Monthly Archives: December 2014

Krimis, die man 2014 lesen sollte (XII)

(c) Knaur

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Noch ein letztes Mal empfehle ich Krimis, die im Jahr 2014 neu erschienen sind. Bereits seit 1. Dezember sollte “MUC” der deutschen Autorin Anna Mocikat in den Regalen gutsortierter Buchhandlungen zu finden sein. 2014 war ja ein Jahr vielzähliger dystopischer Spannungsromane. Nun spielt ein solcher endlich auch einmal in Deutschland.

München, 2120: Hundert Jahre nach dem großen Sterben, dem beinahe die gesamte Menschheit zum Opfer fiel, ist von dem Wohlstand der Stadt wenig übrig. Zerstörte Häuser, Müll und Dreck in den Straßen und Skelette in der U-Bahn, so präsentiert sich MUC, wie die Stadt mittlerweile heißt, der Kletterkünstlerin Pia. Pia ist auf der Suche – nach ihrem Bruder, der vor Jahren verschollen ist, und nach Antworten. Denn das große Sterben haben nur Rothaarige überlebt, ihre Haare jedoch sind pechschwarz (Verlagstext).

(c) Heyne Hardcore

(c) Heyne Hardcore

“Die Verdammten” des legendären US-Krimiautors Jim Thompson ist seit 8. Dezember im Handel. Heyne setzt hier in seiner Hardcore-Reihe konsequent die Publikation von Thompson-Büchern fort – auch optisch in sehr feiner Aufmachung. Es handelt sich bei “Die Verdammten” um eine deutsche Erstausgabe. Lesenswert macht diese Ausgabe auch das Nachwort von Tobias Gohlis. Marcus Müntefering urteilt auf Krimi-Welt so: “Die Verdammten gehört nicht zu den besten Romanen Thompsons (auch wenn er selbst das wohl anders sah), dafür ist die Geschichte teilweise zu kolportagehaft und zu wenig konzentriert erzählt. Aber selbst wenn Thompson nicht in Topform ist, schreibt er besser als fast alle anderen.”

Die texanische Kleinstadt Big Sands ist ein Hort verlorener Seelen, eingekesselt von den Bohrtürmen einer Ölgesellschaft, die sich immer weiter ausbreitet. Die Bewohner sind größtenteils einfache Leute und halten sich mühsam so eben über Wasser. Aufgestaute Aggressionen bestimmen die Szenerie unter der gleißenden Wüstensonne. Der junge Tom Lord muss als Deputy wider Willen die Ordnung aufrechthalten. Eines Tages erschießt er bei einer Auseinandersetzung unabsichtlich den Ölinspektor Aaron McBride, den er schon seit Längerem des Betrugs verdächtigt. Lord wird angeklagt. Doch damit nicht genug: Der Ölgesellschaft ist er ein Dorn im Auge und soll von der Bildfläche verschwinden. Lord kann niemandem mehr vertrauen … (Verlagstext)

(c) Rowohlt Polaris

(c) Rowohlt Polaris

Lauren Beukes “Zoo City” (am 19. Dezember erschienen) scheint weniger ein klassischer Krimi zu sein, sonder ein Fantasy-Noir-Thriller. Nachdem ich den Zeitreise-Krimi “Shining Girls” der Südafrikanerin heuer nicht geschafft habe, hoffe ich nun die Autorin mit diesem Buch kennenzulernen. Und Noir steht ja nicht umsonst in meinem Blognamen 😉

Wer Schuld auf sich lädt muss mit zwei Dingen leben: Einer magischen Begabung. Und einem Tier, das plötzlich da ist und einem nie mehr von der Seite weicht. So wie das Faultier, das Zinzi December auf dem Rücken trägt.
Zinzi hat einen Haufen Schulden und ein Talent dafür, verlorene Dinge zu finden. Oder Menschen, wie im Fall des verschwundenen Pop-Starlets Songweza. Die Suche gestaltet sich schwierig, denn in einer Welt, in der Magie und Verbrechen regieren, sind allzuviele Fragen nicht erwünscht. Wenn man anfängt, in Johannesburgs dunkle Ecken zu schauen, kommt schnell die Wahrheit ans Licht. Eine Wahrheit die einige Leute dringend unter Verschluss halten wollen. Die Wahrheit über die «Getierten» und über das, was im Verborgenen mit ihnen geschieht … (Verlagstext)

(c) Lübbe

(c) Lübbe

Tony Parsons Krimidebüt “Dein finsteres Herz” ist seit 18. Dezember erhältlich. Der Untertitel “Detective Max Wolfes erster Fall” deutet bereits darauf hin, dass hier eine Serie am Entstehen ist. Ich muss gestehen, ich bin ein wenig skeptisch – vor allem weil hier offenbar schon wieder einmal “unvorstellbar grausam” gemordet wird. Aber ein Detective als alleinerziehender Vater macht mich wiederum neugierig.

Vor zwanzig Jahren trafen sieben privilegierte Jungen in der elitären Privatschule Potter╔s Field aufeinander und wurden Freunde. Nun sterben sie, einer nach dem anderen, auf unvorstellbar grausame Art. Das ruft Detective Constable Max Wolfe auf den Plan: Koffeinjunkie, Hundeliebhaber, alleinerziehender Vater. Und der Albtraum jedes Mörders. Max folgt der blutigen Fährte des Killers von Londons Hinterhöfen und hell erleuchteten Straßen bis in die dunkelsten Winkel des Internets. (Verlagstext)

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Lawrence Block: Ruhet in Frieden

(c) Heyne

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Wieder ein blinder Fleck auf meiner persönlichen Krimi-Landkarte weniger: Lawrence Block ist leider im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten, obwohl er ein echter Vielschreiber ist. Seine Serie rund um den privaten Ermittler Matthew Scudder ist nur eine von mehreren. “Ruhet in Frieden”, dessen Originaltitel “A Walk Among the Tombstones” es sogar als Untertext auf das aktuelle Buchcover geschafft hat, ist zwar bereits 1992 im Original erschienen und zwei Jahre später auch auf Deutsch. In den vergangenen Jahren ließen die deutschen Verlage aber weitgehend die Finger vom Autor. Das ist mir nach der Lektüre unverständlich. Verständlich ist hingegen, dass Hollywood nun einen Film daraus gemacht hat – mit Haudegen Liam Neeson in der Hauptrolle:

Über die Qualität des Films kann ich leider nichts sagen, aber das Buch ist sehr fesselnd geschrieben. Keinesfalls reißerisch, was das Cover durchaus vermuten lässt. Einen besonderen Reiz hat “Ruhet in Frieden” für mich deshalb gehabt, weil der Autor bereits 1992 von Rufnummern-Erkennung und Hackern (der Film “Hackers” erschien z.b. erst 1995) schreibt – das muss sich damals wirklich exotisch gelesen haben:

“Du läßt (ein weiteres Kuriosum: das Buch wurde nicht an die neue Rechtschreibung angepasst) dir irgend so einen elektronischen Schnickschnack in dein Telefon einbauen, der dir automatisch die Nummer des Anrufers anzeigt, und dann bleibt es dir überlassen, ob du drangehst oder nicht.”

Auf die Frage, ob so ein Gerät schon im Handel erhältlich sei, heißt es: “Zumindest nicht in New York. Diese Geräte sind ziemlich umstritten.” Wirklich witzig sind auch die Szenen um das skurrile Hacker-Duo Jimmy und David, genannt die “Kongs”: Jimmy Hong und David King – auch Hong Kong und King Kong. Ratet mal was deren Lieblingsspiel ist: Richtig, Donkey Kong!

Gleichzeitig ist “Ruhet in Frieden” aber auch ein sehr klassischer, harter Kriminalroman. Block wird bei der Darstellung von Gewalt aber nie voyeuristisch – und seine Hauptfigur Matthew Scudder niemals moralisch oder urteilend. Wer sich jedoch eine blutige Rachegeschichte erwartet – und Klappen- und Rückentext suggerieren das mit Formulierungen wie “ein gnadenloser Feldzug” – sollte ein anderes Buch lesen. Überhaupt hat hier der Heyne-Verlag seinem eigenen Buch nichts Gutes getan. Wer das Buch gelesen hat, wird wissen, dass die Beschreibungstexte schlicht falsch sind.

Block erzählt eine erschütternde Geschichte, in der Frauen entführt werden und zumeist nur tot wieder auftauchen.

“Sobald sie im Lieferwagen sind, sind sie nur noch Körperteile.”

Der Autor wird nie klischeehaft, recherchiert gut, schafft interessante Charaktere und löst Stück für Stück sehr gekonnt ein Rätsel auf. Liebe Heyne-Verantwortliche: Gebt eurem Autor eine Chance und übersetzt neue Scudder-Krimis. Zeit wäre es! Diese billige und lieblose Resteverwertung hat Lawrence Block nicht verdient.

7 von 10 Punkten

Lawrence Block: “Ruhet in Frieden”, übersetzt von Sepp Leeb, 361 Seiten, Heyne Verlag.

 

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Dennis Lehane: The Drop. Bargeld

(c) Diogenes

(c) Diogenes

Der Bostoner Dennis Lehane ist nicht nur einer der wichtigsten Krimiautoren der Gegenwart, er ist auch der Krimiautor mit dem Hollywood-Abo. Seine Bücher “Gone, baby, gone”, “Shutter Island” und “Mystic River” wurden erfolgreich und von namhaften US-Regisseuren verfilmt. Nun hat es ein weiteres seiner Bücher, “The Drop. Bargeld” geschafft, verfilmt zu werden – mit Tom Hardy, Noomi Rapace und dem verstorbenen James Gandolfini in seiner letzten großen Rolle.

Die Entstehungsgeschichte des Romans ist dabei einigermaßen kurios. Zuerst schrieb Lehane einen nie veröffentlichten Roman. Eine Figur daraus tauchte Jahre später in einer Kurzgeschichte auf, aus der er ein Drehbuch machte, um dieses dann wiederum zu einem Roman zu formen. Beim Lesen merkt man das nicht. Geboten wird die übliche hohe Qualität made by Dennis Lehane. Einziger Abschlag: Er tut dies auf weniger Seiten als üblich. Gerade einmal 224 Seiten hat das Kleinkriminellendrama.

Lehane ist für mich einer der ganz großen Erzähler, nicht nur des Genres, sondern überhaupt. Da stellt sich mir schon die Frage: Warum nur sind viele US-Autoren so begnadete Erzähler? Stehen sie tatsächlich alle in der Tradition von Mark Twain? Bei Joe R. Lansdale, über dessen Buch “Das Dickicht” ich hier zuletzt geschrieben habe, ist das ja zweifellos der Fall. Es macht einfach großen Spaß, sich so bedingungslos auf Lesereise begeben zu können.

“Das Schlimme im Menschen ist ganz alltäglich. Das Beste ist ein weit selteneres Ding.”

Es sind Sätze wie “Sie saß mit erloschenem Gesicht an einem unter das Fenster gequetschten Tisch”, die Lehane einfach so aus dem Schreiber-Ärmel schüttelt. Da entstehen sofort Bilder. Das hat Stil und große Klasse. Ich habe hier ja vor einem Jahr über Lehanes Meisterwerk “In der Nacht” geschwärmt, darum will ich hier diesmal noch ein paar andere Stimmen sprechen lassen:

“Der Schneemann” hält mit Lob nicht zurück: “Das authentische Milieu und die komplexen Charakterzeichnungen, die unerwarteten Wendungen und die liebevolle Hommage an eine Bostoner Legende machen es zwar zu einem sehr guten Krimi, aber erst das, was zwischen den Zeilen passiert, machen es zu dem, was es ist: Einem der besten Romane der letzten Jahre.”

Marcus bezeichnet auf “Krimi-Welt” “The Drop” als “ein kleines, feines Meisterwerk”, das “durchaus als Lehanes Hommage an Bostons größten Krimiautor George V. Higgins (“The Friends of Eddie Coyle”) verstanden werden” kann.

Und auch Micha ist auf seinem Blog “Was soll ich lesen?” recht begeistert: “Ein Gefühl während des Lesens, als würden meine Unterarme an einer klebrigen, dunkelbraunen Holztheke in einem dunklen Pub festkleben und Unterhaltung von Anfang bis zum Ende”, fasst er seine Eindrücke zusammen.

Einziger Kritikpunkt, wie es auch “Der Schneemann” schreibt: Der Hund hätte nicht sein müssen – zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit. Aber das ist letztlich Geschmacksache.

9 von 10 Punkten

Dennis Lehane: “The Drop. Bargeld”, übersetzt von Steffen Jacobs, 223 Seiten, Diogenes Verlag.

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Joe R. Lansdale: Das Dickicht

(c) Tropen

(c) Tropen

Vor einem Jahr habe ich hier über Joe R. Lansdales Kriminalroman “Dunkle Gewässer” geschwärmt: “Er versteht es, Bilder zu schaffen, mit Sprache kreativ umzugehen und Charaktere innerhalb nur weniger Seiten so zu erschaffen, dass man sie lange bei sich behält.” Tja, das ist bei “Das Dickicht” nicht viel anders. Lansdale ist eine Art moderner Mark Twain – nur blutiger und trashiger. “Das Dickicht” liest sich mitunter auch wie eine Hommage an Twain, nimmt Lansdale doch gleich dreimal Bezug auf sein literarisches Vorbild.

Und es scheint so, als habe er ein Faible für Reisende. Waren es bei “Dunkle Gewässer” ein paar Jugendliche, schickt er diesmal zwei Kopfgeldjäger, ein Schwein, einen Jugendlichen, eine Prostituierte und einen Sheriff auf eine Reise, die nicht alle überleben werden. Gesucht wird die entführte Schwester des jugendlichen Jake.

Spaß beim Schreiben hatte Lansdale, der gerne auch Horrorgeschichten erzählt, auf alle Fälle. Was die ersten 150 Seiten gewohnt stimmig ist, droht plötzlich aber in Klamauk abzudriften. Zu sehr hat sich Lansdale hier offenbar in witzige, pointierte Dialoge und Beschreibungen verliebt – er habe Atmosphäre durch Humor ersetzt, nennt das Nicole treffend in ihrem Blog My Crime Time. Allerdings scheint er das auch erkannt zu haben, denn er kratzt dann mit überraschender Tiefsinnigkeit hier oder feinfühliger Beobachtung dort gerade noch die Kurve.

Lansdales Buch bietet auch ein perfekte Zeitreise. Er schreibt von Öltürmen, die die Landschaft verschandeln und Automobilen, die Pferde ablösen. Falsche Nostalgie – die Geschichte spielt Anfang des vergangenen Jahrhunderts – kann man Lansdale dabei aber nicht vorwerfen. Und ist es wohl auch kein Zufall, dass ausgerechnet alle Autofahrer, denen die Reisenden begegnen, in “Das Dickicht” den Tod finden.

7 von 10 Punkten

Joe R. Lansdale: “Das Dickicht”, übersetzt von Hannes Riffel, 331 Seiten, Tropen Verlag.

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Bruce Holbert: Einsame Tiere

(c) Liebeskind

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“Wir sind einsame Tiere. Unser ganzes Leben mühen wir uns, weniger einsam zu sein.”

Diese Worte von John Steinbeck hat Bruce Holbert seinem Noir-Westernroman “Einsame Tiere” vorangestellt. Mit gutem Grund: Das Zitat fasst das, was auf 300 Seiten folgen soll, perfekt zusammen. Denn auch Hauptfigur Russel Strawl ist so ein einsames Tier. Strawl war zwar Sheriff, ist als solcher aber in Ungnade gefallen. Gleichzeitig ist von Beginn an klar, dass Strawl kein Guter ist, denn auch er ist ein skrupelloser Mörder. Und nun soll er einen Serienmörder jagen, der es auf Indianer abgesehen hat. Ein Serienmörder in einem Western? Das klingt an den Haaren herbeigezogen und lässt bei mir (Besucher meiner Seite wissen von meiner hartnäckigen Serienmörder-Krimi-Abneigung) ebendiese normalerweise zu Berge stehen. Doch nicht hier. Denn Bruce Holbert hat ein außergewöhnliches Stück Literatur geschrieben.

Gut und Böse gibt es bei Bruce Holbert nicht, wie das folgende Zitat klarmacht:

“Ich kenne keinen anständigen Mann über fünfzig, der noch nie jemanden umgebracht hat.”

Die Welt in Holberts Roman ist düster und brutal, gleichzeitig aber auch wunderschön. Zweiteres vor allem dann, wenn man die Landschaft hernimmt, ersteres wenn man die darin lebenden Menschen heranzieht. Kaum irgendwo liegen Grauen und Poesie so eng nebeneinander wie in “Einsame Tiere”.

Holberts Roman ist absolut klischeefrei. Zwar ist Strawl der klassische Western-Einzelgänger, doch dieser eigenbrötlerische Unsympathler kann dem Leser nicht ans Herz wachsen. Da ist kein Platz für Romantik oder Heldentum. Da ist nur ein brutaler und gefährlicher Mann. “Hier gibt’s keine Maria, zu der du beten kannst, Marvin”, sagt Strawl einmal. “Nur mich. Und ich bin ein rachsüchtiger Gott.”

Es geht auch viel um Schweigen und Stille: “Hayes sagte eine Stunde lang nichts. Erst wirkte die Stille ungelenk, dann langweilig, dann angenehm”. Welche Wucht entwickeln Sätze wie diese in unserer schnellebigen, hektischen, dauernd plappernden und schnatternden Welt.

Tja, und einer kann das noch viel besser beschreiben als ich: “Holbert dreht und beleuchtet seine Figuren so sehr gegen den Strich und lässt sie denken, empfinden und handeln wie wir es, im Gegensatz zu den eingeschliffenen Narrativen, so noch selten gelesen und gehört haben. Quer, störrisch, verschlossen, kryptisch und manchmal auch veritabel irr”, schreibt Thomas Wörtche bei crimemag. Holbert hat auch bei mir unbekannte Türen aufgestoßen, durch die zu gehen ich nie geglaubt hätte. Wer Western bisher nur belächelt hat, sollte schleunigst dieses Buch lesen und staunen.

Auch der “Kaffeehaussitzer” hat das Buch unter dem Titel “Erst schießen, dann fragen” wunderbar besprochen. Bitte lest das ebenfalls.

9 von 10 Punkten

Bruce Holbert: “Einsame Tiere”, übersetzt von Peter Torberg, 303 Seiten, liebeskind.

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William McIlvanney: Laidlaw

(c) Kunstmann

(c) Kunstmann

“In ihren Augen hatte sich hier das alte Glasgow erhalten, eine bestimmte Auffassung von Straße und die Erkenntnis, dass Straßen dazu da waren, bewohnt und nicht nur durchfahren zu werden.”

Es sind Sätze wie diese, die mir die Sprache verschlagen haben und mich zu einem McIlvanney-Fan machen. Verdammt, Straßen waren immer zum Wohnen da! Und was ist daraus geworden? Wir haben uns die Straßen nehmen lassen und verbannen die Kinder in ihre Wohnzimmer und in sichere Reservate (Spielplätze und Parks). Es verwundert daher wenig, wenn der schottische Kultautor und Erfinder der Rebus-Reihe Ian Rankin sagt, dass er ohne McIlvanney wohl kein Krimiautor geworden wäre: “Da war dieser literarische Schriftsteller, der sich dem urbanen, zeitgenössischen Krimi zugewandt hatte und zeigte, dass das Genre große moralische und soziale Fragen angehen konnte.”

Besser kann man auch “Laidlaw”, das im Original erstmals 1977 erschienen ist, nicht beschreiben. “Laidlaw” ist ein unglaublich zeitloser Kriminalroman, der keinen modischen Trends unterliegt. Er beschäftigt sich schlicht mit allen grundlegenden Fragen, die uns zum Menschen machen. Danke Conny Lösch für die Neuübersetzung und Danke dem Verlag Antje Kunstmann, der nach George V. Higgins nun erneut einen vergessenen Krimiautor ins Rampenlicht zerrt. Die gute Nachricht: Teil zwei und drei der Laidlaw-Serie werden 2015 erscheinen. Und offenbar schreibt er momentan, Jahrzehnte später, an Teil vier!

“Verbrechen klärt man nicht auf. Man begräbt sie unter Fakten.”

Wer noch nicht überzeugt ist, hier noch ein paar Gründe, die für eine Lektüre sprechen:

“Die besseren Autoren dieses Genres verdanken McIlvanney einiges, da er die Genregrenzen aufgebrochen und neu abgesteckt hat. Man könnte sich noir ärgern, daß der Mann so wenig schreibt! Aber das ist wohl der Preis für die hohe Qualität seiner außergewöhnlichen Bücher.” (Martin Compart auf evolver)

“Es ist das Glasgow der einfachen Leute, das McIlvanney beschreibt: die viel zu kleinen Wohnungen in betongrauen Siedlungen, die Pubs, die nach Bier und Rauch und Verzweiflung riechen, die Straßen, die allesamt ins Nirgendwo zu führen scheinen. Diese Welt, das weiß Laidlaw, wird niemals in Ordnung kommen, ob er den Mörder findet oder nicht, denn Tat, Täter und Opfer sind nur Symptome einer kaputten Gesellschaft.” (Marcus Müntefering, Spiegel Online)

McIlvanney “beleuchtet auch die düstersten menschlichen Ecken gnadenlos sozialkritisch. Dabei wertet er aber nicht. Und moralisieren tut er schon mal gar nicht.” (Nicole auf mycrimetime)

10 von 10 Punkten

William McIlvanney: “Laidlaw”, übersetzt von Conny Lösch, Verlag Antje Kunstmann, 303 Seiten.

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Declan Burke: Absolute Zero Cool

(c) Kriminalroman Nautilus

(c) Kriminalroman Nautilus

Nachdem mich das Krimijahr 2014 bislang außerordentlich begeistert hat, komme ich jetzt einmal zu einer kleinen Enttäuschung. Der Meta-Krimi “Absolute Zero Cool” des Iren Declan Burke hat mich leider nicht überzeugt. Ganz im Gegensatz zu Nicole, die das Buch auf ihrem Blog mycrimetime als besten Krimi des Jahres bezeichnet hat.

Worum geht es? Der Autor und Ich-Erzähler sieht sich plötzlich mit einer fiktiven Figur aus einem unveröffentlichten Manuskript konfrontiert:

“Du musst veröffentlichen, sonst bin ich verdammt.”

So weit, so gut. Zu Beginn hat mich das Verwirrspiel – was ist real, was ist imaginär? – noch fasziniert. Denn Karlsson drangsaliert und bedrängt seinen Erschaffer, beginnt plötzlich sogar an der Geschichte mitzuschreiben. Das ist schon witzig, da gibt es gelungene Dialoge. Aber irgendwann, leider allzu früh, nutzt sich dieser Effekt ab. Von Krimi ist dann nicht mehr viel zu erkennen. Und damit verstößt Burke auch gegen eine Todsünde des Genres: Er wird langweilig. Thomas Wörtche nennt das auf culturmag “uncool”.

Und ganz so neuartig, wie der Verlag das Buch anpreist, ist es nun auch wieder nicht. Auf kaliber38.de schreibt Wörtche dazu: “Allerspätestens seit dem 18. Jahrhundert gibt es eine lange, lange Tradition dieser Art Thematisierung der Entstehungsbedingungen von Literatur, so dass Declan Burke gegen die Großmeister dieser Strömung – Laurence Sterne, E. T. A. Hoffmann, Jorge Luis Borges, Italo Calvino etc, – einfach alt aussieht. Denn wer zu spät kommt und dann noch keine Idee für ein uraltes Prinzip hat…”

Persönlich habe ich mich bei der Figur des Karlsson auch sehr stark an Chuck Palahniuks “Fight Club” und dessen David-Fincher-Verfilmung sowie an Travis Bickle aus Martin Scorseses “Taxi Driver” erinnert gefühlt. Das eigentliche Problem: Die anfänglich ungewöhnliche Erzählkonvention wird rasch gewöhnlich. Übrig bleibt ein ambitionierter, aber enttäuschender Kriminalroman.

Ausdrücklich empfehlen will ich hingegen Dcclan Burkes Krimiblog crimealwayspays, den der Autor in “Absolute Zero Cool” auch erwähnt. Darin gewährt Burke einen perfekten Einblick in die irische Krimiszene (Adrian McKinty, Ken Bruen, Stuart Neville, Gene Kerrigan), die für mich neben der Schottlands momentan zu den spannendsten des Genres zählt. Und als Herausgeber der Krimianthologie “Books to die for” hat sich Burke ohnehin unsterblich gemacht.

5 von 10 Punkten

Declan Burke: “Absolute Zero Cool”, übersetzt von Robert Brack, 316 Seiten, Kriminalroman Nautilus.

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KrimiZeit-Bestenliste im Dezember: Ein Abgleich

(c) Heyne Hardcore

(c) Heyne Hardcore

Das wird ein spannendes Jahresfinale. James Lee Burkes “Regengötter”, das im Dezember die Spitzenposition erreicht hat, steht bei mir noch fix am Leseplan. Und dieses Buch hat definitiv das Potenzial, meine Best-of-2014-Liste gehörig durcheinander zu bringen. Bei Krimi-Welt ist “Regengötter” übrigens auf Platz eins der Jahres-Bestenliste gelandet – und das sagt schon viel aus. Ich bin wirklich schon gespannt, zumal auch Dennis Lehanes Kleinkriminellen-Krimi “The Drop” (bei Krimi-Welt auf Platz sieben), den ich gerade lese, ebenfalls ziemlich weit oben landen könnte.

So viel sei nur jetzt schon verraten, Liza Codys “Lady Bag” (Platz fünf auf Krimi-Welt) hat es auch bei mir definitiv unter die besten zehn Krimis des Jahres geschafft. Franz Dobler wäre das mit seinem “Ein Bulle im Zug” wohl in jedem anderen Jahr auch gelungen. Aber 2014 ist wirklich ein ausgeprochen tolles Krimijahr und mir haben andere Bücher noch besser gefallen.

Über Declan Burkes “Absolute Zero Cool” werde ich mich hier in Kürze eher kritisch melden. Ich war da nicht so begeistert wie etwa My Crime Time.

Die Liste im Überblick:

1 (3) James Lee Burke: Regengötter
2 (7) Max Annas: Die Farm
3 (-) Kim Zupan: Die rechte Hand des Teufels
4 (1) Franz Dobler: Ein Bulle im Zug
5 (2) Liza Cody: Lady Bag
6 (-) Jo Nesbo: Der Sohn
7 (9) Oliver Harris: London Underground
8 (-) Volker Kutscher: Märzgefallene
9 (-) Declan Burke: Absolute Zero Cool
10 (-) Andrew Brown: Trost

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Ein neuer Krimiblog: Willkommen, Schneemann!

(c) Screenshot

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Ja, ich weiß. Es liegt noch kein Schnee (zumindest in Wien). Das macht aber nichts, denn hier geht es um etwas Anderes. Die Krimiblogger haben Zuwachs erhalten: “Der Schneemann” bloggt ab sofort begleitend zu seiner in Kürze startenden Radiosendung mit titelgebendem Namen. Blogbetreiber Alex will dort ab Januar “monatlich über das Thema Krimis sprechen, alleine und mit Gästen. Ich werde Krimis vorstellen, Krimis empfehlen, Krimis verlosen und einen Blick über den Seitenrand hinaus riskieren.” Sein Blog “versammelt Texte und Töne zum Thema Kriminalliteratur und dient als Community- und Meta-Seite der Sendung”.

Und warum Schneemann? Die Erklärung ist simpel: “Der Schneemann” ist ein Krimi des wichtigen deutschen Autors Jörg Fauser. Bislang hat Alex, er ist erst Mitte November gestartet, dort eine paar Buch- (darunter “Galveston” und “Dunkle Gewässer”, beide Bücher habe ich hier und hier besprochen) und Kinotipps verfasst.

Mein erstes Urteil: Eine inhaltlich sehr vielversprechende Seite, auch optisch fein gestaltet. Mein Tipp: Klickt einfach mal rein – ich glaube, da entsteht etwas sehr Feines.

Und noch einmal: Willkommen!

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Krimis, die man 2014 lesen sollte (XI)

(c) rororo

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Der November hat aus meiner Sicht nur wenige interessante Krimi-Neuerscheinungen gebracht. Mit einer Ausnahme: Cormac McCarthys “Ein Kind Gottes” (seit 28. November im Handel) ist im Original bereits 1973 erschienen und wird nun erstmals auf Deutsch publiziert. Im Zentrum der Geschichte steht Lester Ballard – ein von der Gesellschaft Verstoßener. Er ist einsam und gewalttätig. Das erinnert mich sehr an Bruce Holberts Western-Krimi “Einsame Tiere”, über den ich hier in Kürze schreiben werde. Ballard sei ein “asoziales, nekrophiles, mörderisches Monster”, schreibt dazu Hans Jörg Wangner in der Kolumne “Killer & Co” der Stuttgarter Zeitung. Und dennoch gelinge McCarthy ein außergewöhnliches Kunststück: “Sein Lester Ballard ist alles andere als eine unsympathische Figur.” Das macht in der Tat neugierig.

(c) Dumont

(c) Dumont

Und jetzt mach ich mal etwas, was ich sonst nicht tue: Ich habe soeben ein spannend klingendes Buch entdeckt, das allerdings schon Anfang Oktober 2013 erschienen ist. “Bienensterben” von Lisa O’Donnell hat eine laut Verlagstext ziemlich geniale Ausgangssituation: Heiligabend in Glasgow. Die fünfzehnjährige Marnie und ihre kleine Schwester Nelly haben gerade ihre toten Eltern im Garten vergraben. Allzu viel Geld verdient Marnie als Gelegenheits-Dealerin nicht – so ist es ihnen ganz recht, als ihr alter Nachbar Lennie, stadtbekannter (vermeintlicher) Perversling, sich plötzlich für sie interessiert. Er nimmt sich ihrer an und gibt ihnen so etwas wie ein Zuhause. Das klingt nach schräger Lektüre – eventuell auch empfehlenswert als Gabe unter dem Weihnachtsbaum für Krimifans mit Vorliebe abseits des Mainstreams.

 

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