Monthly Archives: November 2015

William Shaw: Kings of London

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

William Shaws “Abbey Road Murder Song” war für mich eines der Krimi-Highlights des Jahres 2013. Mit Cathal Breen und Helen Tozer hat Shaw eines der charmantesten Ermittlerpaare der modernen Kriminalliteratur erschaffen.

Was mich am Nachfolger “Kings of London” am meisten beeindruckt: Der Autor geht sehr einfühlsam mit all seinen Figuren um – sie sind bis zur letzten Randfigur extrem differenziert und glaubwürdig gezeichnet. Da gibt es kein Schwarz und Weiß. Das mag wieder einmal auch an der genialen Übersetzung durch Conny Lösch liegen.

In “Kings of London” wird nun in einem abgebrannten Haus die Leiche eines Mannes gefunden. Schon bald stellt sich heraus, dass es sich um den Sohn eines einflussreichen Politikers handelt. Breen und Tozer begeben sich wieder auf die Suche nach der Wahrheit, die nach den Wünschen vieler nicht ans Licht kommen soll. Zwischendurch verliert Shaw die Ermittlungen auch ein wenig aus dem Auge. Er lässt vor allem Cathal Breen, der nach dem Tod seines Vater nur schwer zurecht kommt, alle möglichen privaten Erfahrungen machen. Das schmälert den Lesegenuss aber nicht, im Gegenteil. Seine feine Art der Beschreibung, sein ganz feiner Humor geben dem Buch die richtige Würze. “Kings of London” ist so auch ein gelungener Gesellschaftsroman.

Vor allem mag ich aber Shaws in den 1960er Jahren angesiedeltes Setting in London. Es sind einzigartige Zeitreisen, auf die er den Leser mitnimmt. Frauen im Polizeidienst taugten aus Sicht der Männer damals eigentlich nur zum Befragen von Kindern, sie durften nicht einmal ans Steuer des Dienstwagens. Viele Probleme oder zeitgeistige Erscheinungen der Jetzt-Zeit tauchten schon damals auf: Drogen, Arbeitsmigration und Veganismus.

Seine Wurzeln als Musikjournalist kann Shaw nicht verleugnen. Wie schon im Vorgänger taucht auch hier John Lennon wieder als Randfigur auf – allerdings ohne dass es erzwungen wirkt. Shaw trifft bei mir einen Nerv, ich folge jedem seiner Sätze mit Begeisterung. Da ist wirklich ein großer Könner am Werk.

8 von 10 Punkten

William Shaw: “Kings of London”, übersetzt von Conny Lösch, 472 Seiten, Suhrkamp Nova.

 

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KrimiZeit-Bestenliste November: Ein Abgleich

(c) Limes

(c) Limes

Wieder bin ich spät dran, dennoch werde ich auch diesen Monat meinen KrimiZeit-Abgleich nicht ausfallen lassen. Auf Nummer eins befindet sich mit Fred Vargas eine der besten Kriminalschriftstellerinnen unserer Zeit, wenn ich meiner geschätzten Kollegin Doris Kraus (“Die Guillotine und die Geister”) glauben darf: “Das barmherzige Fallbeil kann alles und mehr, wofür Vargas von ihren Fans geliebt wird. Die Handlung ist bis zum Schluss überraschend und mit den für Vargas typischen schrägen Elementen ausgestattet.” Ich werde ihr Buch trotzdem nicht lesen, weil mich momentan andere Bücher mehr interessieren.

Zum Beispiel William McIlvanneys “Fremde Treue”, dass ich zu Weihnachten lesen werde, wie ich beschlossen habe. Zuvor möchte ich noch unbedingt Ortunos “Die Verbrannten” kennenlernen. Wie bereits erwähnt werde ich aufgrund seines Umfangs James Lee Burkes “Glut und Asche” diesmal auslassen, ich freue mich aber umso mehr auf seinen im Texas des Jahres 1934 spielenden Krimi “Fremdes Land”, der im Mai 2016 erscheinen wird.

Über Friedrich Anis “Der namenlose Tag” (ich tippe auf Platz eins in der KrimiZeit-Jahresliste) hab ich ja zuletzt geschrieben: Leise, lebensnah, lesenswert. Tja, “Spielarten der Rache” von Seamus Smyth hätte ich beinahe enttäuscht weggelegt, ehe ich dann begeistert doch wieder weitergelesen habe. Warum das so war, werde ich demnächst erklären.

Momentan stecke ich gerade mitten in der Lektüre von Dennis Lehanes “Am Ende einer Welt”. Da waren die Krimiblogger bisher nicht so begeistert, aber ich liebe einfach seinen klassischen Erzählstil und generell diese Art von Gangstergeschichten.

Christoph Peters “Der Arm des Kraken” hatte ich überhaupt nicht auf meiner Liste, vielen Dank für diese Tipp, liebe KrimiZeit-Jury. Klingt nach außergewöhnlicher Krimikost.

Die Liste im Überblick:

1 (-) Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil
2 (3) William McIlvanney: Fremde Treue
3 (6) Antonio Ortuño: Die Verbrannten
4 (4) James Lee Burke: Glut und Asche
5 (1) Friedrich Ani: Der namenlose Tag
6 (9) Seamus Smyth: Spielarten der Rache
7 (-) Olivier Bottini: Im weißen Kreis
8 (-) Dennis Lehane: Am Ende einer Welt
9 (-) Christoph Peters: Der Arm des Kraken
10 (10) Michael Fehr: Simeliberg

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Friedrich Ani: Der namenlose Tag

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Bislang war Friedrich Ani einer meiner immer weniger werdenden blinden Flecken der Kriminalliteratur. Dabei genießt er mit seiner Tabor-Süden-Reihe absoluten Kultstatus. Es hatte sich aber einfach nie ergeben, immer wieder kamen mir andere Bücher dazwischen. Doch nun habe ich den hochgepriesenen deutsche Autor endlich kennengelernt – mit einer neuen Reihe, aber von seiner besten Seite. “Der namenlose Tag” ist beste (Kriminal-)Literatur, die auch nach dem Lesen haften bleibt.

Es ist immer wieder eine Freude, wahren Könnern der Schreibkunst zu folgen. Ab Seite eins hatte ich das Gefühl, diesem Mann kann ich bei der Reise, auf die er mich entführt, blind vertrauen. Dieses Gefühl hat man nicht oft. Man kann einfach Sätze schreiben, oder halt kleine Geschichten wie diese erzählen:

“In dem Zimmer, das nie ein Kinderzimmer geworden war, spielte Franck zunächst mit Rubem43, GinaRella, Toby8115, Firegreen und BellaXroma mehrere Runden Online-Poker.”

“In dem Zimmer, das nie ein Kinderzimmer geworden war”. Da passiert sehr viel zwischen den Zeilen. Da muss man nicht seitenlang Stimmung aufbauen. Und Ani schüttelt Sätze wie diese immer wieder ganz lässig aus dem Ärmel.

Zum Inhalt: Jakob Franck, ein Ex-Polizist, muss weit zurück in seine Vergangenheit reisen. Damals, vor 20 Jahren, starb ein Mädchen – Selbstmord. Er überbrachte der Mutter die Todesnachricht (“Die Kollegen riefen ihn an, wenn es eine Todesnachricht zu überbringen galt”) und tat in den darauffolgenden Stunden Dinge, von denen er nie jemandem erzählte. Nun taucht 20 Jahre später der Vater des Mädchens auf, der nicht an einen Selbstmord glaubt. Franck soll den Fall restlos aufklären.

Jakob Franck entpuppt sich als eine Art Trauer-Spezialist, wie sich immer wieder zeigen wird. Manchmal ist seine Einfühlsamkeit zwar schon ein wenig zu viel des Guten, aber es ist faszinierend, mit welcher Ruhe es der feinfühlige Erzähler Ani schafft, Spannung aufzubauen. Und mal ehrlich: Wären alle Menschen so einfühlsam wie Jakob Franck, dann hätten wir weniger Probleme – hmm, aber auch weniger Stoff für Kriminalromane 😉

Fazit: leise, lebensnah, lesenswert.

9 von 10 Punkten

Friedrich Ani: “Der namenlose Tag”, 301 Seiten, Suhrkamp.

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Dror Mishani: Die Möglichkeit eines Verbrechens

diemoeglichkeiteinesverbrechens“Israel ist – nach dem Tod von Batya Gur – wieder da auf der Landkarte der Kriminalliteratur”, hat Elmar Krekeler nach Erscheinen von Dror Mishanis Debüt-Krimi “Vermisst” geschrieben. Kleiner Einspruch: Da gibt es auch noch Liad Shoham (“Tag der Vergeltung”) und Katharina Höftmann, wobei Letztere eine deutsche Autorin ist, die allerdings in Israel lebt. Aber ja, Israel ist aus guter Kriminalliteratur nicht wegzudenken. Und es bedarf auch nicht zentral des Palästina-Konflikts, um einen spannende Geschichte zu erzählen.

Mishani ist kein Mann lauter Töne, wie auch sein neues Buch “Die Möglichkeit eines Verbrechens” eindrucksvoll bestätigt. Er nimmt sich viel Zeit, um Spannung aufzubauen. Diesmal wird vor einem Kindergarten eine Bombenattrappe gefunden. Danach geschieht erst einmal fast nichts. Ich muss zugeben, ich wurde ein wenig ungeduldig: Wann geht es endlich los? Furchtbar, wie konditioniert man als Leser von Spannungsliteratur ist. Doch dieses scheinbare Nichts ist voll gefüllt mit Leben, mit echten Menschen, mit echten Gefühlen, mit vielen kleinen Momenten. Die Nebensächlichkeiten entwickeln irgendwann eine Wucht der kleinen Dinge, der man sich nicht mehr entziehen kann.

Mishani erzählt mit einer ähnlich beeindruckenden Ruhe wie sein deutscher Kollege Friedrich Ani, dessen “Der namenlose Tag” ich kurz davor gelesen habe. Beide Autoren kommen auch hervorragend ohne drastische Schilderungen von Gewalt aus. Das macht ihre Bücher nicht minder spannend, denn die Spannung bezieht sich wie gesagt aus anderen Dingen.

Das führt mich auch zu einem kurzen Exkurs. Ich sehe mich immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob mir das Lesen von Krimis nicht zu fad werde. Man könnte es wohl auch anders formulieren: Wann lese ich endlich “echte” Literatur? Nun ja, das mache ich doch. Ich will nur einfach nichts lesen, was fad ist und bei Kriminalliteratur wird man einfach leichter fündig. Denn gute Literatur muss (für mich, wohlgemerkt) spannend sein. So gesehen ist – wahrscheinlich habe ich das hier eh schon strapaziert – auch Mark Twains “Huckleberry Finn” ein Musterbeispiel für ein Stück absolut gelungener Literatur. Ob man das dann in die Schachtel echte Literatur, Abenteuerroman oder gar Kinderbuch steckt,  ist mir dann schon wieder ziemlich egal.

Eines noch: Ich habe Mishanis ersten Teil nicht gelesen, was nichts macht, aber auch ein wenig schade war. Denn Mishani nimmt stark Bezug auf die Geschehnisse in “Vermisst”. Zwar funktioniert “Die Möglichkeit eines Verbrechens” auch problemlos ohne Vorwissen, dennoch ist die Entwicklung Avi Avrahams sicher chronologisch besser zu lesen. Fazit: Das Buch ist nicht weniger als große, stille Krimi-Kunst.

8 von 10 Punkten

Dror Mishani: “Die Möglichkeit eines Verbrechens”, übersetzt von Markus Lemke, 333 Seiten, Zsolnay.

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Krimis, die man 2015 lesen sollte (X)

(c) S. Fischer

(c) S. Fischer

Als “The Wire”-Liebhaber ist es eigentlich unverständlich, dass ich von Richard Price, der für seine Mitarbeit an der Serie im Jahr 2007 den Edgar Award erhielt, noch nichts gelesen habe. Mit “Die Unantastbaren” wird sich das in Kürze ändern. Ich muss sagen, ich bin voller Vorfreude und hoffe auf ein Buch, das meine sich langsam Gestalt annehmende “Die besten Krimis des Jahres”-Liste noch gehörig durcheinander würfeln wird.

Der Verlagstext: Billy Graves ist ein ruheloser Cop in New York City. Energy-Drinks und Zigaretten halten ihn wach, während er in den frühen Morgenstunden die Blocks abfährt. Wie seine vier Kollegen hat auch er einen »Unantastbaren«, einen skrupellosen Mörder, den er nie dingfest machen konnte. Als einer der Unantastbaren tot aufgefunden wird, beginnt Billy, seine engsten Vertrauten zu verdächtigen. Ein fesselnder New York-Roman, knallhart und gnadenlos gut.

(c) Löcker

(c) Löcker

Die Österreicherin Clementine Skorpil hat bereits 2013 mit “Gefallene Blüten” einen wahrlich außergewöhnlichen, im Shanghai der 1920er Jahre spielenden Krimi geschrieben. Sie sticht damit aus dem momentan boomenden österreichischen Krimi-Geschehen heraus. Denn während sich hier Thriller-Autoren wie Bernhard Aichner und Andreas Gruber etablieren bzw. schon etabliert haben und jeder (halb)humorige Krimi ohnehin weiter für guten Absatz sorgt, geht die Sinologin Skorpil ihren ganz eigenen Weg.

Shanghai 1927: Das Leben ist hart in den Elendsvierteln jenseits des Huang Pu. Da, wo die Hütten der ganz Armen stehen. Wen Pi als Ältester von neun Geschwistern hat zu tun, die ganze Familie satt zu kriegen, mit Betteln und Stehlen und möglichst ohne von der Polizei erwischt zu werden. Einzige Freude: sich in der Gruppe mit der feindlichen Gang zu prügeln. Bis eines Tages der kleine Hu aus der Bande tot ist: erschossen. Und er ist nicht der einzige Junge, der, noch bevor er ein Mann ist, diese Welt verlassen muss. Die Behörden interessieren sich nicht für die Morde. Ohnehin gehören die Chefs zum Teil selbst der örtlichen Triade, der Green Gang, an, und zum anderen überstürzen sich die politischen Ereignisse…

Ein Roman über einen Schelm, der vom Analphabeten zum Intellektuellen wird, ein Krimi, ein Porträt einer Stadt, von der Aldous Huxley meinte, sie sei das pure Leben.

(c) Festa

(c) Festa

Nun wird es ein wenig Trashiger. Mark Greaneys “The Grey Man. Unter Killern” war 2012 als bester Thriller für den Barry Award nominiert und steht seit Jahren im Original bei mir im Regal. Ich habe eigentlich schon nicht mehr an eine deutsche Übersetzung geglaubt. Aber wie schon im Fall von Stephen Hunter (“Nachtsicht”) oder Ben Coes (“Coup d’Etat”, ebenfalls 2012 als Thriller für den Barry Award nominiert) ist der Festa-Verlag immer wieder für Überraschungen gut. Greaney dürfte allen Tom-Cain- und Tom-Wood-Fans gefallen.

Court Gentry ist ein guter Mensch. Und er ist ein perfekter Killer …

Er bewegt sich lautlos von Auftrag zu Auftrag und vollbringt Unmögliches. Er trifft immer sein Ziel – und dann, wie ein Schatten, ist er verschwunden: The Gray Man.

Im Auftrag der Regierung der USA hat Court die blutigen Jobs in Syrien und dem Irak erledigt. Doch zu seinem Entsetzen erfährt er, dass das Team, das ihn retten sollte, ihn nun beseitigen will.

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

Zum Schluss ein alter Bekannter, einer meiner Lieblingsautoren: An Adrian McKintys “Gun Street Girl” wird für mich nach der Lektüre der ersten drei Bände rund um den katholischen Bullen Sean Duffy kein Weg vorbeiführen. Ihr wollt drei Argumente?

  1. Der katholische Bulle
  2. Die Sirenen von Belfast
  3. Die verlorenen Schwestern

😉

Belfast, 1985. Waffenschmuggel an den Grenzen, Aufstände in den Städten, üble Popsongs im Radio. Und mittendrin Detective Inspector Sean Duffy, der sich als katholischer Bulle in der protestantischen Royal Ulster Constabulary durchschlagen muss.

Das wohlhabende Ehepaar Kelly wird brutal ermordet. Kurz darauf entdeckt man am Meeresufer die Leiche ihres Sohnes Michael. Als die Polizei auch noch auf einen Abschiedsbrief stößt, in dem Michael die Tat gesteht, wird die Akte schnell geschlossen. Aber irgendetwas scheint an der Sache faul zu sein, schon bald gibt es weitere Opfer.

Duffy muss ins wenig geliebte englische Nachbarland reisen und in den elitären Kreisen von Oxford ermitteln. Stets an seiner Seite: die MI5-Agentin Kate – wertvolle Informantin und geheime Schwachstelle des katholischen Bullen. Und während sie ihm ein verlockendes Angebot macht, das sein ganzes Leben verändern könnte, gerät Duffy immer tiefer hinein in einen Fall, der ihm mächtige Gegner beschert.

Zu mächtig vielleicht …

 

 

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