite Strecken das überzeugende Porträt von Charlie Morris, der vom verzweifelten, um seinen Job bangenden Mann zum eiskalten Mörder wird. Besonders faszinierend ist auch der Einblick in die Werbebranche, den Forester bietet. Viel hat sich da in den vergangenen 84 Jahren nicht verändert, musste ich mir immer wieder denken.

Ein “antisemitischer Krimi”?

Umso überraschter war ich, als ich in der “Welt” lesen musste, dass der dtv Verlag mit “Gnadenlose Gier” angeblich einen antisemitischen Krimi veröffentlicht hat. Habe ich ein anderes Buch gelesen? Wieland Freund macht das in seinem Artikel vor allem an folgendem Zitat fest: “Die markante hakenförmige Nase verriet einen jüdischen Einschlag in seiner Ahnenreihe – von dem Morris wusste –, und die Andeutung bestätigte sich in dem olivfarbenen Ton seiner Wangen.” Kurz darauf ist auch von “wulstigen Lippen” die Rede. 250 Seiten lang verfolge Forester seine Figur Morris “mit Hass und Ekel”.

Allerdings muss man hier betonen, dass Morris in dieser Szene vor dem Spiegel steht und sich selbst betrachtet. Und letztlich ist er mit seinem Aussehen gar nicht so unzufrieden: “Nun ja, er hätte besser aussehen können, so wie auch seine berufliche Laufbahn hätte brillanter verlaufen können, doch in beiden Fällen war das Ergebnis etwas, worauf er stolz sein konnte.” Bis auf diese eine Szene konnte ich zudem keine Szene finden, die man antisemitisch deuten könnte. Auch konnte ich nicht den Eindruck gewinnen, dass Forester seine Figur mit Hass und Ekel betrachtet. So gesehen müsste man auch John Buchans Krimi-Meisterwerk “Die neununddreißig Stufen” als antisemitisch einstufen, da gibt es ähnliche Passagen.

Ich würde daher viel eher Gohlis Interpretation zustimmen, die er in seinem Recoil-Blog darlegt: “Sinnvoll lässt sich das nur so verstehen, dass Morris seine Physis akzeptiert und einsetzt, um den sozialen Makel niedriger Bildung und möglicher Diskriminierung durch übersteigertes Selbstbewusstsein und die Selbstermächtigung zum Herrn über Leben und Tod zu kompensieren. (…) Forester geht es nicht um Zuordnungen von Rasse, Aussehen und Verhalten, sondern um eine Phänotypologie des Mörders.” Denn Morris ist nicht “gnadenlos gierig”, weil er Jude ist – dieser Eindruck entsteht auf keiner Seite. Ein 250-seitiges Buch wegen drei aus dem Kontext gerissenen Zeilen als “gnadenlos antisemitisch” zu bezeichnen, finde ich dann doch ein wenig seltsam.

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KrimiZeit-Bestenliste August: Ein Abgleich

(c) Blessing

(c) Blessing

Wow, die KrimiZeit-Bestenliste im August wartet gleich mit sechs Neueinsteigern auf. Während sich Olen Steinhauer mit “Die Kairo-Affäre” weiter an der Spitze gehalten hat, ist Mike Nicol mit “Black Heart” auf Platz zwei vorgestoßen. Nicol ist für mich noch immer ein blinder Fleck. Dass sein Buch nun der abschließende Band einer “Rache-Trilogie” ist, bedeutet aber auch, dass ich wohl mit Teil eins, “Payback”, starten sollte.

Tja, bei Adrian McKinty plagt mich gleich das schlechte Gewissen. Ich habe sein Buch schon vor längerer Zeit ausgelesen und bin bis jetzt nicht dazu gekommen, hier über diesen Volltreffer zu schreiben. Über Nathan Larsons “2/14” habe ich hingegen schon im April geschwärmt. Faszinierend, wie lange es gedauert hat, bis dieses Buch endlich entsprechend gewürdigt wird. Auch “Drohnenland” hat mich sehr beeindruckt.

Mit “Der Krake auf meinem Kopf” hat es ein Buch in die Liste geschafft, das auf meinem Unbedingt-zu-lesen-Bücherstapel ganz oben liegt. Eigentlich ist ja fast jede der raren Neuerscheinung im Pulp-Master-Verlag Pflichtlektüre.

Bei Lee Child bin ich mir da nicht so sicher. Ich habe einen Jack-Reacher gelesen (weiß leider nicht mehr welchen, es muss einer seiner ersten gewesen sein) und der hat mir gereicht. Eigentlich mag ich ja Geschichten um einzelgängerische Kriegsheimkehrer, die sich nur ungern ans Gesetz halten. Aber irgendwas hat mir damals bei der Lektüre (vor wohl schon über zehn Jahren) nicht getaugt. Ob ich nun ausgerechnet ins “Wespennest” stochern soll? Vielleicht hat ja jemand einen Child-Tipp: Welches Buch würdet ihr mir empfehlen?

Mit “Taxibar” und “Die Istanbul-Passage” sind zudem zwei Bücher eingestiegen, die ich in den vergangenen Monaten in meiner Rubrik “Krimis, die man 2014 lesen sollte” empfohlen habe. Auch bei “Taxibar” hat der Einstieg lange gedauert: Das Buch ist bereits im April erschienen.

Die Liste im Überblick:

  1. Olen Steinhauer: “Die Kairo-Affäre” (1)
  2. Mike Nicol: “Black Heart” (-)
  3. Adrian McKinty: “Die Sirenen von Belfast” (4)
  4. Nathan Larson: “2/14” (-)
  5. Tom Hillenbrand: Drohnenland (2)
  6. Jim Nisbet: “Der Krake auf meinem Kopf” (-)
  7. Lee Child: “Wespennest” (6)
  8. Leonardo Padura: “Ketzer” (6)
  9. Jörg Juretzka: “Taxibar” (-)
  10. Joseph Kanon: “Die Istanbul-Passage” (-)

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Abgebrochen: Die Verdammten

(c) Bastei Lübbe

(c) Bastei Lübbe

Tja, so kann man sich irren. Bei meinen Juni-Tipps war ich mir recht sicher, dass dieses Buch genau nach meinem Geschmack sein könnte. Doch nach 130 Seiten war bei “Die Verdammten” Schluss. Peter Lineys Buch konnte mich von der ersten Seite an nie so wirklich fesseln. Ich blieb seltsam distanziert. Es ist eine brutale Welt, die er beschreibt, die mir allerdings gleichgültig blieb. Wohl auch deshalb, weil er mich von seiner Welt einfach nicht überzeugen konnte.

Hauptfigur Clancey ist ein ins Alter gekommener harter Knochen, der wie alle Alten und Kranken auf eine Insel ausgelagert wurde. Früher war er einmal für die Mafia tätig, aber irgendwie war er nie ein richtig übler Typ – da hakt es schon einmal bei der Glaubwürdigkeit. Das liest sich wie eine Masche, wie aus einem Krimi-Lehrbuch: Harter Typ mit weichem Kern. Gähn.

Das besondere an der Insel der Verdammten: Wenn der Nebel kommt, kommt auch das Grauen. Die Alten werden dann brutal abgeschlachtet. Und der Nebel kommt oft. Zu Beginn ist nicht klar, wer sich im Nebel verbirgt. Als Liney dieses Geheimnis lüftet, wird die Geschichte für mich nicht gerade glaubwürdiger. Keine Sorge: Es handelt sich um keinen Horror-Roman, aber das macht es nicht besser.

Ein besonderes Ärgernis stellt der Rückentext des Buches da: “Eines Tages entdeckt Clancey ein geheimes Tunnelsystem, in dem ein blindes Mädchen lebt”. Tja, wenn über 30-jährige Frauen auch Mädchen sind, dann stimmt das.

Spannung kam nie wirklich auf, die Personen interessierten mich nicht und die von Liney erschaffene düstere Welt blieb einfach zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Da lobe ich mir Nathan Larsons “2/14” im Vergleich. Und auch Adam Sternberghs “Spademan”, das mich ja nicht so begeistert hat, war zumindest atmosphärisch um Welten besser.

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Malcolm Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter

(c) Fischer Taschenbuch

(c) Fischer Taschenbuch

Malcolm Mackays Debüt und Auftakt seiner “Glasgow-Trilogie” ist ein gutes Beispiel dafür, warum schottische, irische und britische Krimiautor bei mir momentan wenig falsch machen können. “Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter” liest sich angenehm unaufgeregt und teilweise wie eine Einführung in die Ökonomie der Glasgower Unterwelt. Ein wenig hat mich Mackays Buch auch an “Die Freunde von Eddie Coyle” von George V. Higgins erinnert. Nicht dass Mackays Krimi so dialoglastig wäre, aber nach der Lektüre von Mackays Buch hat man das Gefühl, das Killer auch nur ein Job wie jeder andere ist. Und wie in jedem Job gibt es Profis und Stümper.

Calum MacLean gehört eindeutig in die erste Kategorie. Er ist ein Berufskiller. Ihm macht das Morden keinen Spaß. “Jemanden richtig umzubringen, ist schwer. Wer es richtig macht, weiß das. Wer es schlecht macht, lernt es. Auf die harte Tour. Und die harte Tour hat Folgen. Auch die guten Leute wissen das.” Calum, der bislang nur für sich selbst gearbeitet hat, steht vor einer folgenschweren Entscheidung: Soll er fix für Peter Jamieson und seine Organisation arbeiten? Das hat seine Vor- und Nachteile. Die muss er abwägen.

Sein Auftrag: Er muss den Kleinkriminellen Lewis Winter beseitigen. Was folgt, ist ein feiner Krimi – Thriller ist hier eigentlich nicht ganz passend, dafür ist die Geschichte zu langsam erzählt, obwohl sie durchwegs spannend ist. Mackay erfindet das Genre nicht neu, sondern bleibt innerhalb seiner Grenzen (obwohl ihm zum Beispiel Thomas Wörtche auf culturmag vorwirft, das Rad neu erfinden zu wollen). Das kann auch wohltuend sein. Zudem erzählt Mackay seine Geschichte nicht nur aus der Perspektive von Calum, sondern auch aus der Sicht der Opfer und des ermittelnden Polizisten – und das überzeugend.

Der “Scotsman” bezeichnet Mackay als einen modernen Raymond Chandler. Das ist ein wenig voreilig, aber Mackay ist zweifellos auf einem guten Weg. Ich freue mich schon auf Teil zwei, “Ein Killer hat das letzte Wort”.

Was meinen die anderen? Sonja von zeilenkino sieht das sehr ähnlich: “Bemerkenswert ist zudem die Unaufgeregtheit – nicht zu verwechseln mit Lakonie, denn Mackas Sätze sind zwar kurz, aber er erzählt äußert detailliert –, mit der von der Welt des Verbrechens erzählt wird.” Und: “Denn Verbrechen, so erscheint es letztlich bei Mackay, ist ein Geschäft wie jedes andere.” Ehrlich, Sonja: Ich habe deinen Text erst gelesen, nachdem ich meine Zeile geschrieben habe 😉

Und Micha schreibt in seinem Blog wassollichlesen: “Wer ein fesselndes Buch ohne große Effekthascherei und dafür Authentizität lesen möchte, sollte hier zugreifen!” Dem will ich nichts hinzufügen.

8 von 10 Punkten

Malcolm Mackay: “Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter”, 365 Seiten, Fischer.

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