Monthly Archives: May 2019

André Georgi: Die letzte Terroristin

Ein Krimi über die RAF? Interessiert das überhaupt noch irgendjemanden? Das habe ich mir vor der Lektüre gedacht. Wer ebenso denkt und zweifelt, der sollte unbedingt “Die letzte Terroristin” lesen. Es zahlt sich aus.

Bereits 2015 befasste sich “Tatort”-Drehbuchautor André Georgi in seinem Debüt, “Tribunal”, mit einem politischen Thema: Es ging damals um einen serbischen Kriegsverbrecher, dem der Prozess gemacht werden sollte. War sein erstes Buch in Ansätzen außergewöhnlich, kann der Autor das Niveau diesmal über die volle Länge halten.

Er erzählt eine spannende Geschichte, hat aber darüber hinaus ein wunderbares Auge für all die kleinen Dinge, die das Menschsein ausmachen. Großartig.

Die Verfilmung: Besser nicht ansehen

Weniger großartig war allerdings der auf dem Buch basierende ZDF-Zweiteiler “Der Mordanschlag”. Zwar hat Georgi hier offenbar auch das Drehbuch verfasst, aber was im Buch so wunderbar lebendig, so berührend ist – im Fernsehen ist davon leider nichts zu spüren. Das wirkt nur hölzern und kommt gar nicht rüber. Sehr schade. Also Finger weg davon und die Seiten aufgeschlagen!

10 von 10 Punkten

André Georgi: “Die letzte Terroristin”, Suhrkamp Verlag, 362 Seiten.

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Attica Locke: Bluebird, Bluebird

(c) Polar Verlag

“Bluebird, Bluebird” hat im Vorjahr den renommierten “Edgar Award” für den besten Kriminalroman gewonnen und auch den “Steel Dagger Award” für den besten Thriller eingeheimst. Auch auf der Krimi-Bestenliste stand das Buch im Februar und März an der Spitze. Alles nur ein Hype oder eine politisch korrekte Angelegenheit? Keinesfalls. Attica Lockes Kriminalroman ist ein texanischer Heimatroman im besten Sinne. Er macht den alltäglichen Rassismus in den USA spürbar, ohne auf simple politische Botschaften zurückzugreifen.

Schauplatz der Geschichte ist der fiktive texanische Ort Lark, Einwohnerzahl 178. Es ist eine Gegend, in der Cafés noch Namen wie “Kay’s Kountry Kitchen” tragen, eine unverblümte Anspielung an die Initialien des Ku Klux Klan. Das Auftauchen der Leiche eines schwarzen Mannes wird hier eher als Randnotiz wahrgenommen. Als kurz darauf eine junge, weiße Frau aufgefunden wird, sind sich die einheimischen Schwarzen im lokalen Café Geneva’s sicher: “Sie verschwenden keinen Gedanken mehr an den Mann. Nicht, wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird.”

Einem ist es nicht egal: Dem schwarzen Texas Ranger Darren Mathews, der rassistische Motive hinter den Taten vermutet und zu ermitteln beginnt, obwohl ihm dazu die Berechtigung fehlt. Er stößt auf eine Mauer des Schweigens, offene Feindseligkeit und allgegenwärtiges Misstrauen – egal welcher Hautfarbe seine Gesprächspartner sind.

Autorin Attica Locke hat aus diesem brisanten Stoff eine einfühlsame und ungeschönte Geschichte gemacht, die auch eine unerwartete Liebeserklärung an Texas ist: Als die urban verwurzelte Witwe des toten Mannes Darren Mathews verständnislos fragt, wie er in diesem Bundesstaat leben könne, antwortet dieser: “Das ist auch mein Grund und Boden, mein Staat, mein Land, und ich laufe nicht davon.”

Locke hat ihren Roman übrigens fertiggestellt, bevor Donald Trump Präsident wurde. Sie beschreibt also Zustände im Obama-Amerika.

9 von 10 Punkten

Attica Locke: “Bluebird, Bluebird”, übersetzt von Susanna Mende, Polar Verlag, 329 Seiten.

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