Monthly Archives: January 2017

Krimis, die man 2017 lesen sollte (I)

Zwei im Jänner erschienenen Krimis habe ich bereits gelesen und hier vorgestellt: Bernhard Aichners “Totenrausch” und Jerome Charyns “Winterwarnung”. Daher ist die Liste diesmal eher kurz.

(c) Penguin

(c) Penguin

Stephan R. Meier geht mit einem dystopischen Krimi an den Start. “Now. Du bestimmst, wer überlebt” zeigt, was passieren kann, wenn Algorithmen über unser Leben bestimmen.

Der Verlag schreibt: Ein Mann streunt durch dichte Wälder, immer auf der Flucht vor herannahenden Drohnen, die seinen Tod bedeuten können. Sein Name ist Spark. Noch vor Kurzem wurde sein Leben von dem intelligenten Algorithmus NOW geregelt, und Spark hatte alles: Gesundheit, Sex, Nahrung. Doch dann entdeckte er, was hinter dem Tod seines Vaters steckt. Wie gefährlich die Allmacht NOWs ist. Und dass die Frau, die er liebt, verstoßen wurde – dorthin, wo jeden Tag das nackte Überleben auf dem Spiel steht. Damit beginnt Sparks Kampf. Für die Zukunft der Welt. Für die Liebe seines Lebens.

(c) Emons

(c) Emons

Larry Beinharts Roman-Erstling “No one rides for free” (aus dem Jahr 1986) ist endlich wieder auf Deutsch erhältlich. Das Buch erhielt den Edgar Allan Poe Award für den besten Erstling eines Krimiautors. Applaus für den Emons-Verlag!

Privatdetektiv Tony Cassella soll die Aussage eines Anwalts aufnehmen, der über die miesen Machenschaften seines eigenen Berufsstands auspacken will. Doch dazu kommt es nicht, denn der Mann liegt tot auf einem Parkplatz. Tony muss die Lügen der Vergangenheit aufdecken und die ehrenwerten Männer, die jeden Preis zu zahlen bereit sind, um die Vergangenheit ruhen zu lassen, aus dem von ihnen bevorzugten Halbdunkel ans Licht der Öffentlichkeit zerren.

(c) Zsolnay

(c) Zsolnay

Peter May ist für mich ein blinder Fleck. Dieser Autor gilt als außergewöhnlich gut. Ich möchte mich mit “Moorbruch” davon überzeugen. Achtung: Das Buch ist das Ende seiner Lewis-Trilogie, Teil eins und zwei kenne ich nicht.

Siebzehn Jahre sind vergangen, seit Roddy Mackenzie, Leader der Band Amran, mit seinem Flugzeug verunglückte und verschollen blieb. Ein halbes Leben später ist Fin Macleod, früher Roadie der Band, zurück auf der Hebrideninsel Lewis. Im Auftrag eines Gutsbesitzers bekämpft er Wilderer. Doch der Erste, den Fin zur Strecke bringen soll, ist ausgerechnet sein alter Freund Whistler. Die beiden werden Zeugen eines Moorbruchs, der das Wrack von Roddys Flugzeug zu Tage befördert. Fin erkennt an Whistlers Reaktion sofort, dass etwas nicht stimmt. Dabei ahnt er noch nicht, dass es gar nicht Roddys Leiche ist, die sie gefunden haben … Ein packender literarischer Krimi aus Schottland.

10 Comments

Filed under Krimis, die man lesen sollte

Der Krimi im digitalen Zeitalter

(c) KiWi

(c) KiWi

Der Kriminalroman in Zeiten der Digitalisierung. Was lässt sich darüber sagen? Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht.

Tom Hillenbrand hat 2014 mit “Drohnenland” einen der besten deutschen Kriminalromane der letzten Jahre geschrieben. Vieles, was mir darin vor zwei Jahren noch allzu futuristisch erschien, erscheint zwei Jahre später schon allzu vorstellbar (dass er damals bereits den Brexit thematisierte sei auch erwähnt). Am meisten hat mich an Hillenbrands Buch aber fasziniert, dass er aufzeigt, dass es selbst in einer perfekt überwachten, durchdigitalisierten Welt immer Schlupflöcher geben wird. Dass irgendwann alle Verbrechen verhinder- oder lösbar sein werden, das ist eine Illusion. Gut so, sonst könnte man den Kriminalroman abschaffen oder nur mehr in historischem Setting spielen lassen!

Am stärksten geht der Future Noir auf die digitale Entwicklung ein – in dystopischen Szenarien wie in “Drohnenland”, aber auch in Adam Sternberghs “Feindesland”, Nathan Larsons “2/14” oder Gudrun Lerchbaums “Lügenland”. Natürlich gibt es auch viele Techno-Thriller, hier seien besonders die Bücher von Marc Elsberg zu erwähnen – “Blackout”, “Zero” und nun “Helix”.

Natürlich spielen Soziale Medien, Smartphones und sich ständig verändernde Alltagswelten zunehmend auch in vielen Kriminalromanen immer öfter eine Rolle. Da kommt auch Dinosaurier Jack Reacher nicht aus. Mein Eindruck mag täuschen, aber gleichzeitig gibt es auch einen Boom historischer Kriminalromane, die man als eine Art Gegentrend deuten kann. Während man also auf der einen Seite fasziniert von den technischen Neuerungen ist, steigt offenbar auch das Bedürfnis, frühere Welten ohne all den digitalen Firlefanz zu verstehen.

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Wie war das damals in den 1980er Jahren – oder auch in den 1880er Jahren? Auch hier hat der moderne Kriminalroman viel anzubieten. Erwähnt seien die Trilogien von William Shaw (“Abbey Road Murder Song”, “Kings of London”, “History of Murder”) und Lyndsay Faye (“Der Teufel von New York”, “Die Entführung der Delia Wright”, “Das Feuer der Freiheit”). Philipp Kerr sei hier ebenfalls nicht vergessen. Und auch “Der Kaffeedieb” von dem bereits erwähnten Tom Hillenbrand, ein historischer Krimi, der Ende des 17. Jahrhunderts spielt.

Vielleicht erklärt sich auch der aktuelle Trend zum Country Noir ein wenig damit. Hier hält die Technik nur langsam Einzug, thematisiert wird das etwa in Benjamin Whitmers Krimi “Nach mir die Nacht”. Wo lässt sich besser unauffällig morden? Wo verschwinden Menschen einfach spurlos und werden womöglich irgendwo vergraben? Am besten geht das halt am Land, wo es nicht um jede Ecke einen unliebsamen Zeugen gibt. Mit Idylle ist es da nicht weit her. So gesehen ist der Country Noir so etwas wie die Wiege des modernen Kriminalromans. Hier sind die Uhren der Zeit stehen geblieben und die menschlichen Triebe bleiben immer die gleichen. Abseits des Lichts der Großstadt stirbt es sich so düster, hinterhältig, banal, schmutzig und brutal wie sonst nirgendwo.

Überhaupt habe ich den Eindruck, dass die Zeit der klassischen Großstadt-Krimis ein wenig vorbei ist. Natürlich gibt es da immer noch Michael Connellys L.A.-Krimis, aber dann wird es recht rasch dünn (vielleicht lese ich aber auch nur das falsche Zeugs!).

3 Comments

Filed under Krim(i)skrams

Jerome Charyn: Winterwarnung

(c) Diaphanes

(c) Diaphanes

Meine erste literarische Begegnung mit Jerome Charyn gestaltete sich vor drei Jahren wenig zufriedenstellend. Ich konnte mit seinem Buch “Unter dem Auge Gottes”, dem elften Band der Isaac-Sidel-Reihe, wenig anfangen. Mir war das zu surreal und chaotisch. Ich war ratlos, wie man meinem Text von damals gut entnehmen kann. Kurz darauf hatte ich das dann noch einmal präzisiert, weil mich ein Posting von Thomas Wörtche weiter zum Nachdenken brachte. “Dieser Charyn ist für mich ein Rätsel und genau deshalb werde ich in nächster Zeit bestimmt noch mehr von ihm lesen. Vielleicht war ich für seinen Stil noch nicht bereit, vielleicht werde ich es aber auch nie sein”, schrieb ich.

Tja, nun bin ich offenbar bereit für Charyn, denn “Winterwarnung”, Band zwölf der Sidel-Reihe, hat mir die Augen für diesen außergewöhnlichen Autor geöffnet. Ich habe verstanden: Nicht immer muss Realismus Trumpf sein. Vielleicht liegt es daran, wie sich die Welt momentan präsentiert. Denn Charyns neues Buch bildet, obwohl vollkommen fantastisch, die Realität viel besser ab als manch hyperrealistischer Politthriller. Gerade in Zeiten, in denen Irrationalität in der Politik vorzuherrschen scheint, machen Charyns Bücher die Welt begreifbar.

“Wissen Sie, wie viele Bösewichter ich umlegen musste, um dort hinzukommen, wo ich jetzt bin?”

Ein US-Präsident, der mit einer Glock im Hosenbund herumläuft? Ein US-Präsident, der seinen Piloten sowie dessen Sohn bei sich im Weißen Haus einquartiert? Das hätte man bis vor Kurzem für undenkbar gehalten. Doch mittlerweile scheint nichts mehr unmöglich. “In mehr als fünfzig Jahren des Schreibens bin ich nicht auf so etwas Wahnsinniges gekommen”, sagte Charyn 2013 in einem Interview mit der “Zeit” im Zusammenhang mit dem sogenannten Shutdown, also der Totalblockade des öffentlichen US-Haushalts. Da stellt sich schon die Frage: Was würde Charyn angesichts der Inauguration von Donald Trump sagen?

Worum es geht? Sidel hat sich in der wohl außergewöhnlichsten Crime-Saga in der Geschichte der Kriminalliteratur die Karriereleiter vom einfachen Polizisten emporgekämpft. Er war Polizeichef und Bürgermeister von New York, ehe er nun in Band zwölf zum mächtigsten Mann der Welt aufstieg. Charyn vermischt in seinem Buch, das im Jahr 1989 spielt, Gorbatschow, russische Mafia, groß angelegte Geldfälschung zur Destabilisierung von Währungen, den israelischen Geheimdienst und noch vieles mehr zu einem absurden und vollkommen ausufernden Mix. Der Autor folgt keinen Regeln, lässt seine Geschichte unreguliert mäandern. Charyns Logik ist kaum zu fassen, seine Bücher schaffen schlichtweg eine eigene Welt.

“Ich bin ein Cop, der rein zufällig hier ist.”

Ich mag es dennoch weiterhin am liebsten geradlinig und realistisch, daran wird sich sobald auch nichts ändern. Dennoch hat mich die Lektüre von “Winterwarnung” sehr bereichert. Denn letztlich bleibt mir die Erkenntnis: Es hat eine Weile gedauert, aber nun habe auch ich erkannt, wer gern abtauchen und dann zwischen all dem Unvorstellbaren und Verwirrenden, Humorvollen und Komischen plötzlich viel Wahrheit entdecken will, der ist bei Jerome Charyn richtig.

7 von 10 Punkten

Jerome Charyn: “Winterwarnung”, übersetzt von Sabine Schulz, Diaphanes Verlag, 328 Seiten.

 

Leave a comment

Filed under Rezensionen

Deutscher Krimi Preis 2017: Max Annas und Donald Ray Pollock siegen

(c) rororo

(c) rororo

Die Deutschen Krimi Preise 2017 sind vergeben. Wie schon in den Jahren zuvor gab es keine großen Überraschungen. Vier der sechs ausgezeichneten Kriminalromane habe ich gelesen: Zwei der Kategorie national und zwei der Kategorie International.

“Die Mauer” hat mich dabei nicht so begeistert wie den Großteil der Krimikritiker- und blogger. Irgendetwas hat mir gefehlt, um mich restlos zu begeistern. Der Krimi ist flüssig erzählt, immer spannend und auch fein gezeichnete Charaktere. Aber ein wenig hatte ich das Gefühl, nicht wirklich tiefer einzutauchen, nur an der Oberfläche zu bleiben. “Blaue Nacht” war ebenfalls eine kurzweilige Lektüre. Hier begeisterte mich vor allem die ungewöhnliche Heldin Chastity Riley – vor allem deren eigensinnige, unbequeme und auch nicht immer ganz nachvollziehbare Art.

Sehr gespannt bin ich auf die neuen Krimis von Annas (“Illegal”, ab März) und Buchholz (“Beton Rouge”, ab August), die heuer erscheinen werden.

Sieger National:

  1. Max Annas: Die Mauer
  2. Simone Buchholz: Blaue Nacht
  3. Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht

In der Kategorie International hat die Jury eine gute Wahl getroffen. Ich habe zwar Donald Ray Pollocks aktuelles Werk “Die himmlische Tafel” noch immer nicht gelesen (das schlechte Gewissen steigt wieder eine Spur), dennoch weiß ich über dessen Qualitäten spätestens seit “Knockemstiff” Bescheid. “Miss Terry” (Platz 6) habe ich ebenso wie “Bitter Wash Road” (Platz 4) zu meinen Lieblingskrimis des Jahres 2016 gezählt.

Sieger International:

  1. Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel
  2. Liza Cody: Miss Terry
  3. Garry Disher: Bitter Wash Road

 

1 Comment

Filed under Awards

Bernhard Aichner: Totenrausch

(c) btb

(c) btb

Blum und ich. Jetzt ist Schluss. “Totenrausch” ist der perfekte Pageturner, der perfekte Thriller. Schnell durchgerast, schnell erledigt. Mehr aber nicht. Blums Welt ist mir zu künstlich. Zu schwarz-weiß. Brünhilde Blum tötet ständig, weil die Bösen alle so richtig böse sind. Sie haben es verdient, zu sterben. Männer sind entweder total lieb (die sterben – allerdings nicht durch ihre Hand) oder total böse (die sterben auch – durch ihre Hand).

Bernhard Aichner hat mit der Totenfrau-Trilogie (“Totenfrau”, “Totenhaus” und nun “Totenrausch”) sein Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt, aber nun hoffe ich auf etwas Neues. Bei einem möglichen vierten Teil, der nicht ganz ausgeschlossen ist, wäre ich als Leser jedenfalls nicht mehr dabei. Ich mag seinen rasanten Stil, aber mir fehlen in der Trilogie die Zwischentöne, die aus Figuren echte Menschen machen. Aichner setzt viel auf Effekte, das liest sich eigentlich wie ein perfektes Drehbuch für eine mögliche Verfilmung. Aber mir fehlt die Tiefe, die innere Zerrissenheit. Ich nehme dieser Brünhilde Blum ihren inneren Zwiespalt nicht ab, ich kann ihn beim Lesen nicht spüren.

Auch in Scott Smiths Krimiklassiker “Ein ganz einfacher Plan” sieht sich Hauptfigur Hank damit konfrontiert, ständig töten zu müssen. Das tat beim Lesen richtig weh, weil man sich immer wieder dachte: “Ja, das hätte ich jetzt vielleicht auch gemacht”. Das fehlt mir beim abschließenden Teil der Trilogie – das Töten ist immer moralisch gerechtfertigt, weil Blums Opfer letztlich durchwegs Schweine sind. Das ist mir aber zu einfach, klischeehaft, zu glatt. Wie würde es Blum ergehen, müsste sie einen Menschen töten, der nicht einfach in die Schachtel “böse, darf sterben” passt?

Das ist natürlich meine persönliche Wahrnehmung. Handwerklich kann man Aichner überhaupt nichts vorwerfen. Thriller-Fans werden bestens bedient. Da kann man eine absolute Kaufempfehlung geben. Das ist kurzweilig, spannend, gut konstruiert. Das kann im deutschsprachigen Raum auch wirklich kaum jemand so gut. Mir ist es halt zu wenig. Ciao, Blum. Vor allem deinen Kindern wünsche ich alles Gute!

5 von 10 Punkten

Bernhard Aichner: “Totenrausch”, 472 Seiten, btb.

2 Comments

Filed under Rezensionen

Krimibestenliste seit Januar in neuem Gewand: Ein Abgleich

(c) Steidl Verlag

(c) Steidl Verlag

Die KrimiZeit-Bestenliste ist tot! Die Krimibestenliste (ab sofort zu finden unter faz.net/krimibestenliste) lebt! Ab sofort arbeitet die Krimi-Jury nicht mehr mit der “Zeit” zusammen, sondern mit der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” und “Deutschlandradio Kultur”. Grundsätzlich ändert sich nichts, 19 Krimi-Experten unter Federführung von Tobias Gohlis wählen in bewährter Manier die besten Kriminalromane des Monats. Sehr fein, dass dieses Projekt weiterlebt.

“Bogmail”, die neue Nummer eins, wurde im Original bereits 1978 geschrieben und hat den vielsagenden Beititel “Roman mit Mörder”. Angeblich geht es um Sinn und Nutzen des Mordens – das ist doch mal eine Ansage! Vom Steidl-Verlag habe ich bisher noch gar nichts gehört, immer fein, wenn neue Verlage im Krimibereich mitmischen.

Was gibt es sonst noch zu sagen? Liza Codys “Miss Terry” und Malla Nunns “Zeit der Finsternis” habe ich unter meine Lieblingskrimis 2016 gewählt. Joe Ides “IQ” drängt sich mir nun erneut auf, nachdem ich diesen Krimi fast übersehen hätte. Wie mir das passieren konnte, wo doch Conny Lösch Übersetzerin und Thomas Wörtche Herausgeber ist… Das Buch hat es daher bereits in mein Regal geschafft, auch weil Adrian McKinty das Buch am Rückentext empfiehlt.

Tana Frenchs “Gefrorener Schrei” klingt spannend, ist mir aber in diesem Fall zu dick, da lese ich lieber zwei Bücher. Und von Volker Kutscher habe ich mir nun “Der nasse Fisch”, den Auftakt zu seiner Gereon-Rath-Reihe besorgt – ich will das der Reihe nach angehen.

Die Liste im Überblick:

1. Patrick McGinley: Bogmail (Neueinstieg)
2. Liza Cody: Miss Terry
3. Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht
4. Tana French: Gefrorener Schrei (Neu)
5. Malla Nunn: Zeit der Finsternis
6. Joe Ide: IQ (Neu)
7. Peter Temple: Die Schuld vergangener Tage
8. Rosamund Lupton: Lautlose Nacht (Neu)
9. Nicola Lagioia: Eiskalter Süden (Neu)
10. Volker Kutscher: Lunapark (Neu)

Leave a comment

Filed under Krimi-Bestenliste

Vier Jahre crimenoir!

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Wow, schon wieder ist ein Jahr um. Ich muss zugeben, ich hatte heuer Mitte des Jahres erstmals einen “Hänger”, weil ich beim Bloggen mit dem Gelesenen nicht mehr mitgekommen bin. Der zeitliche Abstand zwischen Lektüre und Rezension war teilweise zu groß. Auch weigere ich mich weiterhin beim Lesen ständig Notizen zu machen, was mir das Bloggen erschwert, mir aber andererseits teilweise den Lesespaß nehmen würde.

Das Lesen am E-Reader, dem ich lange skeptisch gegenüberstand, hat sich dabei als hilfreich erwiesen, weil man ganz einfach Bookmarks setzen kann. Und der E-Reader hilft auch bei einem weiteren Problem ganz wesentlich: Wohin mit all den (un)gelesenen Büchern?

Ich will mein vierjähriges Bestehen nutzen und wieder kurz auf die Krimitrends des vergangenen Jahres eingehen, soweit ich diese erkennen konnte:

  • Das Genre Country Noir ist momentan wichtiger denn je. Ich habe das in einem Plädoyer hier auch schon einmal kurz erklärt. Wer sich nicht länger über das “unbegreifbare” ländliche Amerika wundern will, sollte einfach mehr Krimis lesen 😉 Wer sich für US-Politik interessiert, sollte sich wohl auch auf keinen Fall den neuen Isaac-Sidel-Krimi “Winterwarnung” (ab 20. Jänner erhältlich) von Jerome Charyn entgehen lassen. Charyns Kultfigur wird im neuen Band ausgerechnet US-Präsident.
  • Der deutschsprachige Krimi ist vielseitig wie selten zuvor: André Pilz (“Der anatolische Panther”), Horst Eckert (“Wolfsspinne”), Simone Buchholz (“Blaue Nacht”), Gregor Weber (“Asphaltseele”) und Marc Elsberg (“Helix”) zeigen einerseits, wie unterschiedlich Krimi sein kann und andererseits, dass es neben glattgebügelten Erfolgsthrillern mit extragrauslichen Schockmomenten ziemlich viel guten Stoff gibt. Dass es sich dabei 2016 um kein Eintagsfliegenjahr handelt, darauf lassen schon allein die erwarteten neuen Bücher von Clementine Skorpil (“Langer Marsch”), Zoe Beck (“Die Lieferantin”), Max Annas (“Illegal”) und Norbert Horst (“Kaltes Land”) schließen.
  • Ich habe es schon mehrfach erwähnt: Aber Lawrence Blocks kriminalliterarischer Selbstverteidigungsakt zollt mir Respekt ab. Da ihn die Verlage nicht mehr übersetzen wollen, macht er das einfach mit dem Übersetzer Stefan Mommertz selbst. Mittlerweile sind schon drei Bänder der Matthew-Scudder-Reihe erschienen: “Die Sünden der Väter”, “Drei am Haken” und “Mitten im Tod”.
  • Die drei Krimi-PPP sind einfach nicht wegzudenken: Polar Verlag, Pulp Master, Pendragon. Schön, dass es euch gibt!
  • Aber auch der Suhrkamp-Verlag sticht für mich sehr positiv heraus, wie mir mein letzter Beitrag bewusst gemacht hat (das ist natürlich unverkennbar Thomas Wörtches Handschrift!).

Dann nenne ich noch drei Gründe, weshalb 2017 ein gutes Krimijahr wird:

  • Der Verlag ars vivendi könnte sich nach John Harveys 2016 erschienenem Buch “Unter Tage” im neuen Jahr gleich mit drei Büchern stark im Bereich des Krimis abseits des Mainstreams etablieren: “Hard Revolution” (ab Mai) von George Pelecanos klingt ebenso nach Pflichtlektüre wie “Auf der Jagd” (bereits ab Februar) von Tom Bouman und “Das Schattencorps” (ab April) von Bernd Ohm. Das Engagement dieses Verlages ist sehr vielversprechend.
  • Die Rückkehr von Gerald Seymour (“Vagabond”), dem britischen Großmeister des Politthrillers, kann gar nicht laut genug gefeiert werden. Jetzt, liebe Verlage, lasst uns das doch bitte auch noch mit Reed Farrel Coleman (wie wäre es etwa mit “Gun Church”?) machen!
  • Der Trailer von Ben Afflecks “Live by Night” ist vielversprechend – ich hoffe sehr auf ein Film-Highlight, das dem Buch von Dennis Lehane gerecht wird.

Abschließen will ich mit einer Frage: Wer von euch kennt Peter May und seine “Lewis”-Trilogie? Lesenswert?

15 Comments

Filed under Krim(i)skrams

Auf diese sieben Krimis freue ich mich 2017 am meisten

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

Das Krimijahr 2017 kann kommen – und ich will gleich sieben gute Gründe liefern. Die folgenden Bücher kommen in den nächsten Monaten in die Regale der Buchgeschäfte und vor allem in mein eigenes 😉

Wenn ich einem Krimiautor momentan blind vertraue, dann ist das der Nordire Adrian McKinty, der mittlerweile in Australien lebt. “Rain Dogs” (ab 6. Februar) ist der fünfte Teil seiner bislang bestechend guten Serie rund um den katholischen Bullen Sean Duffy, der es nun bereits zum zweiten Mal mit einem “locked room mystery” zu tun bekommt. Ich bin schon sehr gespannt, wie McKinty das löst. Zuletzt ist aus der Reihe Ende 2015 “Gun Street Girl”, der für mich bislang beste Teil, erschienen.

Der Verlagstext: Die Journalistin Lily Bigelow wird im Hof von Carrickfergus Castle, wo sie sich allem Anschein nach über Nacht hat einschließen lassen, tot aufgefunden. Selbstmord, glaubt man, aber ein paar Dinge geben Sean Duffy zu denken, und er weigert sich, es dabei zu belassen. Duffy findet heraus, dass Bigelow an einer verheerenden Enthüllung in Sachen Korruption und Amtsmissbrauch innerhalb der höchsten Regierungskreise Großbritanniens und darüber hinaus gearbeitet hat. Und so sieht er sich mit zwei schwerwiegenden Problemen konfrontiert: Wer hat Lily Bigelow umgebracht? Und was wollte er oder sie damit vertuschen?

(c) Droemer

(c) Droemer

Noch eine Spur mehr freue ich mich aber auf Steve Hamiltons Auftakt zu einer neuen Serie. Eigentlich war “Das zweite Leben des Nick Mason” (ab 1. März) schon vor einem Jahr angekündigt, aus welchen Gründen auch immer wurde die Veröffentlichung dann aber verschoben. Warum dieser Autor so gut ist? Lest doch bitte einfach “Der Mann aus dem Safe” und dann widersprecht mir! Für mich ist das definitiv einer der besten Krimis des letzten Jahrzehnts.

Nick Mason war immer ein sauberer Gangster – soweit das in seinem Gewerbe möglich ist. Bis einer seiner Kumpels einen verdeckten Ermittler erschoss. Nick hielt sich an den Ehrenkodex, verriet seinen Komplizen nicht und ging in den Bau. Totschlag, Mindeststrafe: 25 Jahre. Im Gefängnis wird Darius Cole, der Pate von Chicago, auf ihn aufmerksam und macht ihm ein verlockendes Angebot: Nick soll Coles Mann für besondere Aufgaben werden, sein Ausputzer – und dafür wird er ihn raushauen. Und so ist Nick nach fünf Jahren wieder draußen. Eigentlich könnte er jetzt sein Leben in Freiheit genießen. Wenn da nicht dieses Handy wäre, das man ihm bei der Rückkehr nach Chicago überreicht hat. Wann wird es das erste Mal klingeln?

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Mit Gerald Seymour wird der britische Großmeister des anspruchsvollen Politthrillers nach eineinhalb Jahrzehnten endlich wieder ins Deutsche übersetzt. Ich wollte vor zwei Jahren einen ausführlichen Beitrag über Seymour und seine Bedeutung in meiner Werdung zum Krimisüchtigen schreiben, habe das dann aber leider nie getan. Nun bietet sich also schon bald die Gelegenheit und ich möchte mehr als nur eine übliche Besprechung abliefern. “Vagabond” ist ab 6. März erhältlich.

›Vagabond‹ ist der Deckname eines britischen Geheimagenten, der in Nordirland brutale Operationen gegen die IRA durchgeführt hat. Ausgebrannt zieht er sich für lange Jahre in die Normandie zurück und verdient seinen Lebensunterhalt als Touristenführer an den Invasionsstränden. Aber seine ehemaligen Vorgesetzten wollen ihn nicht ganz vom Haken lassen und zwingen ihn in eine MI-5-Aktion zurück: Er soll den Aufpasser für einen vom Geheimdienst erpressten Waffenhändler spielen, damit Waffenlieferungen aus Russland an die letzten, vom Friedensschluss frustrierten IRASplittergruppen unterbunden werden. Das erzählt man Vagabond zumindest, der gute Miene zum fiesen Spiel machen muss.

(c) Pendragon

(c) Pendragon

Sehr begeistert hat mich vor ziemlich genau einem Jahr Wallace Strobys Krimidebüt “Kalter Schuss ins Herz”“Geld ist nicht genug” (ab 20. März) ist nun der zweite Teil rund um die Berufsverbrecherin Crissa Stone, die mit Richard Starks Parker und Garry Dishers Wyatt verwandt sein könnte. Beim ersten Band lief aus meiner Sicht noch nicht alles ganz rund, aber das Potenzial war spürbar. Ich bin also schon sehr gespannt.

Metallteile und Plastik schlittern über den Asphalt. Volltreffer. Crissa Stone hebelt den Geldautomaten mit der Schaufel eines Frontladers aus der Verankerung und balanciert ihn auf die Ladefläche ihres Pick-ups. Sie liebt saubere Lösungen und fette Beute. Crissa hat das System des Bankraubs ohne Bank perfektioniert, aber ihre Partner verlieren die Nerven. Gangster, die sich gegenseitig umbringen – wie unprofessio­nell. Zum Glück wartet schon wieder ein neuer Job: Ein verstorbener Mafiaboss soll die Millionen eines Raubs jahrelang versteckt haben. Leider ist Crissa nicht die Einzige, die es auf das Geld abgesehen hat. Sie gerät zwischen die Fronten und muss fliehen: Vor dem Gesetz und einer Mafia-Gang aus New York. Was mit einem rasanten Knalleffekt startet, steigert sein Tempo Seite für Seite.

(c) Droemer

(c) Droemer

Was soll ich über Don Winslow noch sagen? Sein Drogen-Epos “Tage der Toten” ist ein herausragendes Werk, das mich vor ungefähr sechs Jahren endgültig wieder zum Krimi zurückgebracht hat. Ich erwarte mir von “Corruption” (ab Juni) ein ähnlich beeindruckendes, diesmal in New York spielendes Krimi-Epos.

In den Straßenschluchten von New York lässt der internationale Star-Autor Don Winslow ein alptraumhaft realistisches Szenario von Drogen, Menschenhandel, Mord entstehen. Er zeichnet die todbringende Allianz von staatlichen Stellen und organisiertem Verbrechen: Sie sehen sich als Elitetruppe der Polizei, eine verschworene Einheit, ausgestattet mit weitreichenden technischen und rechtlichen Möglichkeiten. Gemeinsam sollen sie für Ruhe und Ordnung in ihrem Revier sorgen, dem nördlichen Manhattan. Und genau das tun sie. Hier gelten ihre Spielregeln, hier geschieht nichts ohne ihr Wissen. Doch die Truppe ist extremem Stress ebenso ausgesetzt wie extremen Risiken … und extremen Verlockungen …
Don Winslows neues Meisterwerk – erschütternd, brutal und unnachgiebig.

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Eigentlich wollte ich Zoe Becks “Schwarzblende” 2015 unbedingt lesen, doch es hat sich einfach nicht ergeben. Das ärgert mich bis jetzt. Aber 2017 wird das Jahr sein, in dem ich diese Autorin endlich kennenlerne. Und “Die Lieferantin” (ebenfalls ab Juni) klingt sehr vielversprechend:

London, in einer nicht wirklich fernen Zukunft: Die Kugel, die in der Nacht einen Mann im Hafen tötete, war eigentlich für sie gedacht: Elliot Johnson. Sie leitet das heißeste Start-up Londons und zugleich das illegalste: Über ihre App bestellt man Drogen in höchster Qualität, und sie werden von Drohnen geliefert. Anonym, sicher, perfekt organisiert. Die Sache hat nur einen Haken – die gesamte Londoner Unterwelt fühlt sich von ihrem Geschäftsmodell bedroht und will Elliot tot sehen. Ein Kopfgeld wird auf sie ausgesetzt. Elliot beschließt zu kämpfen – ihre Gegner sind mächtig, und sie sitzen überall. Bei Scotland Yard, in den Gerichtssälen, im Parlament, in der Zentrale des Geheimdienstes. Und sie lauern an jeder Straßenecke.

(c) Goldmann

(c) Goldmann

Länger warten muss man auf Norbert Horsts neuen Krimi “Kaltes Land”, der erst für September angekündigt ist. Der Autor hat mich 2015 mit “Mädchenware” sehr begeistert. Dabei war mir das Buch eigentlich nur per Zufall und dank der KrimiZeit in die Hände gefallen. Horst widmet sich wieder einem brisanten Thema:

Er hat Macht, er hat Geld, doch seine Identität kennt niemand. Aus dem Dunkel zieht er die Fäden und handelt mit allem, was viel Geld bringt: Drogen, Waffen und Menschen. Sein Glück: Mit dem Flüchtlingsstrom kommen viele Verzweifelte nach Deutschland und müssen abtauchen. Unter ihnen findet er die willfährigen Handlanger für seine Geschäfte. Als einer von ihnen an einem verschluckten Päckchen Kokain stirbt, ermittelt Kommissar Steiger. Steiger, der sich mit seinen Chefs anlegt, der aber Gerechtigkeit will um jeden Preis, auch für die, die offiziell gar nicht existieren. Er wird nicht aufgeben, bis er ihn gefunden hat – den Mann im Hintergrund.

22 Comments

Filed under Krim(i)skrams

Meine Lieblingskrimis 2016

Ich finde es interessant, wie unterschiedlich auch wir Krimi-Blogger unsere persönlichen Jahres-Bestenlisten angehen: Ich lasse da immer nur alle in diesem Jahr neu erschienenen Krimis einfließen, Der Schneemann wiederum lässt keine Bücher zu, die im Original vor mehr als zehn Jahren erschienen sind. Bei meiner Liste hilft mir das in drei Fällen (Massimo Carlotto, Lawrence Block und Gerald Kersh), die ich problemlos in die Liste mitaufnehmen kann. Zwei andere Bücher, die mich heuer sehr beeindruckt haben, müsste ich eigentlich nachträglich auf die Liste von 2015 hinzufügen, weil sie eben 2015 erschienen sind. Stattdessen werde ich sie aber hier noch einmal kurz erwähnen:

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

“Gun Street Girl” ist meiner Meinung nach sogar der beste Teil der bisher nicht gerade schwachen Serie rund um den katholischen Bullen Sean Duffy. McKinty schreibt nicht einfach nur sehr gut, sondern nahezu perfekt. Nichts kommt zu kurz: das Rätselhafte, die Ermittlerarbeit, starke Charaktere, Handlung, Humor und vor allem das zeithistorische Setting. Eine Jahres-Bestenliste ohne Adrian McKinty, das darf zudem eigentlich nicht sein 😉 Und das Beste: Im Februar erscheint der nächste Teil, “Rain Dogs”, endlich auf Deutsch.

(c) Polar Verlag

(c) Polar Verlag

Auch Ken Bruens Meisterwerk “Kaliber” ist bereits 2015 erschienen, ich habe es aber erst 2016 gelesen. Das Buch ist vor allem eine Hommage – eine Hommage an den Krimiklassiker “Der Mörder in mir” von Jim Thompson, aber auch an das Krimigenre an sich. Den ersten drei Kapiteln ist jeweils ein Zitat aus “Der Mörder in mir” vorangestellt, im ersten Kapitel selbst verbeugt sich ein durchgeknallter Killer vor dem klassischen Stück Hard-boiled Noir aus der Feder von Thompson.

Aber jetzt ab zu meiner Top-10-Liste:

(c) Deuticke

(c) Deuticke

Platz 10: Die erstaunlichste Leistung des Autors Iain Levison ist es, dass sein futuristisch klingendes Gedankenlese-Szenario ausgezeichnet in das Gewand eines klassischen Kriminalromans passt. Schon bald wird dem Polizisten Snowe in “Gedankenjäger” klar, dass seine neuen plötzlich auftretenden Gedankenlese-Fähigkeiten nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch sind. Auch dem verurteilten und in der Todeszelle sitzenden Mörder Brooks Denny eröffnen sich mit seinen plötzlich auftretenden Fähigkeiten neue Möglichkeiten. Die beiden geben ein äußerst ungewöhnliches Paar ab, dass erst durch das Schicksal zusammengeschweißt wird. Das ist manchmal Slapstick pur und ernsthaft zugleich.

(c) Tropen Verlag

(c) Tropen Verlag

Platz 9: Massimo Carlotto war für mich bisher eher eine Enttäuschung. Sowohl der Sardinien-Krimi “Tödlicher Staub” als auch sein autobiografischer Krimi “Der Flüchtling” konnten mich nicht so richtig begeistert. “Am Ende eines öden Tages” hat mich nun aber ziemlich umgehauen. Man muss seine Hauptfigur Pellegrini nicht mögen – das fällt auch denkbar schwer – um zu erkennen, dass der Autor einen selten authentischen Einblick in die düstere Welt eines Berufskriminellen gewährt, der seine Wurzeln auch dann nicht verleugnen kann, als er endlich ein “bürgerliches” Leben führt. Mehr dazu hier in Kürze.

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Platz 8: Malla Nunn nimmt den Leser auf eine packende Zeitreise in das Südafrika des Jahres 1953 mit, als die Apartheid noch jung war. Detective Sergeant Emmanuel Cooper wandelt dabei selbst ständig auf Messers Schneide, weil er ein “unreines” Verhältnis bzw. Kind hat. Gleichzeitig muss er in einem Fall ermitteln, in dem schon bald klar ist, dass der verdächtige schwarze Jugendliche nicht der Täter sein kann. Doch wie dessen Unschuld beweisen, wenn der korrupte Polizeiapparat gegen dich arbeitet? Nunns Kriminalromane sind vor allem fesselnde Geschichtsstunden.

(c) Eigenverlag

(c) Eigenverlag

Platz 7: Dass Lawrence Blocks erster Matthew-Scudder-Krimi “Die Sünden der Väter” in meiner Liste überhaupt auftauchen kann, ist ja selbst fast so spannend wie ein Krimi. Denn was tut ein Krimiautor, wenn er nicht mehr übersetzt wird? Er bringt sein Buch einfach selbst heraus. Block hat sich mit dem Übersetzer Stefan Mommertz zusammengetan und das Buch nun selbst als E-Book und Paperback herausgebracht. Geplant ist, die 17 Bände umfassende Scudder-Reihe erstmals vollständig auf Deutsch herauszubringen. Block sind bei diesem außergewöhnlichen Akt der literarischen Selbstverteidigung viele Leser zu wünschen. Teil zwei gibt es übrigens schon! . Scudder ist Ex-Cop und Alkoholiker, der aber einen nüchternen Blick auf die Welt behalten hat. Sein moralischer Kompass funktioniert bestens und ist wichtiger als das Geld von Auftraggebern. Deshalb muss man diesen außergewöhnlichen Kerl einfach lieben.

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Platz 6: Liza Codys “Miss Terry” habe ich erst am Neujahrstag fertiggelesen und sie hat wieder einmal ein tolles Buch abgeliefert. Die titelgebende “Miss Terry” heißt eigentlich Nita Tehri, aber ihr Nachname wird meist falsch ausgesprochen. Nita ist eine beliebte Lehrerin, deren Leben vollkommen aus den Fugen gerät, als ein totes Baby mit dunkler Hautfarbe in einem Container vor ihrem Haus gefunden wird. Ab sofort sieht sich Nita mit Beschuldigungen und Verdächtigungen konfrontiert. Lizy Cody hat einen einfühlsamen Krimi über Rassismus und Vorurteile geschrieben, ohne dabei je anklagend zu werden. Dennoch ist dieses Buch zutiefst optimistisch – eine wahre Kunst angesichts der drückenden Thematik.

(c) Wunderlich

(c) Wunderlich

Platz 5: Horst Eckert hat mich einst mit “Schwarzer Schwan” schwer überzeugt, ich halte das für einen der besten Thriller über die internationale Finanzkrise. Kaum ein anderer deutschsprachiger Autor versteht es so gut, klassische Polizeikrimis mit zeitgenössischen, brisanten Themen zu verknüpfen. Eckert hat nun mit “Wolfsspinne” eine beängstigende, weil realistische Interpretation der Geschehnisse rund um den Tod von zwei NSU-Mitgliedern geschrieben, die Zweifel an der offiziellen Version nährt.

(c) Unionsverlag

(c) Unionsverlag

Platz 4: Mit dem knallharten Berufsverbrecher Wyatt hat Garry Disher einen australischen Cousin von Richard Starks Kultfigur Parker erfunden. Nun hat der Autor die Seiten gewechselt und erzählt in “Bitter Wash Road” langsam, aber niemals langweilig vom Schicksal des ins Hinterland abgeschobenen Polizisten Hirsch. Disher erzählt still und einfühlsam, er erschafft echte Menschen, die wie echte Menschen handeln und denken. Ein staubtrockener Krimi aus Down Under.

(c) Haymon

(c) Haymon

Platz 3: Für mich die vielleicht die größte Überraschung und gleichzeitig niederschmetternde Erkenntnis: Warum ist André Pilz nicht viel bekannter? Er ist bestimmt einer der meistunterschätzten Autoren von Spannungsliteratur. Vermutlich hat es damit zu tun, dass seine Geschichten von Skinheads, Drogendealern und wie nun in Der anatolische Panther” von vorbestraften, türkischstämmigen Kleinkriminellen handeln. “Terror-Tarik” wird mir aus vielen unterschiedlichen Gründen länger in Erinnerung bleiben.

(c) pulp master

(c) pulp master

Platz 2: Gerald Kershs “Die Toten schauen zu” ist genau genommen wohl kein Krimi, aber von einem Kleinstverlag herausgegeben, der sich darauf spezialisiert hat, mit viel Akribie Krimi-Perlen zu bergen. Und unglaublich gute Literatur! Als die Nazi-Größe Reinhard Heydrich nach einem Attentat im Juni 1942 stirbt, werden Vergeltungsmaßnahmen beschlossen. Das kleine tschechische Dorf Lidice wird dem Erdboden gleichgemacht, alle männlichen Einwohner werden getötet. Nur wenige Monate später schreibt der Brite Gerald Kersh über das Schicksal des fiktiven Dorfs Dudicka, deutlich als Lidice erkennbar. Er schreibt dabei über Menschen, die in Ausnahmesituationen sekundenschnell Entscheidungen unglaublichen Ausmaßes treffen müssen. Wer bleibt sich treu, wer wird zum Verräter? Und was macht das mit den Menschen?

(c) Rowohlt Polaris

(c) Rowohlt Polaris

Platz 1: Der Rowohlt-Verlag preist seinen Thriller “In den Straßen die Wut” als einen “Roman wie ein Tarantino-Film” an. Superlative sind zwar angebracht, mit diesem Label tut man dem Buch allerdings keinen Gefallen. Denn hier wird weder hochästhetisch kübelweise Blut vergossen noch wird ein cooler Spruch nach dem anderen serviert. Im Gegenteil, Gattis glänzt mit purem Realismus. Das Besondere an dem Buch: Insgesamt kommen 17 Ich-Erzähler zum Einsatz – immer einer nach dem anderen. Durch diesen Wechsel der Perspektive entsteht ein unglaubliches Panorama. Und wenn der erste Ich-Erzähler bereits nach zwölf Seiten das Zeitliche segnet, ist spätestens ab diesem Moment klar, dass hier alles geschehen kann. Besser kann Kriminalliteratur eigentlich kaum sein.

12 Comments

Filed under Krim(i)skrams

Noch ein Rückblick auf 2016: Krimis, die man lesen sollte

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Mit meinen Tipps zu den Neuempfehlungen bin ich ziemlich ins Strudeln gekommen. Daher versammeln sich hier die vielversprechendsten Krimis der Monate Oktober bis Dezember. Ach ja, und in Kürze gibt es hier natürlich meine persönliche Krimi-Jahresbestenliste für das Jahr 2016.

Kein Weg vorbei führt dabei wieder einmal an Liza Cody. Ihr “Miss Terry” taucht wenig verwunderlich auch in fast allen Krimi-Jahresbestenliste auf, die mir bisher untergekommen sind.

Der Verlagstext: Die Londoner Grundschullehrerin Nita Tehri hat sich von ihren Ersparnissen eine kleine Eigentumswohnung zugelegt, wo sie ein leises Leben führt. Sie sucht keinen Streit, ist freundlich zu Nachbarn und Kolleginnen, unterrichtet. Buchstabiert geduldig ihren Namen, wenn man sie Miss Terry nennt.
Eines Morgens wird genau gegenüber von Nitas Haus ein Müllcontainer abgestellt, leicht angerostet und verbeult, gedacht für den Bauschutt einer Sanierung. Er bleibt dreieinhalb Minuten leer, von da an landet alles Mögliche darin: Fastfoodverpackungen, Rigipsplatten, Altbautüren, Weihnachtsbäume, Abfallsäcke, Öfen … Manches verschwindet über Nacht wieder, manches bleibt. Sobald er voll ist, wird der Container ausgetauscht, und der wundersame Reigen des Mülls beginnt von vorn.
Dann steht nach Feierabend ein Polizist vor Nitas Tür. Stellt ihr Fragen, die zunehmend unverschämter werden. Ob ihr jemand aufgefallen ist, der in aller Heimlichkeit Dinge im Container entsorgt hat? Warum sie so oft aus dem Fenster späht? Ob es zutrifft, dass sie bis vor Kurzem deutlich dicker war?

(c) Rowohlt Polaris

(c) Rowohlt Polaris

Wieder ein Krimi aus Australien. Jane Harpers “The Dry” klingt ziemlich vielversprechend, erste Rezensionen lassen aber darauf schließen, dass es sich leider doch um eher konventionelle Krimiware handelt.

Die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten lastet wie heißes Blei auf dem ländlichen Städtchen Kiewarra mitten im Nirgendwo. Das Vieh der Farmer stirbt, die Menschen fürchten um ihre Existenz.  Als Luke Hadler, seine Frau und ihr Sohn Billy erschossen aufgefunden werden, glauben alle, dass der Farmer durchgedreht ist und erweiterten Suizid begangen hat. Aber Sergeant Raco hat seine Zweifel. Aaron Falk kehrt nach zwanzig Jahren zum ersten Mal nach Kiewarra zurück – zur Beerdigung seines Jugendfreundes Luke. Bald brechen alte Wunden wieder auf; das Misstrauen wirft seine langen Schatten auf die Kleinstadt. Und in der Hitze steigt der Druck immer mehr…

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

Der österreichische Meister spannender Wissenschaftsthriller ist wieder zurück. Diesmal beschäftigt sich Marc Elsberg mit Gentechnik. “Helix” ist ein erhellendes Buch.

Der US-Außenminister stirbt bei einem Staatsbesuch in München. Während der Obduktion wird auf seinem Herzen ein seltsames Zeichen gefunden – von Bakterien verursacht? In Brasilien, Tansania und Indien entdecken Mitarbeiter eines internationalen Chemiekonzerns Nutzpflanzen und –tiere, die es eigentlich nicht geben kann. Zur gleichen Zeit wenden sich Helen und Greg, ein Paar Ende dreißig, die auf natürlichem Weg keine Kinder zeugen können, an eine Kinderwunschklinik in Kalifornien. Der Arzt macht ihnen Hoffnung, erklärt sogar, er könne die genetischen Anlagen ihres Kindes deutlich verbessern. Er erzählt ihnen von einem – noch inoffiziellen – privaten Forschungsprogramm, das bereits an die hundert solcher »sonderbegabter« Kinder hervorgebracht hat, und natürlich wollen Helen und Greg ihrem Kind die besten Voraussetzungen mitgeben, oder? Doch dann verschwindet eines dieser Kinder, und alles deutet auf einen Zusammenhang mit sonderbaren Ereignissen hin – nicht nur in München, sondern überall auf der Welt …

(c) Tropen

(c) Tropen

Philip Kerr ist an meiner wiederentfachten Liebe für den Fußball hauptschuldig. Seine beiden Fußball-Thriller “Der Wintertransfer” und “Die Hand Gottes” haben mich sehr begeistert. Bei “Die falsche Neun” kann da wohl auch nichts schiefgehen.

Scott Mansons Karriere als Fußballtrainer in der Premier League ist vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Nach einem Skandal bei London City und einem kurzen Intermezzo bei einem chinesischen Verein, dessen Eigentümer ein windiger Geschäftsmann ist, scheint Scotts Ruf endgültig ruiniert. Da erhält er einen Hilferuf vom FC Barcelona: Stürmerstar Jérôme Dumas ist nicht zum Training erschienen und wird seit einem Urlaub auf seiner Heimatinsel vermisst. Scott hat nur wenige Wochen Zeit, den Kicker zu finden. Auf seiner Spurensuche von Paris bis auf die Antillen begegnet Scott einem mörderischen System, das den Kampf um junge Talente auf ein anderes, tödliches Spielfeld verlegt hat.

(c) Droemer

(c) Droemer

Mechtild Borrmann habe ich schon länger im Fokus, bisher bin ich aber nicht dazu gekommen, sie zu lesen. “Trümmerkind” möchte ich aber unbedingt lesen, das passt perfekt zu meinem Faible für zeithistorische Krimis.

Der kleinen Hanno Dietz schlägt sich mit seiner Mutter im Hamburg der Nachkriegsjahre durch. Steine klopfen, Altmetall suchen, Schwarzhandel – das ist sein Alltag. Eines Tages entdeckt er in den Trümmern eine Tote – und etwas abseits einen etwa dreijährigen Jungen, der erstaunlich gut gekleidet ist. Das Kind spricht kein Wort, Verwandte sind nicht auffindbar. Und so wächst das Findelkind bei den Dietzens auf. Jahre später kommt das einstige Trümmerkind durch Zufall einem Verbrechen auf die Spur, das auf fatale Weise mit seiner Familie verknüpft ist …

(c) Polar Verlag

(c) Polar Verlag

Im Vorjahr kam Newton Thornburgs vergessener Krimiklassiker “Cutter und Bone” wieder auf den Markt. Danke, lieber Polar Verlag! Heuer legt der Verlag mit seinem Krimi “Schwarze Herde” nach. Auch dieses Buch klingt nach einer Pflichtlektüre.

Ex-Werbefachmann Bob Blanchard ist vor Jahren mit seiner Familie in die Missouri Ozarks aufs Land gezogen, um Rinder zu züchten. Seine Frau fühlt sich dort nicht wohl und schottet den chronisch erkrankten Tommy von der Umwelt ab. Seit seiner Geburt hat er einen Hirnschaden. Als seine Frau ihn wegen der drohenden Zwangsversteigerung verlässt und zurück nach St Louis zieht, kommt Blanchards Leben ins Rutschen. Von der Bank wegen drückender Schulden verfolgt, droht die Zwangsschlachtung und der Verkauf zu einem ruinierenden Preis. So dass er vor der Entscheidung steht, die kranken Rinder zu verkaufen und die Herde als gestohlen zu melden, um die Versicherungssumme zu kassieren. Widerstrebend lässt Blanchard sich auf einen zum Scheitern verurteilten Plan ein und muss mit ansehen, wie er verraten wird.

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Fast übersehen hätte ich “IQ” von Joe Ide. Das ist mir irgendwie durch all meine Neuerscheinungs-Radare gerutscht 😉 Erst als dieses Buch plötzlich in der Jahres-Bestenliste des Blogs Buch-Haltung auftauchte, wurde mein Interesse geweckt.

Q. nennt man Isaiah Quintabe in den schwarzen Hoods von Los Angeles. Weil er ein Genie ist und weil er als eine Art Nachbarschaftsdetektiv ohne Lizenz den »kleinen Leuten« zu ihrem Recht verhilft. Oder wenn das schwierig ist, immerhin zu Gerechtigkeit, Genugtuung und Entschädigung. Zusammen mit seinem sidekick, dem schlagfertigen Gangsta Dodson, wird er wider Willen von dem Top-Rapper Black the Knife angeheuert, um Mordanschläge auf dessen Leben aufzuklären. Das führt ins finstere Herz des Rap-Business, wo sich jede Menge wunderliche und tödliche Gestalten tummeln: Gangsta Rapper, Bitches, Anwälte, Auftragskiller, Drogenbosse, Big-Business-Leute und Medienvolk.

Bald haben es I.Q. und Dodson mit verfeindeten Gangs, schießwütigen Narcos und gierigen Musikproduzenten zu tun. Gut, dass I.Q. ein Weltmeister der Deduktion ist, und gut auch, dass er notfalls genauso viel kriminelle Energien hat wie seine Widersacher. Oder noch mehr …

Leave a comment

Filed under Krimis, die man lesen sollte