Mit seiner epischen Drogentrilogie (“Tage der Toten”, “Das Kartell”, “Jahre des Jägers”) hat Don Winslow seinen Ruf als einer der besten Thriller-Autoren unserer Zeit gefestigt. Dass er aber nicht nur bis zur Unerträglichkeit realistische Bücher schreiben kann, beweist er eindrucksvoll mit “Broken”: sechs Kurzgeschichten, jeweils um die 80 bis 90 Seiten lang.
Ausgerechnet die erste und titelgebende Geschichte, “Broken”, ist die schwächste. Sie liest sich wie eine Kurzfassung seines Cop-Thrillers “Corruption”. Hier begibt sich der Polizist Jimmy McNabb auf einen gnadenlosen Rachefeldzug. Brutal, so könnte man das Auftaktstück mit einem Wort beschreiben. Davon sollte man sich allerdings nicht abschrecken lassen.
Denn bereits die zweite Geschichte, “Crime 101”, die er Schauspiel-Legende Steve McQueen gewidmet hat, zeigt ihn von einer ganz anderen Seite. Juwelendieb Davis begeht all seine Raubzüge nur auf dem Highway 101 und folgt dabei einem strikten Verbrecher-Kodex. Das liest sich wunderbar altmodisch. Man würde sich hier einen Roman in voller Länge wünschen.
In “San Diego Zoo” zeigt sich Winslow, der die Geschichte seinem Vorbild Elmore Leonard gewidmet hat, von seiner komischen Seite. Der Schimpanse, der mit einem Revolver die Stadt unsicher macht und der junge, beherzte Polizist Chris Shea, der sich deshalb zum Esel macht – das bleibt in Erinnerung.
In “Sunset” wiederum, das Raymond Chandler gewidmet ist, tritt nicht nur eine seiner Kultfiguren, der Kopfgeldjäger Boone Daniels, auf. Er lässt ihn auch mit einer weiteren einprägsamen Charakter seines schreiberischen Universums, dem in die Jahre gekommenen ehemaligen Meisterdetektiv Neal Carey, aufeinanderprallen.
Wirkt die Zusammenführung der beiden Figuren ein wenig erzwungen, so funktioniert dies in “Paradise” umso besser. Ben, Chon und O., bekannt aus den unkonventionellen und sprachlich sprühenden Kriminalromanen “Zeit des Zorns” (verfilmt von Oliver Stone) und “Kings of Cool”, versuchen sich mit ihrem florierenden Marihuana-Business auf Hawaii zu etablieren. Dass auch “Frankie Machine” und “Bobby Z” aus den gleichnamigen Romanen ihre Auftritte haben, macht wirklich Spaß. Das ist eine gelungene Geschichte für Fans.
Zu Höchstform läuft Winslow aber mit seinem Schlussstück “The Last Ride” auf. Bereits der erste Satz packt zu: “Als er das Kind zum ersten Mal sah, war es in einem Käfig.” Die Rede ist zwar von einem “Auffanglager” an der US-mexikanischen Grenze, doch Grenzschützer Cal Strickland findet dafür keine andere Bezeichnung, denn “wenn man einen Haufen Menschen hinter einem Maschendrahtzaun einpfercht, dann ist es ein Käfig.” Man kann die Kurzgeschichte als Anklage gegen die Trump-Regierung begreifen. Und tatsächlich ist der Autor ein lautstarker Kritiker der Trump-Adminstration. Man kann “The Last Ride” aber auch als eine Essenz all dessen lesen, was Winslow je geschrieben hat. Humanität in Zeiten größter Ungerechtigkeit – es ist die zentrale Frage, die den Schriftsteller umtreibt.
Don Winslow: “Broken”, übersetzt von U. Wasel, K. Timmermann, J. Stefanidis, P. Friedrich, K. Fricke, HarperCollins, 512 Seiten.