Monthly Archives: January 2016

Krimis, die man 2016 lesen sollte (I)

Die ersten Neuerscheinungen des Krimijahres 2016 lassen bereits zwei Schlüsse zu: Erstens, auch das neue Jahr wird reich an außergewöhnlichen Kriminalromanen abseits des Mainstreams sein. Zweitens, ein gutes Händchen wird nötig sein, um bei der Masse an Neuerscheinungen auch die rund “40 richtigen” Krimis zu erwischen 😉 Mehr gehen sich bei mir pro Jahr definitiv nicht aus.

(c) Rowohlt Polaris

(c) Rowohlt Polaris

Vielleicht ist er vermessen oder eine Fehleinschätzung. Aber “In den Straßen die Wut” (ab 22. Jänner im Handel) von Ryan Gattis könnte bereits ein Anwärter auf eine Topplatzierung der besten Krimis des Jahres 2016 sein. Hier klingt bloß die reißerische Bewerbung “Ein Roman wie ein Tarantino-Film” abschreckend. Ansonsten scheinen mir hier alle Zutaten für einen guten Kriminalroman vorzuliegen. Spannendes Setting, realistische Darstellung, geschrieben von einem Mann, der durch Recherche und Glück Insiderwissen erlangte.

Der Verlag schreibt: Sechs Tage im Jahr 1992. Polizisten misshandeln einen schwarzen Bürger und Los Angeles explodiert. Plünderungen, überall brennt es; ein Bürgerkrieg mitten im Herzen der westlichen Welt. Was passiert, wenn die Polizei eine Stadt den Armeen der Gangs überlässt? Rechnungen werden beglichen, noch und noch. Davon erzählt dieser ungeheuerliche Roman. Am Anfang ein unmenschlicher Mord: Wir erleben ihn aus der Sicht des Opfers. Dann kommen andere zu Wort: skrupellose und weniger skrupellose Gangster, rassistische Polizisten, Krankenschwestern, Junkies, jugendliche Mitläufer. Und es entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der der Stärkere den Schwächeren frisst und die sich im Ausnahmezustand gänzlich enthüllt.

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

Nicht viel weniger vielversprechend klingt der Thriller “Der Schwede” (18. Jänner) von Robert Karjel. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt und 20th Century Fox plant bereits eine TV-Serie. Scheinbar dürfte es sich auch um den Beginn einer Serie handeln. Vom 11. September 2001 bis hin zur Tsunami-Katastrophe werden hier tragische Schauplätze der Weltgeschichte verworben. Jetzt muss es halt auch noch halten, was es verspricht.

Der schwedische Geheimagent Ernst Grip wird nach New York gerufen, wo er vom FBI einen ungewöhnlichen Auftrag erhält: Er soll eine geheime Basis im Indischen Ozean aufsuchen, um einen Gefangenen zu verhören. Doch dieser spricht kein Wort – nicht einmal Folter kann ihn zu einer Aussage bewegen. Das Einzige, was das FBI über den Unbekannten weiß, ist, dass er Schwede zu sein scheint. Grip muss all sein Können einsetzen, um das Vertrauen des schweigenden Mannes zu gewinnen. Doch als er schließlich dessen Geheimnis erfährt, gerät Grip selbst ins Kreuzfeuer der internationalen Geheimdienste.

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

Und noch ein Krimi aus dem Haus Blanvalet. Wer meine Vorliebe für dystopische Future-Noir-Thriller kennt, wird verstehen, warum ich mir bei “unfehlbar” von Bruce McCabe ein gutes Stück Spannungsliteratur erhoffe.

San Francisco in der nahen Zukunft: Im Silicon Valley hat eine Technologiefirma Roboter entwickelt, die sich von echten Menschen kaum unterscheiden und ein scheinbar normales Leben führen. Eine wachsende Zahl religiöser und politischer Gruppen verteufelt diesen Fortschritt mit zunehmend radikalen Parolen. Als ein Bombenanschlag die Stadt erschüttert, wird Daniel Madsen beauftragt, den Attentäter zu finden. Er gehört einer kleinen Eliteeinheit des FBI an, die mit neuesten Technologien ermittelt. Madsen bleibt nicht viel Zeit, denn der Täter kann jederzeit erneut zuschlagen. Und er muss abtauchen in eine düstere Welt aus Gewalt, Sex und Korruption.

(c) Polar

(c) Polar

Bei meinem aktuellen Lieblingsverlag Polar erhalte ich die Chance, ein Versäumnis gutzumachen. Ich habe “Dead Money”, den Auftakt von Ray Banks Anfang Jänner 2015 verpasst. Nun ist Anfang Jänner “Saturday’s Child” erschienen. Und: Der Autor ist Schotte – was soll ich da regelmäßigen Lesern meines Blogs noch länger erklären 😉

Cal Innes, eben noch im Gefängnis, versucht sich auf freiem Fuß als Privatermittler ohne Lizenz. Einer seiner ersten Klienten ist ausgerechnet der lokale „Gang-Lord“ Tiernan, der ihn bittet, einen abtrünnigen Rogue-Casino-Dealer aufzuspüren, nachdem dieser mit einem Batzen Geld durchgebrannt ist. Was Innes ein Katz-und-Maus-Spiel mit Tiernans psychotischem, Pillen fressenden Sohn Mo einbringt, der sich ihm an die Fersen heftet, als Innes‘ Nachforschungen ihn von Manchester nach Newcastle führen. Mit Callum Innes, Maurice Tiernan und Mo sind Ray Banks Charaktere gelungen, die in der besten Tradition des British Noir stehen. In einer Welt voller Sozialwohnungen, Pubs und schmuddeliger Casinos, wo jeder nur darauf aus ist, sich über Wasser zu halten. Das spannungsgeladene erste Buch der vierteiligen Reihe um den heruntergekommenen Privatermitt­ler Cal Innes.

(c) Tropen

(c) Tropen

“Der König der Favelas” von Misha Glenny ist eigentlich ein Sachbuch. Aber hier wird die Geschichte eines brasilianischen Drogenbosses erzählt, die es mit der von “El Chapo” aufnehmen kann. Wer Don Winslows “Das Kartell” mochte, wird wohl auch hier nicht vorbeikommen.

Weitläufig und unkontrollierbar sind die Wege der Korruption, weitläufig und unkontrollierbar auch die Favelas von Rio. Genau hier entfaltet sich die tragische Lebensgeschichte eines der berüchtigtsten Drogenbosse des Landes. Im Grunde widerwillig, aber doch auch zielstrebig steigt Nem durch Organisationstalent und Loyalität in der Hierarchie auf, bis er schließlich selbst das Ruder übernimmt und sich an die Spitze einer der größten Verbrecherorganisationen Brasiliens setzt, der Amigos dos Amigos. In seinem glänzend recherchierten und aufregend geschriebenen Buch öffnet uns Misha Glenny die Augen für das soziale Drama Brasiliens. Die Ambivalenz des Menschseins wurde selten so greifbar und packend erzählt.

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Deutscher Krimipreis 2016: Keine Überraschungen

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Der Deutsche Krimipreis 2016 ist vergeben. Vier der sechs ausgezeichneten Bücher finden sich auch auf der KrimiZeit-Bestenliste des Jahres 2015 wieder. Auf der KrimiZeit-Liste befindet sich allerdings Merle Kröger (“Havarie”) vor Friedrich Ani (“Der namenlose Tag”), beim Krimipreis haben die beiden nun die obersten Plätze getauscht. Keine Ahnung, ob das Kalkül war.

Fred Vargas, bei der KrimiZeit mit “Das barmherzige Fallbeil” insgesamt auf Platz drei, hat dafür in der Internationalen Kategorie des Deutschen Krimipreises gewonnen, Richard Price liegt dort mit seinem Polizistenkrimi “Die Unantastbaren” auf Platz acht. Also auch hier keine wirkliche Überraschung.

Was die nationale Kategorie betrifft, finde ich die Wahl sehr zutreffend, auf internationaler Ebene wundert mich ein wenig die Platzierung von Grans “Dope”. Da ich das Buch aber nicht gelesen habe, kann ich es jetzt auch nicht mit anderen vergleichen.

Deutscher Krimipreis, Kategorie national:

  1. Friedrich Ani: “Der namenlose Tag”
  2. Merle Kröger: “Havarie”
  3. Zoe Beck: “Schwarzblende”

Deutscher Krimipreis, Kategorie international

  1. Richard Price: “Die Unantastbaren”
  2. Fred Vargas: “Das barmherzige Fallbeil”
  3. Sara Gran: “Dope”

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KrimiZeit-Bestenliste im Jänner: Ein Abgleich

(c) Limes

(c) Limes

Wenig überraschend findet sich die Französin Fred Vargas auch in der ersten Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste des Jahres 2016 auf Platz eins. Ich persönlich konnte die Weihnachtszeit sowie den Jahreswechsel nutzen, um Richard Prices “Die Unantastbaren” sowie Adrian McKintys “Gun Street Girl” zu lesen. Beide Bücher haben diese hohen Plätze verdient.

In meiner persönlichen Jahresbestenliste 2015 habe ich “Die Unantastbaren” auf Platz eins gereiht. Die Rezension folgt hier hoffentlich in Kürze, ebenso wie die von “Gun Street Girl”, das ich nachträglich auf die Spitzenposition gereiht hätte (wie bereits in meinem letzten Beitrag erwähnt).

Was noch auffällt: Südafrika ist mit Nunn, Mendelson und Meyer gleich dreifach vertreten. Das ist bei mir ein ziemlich blinder Fleck. Schon oft wollte ich zugreifen, habe aber dann doch andere Krimis gelesen. Und ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich momentan bereit dafür bin, zumal ich hier in Kürze wieder spannende Neuerscheinungen vorstellen werde, die mich um noch einen Tick mehr interessieren. Und auch Karin Slaughters “Cop Town” oder Tito Topins “Exodus aus Libyen” würde ich wohl eher vorziehen. Aber Lesevorlieben ändern sich ja bekanntlich.

Die Liste im Überblick:

1 (1) Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil (Limes)
2 (2) Richard Price: Die Unantastbaren (S. Fischer)
3 (7) Adrian McKinty: Gun Street Girl (Suhrkamp)
4 (3) Oliver Bottini: Im weißen Kreis (Dumont)
5 (-) Malla Nunn: Tal des Schweigens (Ariadne)
6 (-) Tito Topin: Exodus aus Libyen (Distel Literaturverlag)
7 (8) Jeong Yu-jeong: Sieben Jahre Nacht (Unionsverlag)
8 (-) Karin Slaughter: Cop Town (Blanvalet)
9 (-) Paul Mendelson: Die Unschuld stirbt, das Böse lebt (Rowohlt Polaris)
10 (9) Deon Meyer: Icarus (Rütten & Loening)

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Drei Jahre crimenoir!

Schon wieder ist ein Jahr vorbei, und das Krimi-Bloggen macht immer noch Spaß. Aber immer noch gibt es Situationen, die mich vor neue Herausforderungen stellen: Was tut man etwa, wenn man die persönliche Jahresbestenliste 2015 schon veröffentlicht hat und in den ersten fünf Tagen des neuen Jahres dann den besten auf Deutsch erschienen Krimi des Vorjahres liest? Dilemma!

Tja, ich lasse meine Liste jetzt unverändert, weil der Autor mit einem anderen Buch dort ohnehin vertreten ist. Und was liegt, das pickt, sagt man doch so schön. Aber ich will euch natürlich nicht vorenthalten, welchem Crime-Könner ich hier in Kürze die volle Punktzahl vergeben werde (was ich übrigens sonst bei keinem Krimi 2015 getan habe, aber immerhin waren viele 8- und 9-Punkte-Bücher dabei):

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

Adrian McKintys “Gun Street Girl” – Teil vier der Sean-Duffy-Serie – ist Kriminalliteratur in seiner schönsten Form. McKinty hat es damit tatsächlich geschafft, sich noch einmal zu steigern. Wo nimmt dieser Mann bloß die Geschichten her?

Ich weiß, ich habe den Schmäh schon einmal gemacht, aber wenn ihr drei Gründe wissen wollt, warum Adrian McKintys Sean-Duffy-Serie so lesenswert ist, hier sind sie:

Der katholische Bulle

Die Sirenen von Belfast

Die verlorenen Schwestern

Und dann lasse ich McKinty noch selbst sprechen, indem ich kurz aus seinem Buch zitiere:

“Grüne Weiden. Wälder. Kirchtürme. Die Ortsnamen an den Abfahrten: Horton-cum-Studley, Weston-on-the-Green. Das war nicht England, das war verfluchte Rosamunde Pilcher.”

Zum Schluss will ich auf die erkennbaren Krimitrends des Vorjahres eingehen:

  • Kriminalliteratur bleibt aus meiner Sicht “die große moralische Literatur”, wie schon Jean-Patrick Manchette einst feststellte. Merle Krögers “Havarie” und Antonio Ortuños “Die Verbrannten” sind das beste Beispiel.
  • Haupttatort war zweifellos Mexiko (“Das Kartell”, “Angel Baby”, “Kojoten” etc. etc.) – passend, dass vor wenigen Stunden “El Chapo” (Winslow-Fans nennen ihn Adan Barrera :-)) wieder gefasst wurde. Mal sehen, wieviel Zeit diesmal bis zum nächsten Ausbruch vergeht.
    https://twitter.com/donwinslow/status/685607993447022592
  • Das Genre ist vielseitig wie selten zuvor: Ob historische Krimis (“Kings of London”, “Die Entführung der Delia Wright”) oder futuristische Thriller (“Feindesland”) – für jeden ist etwas dabei.
  • Aufsteiger-Verlag des Jahres: Polar. Jede Neuerscheinung dieses kleinen Verlags ist lesenswert. Hier schafft man den Spagat zwischen Klassikerpflege (“Cutter und Bone”) und der Neuentdeckung neuer, junger Autoren wie Ben Atkins und Jeremie Guez.
  • Die Pflege von Krimiklassikern (“The Hunter”, “Miami Blues”) hat überhaupt wieder einen höheren Stellenwert. Bereits “vergessene” Krimautoren wie James Lee Burke und William McIlvanney finden sich in engagierten Verlagsprogrammen (Antje Kunstmann, Pendragon) wieder. Klein- und Kleinstverlage leisten hier wirklich Außergewöhnliches.
  • Sehr positiv: Auch die österreichische Krimilandschaft zeigt sich erfrischend vielseitig. Es muss nicht mehr nur lustig sein. Bernhard Aichner, Clementine Skorpil, Thomas Raab, Andreas Pittler, Andreas Gruber – ein Genre, ganz verschiedene Welten.

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Wallace Stroby: Kalter Schuss ins Herz

kalterschussinsherzWallace Stroby hat mit “Kalter Schuss ins Herz” einen Kriminalroman geschrieben, der ganz in der Tradition von Richard Starks Kultfigur des knallharten Berufsverbrechers und Antihelden Parker (Starks Parker-Erstling “The Hunter” wurde übrigens Anfang 2015 in einer schönen Ausgabe neu aufgelegt) steht.

Garry Disher hat mit Wyatt (zuletzt ist “Dirty Old Town” im Pulp Master Verlag auf Deutsch erschienen) bereits so etwas wie einen australischen Cousin Parkers erfunden, nun liefert Stroby mit Crissa Stone eine weitere Variation: Sie könnte Parkers kleine Schwester sein. Der Autor erzählt dabei ebenso schnörkellos wie seine beiden Vorbilder und liefert einen feinen, traditionsbewussten Hardboiled-Krimi. Strobys Buch läuft aber nie Gefahr, sich wie das Werk eines uninspirierten Nachahmungsschreibers zu lesen.

Sehr fein sind auch das Vorwort des Autors sowie das Nachwort von Alf Mayer, der den Krimi übrigens auch übersetzt hat. Das hilft gut, das Buch im Genre einzuordnen. So erklärt Stroby, dass er “über eine Hommage hinaus zu etwas Originärem” gelangen wollte. “Anders als bei den traditionell männlichen einsamen Wölfen, den Protagonisten der Hardboiled-Literatur, wollte ich, dass Crissa Beziehungen hat, dass sie Bündnisse eingeht, dass die Ereignisse ihre Spuren hinterlassen und dass sie nur im äußersten Fall zu Gewalt als Lösung greift.” Beim Lesen fühlte ich mich auch an die Settings von George V. Higgins (“Die Freunde von Eddie Coyle”, “Ich töte lieber sanft”) erinnert – kein Zufall wie aus dem Interview mit Stroby im Nachwort ersichtlich wird.

Es ist noch nicht alles ganz rund bei Crissa Stone, aber ich setzte all meine Hoffnungen auf den engagierten Pendragon Verlag, der nun auch James Lee Burkes Robicheaux-Reihe fortsetzt. Die nächsten Stone-Bücher müssen einfach übersetzt werden. Alles andere wäre ein Verbrechen 😉

8 von 10 Punkten

Wallace Stroby: “Kalter Schuss ins Herz”, übersetzt von Alf Mayer, 352 Seiten, Pendragon Verlag.

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Die zehn besten Krimis des Jahres 2015

Das alte Jahr ist vorbei und ich freue mich auf all die Krimineuerscheinungen des neuen Jahres. Ich will aber kurz zurückblicken: 2015 war ein spannendes Jahr, das tolle Kriminalliteratur hervorgebracht hat. Wieder durfte ich neue Autoren entdecken und altbekannte Meister genießen. Die Flop-Quote von zwei Büchern (“Trigger Mortis”, “Freedom’s Child”) war bei rund 40 gelesenen Krimis eher gering. Nicht in meine Top-10 hat es zwar Lee Child geschafft, dessen Jack-Reacher-Reihe habe ich jedoch begeistert für mich entdeckt. Nun aber los:

(c) Tropen Verlag

(c) Tropen Verlag

Platz 10: “Der Wintertransfer”

Das hat mich vielleicht am meisten überrascht. Ein Fußballkrimi hat es in meine Liste geschafft. Ich habe es zwar noch immer nicht geschafft, Philip Kerrs historische Bernie-Gunther-Reihe kennenzulernen, dafür hat mich dieser bissige und bitterböse Krimi am falschen Fuß erwischt und schwindling gespielt. Kerr prangert die Kommerzialisierung des Sports an, ist dabei aber so erfrischend unterhaltsam. Moralischen Zeigefinger erspart er sich auch.

Kerr beweist sich damit zweifellos als einer der vielseitigsten (man darf hier nicht vergessen, seine Wissenschaftsthriller “Das Wittgensteinprogramm” und “Game over” zu erwähnen) Autoren des Genres. Er schreibt zwar in Serie, aber in verschiedenen Sub-Genres, Hut ab.

Die frohe Botschaft: Kerr geht in die Verlängerung: Teil zwei der Serie rund um Trainer und Ermittler Scott Manson, “Die Hand Gottes”, wird im März 2016 erscheinen. Ich bin dann wieder im Stadion mit dabei!

(c) Heyne Hardcore

(c) Heyne Hardcore

Platz 9: “Feindesland”

Noch so eine Überraschung. Adam Sternberghs “Spademan” war 2014 für mich eine der großen Enttäuschungen. Doch irgendwie schaffte es “Feindesland” auf meinen Bücherstapel und ich begann das Buch eigentlich eher widerwillig zu lesen, weil gerade nichts anderes da war. Wie in seinem Debüt fesselte mich die Geschichte rasch, doch bei “Spademan” war zur Halbzeit irgendwie die Luft raus: Das viele unnötige Blutvergießen. Nur ein futuristisches Setting reichte da nicht aus, mir war das zu glatt. Zu konventionell und pseudomoralisch.

Das düstere Setting dieses “Future Noir”-Romans fasziniert: Immer noch fliehen die Menschen New Yorks angesichts des allgegenwärtigen Terrors aus der Realität und klinken sich, in Betten liegend, in die sogenannte Limnosphäre ein.

Auch für Fans dieses Future-Genres gibt es gute Nachrichten. 2016 werden Nathans Larsons Trilogie-Abschluss “Zero One Dewey” oder Bruce McCabes “unfehlbar” erscheinen.

(c) Löcker

(c) Löcker

Platz 8: “Guter Mohn, du schenkst mir Träume”

Das ist der aus meiner Sicht beste österreichische Krimi des Vorjahrs (ich habe aber Thomas Raabs “Still” nicht gelesen!). Vor allem zeigt das Buch auch, wie beeindruckend vielseitig die österreichische Krimilandschaft geworden ist.

Selten bin ich so begeistert in eine mir fremde Welt abgetaucht. In diesem Fall in das Shanghai der 1920er Jahre. China hat mich bislang nicht so wirklich interessiert, doch Skorpil ist es gelungen, dass sich das geändert hat. Es ist faszinierend, Dinge, die heute selbstverständlich sind, aus der Sicht einer alten Chinesin oder eines ungebildeten, deshalb aber noch lang nicht dummen chinesischen Jugendlichen von damals wahrzunehmen.

Skorpil versteht es, charmante, lebensechte Dialoge und Szenen zu entwerfen. Sie erzählt ohne Hast, es dauert daher ein bisschen, bis sich der Sog ihrer Geschichten so richtig entfalten kann. Gleichzeitig sind ihre Bücher kleine Zeitreisen, die auch von dem Spannungsfeld Kommunismus vs. Kapitalismus leben.

(c) suhrkamp nova

(c) suhrkamp nova

Platz 7: “Die verlorenen Schwestern”

Adrian McKinty ist einer meiner Lieblingsautoren. Auch 2015 konnte er mich mit Teil drei seiner Serie rund um den katholischen Ermittler Sean Duffy begeistern.

Diesmal greift McKinty, der sich der Krimitraditionen bewusst ist, auf ein klassisches Stilelement des Kriminalromans zurück: Das Rätsel des verschlossenen Raums (in der Tradition von Edgar Allan Poe – “Der Doppelmord in der Rue Morgue”). Denn eine Frau ist in einem geschlossenen Lokal ums Leben gekommen. Eigentlich kann es nur ein Unfall gewesen sein – oder doch nicht? Duffy muss dieses Rätsel lösen, ehe sich seine Informantin bereit erklärt, den Aufenthalt eines flüchtigen IRA-Terroristen zu verraten.

Ich habe übrigens soeben begonnen, “Gun Street Girl”, Teil vier der Serie, zu lesen. Viele Krimiblogger haben dieses Buch in ihre Jahresliste aufgenommen. Vielleicht ist “Die verlorenen Schwestern” also nur ein Platzhalter für eine noch bessere Platzierung 😉

(c) Kunstmann

(c) Kunstmann

Platz 6: “Die Verbrannten”

Antonio Ortuños Buch ist einer der wichtigsten Kriminalromane des Vorjahres. Er befasst sich mit der Flüchtlingsproblematik und schildert das Schicksal von Zentralamerikanern, die im Transitland Mexiko stranden. Ja, nicht nur in Europa gibt es ein Flüchtlingsproblem, wie man leider allzu leicht vergisst. Immer wieder stellt der Autor die an Tragik kaum zu übertreffenden Geschehnissen den kalten, floskelhaften und nichtssagenden Presseaussendungen der zuständigen Behörde für Migration gegenüber.

Das Buch des Mexikaners tut weh – im besten Sinne. Teilweise ist es nur sehr schwer erträglich. All diese furchtbaren Dinge, die auf nicht einmal 250 Seiten geschehen, lassen den Leser nur schwer los. Schonungslos öffnet uns Ortuño die Augen und zwingt uns, hinzusehen.

Nur ein Buch hat mich 2015 mehr verstört: Seamus Symths “Spielarten der Rache”. Die Rezensionen zu den beiden Büchern folgen in Kürze.

sturmueberneworleansPlatz 5: “Sturm über New Orleans”

In fast allen Krimi-Jahresbestenliste taucht James Lee Burke auf. Allerdings mit “Glut und Asche”, der Fortsetzung von “Regengötter”. Allein aufgrund des Umfangs des Buches habe ich dieses aber im Vorjahr nicht gelesen. Zudem war ich mir nicht sicher, ob ich mir ein zweites Mal die Figur des faszinierenden, aber furchtbaren Killers Preacher zumuten will.

Auf meine Bestenliste hat es Burke dennoch geschafft. “Sturm über New Orleans” hat mir auch endlich Einblick in die Welt des legendären Ermittlers Dave Robicheaux geöffnet. Burkes Krimi verleiht all den stummen Opfern der hausgemachten Flutkatastrophe vor zehn Jahren eine Stimme. Er macht begreifbar, wie Moral und Anstand auch in der Stunde größten Elends überleben können – oder eben nicht.

Und auch hier gibt es gute Nachrichten im Doppelpack. Im Februar erscheint im Pendragon Verlag der Robicheaux-Krimi “Mississippi Jam”. Im Mai wird dann “Fremdes Land” bei Heyne Hardcore erscheinen, dieser Krimi spielt im Texas des Jahres 1934.

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Platz 4: “Havarie”

Die KrimiZeit-Jury hat dieses Buch auf Platz eins der Jahresbestenliste gewählt. Viele meinen, dass es sich bei Merle Krögers “Havarie” eigentlich gar nicht um einen Kriminalroman handelt. Mag sein, na und? Gut ist ihr Buch – und das zählt.

Kröger befasst sich mit dem Flüchtlingsdrama vor Europas Küsten, die zu einem Burggraben der Festung Europas geworden sind. Kröger erzählt schonungslos, aber niemals anklagend über die tagtäglichen Dramen im Mittelmeer. Sie gibt den Menschen auf den dünnen Schlauchbooten Namen sowie Vergangenheit und macht damit ihre Geschichten begreifbar. Kröger beschränkt sich aber nicht auf die Menschen im Schlauchboot, sondern erzählt auch von Menschen auf einem Frachter, einem Rettungsschiff sowie einem Kreuzfahrtschiff – aus insgesamt elf Perspektiven. Es ist ein mosaikhafter und fesselnder Roman, der nicht kaltlässt.

Ortuño und Kröger zeigen also, wozu moderne Kriminalliteratur fähig ist. Das Genre ist schon lange nicht mehr trivial, sondern moralisch, wie diese beiden Bücher beweisen. Moralisch, aber ohne erhobenen Zeigefinger, muss man noch ergänzen.

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

Platz 3: “Kings of London”

William Shaw hat sich mit nur zwei Büchern in mein Herz geschrieben. Seine Charaktere sind so authentisch und lebensecht wie kaum bei jemand anderem. “Kings of London” ist der zweite Teil einer Trilogie, hat aber keine der allbekannten Mittelteilschwächen.

Mit Cathal Breen und Helen Tozer hat Shaw eines der charmantesten Ermittlerpaare der modernen Kriminalliteratur erschaffen. Der Autor geht sehr einfühlsam mit all seinen Figuren um – sie sind bis zur letzten Randfigur extrem differenziert und glaubwürdig gezeichnet. Zwischendurch verliert Shaw die Ermittlungen auch ein wenig aus dem Auge. Er lässt vor allem Breen, der nach dem Tod seines Vater nur schwer zurecht kommt, alle möglichen privaten Erfahrungen machen. Das schmälert den Lesegenuss aber nicht, im Gegenteil. Seine feine Art der Beschreibung, sein ganz feiner Humor geben dem Buch die richtige Würze. “Kings of London” ist so auch ein gelungener Gesellschaftsroman.

“History of Murder”, Teil 3 der Serie, erscheint im August 2016.

(c) Diogenes

(c) Diogenes

Platz 2: “Am Ende einer Welt”

Dennis Lehane ist auch einer meiner absoluten Lieblingsautoren. Bereits “In der Nacht” landete auf Platz zwei meiner Jahresbestenliste 2013. Nun schafft er es also wieder auf den zweiten Platz. Man kann “Am Ende einer Welt” vielleicht vorwerfen, eine Art Klon des Vorgängers zu sein, aber das stört mich nicht. Ich mag einfach dieses altmodische Gangster-Genre.

Spielte der Vorgänger während der Prohibitionszeit in ihren Endzügen, hat der US-Autor die Handlung nun ins Jahr 1943 verlegt. Mafioso Jack Coughlin hat sich nach dem tragischen Tod seiner Frau aus der ersten Reihe der Mafia zurückgezogen, zieht aber immer noch im Hintergrund die Fäden. Dennoch scheint ihm jemand nach dem Leben zu trachten. Lehane beweist sich damit erneut als Meister des historischen Gangsterkrimis.

Ich mag einfach Erzähler wie Lehane, die es schaffen, eine Geschichte schnörkellos ohne großes Tam-Tam und falschen Zauber von A nach B zu bringen. Manchmal liegt in diesem auf den ersten Blick simplen Können die größte Meisterschaft.

(c) S. Fischer

(c) S. Fischer

Platz 1: “Die Unantastbaren”

“The Wire”- Miterfinder Richard Price ist es tatsächlich gelungen: Das von mir zuletzt gelesene Buch 2015 war tatsächlich mein persönliches Highlight. Ich tue mir noch ein bisschen schwer, das in konkrete Worte zu fassen. Ich brauche fast noch ein wenig Abstand.

Aber nur so viel: Im Zentrum seines aus Polizistensicht geschilderten Buchs stehen die Themen Anständigkeit, Loyalität und Freundschaft angesichts des Versagens von Gerechtigkeit. Die zentrale Frage: Wie weit bin ich bereit zu gehen, wenn Mörder weiterhin ihr Unwesen treiben können, weil sie dem juristischen System ausgekommen sind? Price hat daraus einen fesselnden Kriminalroman gemacht. Großartig. Er erzählt viel über das Menschsein an sich. Auch er braucht kein Blendwerk, keine Effekthascherei. Er bleibt ganz dicht bei seinen Charakteren, seiner Geschichte. Wer so erzählen kann, solche Dialoge formulieren kann, der hat unnötigen Firlefanz nicht nötig.

Fest steht auch: Ich muss möglichst rasch eines seiner alten Bücher lesen. “Cash” oder “Clockers”

 

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