Der beste Kriminalroman aller Zeiten?

(c) Kampa Verlag

Die englische Autorenvereinigung Crime Writer Association hat Josephine Teys “Alibi für einen König” einst zum besten Kriminalroman aller Zeiten gekürt. Tey stach mit ihrem 1951 erschienenen Buch in der im Jahr 1990 erstellten Liste Raymond Chandler, John le Carré und auch Daphne Du Maurier (“Rebecca”) aus. Nun ja, aus heutiger Sicht mutet es einigermaßen gewagt an, “Alibi für einen König” als besten Krimi aller Zeiten zu bezeichnen. Da nun eine Neuauflage (mit ansprechendem Cover, wie ich finde) erschienen ist, liegt es nahe, sich dieses Buch ein wenig genauer anzusehen.

Vorweg: Tey hat mit ihrem Buch König Richard III., der in Großbritannien ein halbes Jahrtausend lang als Tyrann und Mörder galt, späte Gerechtigkeit zukommen lassen. Erst Teys historischer Kriminalroman änderte an diesem Bild etwas. Allerdings ist ihr Werk zumindest im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten. Es wäre also an der Zeit, auch der Autorin etwas Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Denn letztlich ist es egal, ob ihr Buch nun der allerbeste Kriminalroman aller Zeiten ist.

Worum geht es überhaupt? Alan Grant, Inspector bei Scotland Yard, liegt ans Bett gefesselt im Krankenhaus. Tey bedient sich hier des im Genre nicht unbekannten “armchair detectives”, also eines Ermittlers, der sich nicht aus dem bequemen Sessel erhebt und dennoch mit Geisteskraft alle kniffligen Rätsel löst. Im Gegensatz zu Sherlock Holmes ist Grant allerdings unfreiwillig zur Unbeweglichkeit verdammt. Als ihm das Porträt Richard III. in die Hände fällt, ist seine Neugier geweckt: Sieht so ein Mörder und Tyrann aus? Er beginnt historische Nachforschungen anzustellen.

Diese offenbaren vor allem eines: Geschichte wird subjektiv geschrieben. So auch im Fall Richard III. Sowohl Lordkanzler Thomas Morus also auch William Shakespeare ließen aus unterschiedlichen Motiven kaum ein gutes Haar an dem König, sodass über die Jahrhunderte ein äußerst verzerrtes Bild seiner Persönlichkeit entstand. Man erinnerte sich nur mehr seiner angeblichen Gräueltaten. Hier liest sich Teys Buch teilweise weniger wie ein Kriminalroman, sondern wie eine Abrechnung mit Historikern. Sehr passend: Denn im Original heißt Teys Buch “The Daughter of Time”. Eigentlich der perfekte Titel, denn es bezieht sich auf das Zitat von Sir Francis Bacon: “Truth is the Daughter of Time, not of Authority”.

“Alibi für einen König” liest sich zwar anregend, aber mitunter auch ein wenig ermüdend. Tey schafft es nicht ganz, sich von all der faszinierenden, weil widersprechenden Geschichtsschreibung zu lösen. Zuweilen verliert sie sich in Details, die all jene, die sich nicht für die Untiefen der Geschichte des britischen Königshauses erwärmen, nicht besonders interessieren werden. Aber als gelernte Kriminalschriftstellerin passiert ihr das nur an sehr wenigen Stellen.

Fasziniert hat mich, dass Josephine Tey zu einem frühen Zeitpunkt mit den Konventionen des Genres brach. Denn am Ende wird sich vieles relativiert, aber nicht alles hundertprozentig gelöst haben. Der beste Kriminalroman aller Zeiten? Nein. Ich habe schon viele Kriminalromane gelesen, die auf meiner persönlichen Ranking-Liste deutlich über Teys Werk stehen, dennoch ist “Alibi für einen König” eine kurzweilige Zeitreise – perfekt auch für die Weihnachtsfeiertage. Für all jene, die das Genre gern von allen Seiten erkunden, führt eigentlich kein Weg an der Lektüre vorbei. Es lohnt sich.

Hier übrigens die CWA-Liste der 100 besten Kriminalromane von einem Nerd, der alle 100 Bücher rezensiert hat.

8 von 10 Punkten

Josephine Tey: “Alibi für einen König”, übersetzt von Maria Wolff, Kampa Verlag, 256 Seiten.

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