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Der beste Kriminalroman aller Zeiten?

(c) Kampa Verlag

Die englische Autorenvereinigung Crime Writer Association hat Josephine Teys “Alibi für einen König” einst zum besten Kriminalroman aller Zeiten gekürt. Tey stach mit ihrem 1951 erschienenen Buch in der im Jahr 1990 erstellten Liste Raymond Chandler, John le Carré und auch Daphne Du Maurier (“Rebecca”) aus. Nun ja, aus heutiger Sicht mutet es einigermaßen gewagt an, “Alibi für einen König” als besten Krimi aller Zeiten zu bezeichnen. Da nun eine Neuauflage (mit ansprechendem Cover, wie ich finde) erschienen ist, liegt es nahe, sich dieses Buch ein wenig genauer anzusehen.

Vorweg: Tey hat mit ihrem Buch König Richard III., der in Großbritannien ein halbes Jahrtausend lang als Tyrann und Mörder galt, späte Gerechtigkeit zukommen lassen. Erst Teys historischer Kriminalroman änderte an diesem Bild etwas. Allerdings ist ihr Werk zumindest im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten. Es wäre also an der Zeit, auch der Autorin etwas Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Denn letztlich ist es egal, ob ihr Buch nun der allerbeste Kriminalroman aller Zeiten ist.

Worum geht es überhaupt? Alan Grant, Inspector bei Scotland Yard, liegt ans Bett gefesselt im Krankenhaus. Tey bedient sich hier des im Genre nicht unbekannten “armchair detectives”, also eines Ermittlers, der sich nicht aus dem bequemen Sessel erhebt und dennoch mit Geisteskraft alle kniffligen Rätsel löst. Im Gegensatz zu Sherlock Holmes ist Grant allerdings unfreiwillig zur Unbeweglichkeit verdammt. Als ihm das Porträt Richard III. in die Hände fällt, ist seine Neugier geweckt: Sieht so ein Mörder und Tyrann aus? Er beginnt historische Nachforschungen anzustellen.

Diese offenbaren vor allem eines: Geschichte wird subjektiv geschrieben. So auch im Fall Richard III. Sowohl Lordkanzler Thomas Morus also auch William Shakespeare ließen aus unterschiedlichen Motiven kaum ein gutes Haar an dem König, sodass über die Jahrhunderte ein äußerst verzerrtes Bild seiner Persönlichkeit entstand. Man erinnerte sich nur mehr seiner angeblichen Gräueltaten. Hier liest sich Teys Buch teilweise weniger wie ein Kriminalroman, sondern wie eine Abrechnung mit Historikern. Sehr passend: Denn im Original heißt Teys Buch “The Daughter of Time”. Eigentlich der perfekte Titel, denn es bezieht sich auf das Zitat von Sir Francis Bacon: “Truth is the Daughter of Time, not of Authority”.

“Alibi für einen König” liest sich zwar anregend, aber mitunter auch ein wenig ermüdend. Tey schafft es nicht ganz, sich von all der faszinierenden, weil widersprechenden Geschichtsschreibung zu lösen. Zuweilen verliert sie sich in Details, die all jene, die sich nicht für die Untiefen der Geschichte des britischen Königshauses erwärmen, nicht besonders interessieren werden. Aber als gelernte Kriminalschriftstellerin passiert ihr das nur an sehr wenigen Stellen.

Fasziniert hat mich, dass Josephine Tey zu einem frühen Zeitpunkt mit den Konventionen des Genres brach. Denn am Ende wird sich vieles relativiert, aber nicht alles hundertprozentig gelöst haben. Der beste Kriminalroman aller Zeiten? Nein. Ich habe schon viele Kriminalromane gelesen, die auf meiner persönlichen Ranking-Liste deutlich über Teys Werk stehen, dennoch ist “Alibi für einen König” eine kurzweilige Zeitreise – perfekt auch für die Weihnachtsfeiertage. Für all jene, die das Genre gern von allen Seiten erkunden, führt eigentlich kein Weg an der Lektüre vorbei. Es lohnt sich.

Hier übrigens die CWA-Liste der 100 besten Kriminalromane von einem Nerd, der alle 100 Bücher rezensiert hat.

8 von 10 Punkten

Josephine Tey: “Alibi für einen König”, übersetzt von Maria Wolff, Kampa Verlag, 256 Seiten.

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Michael Mann/Meg Gardiner: Heat 2

(c) HarperCollins

Es war für mich eine der größten Überraschungen des Krimijahres: 27 Jahre nach “Heat” schreibt Regisseur Michael Mann mit Krimiautorin Meg Gardiner eine Fortsetzung seines Klassikers. “Heat” ist für mich nicht irgendein Film, ich würde ihn neben Luc Bessons “Leon, der Profi” und Kathryn Bigelows “Strange Days” zu meinen drei Lieblingsfilmen der 1990er Jahre zählen. Es würde wohl zwei, drei Blogeinträge füllen, zu erklären, warum “Heat” so ein Ausnahmefilm ist, aber eigentlich will ich hier über die kriminalliterarische Fortsetzung schreiben, und warum diese im Großen und Ganzen sehr gelungen ist. Aber es gibt da auch ein paar Dinge, die mir nicht so zugesagt haben.

Michael Manns Film “Heat” aus dem Jahr 1995 genießt unter Filmkennern zu einem wesentlichen Teil wegen seinen beiden Hauptdarstellern Kultstatus. Al Pacino als erbarmungsloser Polizist Vincent Hanna und Robert de Niro als charismatischer Berufsverbrecher Neil McCauley prallten das erste Mal gemeinsam in einem Film (in Coppolas “Der Pate 2” hatten sie keine gemeinsamen Szenen) aufeinander, in einer denkwürdigen Diner-Szene. Unweigerlich hat man auch beim Lesen Al Pacino und Robert de Niro als auch Val Kilmer vor Augen, auf dessen Charakter Chris Shiherlis der Fokus des Buches liegt.

“Heat 2” ist Pre- und Sequel in einem. Dem Autorenduo gelingt es dabei ausgezeichnet, die Figuren wieder aufleben zu lassen. Es ist die große Stärke des Buchs, dass hier fehlende Puzzleteile aus dem Leben Hannas und McCauleys schlüssig eingefügt werden. Deren Handlungsweisen und Besessenheiten werden noch klarer. Der Fokus liegt diesmal aber wie erwähnt auf dem Charakter von Chris Shiherlis. Er war der Einzige aus McCauleys Bande, der am Ende entkommen konnte.

In “Heat 2” findet er in Paraguay Unterschlupf. Er verdingt sich ab sofort für die taiwanesisch-paraguayanische Familie Liu, die eine mächtige kriminelle Organisation aufgebaut haben. Schon bald kann er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und sich eine neue kriminelle Karriere aufbauen. Die USA sind für ihn aber Tabu, würde er heimkehren, würde er sofort verhaftet werden, da er weiterhin steckbrieflich gesucht wird. Das zerreißt ihn innerlich, denn Frau und Kind leben in den USA, Kontakt zu den beiden wichtigsten Menschen ist ihm aber nicht möglich.

Sehr faszinierend sind auch jene Szenen, die im Jahr 1988 spielen und Einblick in das Leben von McCauley und seiner Crew gewähren. Wie die Bande in Mexiko einen Coup plant, bei dem ein Drogenversteck ausgeraubt werden soll, erinnert stark an dem Film. Die professionellen Verbrecher beim Austüfteln, beim Planen und Sich-Wappnen für alle möglichen plan- und unplanbaren Situationen. Natürlich – wie könnte es anders sein – wird nichts glatt gehen.

„Heat 2“ bietet also fast 700 Seiten knallharte Krimikost in der Tradition von Don Winslow. Störend sind aus meiner Sicht allerdings die stereotype Zeichnung der grausamen “bösen” Bösen im Vergleich zu den “guten” Bösen rund um McCauleys Profi-Truppe. Vor allem der Bösewicht Otis Wardell wird als Person ohne Nuancen charakterisiert. Er ist das personifizierte Böse. Er ist einfach nur grausam und sadistisch. Irgendwie hat mich das beim Lesen geärgert. Zudem gibt es einfach ein paar Zufälle zu viel, um die Handlungsstränge von 1988, 1995 und 2000 zu verknüpfen. Das ist einfach zu viel.

Egal. Auf den Film „Heat 2“, der sich angeblich in Planung befindet, kann man sich freuen. Großer Wehmutstropfen: Weder de Niro noch Pacino noch Kilmer werden mitspielen.

8 von 10 Punkten

Michael Mann/Meg Gardiner: “Heat 2”, übersetzt von Wolfgang Thon, HarperCollins Verlag, 687 Seiten. 

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Stephen Mack Jones: Princess Margarita Illegal

(c) Tropen Verlag

Oft verschießen Autoren mit ihrem ersten Buch das ganze Pulver. Das zweite Werk kann dann mit dem Erstling nicht mehr mithalten. Aber es gibt auch das umgekehrte Phänomen. Einem soliden oder womöglich sogar enttäuschenden Auftakt (zum Beispiel Adam Sternberghs “Feindesland, das mir wesentlich besser gefallen hat als “Spademan”) folgt ein überraschend guter Nachfolger. Das ist auch bei “Princess Margarita Illegal” der Fall, das mir noch einmal besser gefallen hat als Stephen Mack Jones’ ohnehin nicht übles Debüt Der gekaufte Tod”. Das Buch liest sich eleganter, stimmiger und das übertriebene Schlussgemetzel (da wurde eigentlich das Pulver für mehrere Bände verschossen!) fällt diesmal auch weg.

Worum es geht? Der nach einer Klage reich gewordene Ex-Polizist August Snow ist eine der interessantesten Figuren im Krimigenre. Wie schon in Band eins hat der mexikanisch-afroamerikanische Snow auch in “Princess Margarita Illegal” ein ziemlich loses Mundwerk. Als eine junge Migrantin tot aufgefunden wird, will Snow wissen, was dahintersteckt.

Nicht nur Republikaner lieben Waffen

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind aus europäischer Sicht nicht immer ganz leicht zu verstehen, da können auch Kriminalromane durchaus aufklärerisch wirken. Der Autor zeigt etwa, dass auch Liberale ein Faible für Waffen haben können. Die Waffenlobby NRA wird bei aller Kritik an sozialen Missständen und rechtsradikalen Fanatikern durchaus ihre Freude an diesem Buch haben. Denn am Ende gewinnen die gut bewaffneten Guten.

PS: Sehr gelungen finde ich das Cover. Das sticht richtig aus dem Neuerscheinungs-Einheitsbrei mit stilisierten Blumen, Blüten und Tieren sowie einsamen Hütten, Stränden und sonstigen kargen Landschaften deutlich hervor.

8 von 10 Punkten

Stephen Mack Jones: “Princess Margarita Illegal”, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Tropen-Verlag, 314 Seiten.

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Chris Whitaker: Von hier bis zum Anfang

(c) Piper Verlag

Chris Whitakers “Von hier bis zum Anfang” hat den renommierten Gold Dagger für den besten Kriminalroman des Jahres gewonnen. Nicht zu Unrecht, denn die Odyssee des 13-jährigen Mädchens Duchess geht zu Herzen. Wohl nicht zufällig wird es oft mit Delia Owens Megaerfolg “Der Gesang der Flusskrebse” (das Buch erscheint demnächst als Film) verglichen.

Schon bevor ihre lebensunfähige Mutter Star ermordet wurde, lag Duchess’ Welt in Stücken. Neben den üblichen Teenager-Problemen musste sich das Mädchen bereits vor der Gewalttat um ihren kleinen Bruder Robin kümmern, war Star doch nie über den Tod ihrer eigenen Schwester vor dreißig Jahren hinweggekommen. Als die Geschwister nun auf die Farm ihres Großvaters Hal abgeschoben werden – ein Mann, den die beiden nicht kennen -, reagiert das Mädchen widerspenstig. Es berührt, wie die Welten des zornigen Kindes und des Großvaters, der alles schon gesehen hat, aufeinanderprallen. Und dass dieses Kind nicht bereit ist aufzugeben.

Chris Whitaker zeichnet gefühlvoll nach, wie der drei Jahrzehnte zurückliegende Tod eines Kindes das Leben unzähliger Menschen, die teilweise damals noch nicht einmal geboren waren, auch heute noch prägt. So glaubt der Polizist Walk felsenfest an die Unschuld seines Freundes Vincent, der nach 30 Jahren Gefängnis nach Cape Haven zurückgekehrt ist. Doch wer sonst kann Star ermordet haben?

Von dem Kleinstadt-Idyll bleibt am Ende nicht viel übrig. Whitaker schreibt unaufgeregt über Schuld, Freundschaft und Verlust. Die überraschenden Wendungen zum Schluss rühren und schmerzen.

8 von 10 Punkten

Chris Whitaker: “Von hier bis zum Anfang”, übersetzt von Conny Lösch, Piper, 448 Seiten.

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Beth Ann Fennelly/Tom Franklin: Das Meer von Mississippi

(c) Heyne Hardcore


In “Das Meer von Mississippi” arbeiten Beth Ann Fennelly und Tom Franklin die dramatischen Geschehnisse rund um eine vergessene Tragödie in den USA literarisch auf. Die große Flut von 1927 gilt als die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte der USA. Heute ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Das Autoren-Ehepaar Beth Ann Fennelly und Tom Franklin schreibt eindrucksvoll gegen dieses Vergessen an.

Bereits seit dem Winter 1926 ließen heftige Regenfälle immer wieder die Dämme entlang des Mississippi und seiner Nebenflüsse brechen. Kleinere Überflutungen forderten zahlreiche Todesopfer. Am Karfreitag 1927 ergoss sich dann eine dreißig Meter hohe Flutwelle mit der doppelten Wucht der Niagara-Fälle ins Mississippi-Delta, auf eine Fläche “ungefähr so groß wie Connecticut, New Hampshire, Massachusetts und Vermont zusammen”. Dass die Fluten nicht die reichen Staaten im Osten der Vereinigten Staaten heimsuchten, dürfte auch der Hauptgrund sein, warum die große Flut kaum Eingang in die Geschichtsbücher fand. “Aber wir lebten im Dreck des Deltas, im fruchtbarsten Dreck der Nation, der allerdings unter den Stiefelsohlen der Ärmsten klebte”, sinniert Hauptfigur Dixie Clay im Epilog des Buches.

Das schreibende Ehepaar Fennelly/Franklin hat sich für eine Krimi-Rahmenhandlung rund um die Ereignisse von 1927 entschieden. Im fiktiven Ort Hobnob stellt Jesse gemeinsam mit seiner Frau, Dixie Clay, illegal Whiskey her – den besten der ganzen Gegend. Dixie leidet, sie hat erst vor Kurzem ein Kind verloren. Nachdem zwei Prohibitionsagenten spurlos verschwinden, werden zwei neue Kollegen auf die Schwarzbrenner angesetzt: Ham und Ingersoll. Als die beiden auf dem Weg zu ihrem Einsatzort ein verlassenes Baby entdecken, beschließt Ingersoll (selbst ein Waisenkind) kurzerhand, dieses mitzunehmen.

Woher kommt bloß der Spitzname “Ham”?

In Hobnob angekommen, gibt Ingersoll das Baby nicht im Waisenhaus ab, sondern bringt es zu Dixie Clay – nicht ahnend, mit wem er es zu tun hat. Dixie brennt Nacht für Nacht einsam Whiskey, während ihr kaum anwesender Mann, Jesse, für die geschäftliche Seite zuständig ist. Es entspinnt sich eine Geschichte, die das Leben aller Beteiligten verändern wird.

Manchmal vielleicht etwas langatmig erzählen Fennelly und Franklin davon, welch erbärmliche Existenzen viele Menschen in den 1920er-Jahren in den ruralen Teilen der Vereinigten Staaten führen mussten. Mittels fesselnder Episoden ziehen die Autoren die Leser immer mehr in ihre Geschichte hinein. Wie Dixie und Ingersoll um das Leben des erkrankten Babys kämpfen, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf die heimgekehrten US-Soldaten hatte und wie sehr all das mit Herbert Hoovers erfolgreicher Präsidentschaftskandidatur und dem Scheitern von Amtsinhaber Coolidge zusammenhängt – das bringen sie eindringlich nahe.

“Das Meer von Mississippi” ist darüber hinaus ein Beziehungsroman auf vielen Ebenen. Fennelly und Franklin beschreiben einfühlsam, wie Dixie Clay von Tag zu Tag vor sich hinstirbt, während sich Jesse als Lebemann austobt; sie schildern die durch den Krieg zusammengeschweißte Männerfreundschaft zwischen Ingersoll und Ham, der um die Entstehung seines seltsamen Vornamens ein Geheimnis macht und in launigen Runden Zuhörer mit schier endlosen, immer anderslautenden Geschichten darüber narrt. Das weiß allerdings nur sein Freund Ingersoll. Und dann ist da natürlich auch das Baby, das in Dixie Clay die Lebensgeister erweckt und in dem sich der innerlich leer fühlende Ingersoll wiedererkennt: “Die Waffe war wie seine Gitarre, denn sie bezog ihre ganze Macht aus einem Loch in der Mitte. Wie Ingersoll selbst, möglicherweise.”

All das passiert vor dem Hintergrund der omnipräsenten Gefahr von Dämmen, die zu brechen drohen – nicht zuletzt, weil Saboteure im Auftrag profitgieriger Bankiers in New Orleans unterwegs sind. Es ist also ein apokalyptisches Setting, letztlich geht es aber vor allem um menschliche Bedürfnisse: Solidarität in der Not, Hoffnung – und natürlich Liebe.

8 von 10 Punkten

Beth Ann Fennelly/Tom Franklin: “Das Meer von Mississippi”, übersetzt von Eva Bonné, 384 Seiten, Heyne Hardcore.

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Hannelore Cayre: Reichtum verpflichtet

(c) Ariadne

Blanche de Rigny ist seit einem Autounfall gehbehindert, lässt sich aber vom Leben nicht unterkriegen. Als sie zufällig erfährt, dass sie aus einer steinreichen Familie stammt, schmiedet sie einen raffinierten Plan, um an das Erbe zu kommen. Dafür ist sie bereit, über Leichen zu gehen.

Wie schon in ihrem grandiosen Vorgänger “Die Alte” erzählt die Französin Hannelore Cayre eine anarchistische Geschichte – diesmal über eine Frau, die im Alleingang versucht, das kapitalistische System auszuhebeln. Dieser Rachefeldzug einer Unterschätzten liest sich amüsant und größenwahnsinnig zugleich. Das ist Sozialkritik pur.

Bei der Lektüre von “Die Alte” bin ich vor Begeisterung ja fast aus den Stiefeln gekippt – ich habe es sogar zu meinem Lieblingskrimi des Jahres 2019 gewählt. Vermutlich lag es auch an diesem hohen Anspruch, dass mich “Reichtum verpflichtet” nicht ganz so umgehauen hat. Dennoch ist gerade dieses Buch mit seinen historischen Elementen ein perfektes Beispiel dafür, wozu Kriminalliteratur fähig ist, wenn man das Genre nicht zu engstirnig begreift.

Dann lässt man diese Wow-Effekte zu. Wow, das kann also auch Krimi sein, wow, mehr davon!

8 von 10 Punkten

Hannelore Cayre: “Reichtum verpflichtet”, übersetzt v. Iris Konopik, Ariadne-Verlag, 255 S., 20,60 Euro.

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Frank Göhre: Die Stadt, das Geld und der Tod

(c) Culturbooks

Es war eine klassische Fehleinschätzung, als ich im letzten Beitrag über Johannes Groschupfs Kriminalroman “Berlin Heat” geschrieben habe, er suche seinesgleichen. Denn wie konnte ich Frank Göhre, den Meister der wenigen Worte, bloß übersehen?

Göhre ist zurück: Hatten Fans zehn Jahre warten müssen, bis 2020 “Verdammte Liebe Amsterdam” erschien, liegt nun mit “Die Stadt, das Geld und der Tod” bereits sein nächstes Werk vor. Gerade einmal 158 Seiten lang ist das Krimi-Destillat, das im Milieu einer rumänischen Verbrecherbande angesiedelt ist. Gewohnt minimalistisch erzählt Göhre von den dunklen Seiten Hamburgs Anfang der 2000er-Jahre, politische Verstrickungen und dubiose Geschäfte hanseatischer Kaufmänner inklusive.

Das Buch ist vielleicht nicht ganz so perfekt wie der Vorgänger, aber immer noch große Klasse. Es tut mir leid, Johannes Groschupf, aber Göhre bleibt im Subgenre des schmutzigen kleinen Krimis (noch) unerreicht.

8 von 10 Punkten

Frank Göhre: “Die Stadt, das Geld und der Tod”, Culturbooks-Verlag, 159 Seiten, 15,40 Euro

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Doris Gercke: Die Nacht ist vorgedrungen

(c) Ariadne Kriminalroman

Die Lektüre dieses Buches liegt schon einige Zeit zurück, deshalb werde ich mich kurz halten. Doris Gercke ist eine Grande Dame des deutschsprachigen Kriminalromans. Ihre unangepasste, trinkfeste Figur Bella Block hat auch TV-Geschichte geschrieben, trotzdem habe ich Gerckes literarisches Schaffen erst mit ihrem aktuellen Werk kennengelernt.

Von Altersmilde ist auch im neuen Buch der 84-Jährigen nichts zu spüren. Darin begibt sich die Schriftstellerin und Journalistin Karla Böhm auf die Suche nach dem Mörder eines Freundes. Klassischer Krimi ist “Die Nacht ist vorgedrungen” keiner, vielmehr eine spannende Reise durch mehrere Jahrzehnte deutscher Zeitgeschichte.

Eine Auflösung des Falls darf man sich nicht erwarten – die Welt bleibt ungeordnet. Kantig, Genrekonventionen ignorierend, wunderbar.

8 von 10 Punkten

Doris Gercke: “Die Nacht ist vorgedrungen”, Argument-Verlag, 256 Seiten.

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Stephen Mack Jones: Der gekaufte Tod

(c) Tropen Verlag

Ex-Cop August Snow ist der wohl finanziell unabhängigste US-Ermittler des zeitgenössischen Kriminalromans. Da er gegen korrupte Polizisten aussagte, wurden ihm zwölf Millionen Dollar zugesprochen. Nachdem er ein Jahr, auch in Europa, untergetaucht war, ist er nun zurückgekehrt und unterstützt mit seinem Geld großzügig die Bewohner seines Wohnviertels. Und nicht nur das: Er bekehrt einen kleinkriminellen Jugendlichen und engagiert ihn, um den Menschen seines Viertels unter die Arme zu greifen. Snow, der Samariter.

Als ihn eine der einflussreichsten Unternehmerinnen der Stadt zu sich bittet, weil ihr dubiose Vorkommnisse aufgefallen sind, fühlt sich Snow allerdings nicht zuständig. Als die Frau kurz darauf tot aufgefunden wird, glaubt Snow im Gegensatz zur Polizei – die ihm natürlich äußerst feindselig begegnet – nicht an Selbstmord und begibt sich auf Wahrheitssuche. Snow, der Schnüffler.

Snow, Sohn eines afroamerikanischen Polizisten und einer mexikanisch-amerikanischen Malerin, hat das Zeug zum Serienhelden, so viel steht fest. Der von Kritikern gezogene Vergleich mit Raymond Chandler wirkt übertrieben. Dazu liegt der Body Count zu sehr auf “Jack Reacher”-Niveau – also hoch.

Der Autor gibt seiner Hauptfigur Snow viele Facetten: Snow, der Samariter. Snow, der Schnüffler. Snow, der unerbittliche Kämpfer für Gerechtigkeit. Stephen Mack Jones ist ein überzeugendes Debüt gelungen, das Lust auf mehr macht. Im Original sind bereits zwei weitere Bände erschienen, bleibt zu hoffen, dass der Tropen-Verlag dran bleibt.

8 von 10 Punkten

Stephen Mack Jones: “Der gekaufte Tod”, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Tropen Verlag, 359 Seiten.

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Candice Fox: Dark

(c) Suhrkamp

Candice Fox und ich. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Als 2016 der massiv gehypte erste Teil der “Hades”-Trilogie erschien, war ich ziemlich enttäuscht: “Für Fans wilder Serienkiller- oder Horror-Thriller ist das wohl das gefundene Lesevergnügen – und vermutlich wird sogar ein Hollywood-Vielteiler daraus. Aber für mich ist das Kapitel erledigt.”

Und tatsächlich habe ich um die Teile zwei und drei einen großen Bogen gemacht. Aber als dann “Crimson Lake”, der Auftakt zu ihrer nächsten Serie, erschien, gab ich der australischen Autorin noch einmal eine Chance. Zum Glück. Denn da erst wurde mir klar, wie gut diese exzentrische Schreiberin wirklich ist. Erbarmungslos schräg und unkonventionell.

Candice Fox ist nicht die feinfühligste Krimiautorin. Sie steht für abgründig, plakativ und schrill. Wer es realistisch mag, sollte die Finger von ihr lassen. Wenn eine verurteilte Mörderin, die einst als Kinderärztin ein vorbildliches Leben geführt hat, mit jener Polizistin (die von ihren Kollegen gemobbt wird, weil sie eine Villa erbt) gemeinsame Sache macht, die sie einst verhaftet hat, dann klingt das nicht gerade wie aus dem Leben gegriffen.

Das vermisste Mädchen, um deren Suche es eigentlich geht, gerät auch rasch in den Hintergrund. Man sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen und auch nicht davon, dass die Australierin den Schauplatz ihrer Geschichte erstmals in die USA verlegt hat. Denn eines kann sie perfekt: spannend unterhalten.

Das beweist sie bereits mit dem ersten Satz: “Ich blickte direkt in die Mündung einer Waffe.” Danach geht es rasant weiter. Man muss nicht alles hinterfragen, was da passiert, sondern sollte sich einfach wohlwollend durch die Geschichte treiben lassen. Das Erzähltalent der Autorin ist unbestreitbar. Da ist nichts verkopft, amüsante Dialoge sind Programm. Und zwischendurch hat sogar eine kleine Maus ihren großen Auftritt.

Auffällig auch: Wie schon in Zoë Becks “Paradise City” spielen Männer hier nur Nebenrollen. Während einem die Mörderin, die Diebin, die Gangsterchefin und die Polizistin ans Herz wachsen, sind Männer hier meist einfach nur Grobiane und Unsympathler. Das ungewöhnliche, selbst anpackende Frauen-Quartett braucht keine heldenhaften Männer.

Kein Wunder also, dass es Fox mit ihrem Buch auch auf Platz 1 der aktuellen Krimi-Bestenliste geschafft hat. Dieser Autorin ist nichts heilig, schon gar nicht irgendwelche Genrekonventionen – und das ist gut so.

8 von 10 Punkten

Candice Fox: “Dark”, übersetzt von Andrea O’Brien, Suhrkamp Verlag, 395 Seiten.

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