Monthly Archives: September 2014

Südafrikanische Kriminacht in Wien: Mike Nicol (II)

(c) Kriminacht

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Die beiden südafrikanischen Krimiautoren Andrew Brown und Mike Nicol waren vergangene Woche in Wien. Über Andrew Browns Auftritt habe ich hier zuletzt geschrieben. In diesem Beitrag will ich mich Mike Nicol widmen. Gleich zu Beginn erzählte Nicol, dass ihn ein Rezensent einst, als er beschloss Kriminalliteratur zu schreiben (er war in Südafrika bis dahin ein angesehener Literat), aufgrund seiner “widerwärtigen Sprache” als “literarischen Antichristen” bezeichnete. Nicol nahm daraufhin entsprechend Rache und ließ ihn in einem seiner Bücher ein wenig erfreuliches Schicksal zu teil werden.

Dann holte Nicol aus und erzählte über Literatur während der Apartheid. Es sei damals nicht möglich gewesen, kommerzielle Thriller zu schreiben. Es habe nur zwei Krimiautoren gegeben – James McClure und Wessel Ebersohn. “The police was regarded as an invading army”, so Nicol. Verleger hätten auch lange nicht gewusst, was sie mit dieser Art von Literatur tun sollten, z.B. wie sie sie vermarkten sollten. Deon Meyer sei der Vorreiter gewesen. Er habe in Afrikaans geschrieben und sei dann ins Englische übersetzt worden. Aber auch die Leser hatten Probleme mit Kriminalliteratur: Sie hatten in ihrem tagtäglichen Leben genug mit Gewalt zu tun, sie begannen nur widerwillig Krimis zu lesen. Wie sollte man den Lesern zeigen, dass das auch unterhaltsam sein konnte?

“It’s actually about making money”

Verändert habe sich das im Jahr 2006. Damals gewann Andrew Brown mit seinem Buch einen literarischen Preis. Das half der südafrikanische Kriminalliteratur wahrgenommen zu werden. Mitllerweile würden 12-15 Kriminalromane jedes Jahr erscheinen, was für ein kleines Land wie Südafrika schon beachtlich sei.

(c) btb

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Nicol gab auch zu, seine Rache-Trilogie (“payback”, “killer country”, “black heart”) vor allem aus zwei Gründen geschrieben zu haben. So konnte er einerseits die Charaktere weiterverwenden und andererseits darauf hoffen, dass all jene Leser, denen das erste Buch gefallen hatte, auch ein zweites und drittes kaufen würden. “It’s actually about making money”, so Nicol. Die Trilogie bedeutet zudem noch nicht ganz das Ende. Es gebe noch Christa, die Tochter einer der Hauptfiguren, um die Nicol weitere Geschichten spinnen will. “She ist much better, she is sexier, she is younger, she kicks asses”, meinte Nicol schmunzelnd.

Später sprach Nicol über den Unterschied zwischen Literatur und Kriminalliteratur. Wo Literatur es erlaube 1000 Wörter zu verwenden, habe man im Kriminalroman rund 30 Wörter, um den gleichen Job zu tun. Jedes Wort müsse da sitzen, man müsse alles schneller tun, der Plot sei wichtig. “This attracted me to the genre, that you have to do everything very fast”, so Nicol.

Kriminalliteratur als Demokratie-Indikator

So richtig interessant wurde es kurz darauf. Warum gibt es sowohl bei Brown und Nicol wichtige Figuren mit dem Monatsnamen als Nachnamen – z.B. “February” (also Februar)? Dazu gebe es zwei Theorien, erklärte Nicol. Theorie eins besagt, dass als vor Jahrhunderten die Sklaven nach Kapstadt gebracht wurden, diese bei Auktionen verkauft wurden. Demnach erhielten Sklaven, die im Februar versteigert wurden, diesen Namen. Theorie zwei zufolge erhielten die Sklaven den Namen im Monat ihrer Befreiung. Die Historiker seien sich nicht sicher, was nun stimme. Es gebe auch einen sehr bekannten Monatssong (“January, February, March, April…”) in Südafrika, der wohl ein sei früher Sklavensong sei.

Die Abschlussfrage der Moderatorin brachte ebenfalls interessante Antworten. Der südafrikanische Krimiautor Roger Smith habe gesagt, dass der Kriminalroman das einzige Genre sei um das moderne Südafrika zu beschreiben. “Do you agree?” Brown antwortete als Erster. Nein, er stimme dem überhaupt nicht zu. In instabilen, undemokratischen Ländern wie dem Irak würde es keine Kriminalliteratur und auch keine entsprechenden Leser geben. In Schweden hingegen gebe es mehr Kriminalliteratur als Verbrechen. Darum halte er Smiths Ansicht für “completely wrong”. Es gebe Kriminalromane in Südafrika, weil es mehr Stabilität und mehr Spaß gebe. Nicol meinte dazu, dass es Smith geschafft habe, sich als der “Bad Guy” der südafrikanischen Krimiszene zu etablieren. Das sei natürlich ein gutes Image, aber es gebe mittlerweile viel unterschiedliche Literatur in Südafrika – abseits des Krimis. Nicol sprach in diesem Zusammenhang von der “Normalisierung der südafrikanischen Gesellschaft”.

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Südafrikanische Kriminacht in Wien (I): Andrew Brown

(c) Kriminacht

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Am Dienstag fand in Wien die 10. Kriminacht statt. Mein diesjähriger Besuch war eines der großen Highlights dieses Events, obwohl ich wieder einmal enttäuscht feststellen musste, wie wenige fundierte Krimileser es in Wien zu geben scheint. Dass sich gerade einmal 100 Leute (sehr optimistische Schätzung) bei der Lesung der beiden südafrikanischen Autoren Andrew Brown und Mike Nicol in der Hauptbücherei (Moderation: Antje Deistler vom WDR, deutsche Lesung von Burg-Schauspieler Robert Reinagl) einfinden würden, hat mich doch sehr gewundert. Noch dazu entpuppte sich ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums als eine Schülergruppe, die offenbar als Aufgabe über die Kriminacht berichten sollte. Noch ehe Mike Nicol zu lesen begann, reduzierte sich die Zuhörerschar also um weitere 20 Personen.

Zum Glück habe ich den Abend aufgenommen, denn beiden Autoren haben sehr spannende Dinge über ihre Heimat erzählt, die ich hier nicht verschweigen will. Ich beginne mit Andrew Brown, der als Erster an der Reihe war:

Andrew Browns Lebenslauf spricht für sich. Der 1966 in Kapstadt geborene Autor war während der Apartheid im Widerstand aktiv und wurde auch mehrmals verhaftet. Er entging einer mehrjährigen Gefängnisstrafe nur knapp – erst im Berufungsverfahren. Mittlerweile ist Brown an diesem Gericht als Anwalt tätig. Nach dem Ende der Apartheid ging er nicht in die Politik, sondern meldete sich freiwillig bei der Reservepolizei. Seitdem ist er als Polizist jede Woche auf den Straßen Kapstadts und in den Townships im Einsatz. Er weiß also gut, worüber er schreibt. (In seinem erst Anfang der Woche auf Deutsch erschienenen Buch “Trost”, aus dem vorgelesen wurde, setzt er sich aber mehr mit Religionsproblemen als Rassenproblemen auseinander.)

“Before 1994 policing was done by violence”

(c) btb

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“Vieles, was wir in unseren Kriminalromanen schreiben, passiert tatsächlich”, sagt Brown über die südafrikanische Kriminalliteratur. Er ist bei der Polizei Mitglied einer “Gang Unit”, die versucht die Bandenkriminalität unter Kontrolle zu bekommen. Die meiste Zeit seien Polizisten in Südafrika aber “armed social workers”, als bewaffnete Sozialarbeiter. Man arbeite mit jeder Art von menschlichen Konflikten. Man habe daher auch nicht ständig mit gefährlichen Situationen zu tun, sondern mit sehr schwierigen menschlichen Situationen. Brown genießt gerade diese zwischenmenschlichen Kontakte.

Brown gewährt also eine unvergleichliche Innensicht in das Leben südafrikanischer Polizeieinheiten. Da prallen alte Polizisten auf junge Rekruten, die das alte Regime nicht miterlebt haben, politische Einflussnahme, Vetternwirtschaft und Korruption stehen an der Tagesordnung. Man erhält seinen Job also oft nicht aufgrund von Qualifikation. Aber gerade alte Polizisten mussten Polizeiarbeit wiedererlernen: “Before 1994 policing was done by violence”, sagt Brown. Wenn man ein Geständnis wollte oder Dinge herausfinden, war Gewalt akzeptiert. Die Polizeiveteranen mussten erst mit Demokratie und Verfassung umzugehen lernen.

Auch Brown musste dabei schwierige Erfahrungen machen. Als er Steine auf die Polizisten warf, befand sich sein Lehrmeister auf der anderen Seite und feuerte Tränengas in die Menge, wie Brown später feststellte. “We still work together”, sagt er darüber. Aber dies sei vielleicht das Wunder von Südafrika, dass die Menschen gelernt haben, einander zu vergeben, wie schwer dies auch sein möge. Sie hätten gelernt miteinander zu arbeiten und einander zu vertrauen.

Deon Meyers Charakter Benny Griessel taucht in “Trost” auf

Brown gewährte aber auch noch einen ganz anderen interessanten Einblick: Auf Seite 31 von “Trost” taucht die Figur des Benny Griessel auf. Leser der südafrikanischen Krimiikone Deon Meyer kennen ihn nur allzu gut. Es ist eine von Meyer erfundene Figur. “I stole him without telling Deon Meyer”, erzählt Brown schmunzelnd. Brown habe dann Meyer das Manuskript zu lesen gegeben, ohne ihm zu sagen, dass einer seiner eigenen Charaktere in dem Buch erscheinen werde. Meyer entdeckte es erst beim Lesen. Für Brown sei das ein großer Spaß gewesen, zumal es auch Meyer “very funny” fand. Brown erzählte weiter, dass Griessel im letzten Buch Meyers ein Alkoholproblem gehabt habe, über das er hinweggekomme sei. In Browns Buch hat Griessel nun aber wieder ein Problem damit: “‘Er hat gesagt, Benny würde wieder trinken?’ Eberard lief es kalt den Rücken hinunter.”

Für Brown-Fan gibt es zudem eine gute Nachricht: Es wird bald mehr von ihm auf Deutsch zu lesen geben. Einen entsprechenden Vertrag habe er erst vor wenigen Tagen unterzeichnet. Sein neues Buch spielt diesmal im Sudan. Für mich persönlich war die Kriminacht schon deshalb sehr aufschlussreich, weil ich Brown – im Gegensatz zu Mike Nicol oder dem erwähnten Deon Meyer – bisher gar nicht kannte. “Trost” steht nun aber fix am Leseplan.

So, das war das wichtigste von Teil eins der Lesung. Mehr über seinen südafrikanischen Kollegen Mike Nicol, den “literarischen Antichristen Südafrikas”, gibt es hier in Kürze.

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Was ist Noir? (II)

(c) Screenshot von polar-noir.de

(c) Screenshot von polar-noir.de

Es ist noch nicht lange her, dass ich hier gefragt habe: Was ist Noir? Eine klare, eindeutige Antwort darauf konnte ich nicht finden – was mich aber nicht sonderlich gestört hat.

Hätte ich damals gewusst, dass Sonja von zeilenkino sich mit dieser Frage ebenfalls – wesentlich umfangreicher und tiefgehender – beschäftigt, hätte ich mir die Mühe ja fast sparen können. Denn sie wirkt am Online-Projekt polar-noir.de mit, das sich künftig jeden dritten Montag im Monat verlagsübergreifend und unabhängig dem Noir widmen will. Das Ziel der Plattform wird im Editorial erklärt: “Sie wird keine weitere Rezensionsplattform sein, sondern Entwicklungen nach- und aufspüren. In Essays werden Werke und Begriffe diskutiert, Zusammenhänge und Themen beleuchtet, Thesen aufgestellt und debattiert.”

In einem sehr lesenswerten Essay führt Sonja dann in die Welt des Noir ein. Auch bei ihr wird klar, dass es keine einfache Noir-Definition gibt: “In der Schwierigkeit einer klaren Erklärung liegt indes auch ein Großteil der Faszination für Noir begründet.” Ja, das finde ich auch.

Gut gefällt mir ihr Schluss:

“Wichtig bleibt dabei nur eines: Nur weil es in einem Buch regnet, keine Helden und kein Happy End gibt, ist es noch lange nicht ein Noir.”

Kriminalliteratur als Gegengeschichte

Nicht zu verwechseln mit polar-noir.de ist in diesem Zusammenhang übrigens das ebenfalls einmal monatlich erscheinende Krimi-Journal “Polar Gazette” (hinter beiden Projekten steckt der Polar Verlag). Dort habe ich übrigens auch Gedanken von Else Laudan gefunden, die ich hier ebenfalls erwähnen will:

“In der Fiktion der Kriminal- und Verbrechensliteratur formiert sich (…) eine Gegengeschichte. Und in ihren erfundenen Plots steckt viel weniger Illusion als in der kolportierten Geschichtsschreibung wie auch Berichterstattung.”

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Flore Vasseur: Kriminelle Bande

(c) Haffmans Tolkemitt

(c) Haffmans Tolkemitt

Ich bin eher zufällig auf Flore Vasseurs “Kriminelle Bande” gestoßen. Ich begann mit Skepsis zu lesen, war dann aber rasch von dem Stil der Französin begeistert. Der zweite Absatz liest sich so: “Er nimmt den Frühflug, keinerlei Gepäck. Die Firma stellt ihm Anzug und Waschzeug zur Verfügung. Sein Gewicht, seine Zahnpastamarke, seine Cholesterinwerte sind dort bekannt.” Da entstehen sofort Bilder im Kopf. Gleichzeitig demaskiert Vasseur immer wieder in nur wenigen Sätzen die Generation der heute 40-Jährigen, zu der sie selbst auch gehört, schonungslos. Ist das die Freiheit von der wir träumen?

Auf den ersten Blick könnte es eine Erfolgsstory sein. Denn das Buch dreht sich um Clara, Jérémie, Bertrand, Vanessa, Alison, Antoine und Sébastien. Sie alle haben an der Pariser Eliteuniversität HEC studiert und sind mit einer Ausnahme die Karriereleiter viele Sprossen hochgeklettert. Sie führen nach außen hin Vorzeigeehen, leben in Traumhäusern und haben alles, was die große Mehrheit nicht hat. Dennoch ist “Kriminelle Bande” vor allem eines: Ein Desillusionierungsroman. Die simple Erkenntnis: Macht, Geld und Karriere machen nicht glücklich – eher einsam und verbittert. “Er hat eine Familie haben wollen. Er wohnt mit Menschen zusammen, die er nicht kennt”, lautet der erschütterndste Satz dieses gesellschaftskritischen Krimis.

Mitunter liest sich das Buch wie eine Zitatesammlung: “Die Wahrheit hat keinen Wert. Es geht nur darum, die Geschichte gut zu verkaufen” lautet das Motto der Politik. An einer anderen Stelle heißt es: “Ein Ferienklub, ein weiteres Getto”. Und auch folgende zwei Sätze muss ich zitieren: “Auf dieser Ebene im Hierarchiegefüge ist Alkohol verboten und nur in Ausnahmefällen mit Zustimmung der Chefetage erlaubt. Alle vier Monate werden Bluttests bei hochrangigen Mitarbeitern angeordnet.” What the fuck? Wozu klettere ich die ganze Hierarchieleiter hinauf, buckle und verbiege mich, wozu tue ich mir das an – wenn ich dann so behandelt werde.

Wenn diese Bande von Emporkömmlingen die Fäden zieht, könnte einem schlecht werden. Intrigen, Neid und Missgunst, wo man nur hinsieht.

Ach ja, einen Toten gibt es auch. “Kriminelle Bande” ist aber nur bedingt ein Kriminalroman, jedoch auf alle Fälle spannende Lektüre. Und unterhaltsame. Vasseur macht wütend und bringt dich zum Lachen. Zwar nützt sich ihr von pointierten Dialoggefechten und bitterbösen Gedanken getragener Erzählstil mit der Zeit ein wenig ab, dennoch bleiben ihre Anspielungen auf reale Unternehmen (Die Investmentbank “Folman Pachs”) und Begebenheiten stets amüsant. Das finden nicht alle so. Maren Keller etwa sieht das auf “Spiegel Online” ein wenig anders: “Vasseur müht sich ununterbrochen, neue Metaphern zu finden für das unausweichliche Unglück. Nicht immer erfolgreich: Da wird auf der Titanic auf den Eisberg zugesteuert, Krieg geführt oder am Lenker eines verminten Lasters eine Buckelpiste entlang gefahren. Dabei wäre dieser sprachliche Katastrophenkitsch gar nicht nötig.”

Mich hat das in diesem Fall aber nicht gestört. Letztlich hat sie so nebenbein ein entlarvendes Porträt einer nach falschen Werten strebenden Generation der heute 40-Jährigen geschrieben, die beruflich über alle Maßen erfolgreich und gleichzeitig Vorzeigeeltern sein wollen. Flore Vasseur, ich ziehe meinen Hut: Chapeau!

8 von 10 Punkten

Flore Vasseur: “Kriminelle Bande”, übersetzt von Christian Driesen, 352 Seiten, Haffmans Tolkemitt.

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Krimis, die man 2014 lesen sollte (IX)

(c) Rowohlt Polaris

(c) Rowohlt Polaris

Der September startet gleich mit einer besonders interessanten Neuerscheinung: “Der Schwimmer” von Joakim Zander (seit 1. September). Das Buch gilt als eine der großen Thriller-Neuentdeckungen des Jahres. Zander erzählt darin über die Welt der Geheimdienste und die Politik sowie Lobbyisten in der EU. Günter Keil hat übrigens ein interessantes Interview mit Zander geführt, das auf seinem Blog zu lesen ist. Zander hat sich demnach ein Beispiel an Stephen King genommen: “Mein Ziel war, jeden Tag tausend Wörter zu schreiben, egal, welche Aufgaben ich sonst noch hatte. Wenn meine Frau früh ins Bett ging, schrieb ich oft bis in die Nacht. Und nicht selten stellte ich mir den Wecker auf 5 Uhr morgens, um noch schreiben zu können, bevor ich unsere Kinder wecken musste.” Zander, der als Anwalt für die EU-Kommission und das Europäische Parlament arbeitet, gibt zu, dass er sogar in Meetings in Brüssel geschrieben hat.

(c) Manhattan

(c) Manhattan

Ian Rankin habe ich ja erst voriges Jahr sehr spät für mich entdeckt. “Mädchengrab”, Teil 18 seiner Serie um den Ermittler John Rebus, hat mich damals überzeugt: “Ich bin begeistert. Das Buch mag sich zwar nicht genial auflösen, aber ich habe selten ein derart atmosphärisch dichtes Werk gelesen, das auch mit gekonnter Charakterzeichnung auftrumpft”, schrieb ich. Nun folgt Band 19, “Schlafende Hunde” (seit 8. September). Der interne Ermittler Malcolm Fox, der Rebus nicht über den Weg traut, spielt wieder eine wichtige Rolle. Die beiden müssen wohl miteinander auskommen – ob sie wollen oder nicht. Klingt spannend. Übersetzt übrigens erneut von Conny Lösch.

(c) Kunstmann

(c) Kunstmann

Mit William McIlvanney “Laidlaw” (seit 10. September) werde ich eine weitere Lücke schließen. Das Buch ist ja ein Klassiker und erstmals im Jahr 1977 erschienen. McIlvanney gilt als Begründer des schottischen Noir. Der Verlag schreibt über die Kultfigur des Detective Jack Laidlaw: “William McIlvanneys Romane um den legendären Ermittler Jack Laidlaw sind in Großbritannien schon lange Kult und gehören schlicht zum Besten, was Kriminalliteratur zu bieten hat.” Und der oben erwähnte Ian Rankin meint: “Ohne McIlvanney wäre ich wohl kein Krimiautor geworden. Da war dieser literarische Schriftsteller, der sich dem urbanen, zeitgenössischen Krimi zugewandt hatte und zeigte, dass das Genre große moralische und soziale Fragen angehen konnte.” Übersetzt übrigens ebenfalls von Conny Lösch.

(c) Diaphanes

(c) Diaphanes

Ganz besonders freue ich mich auf Nathan Larsons “Boogie Man” (ab 24. September). Erst im April habe ich hier Teil eins seiner Trilogie, “2/14”, um Dewey Decimal besprochen. Dieser Future Noir hatte mich damals echt aus den Socken gehauen. Mein Urteil damals: “Es ist ein schrilles, abgefahrenes und witziges Buch – mit stillen und tiefen Momenten. Eine ganz wild Mischung eben.” Ich freue mich darauf, Dewey Decimal erneut ein Stück auf seiner abgedrehten Reise begleiten zu dürfen.

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Was ist Noir?

(c) Distel Literaturverlag

(c) Distel Literaturverlag

Es ist mal wieder Zeit, ein wenig über das Krimigenre nachzudenken, genauer gesagt über den Roman noir. Was versteht man darunter überhaupt? Veranlasst hat mich dazu das Nachwort von Gunter Blank im Kriminalroman “Galveston” von Nic Pizzolatto. Blank erzählt darin “eine kurze Geschichte des Noir”:

Das Schöne an einer Noir-Reihe ist, dass vieles in ihr Platz findet, denn eigentlich gibt es das Genre – so zumindest der renommierte Film-Theoretiker Steve Neale – überhaupt nicht. Niemand habe es je definieren, geschweige denn einen präzisen Kanon erstellen können.

Das ist natürlich wenig hilfreich. Kurz darauf zitiert Blank aber den französischen Kritiker Nino Frank, der nach dem Zweiten Weltkrieg Blank zufolge den Begriff Noir geprägt hat. Frank zählte demnach die Zurückweisung “sentimentalen Humanismus, sozialer Phantasterei und die Dynamik des gewaltsamen Todes” zu den Hauptmerkmalen des Noir.

“I specifically reject the private eye story as a form of noir”

Das ist zwar schon einmal ein Anfang, kann aber noch immer sehr viel beinhalten. Nach kurzer Recherche stieß ich dann aber zum Glück auf Alf Mayers Text zum Buch “Film Noir. 100 All-Time Favorites” auf crimemag. Er zitiert den Verleger Otto Penzler, der sich mit einer Definition ebenfalls schwertut – meiner Meinung nach das Genre aber ganz gut eingrenzt:

„Like art, love, and pornography, noir is hard to define, but you know it when you see it. Noir stories are bleak, existential, alienated, pessimistic tales about losers-people who are so morally challenged that they cannot help but bring about their own ruin.“

Spannend ist dabei, dass Penzler laut Mayer eine klare Linie zum Privatdetektiv zieht:

„I specifically reject the private eye story as a form of noir because the two subgenres of crime fiction could not be more diametrically opposed from a philosophical point of view. The characters, especially the protagonists, in noir fiction are fatally flawed by their greed, lust, or jealousy. They are so egotistical that they will do anything at all to get the money or the girl or the revenge they seek, eschewing honor, decency and legality in their blind quest for their selfish goal. (…) In the private detective story, the central figure is a hero who will go to extreme lengths to see justice done, to protect his client, or to simply do his job. Characters in noir fiction have no idea what is right and what is wrong. Private eyes always do.”

Sind die Privatdetektive doch noir?

Demnach haben Chandler und Hammett also keine Noir-Romane geschrieben. Der Franzose Jean-Patrick Manchette sieht das in seinen “Essays zu Roman noir” allerdings wieder anders. Für ihn sind die beiden die Gründerväter des Roman noir. “Der Privatdetektiv ist der große moralische Held jener Zeit”, so Manchette:

Der Privatdetektiv ist verbittert und langmütig und ziemlich verzweifelt, weil ein Scheißchaos herrscht und er wohl sieht, dass er ihm alleine nicht beikommt; und außerdem weil das Leben in der Scheiße und im Blut und der Kampf gegen die Widerlinge ihn verändert, es macht ihn unsensibel und hart, was auch eine Form der Niederlage ist.

Manchette ist der Meinung, dass  ein guter Roman noir “ein gesellschaftskritischer Roman” ist, “der zwar Geschichten von Verbrechen erzählt, der aber zugleich versucht, die Gesellschaft an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abzubilden.”

Ich weiß, das alles ist jetzt ein bisschen viel und vor allem widersprüchlich, dadurch gleichzeitig aber auch immens spannend. Wie man sieht ist es also gar nicht so einfach, Noir zu definieren. Allerdings ist das meiner Meinung nach auch gar nicht so wichtig. Aber darüber nachzudenken, tut gut.

Zum Schluss will ich ein paar Namen aufzählen, die mir spontan einfallen: Nathan Larson, Jim Nisbet, Rick deMarinis, Nic Pizzolatto, James Sallis, Daniel Woodrell, Patricia Melo und Donald Ray Pollock. Diese Namen stehen für Noir und sie stehen für Qualität.

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Nic Pizzolatto: Galveston

(c) Metrolit

(c) Metrolit

Wenn jemand wie der grandiose US-Krimiautor Dennis Lehane (“Mystic River”, “Shutter Island”, zuletzt “In der Nacht”) über ein Buch sagt, es sei von “unerträglicher Schönheit” (zu seiner Rezension in der “New York Times”), dann heißt das etwas. Zum Beispiel: Es zu lesen. Das habe ich nun getan und ich stimme Lehane hundertprozentig zu.

“Galveston”, der bereits 2010 in den USA erschienene Noir-Krimi des damals noch unbekannten Nic Pizzolatto, ist nun auf Deutsch erschienen. Typisch, könnte man jetzt sagen, denn seit er die TV-Serie “True Detective” erschaffen hat, ist Pizzolatto in aller Munde. Doch Misstrauen ist in diesem Fall keines angebracht. Der kleine Metrolit-Verlag sicherte sich die Rechte noch ehe der durchschlagende “True Detective”-Erfolg absehbar war. Ein Glücksgriff, wie Herausgeber Gunter Blank im lesenswerten Nachwort, “einer kurzen Geschichte des Noir”, zugibt. Pizzolattos Debütroman verleihe dem Genre des Noir noch einmal eine Wucht, die man lange Jahre hat vermissen müssen.

Man kann froh sein, dass Blank dieses Buch entdeckt hat. Denn “ohne diese Wucht hätte es die Noir-inspirierte Reihe, die Metrolit mit ‘Galveston’ beginnt und die künftig mit ein, zwei Titeln pro Saison fortgesetzt wird, vielleicht nicht gegeben”, schreibt Blank.

Zwar beginnt Pizzolatto seine Geschichte ein wenig klischeehaft, wie auch Lehane schreibt: Er jage seine zwei Hauptfiguren zu hastig durch blut- und eingeweidespritzende Szenen (“Heißes Blut sprudelte mir über Gesicht und Mund”) und lasse harte Kerle zu sehr ihre Harte-Kerle-Blicke aufsetzen. Nach diesen vielleicht 15 ersten Seiten befreit sich Pizzolatto aber von diesem Genre-Ballast und erzählt die außergewöhnliche Geschichte des Berufverbrechers Roy Cady, der sich mit der fast noch minderjährigen Prostituierten Rocky und kurz darauf auch noch mit deren vierjähriger Schwester Tiffany auf die Flucht begibt. Diese literarische Reise hat sich bei mir wie kaum eine andere eingeprägt.

Das Leben, fair wie eine Lotterie

Es beginnt fast wie in “Breaking Bad” (damit enden diesbezügliche Vergleiche aber auch gleich wieder): Cady erhält die ärztliche Prognose, dass er nicht mehr lang zu leben habe. Ab da verändert sich sein Leben – zuerst kaum merkbar, dann aber doch Stück für Stück. Das darf man jetzt nicht missverstehen: Er wird deswegen nicht zu einem Engel, aber zu einem etwas weniger großen Kotzbrocken.

Der skrupellose Cady ist es gewohnt, in einer Welt der Gewalt zu überleben. Pizzolatto unterstreicht das geschickt durch düstere, feindselige Landschaftsbilder: “Abseits der Städte verwandelt Texas sich in eine grüne Wüste, die darauf angelegt ist, dich mit ihrer unermesslichen Weite zu erschlagen. Ein mit Himmel gefüllter Granatwerfer.” Kurz darauf sprenkelt die Sonne den Golf von Mexiko “mit Napalm” und die Luft flirrt so stark, “dass sie die Sonne vergrößerte und ihre Strahlen zu Schwerterklingen zusammenschob.”

“Galveston” ist ein Noir-Krimi. Happyend ist somit keines zu erwarten – damit ist hier nicht zu viel verraten. Ein bisschen Optimismus ist dennoch erlaubt. Denn Roy klärt seiner Begleiterin Rocky zwischendurch darüber auf, dass letztlich doch alles gerecht ist, was einem im Leben widerfährt:

“Es kommt einem unfair vor, weil alles zufällig passiert. Aber genau deshalb ist es fair. Verstehst du? Fair wie eine Lotterie.”

Das ist doch irgendwie tröstlich.

Nun wird “Galveston” bereits als eine Art Neuerfindung des Noir gefeiert. Ich weiß nicht, ob man Büchern immer einen Gefallen tut, indem man zu Superlativen greift. Pizzolatto hat schlicht einen sehr, sehr feinen Noir-Krimi geschrieben, der lange nachwirkt und ans Herz geht. Punkt.

Das Leben vor dem Tod tut meist verdammt weh

Das meinen andere:

Marcus Münteferings Schlusswort seiner lesenswerten Kritik auf “Spiegel Online” will ich hier extra hervorheben: “Es gibt ein Leben vor dem Tod. Auch wenn es meistens verdammt wehtut.” Wirklich schön formuliert.

Und auch Nicole war in ihrem Blog My Crime Time schwer begeistert: “Zum Glück ist Nic Pizzolatto ein Meister seines Fachs: Er lässt Roy niemals irgendwelche markigen Sprüche absondern oder mit geschwollenen Eiern in der Hose durch die Gegend stolzieren. Er lässt ihn aber auch nicht rührselig zusammenbrechen, damit er seicht mit seinem Schicksal hadern kann.”

9 von 10 Punkten

Nic Pizzolatto: “Galveston”, übersetzt von Simone Salitter und Gunter Blank, 253 Seiten, Metrolit.

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KrimiZeit-Bestenliste September: Ein Abgleich

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Olen Steinhauer ist im September von der KrimiZeit-Bestenliste verdrängt worden. Der Südafrikaner Mike Nicol hat ihn mit dem letzten Teil einer Trilogie von der Spitze abgelöst. Da ich die ersten beiden Teile aber nicht gelesen habe, habe ich beschlossen, nun nicht ausgerechnet mit “black heart” zu beginnen. Meine Vorfreude ist dennoch groß, denn irgendwann demnächst ist Nicol-Zeit!

(c) Scherz

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Vom besten Neueinsteiger, Orkun Ertener, hatte ich bis zum Erscheinen der aktuellen Liste noch nie etwas gehört. Zwei Gründe: Titel und Cover. Ich habe bei meiner Routine-Suche nach neuen Büchern auf krimi-couch.de bei “Lebt” einfach weitergeklickt. Es hat für mich wie ein klassisches 08/15-Psychothriller-Cover ausgesehen – noch dazu mit diesem nichtssagenden Titel. Ertener hat bisher fürs Fernsehen geschrieben und hat unter anderem am Erfolg der außergewöhnlichen Serie “KDD – Kriminaldauerdienst” Teil gehabt. Das ist eine ziemlich gute Visitenkarte. Jetzt könnten mich nur die 640 Seiten abschrecken. Na, mal sehen.

Was habe ich bisher von der Liste gelesen: Jim Nisbets “Der Krake auf meinem Kopf” und Howard Linskeys “Gangland”. Beide Bücher habe ich hier vor Kurzem besprochen. Als drittes Buch habe ich vor wenigen Tagen “Galveston” beendet, dazu werde ich in meinem nächsten Blogeintrag schreiben. Nur so viel: Nic Pizzolatto hat einen sehr, sehr feinen Noir-Krimi verfasst.

Zum Schluss noch ein Geständnis und eine Bitte: Ich weiß, als Österreicher geht das gar nicht, aber ich habe noch immer keinen Brenner gelesen… Wer empfiehlt mir seinen Lieblingsbrenner? Und: Reihenfolge wichtig – ja oder nein?

Die Liste im Überblick:

1 (2) Mike Nicol: black heart
2 (-) Orkun Ertener: Lebt
3 (10) Joseph Kanon: Die Istanbul-Passage
4 (6) Jim Nisbet: Der Krake auf meinem Kopf
5 (1) Olen Steinhauer: Die Kairo-Affäre
6 (-) Nic Pizzolatto: Galveston
7 (-) Carlo Lucarelli: Bestie
8 (-) Wolf Haas: Brennerova
9 (-) Howard Linskey: Gangland
10 (-) Chloe Hooper: Die Verlobung

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Robert Bloch: Psycho

(c) rororo

(c) rororo

Jeder kennt den Hitchcock-Filmklassiker “Psycho” und hat das Bild von Anthony Perkins als Motelbesitzer Norman Bates vor sich. Aber mal ehrlich: Wer hat das Buch von Robert Bloch gelesen, auf dem der Film basiert? Wohl kaum jemand.

Das Buch ist 1959 erschienen und wurde nur kurz darauf von Hitchcock verfilmt. Die Lektüre über 50 Jahren nach dem erstmaligen Erscheinen war ein interessantes Erlebnis. “Psycho”, das Buch, liest sich zeitlos. Der Bau der Autobahn spielt eine wichtige Rolle: Denn seitdem verirrt sich kaum mehr jemand in Bates Motel. Spannend ist auch, dass sich Norman Bates im Buch als ziemlich konträr zur Filmfigur entpuppt: “Der Lampenschein fiel auf sein rundliches Gesicht, spiegelte sich in seiner randlosen Brille und hob, als er sich wieder über sein Buch beugte, die rosafarbene Kopfhaut unter dem sich lichtenden sandfarbenen Haar hervor.”

Das Buch (nicht einmal 200 Seiten) hat man in einem Rutsch ausgelesen. Es liest sich spannend und psychologisch stimmig – aber gäbe es den Film nicht, man würde es nicht unbedingt in Erinnerung behalten. Erst Hitchcock machte “Psycho” mit seiner Duschszene unvergesslich und haltbar für die Ewigkeit. Dennoch: Ohne das Buch hätte es den Film nie gegeben.

Umso interessanter ist die Nachbemerkung des Autors, in der er den Drehbuchautor Joseph Stefano attackiert. Stefano habe “Psycho” als Originaldrehbuch bezeichnet, “obwohl er lediglich das Werk eines anderen adaptiert hat”. In diesen wenigen Seiten des Nachworts werden die Verletzungen spürbar, die die fehlende Anerkennung dem Autor zugefügt haben. Mit Hitchcock selbst hatte der 1994 verstorbene Bloch aber kein Problem: “Hitchcocks Film hebt zu Recht und mit Bravour das visuelle Element hervor. Mein Medium betonte das Verbale, um sein Ziel zu erreichen: die Leser mit harmlosem Schrecken zu unterhalten.”

Bloch wehrt sich auch vehement dagegen, mit “Psycho” Autoren und Filmemacher dazu inspiriert zu haben, “möglichst brutal und pornographisch über Opfer herzufallen”. Er glaubt nicht, dass sein Buch in irgendeiner Weise dazu beigetragen hat, das Ausmaß an Gewalt zu vergrößern.

Damit hat er meiner Meinung nach auch recht. Genauso wie mit folgendem Satz: “Wenn den Roman irgendetwas auszeichnet, dann die Tatsache, dass ich die Verbrecher – im Unterschied zu den meisten Genreautoren – nicht in verrufenen Vierteln angesiedelt habe, sondern in der unmittelbaren Nachbarschaft der Leser.”

Mein Fazit: “Pyscho” muss man nicht unbedingt gelesen haben. Aber es zeigt eine der bekanntesten Figuren der Filmgeschichte von einer teils bislang unbekannten Seite.

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