Monthly Archives: November 2014

Shane Kuhn: Töte deinen Chef

toetedeinenchefDie Leserin hat erst vor wenigen Tagen dazu aufgerufen, doch mehr Verrisse zu schreiben. Hier kommt ein solcher: Das beste an “Töte deinen Chef” ist das Cover. Was dann auf 319 Seiten folgt,  liest sich wie zu Worten geformter Hollywood-Teenie-Kitsch am laufenden Band. Shane Kuhns Buch soll wohl cool und voll schwarzem Humor sein – für mich ist es einfach nur daneben. Oder was fangt ihr mit Sätzen wie diesen an:

“Ich werde diesen kalten Nadelstreifenfisch schon an den Haken nehmen und noch vor Ablauf des Monats meine Cheesburger im Paradies vertilgen.”

“Nachdem er fünfzehn Minuten lang seine Willy-Wonka-Nummer abgezogen hatte, injizierte ihm unser zu kurz geratener Agent eine Dosis Adrenalin und Viagra, die sein kokain-vernarbtes Herz explodieren ließ und ihm eine Erektion bescherte, die der Leichenbestatter von einem eigens bestellten Waldarbeitertrupp fällen lassen  musste.”

Da konnte diesmal nicht einmal Übersetzerin Conny Lösch – die sonst Kapazunder wie Don Winslow, Ian Rankin, William McIlvanney, Howard Linskey und Eoin Colfer übersetzt – etwas daran ändern. “Töte deinen Chef” könnte auch “Töte deine Nerven” lauten, das wäre treffend. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich das Buch wirklich bis zum Ende gelesen habe. War wohl eine Art Faszination des Grauens.

Unglaublich auch die Bombardierung mit Anspielungen auf irgendwelche Filme. Und das fast auf jeder zweiten Seite. Das macht das Buch so richtig infantil. Wenn man zu jeder Gelegenheit eine Film-Analogie auspackt, ist das eigentlich ein Armutszeugnis.

Falls es jetzt noch irgendjemanden interessiert, worum es geht: John Lago ist ein Killer, der sich als Praktikant in Firmen einschleust, um dann dort unauffällig zu morden (so unauffällig ist der Super-Profi dabei aber auch wieder nicht). Nun will der 25-jährige Lago in Rente gehen und seinen letzten Job erledigen. Dann kommt aber natürlich alles anders als erwartet … Erzählt wird das großteils anhand eines “Leitfadens für Praktikanten”, verfasst von John Lago.

Mein Tipp: Finger weg. Außer ihr wollt lesen, wie man ein Buch nicht schreibt. Dann kann man es sogar als Leitfaden verwenden.

Damit vergebe ich erstmals:

1 von 10 Punkten

Shane Kuhn: “Töte deinen Chef”, übersetzt von Conny Lösch, 319 Seiten, Dumont.

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Don Winslow: Missing. New York

(c) Droemer

(c) Droemer

Die von mir sehr geschätzten Krimikritiker Thomas Wörtche und Marcus Müntefering bezeichnen Don Winslow nach der Lektüre seines aktuellen Buches “Missing. New York” als reaktionär. Das kann man hier und hier nachlesen. Sie mögen beide irgendwo recht haben, während des Lesens ist mir das aber nicht aufgefallen. Ich habe schon erwähnt, dass ich das eigentliche Problem mit Winslow in der hohen Erwartungshaltung sehe: Winslow, Autor von “Tage der Toten” und anderen Genre-Meisterwerken, darf einfach keinen durchschnittlichen Thriller schreiben.

Doch “Missing. New York” ist genau das. Ein durchschnittlicher Thriller. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als Leser rast man durch die Geschichte und bleibt am Ende mit einem etwas leeren Gefühl zurück – wobei ich hier sagen muss, dass das mein allgemeines Problem mit klassischen Thrillern ist: Diese Leere danach. Dennoch werde ich ohne Zögern auch Band zwei (bei seiner Lesung in Wien offenbarte Winslow, bereits die Plots für sechs weitere Bände entwickelt zu haben) der Serie rund um den Ex-Polizisten Frank Decker lesen. Winslow mag nicht so glänzen, nicht so brillant sein, wie man es von ihm gewohnt ist. Und: Ja, es ist ein wenig altmodisch, es fehlt auch die Raffinesse. Dennoch hat mir sein Buch Spaß gemacht. Winslow muss nicht jedesmal Maßstäbe setzen und das Genre neu definieren, es reicht auch, mich gut zu unterhalten.

Wenn der Cowboy auf Detektiv umsattelt

Interessant finde ich, dass Winslow seinen Frank Decker in einer Noir-Tradition sieht, die seiner Ansicht nach aus dem Western-Genre hervorgeht. Er wollte mit Decker also eine Art Hommage an diese beiden Traditionen schreiben. Winslow hält es laut “Süddeutsche Zeitung” für keinen Zufall, dass der Hardboiled-Krimi in Kalifornien entstanden ist: “Auf seinem Weg zur Frontier sei der Cowboy vom Meer aufgehalten worden und habe auf Detektiv umsatteln müssen. Beide, Cowboy und Detektiv, folgten jedoch demselben Moralkodex”. Das ist eine These, mit der man sich einmal genauer beschäftigen sollte.

Süddeutsche-Autor Christopher Schmidt erfreut sich übrigens auch an den “metaphorischen Verneigungen vor den Noir-Vätern im Philip-Marlowe-Gedächtnis-Stil”, an denen sich die restlichen Kritiker eher stoßen. Faszinierend einmal mehr, wie unterschiedlich man Bücher lesen kann.

Ich persönlich glaube ja, dass sowohl das zu Jahresbeginn erschienene und durch die Bank verrissene Militärdrama “Vergeltung” sowie die Frank-Decker-Reihe für den Autor willkommene Ablenkung und Entspannung abseits seines Großprojekts “Power of the dog II” geboten haben, an dem er (wie schon bei “Power of the dog”) rund fünf Jahre herumtüftelte. Aber im Juni 2015, wenn “Jahre des Jägers” (so der deutsche Titel) erscheint, wissen wir mehr.

6 von 10 Punkten

Don Winslow: “Missing. New York”, übersetzt von Chris Hirte, 395 Seiten, Droemer.

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Krimipreis-Reigen: Barry, Anthony und Shamus vergeben

(c) Atria Books

(c) Atria Books

Vor wenigen Tagen sind wieder die neben dem Edgar wichtigsten US-Krimipreise im Zuge der Bouchercon-Veranstaltung (dem wohl größten Krimi-Kongress) vergeben worden: Barry Award, Anthony Award und Shamus Award. Ich will mich hier vor allem den Barry- und Anthony-Preisträgern widmen, da mir die heurigen Shamus-Preisträger relativ wenig sagen. Wer aber mehr wissen will, kann hier ein wenig schmökern. Ich werde meinen Fokus vor allem auf im deutschsprachigen Raum bekannte Autoren legen.

Der große Gewinner zählt übrigens nicht dazu: William Kent Krueger – von dem bislang nur “Indianischer Winter” (2000) auf Deutsch übersetzt wurde – hat mit “Ordinary Grace” sowohl in der Hauptkategorie bei den Barry- als auch den Anthony-Awards gewonnen. Ihm ist damit in einem Jahr ein unglaubliche Hattrick gelungen, denn er hatte damit bereits im Mai den begehrten Edgar erhalten. Da eine Publikation des Buches auf Deutsch bislang bei keinem Verlag geplant ist, werde ich die Lektüre demnächst wohl im Original beginnen. Ich bin echt schon gespannt.

Zur Erinnerung noch einmal, was der Verlag über das Buch schreibt: New Bremen, Minnesota, 1961. The Twins were playing their debut season, ice-cold root beers, were selling out at the soda counter of Halderson’s Drugstore, and Hot Stuff comic books were a mainstay on every barbershop magazine rack. It was a time of innocence and hope for a country with a new, young president. But for thirteen-year-old Frank Drum, a preacher’s son, it was a grim summer in which death visited frequently and assumed many forms. Accident. Nature. Suicide. Murder.

Told from Frank’s perspective forty years later, Ordinary Grace is a brilliantly moving account of a boy standing at the door of his young manhood, trying to understand a world that seems to be falling apart around him. It is an unforgettable novel about discovering the terrible price of wisdom and the enduring grace of God.

Barry Award

Krueger hat in der Hauptkategorie “Best Novel” Konkurrenz wie Ian Rankin (“Mädchengrab”), Robert Crais (“Suspect”, auf Deutsch noch nicht erschienen) und Jussi-Adler Olssen ausgestochen.

(c) suhrkamp nova

(c) suhrkamp nova

Besonders freut mich, dass Adrian McKinty mit “Die Sirenen von Belfast” den Preis in der Kategorie “Best Paperback Original” gewonnen hat. Er stach damit auch Gene Kerrigans 2012 mit dem Golden Dagger ausgezeichneten Krimi “Die Wut” aus.

Als bester Newcomer wurde Barry Lancet mit seinem auf Deutsch erhältlichen “Japantown” ausgezeichnet. Diesen Krimi hatte ich bisher gar nicht auf meinem Radar. Lancet setzte sich damit auch gegen Becky Masterman (“Der stille Sammler”) und Derek B. Miller (“Ein seltsamer Ort zum Sterben”) durch.

Als bester Thriller wurde Taylor Stevens für den dritten Teil der Mission-Munroe-Serie (“Die Geisel”) geehrt. Er setzte sich damit auch gegen Roger Hobbs “Ghostman”, Stuart Nevilles “Der vierte Mann” (lese ich gerade!), Mick Herrons “Dead Lions” (mit dem er 2013 den “Golden Dagger” gewann, bislang leider keine deutsche Übersetzung geplant) und Jason Matthews “Operation Red Sparrow” durch, das im Jänner 2015 erscheint.

Anthony Award

(c) Goldmann

(c) Goldmann

Bei den Anthonys hat Krueger in der Hauptkategorie “Best Mystery” unter anderem Hank Phillippi Ryan mit seinem Buch “Schwarze Wahrheit” ausgestochen, das im Mai 2015 auf Deutsch erscheinen soll.

Als Newcomer wurde Matt Coyle mit seinem Krimi “Yesterday’s Echo” ausgezeichnet. Er hat sich damit gegen die bereits erwähnten Roger Hobbs und Becky Masterman durchgesetzt.

Tipp: “Stop, You’re Killing me!”

Für alle die es interessiert, auf der soeben von mir entdeckten Webseite “Stop, You’re Killing me!” findet ihr übersichtlich alle wichtigen Crime-Fiction-Awards für englischsprachige Kriminalliteratur (inklusive Gewinner und Nominierte) aufgelistet. Schaut rein!

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Don Winslow Spezial (II): Wien ist peinlich

Wenn Don Winslow in Wien liest, ist das etwas Besonderes. Bloß die Veranstalter der “Buch Wien” hatten den Krimiautor als lieblosen Lückenfüller zwischen der heimischen Band Attwenger und dem heimischen Erfolgsautor Daniel Glattauer eingeplant. Kabarettist und Moderator Florian Scheuba hatte keine Ahnung, mit welchem Ausnahmeautor es da zu tun hatte. Das offenbarte er gleich mit seiner dümmlichen Einstiegsfrage: Ob Winslows Hauptfigur Frank Decker in seinem Buch “Missing. New York” eine “Referenz an Phil Decker von Jerry Cotton” sei – “oder kennen Sie den nicht?” Von Kriminalliteratur weiß Scheuba offenbar nichts, wenn seine erste Assoziation die Jerry-Cotton-Billighefte sind.

Frage zwei war auch nicht viel besser: Was habe Winslow dazu getrieben nach Neal Carey nun erneut eine neue Seriefigur zu erfinden – als hätte es all die anderen genialen Bücher seit 1996, damals endete nämlich die Neal-Carey-Reihe, nicht gegeben. Scheuba hat wohl noch nie etwas von “Tage der Toten”, “Satori”, “Zeit des Zorns”, “Kings of Cool”, “Frankie Machine”, “Death and Life of Bobby Z” sowie “Sprache des Feuers” gehört.

Winslow antwortete, er habe einen Noir-Krimi mit Ich-Erzähler – der “classic voice of noir fiction” – schreiben wollen. Seiner Ansicht stamme der moderne Detektivroman in den USA aus der Tradition des Western. Daher wollte er eine Figur erschaffen, die aus dem Mittleren Westen der USA komme. Sein Buch sei daher auch eine Hommage an diese beiden Traditionen. Interessant auch, dass Winslow meinte, bereits sechs Geschichten rund um Frank Decker entwickelt zu haben.

“Character ist just about everything in Crime Fiction”

Dann wurde es leider erst so richtig peinlich. Die Übersetzerin verstand Winslow falsch. “When I start out, i don’t start out with story, i start out with character”, erklärte Winslow. “I won’t start writing the character until he starts talking to me. So I think that character is just about everything in crime fiction.” Er wolle Charaktere schaffen, mit denen die Leute “wanna be with, wanna hang out with”. Er beginne also nicht zu schreiben, solange er seinen Charakter nicht kenne.

Und was machte die Übersetzerin daraus? “Er fängt erst mit dem Charakter seiner Hauptfigur an, wenn er die Story schon hat. Er fängt also eigentlich mit der Story an und der Charakter komme erst dann raus.” Uff, Sprachlosigkeit – nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Zuhörern im Publikum.

Und dann legte Scheuba erneut nach. Da in Winslows Buch ein weißer Van vorkommt, wolle er wissen, ob Winslow auch in Österreich recherchiert habe – in Anspielung auf den Fall Kampusch. “No”, sagte der verwirrte Autor. “Wir sind sehr froh darüber, dass Sie beim Thema Kindesmissbrauch nicht an Österreich denken”, meinte daraufhin Scheuba fast scherzend. Unprofessioneller geht es eigentlich kaum. Hier einen künstlichen Österreich-Bezug herzustellen, grenzt an Geschmacklosigkeit. Als wäre Kindesmissbrauch kein globales Phänomen…

Und mit der nächsten Frage offenbarte sich Scheuba endgültig als unwissend: “Kämpft man manchmal gegen die Wirklichkeit an und sagt: Ich will sie aber so darstellen, wie ich sie mir vorstelle und nicht wie ich weiß das sie ist?” Lieber Herr Scheuba, lesen Sie einmal “Tage der Toten”, dann wissen Sie was Realismus ist. Winslows Antwort überraschte daher auch nicht: “I try to write as close to reality as i can.” Sein Buch “Tage der Toten” sei so nah an einer Dokumentation gewesen, wie es nur gehe.

Wo sind die Thomas Wörtches und Tobias Gohlis Österreichs? Gibt es hierzulande überhaupt irgendwelche fundierten Krimikenner? Zum Glück konnte Don Winslow nicht verstehen, was da ablief, aber eigentlich war das wirklich erschreckend. Das hat er nicht verdient.

Mein Fazit: Wien ist und bleibt eine Provinzstadt, zumindest was Kriminalliteratur betrifft.

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Don Winslow Spezial (I): Hat der Meister sein Handwerk verlernt?

(c) Arrow Books

(c) Arrow Books

Der 1. Juni 2015 wird mein persönlicher Feiertag. Dann erscheint Don Winslows “Power of the Dog II”, so lautete zumindest bisher der Arbeitstitel, auf Deutsch. Das hat Droemer Knaur in seiner Vorvorschau für 2015 angekündigt. “Jahre des Jägers” wird das Buch rund um US-Drogenfahnder Art Keller heißen. “Power of the Dog” (auf Deutsch “Tage der Toten”) ist für mich das Krimi-Meisterwerk schlechthin. Eine Art Augenöffner: Es ist jenes Buch, das mich aus meiner Spionagethriller-Welle herausgelöst hat und letztlich zum Crime-Fiction-Süchtigen gemacht hat.

“Ja, aber…”, werden jetzt vielleicht einige einwenden und zwei Gründe nennen, warum Don Winslow nicht mehr der Alte ist: “Vergeltung” und “Missing. New York”. Seine beiden zuletzt auf Deutsch erschienenen Bücher (im Original übrigens bislang nicht auf den Markt gebracht) wurden von der Kritik wenig begeistert aufgenommen. Sogar Marcus vom Blog “Krimi-Welt”, der “Vergeltung” noch verteidigt hatte, bezeichnet Winslow spätestens jetzt als reaktionär: “Winslow setzt uns fast 400 Seiten lang dem dumpfen Weltbild eines Provinzlers aus, der mit staunendem Blick in der Weltmetropole landet, in der es von korrupten Cops, fiesen Reichen und unschuldigen Mädchen, die sich allein nicht wehren können, nur so wimmelt. Wäre der Roman „nur“ langweilig, man könnte ihn ignorieren, aber ‘Missing New York’ ist reaktionär – und läppisch.”

Ich habe mittlerweile beide Bücher gelesen und verstehe die Aufregung nicht ganz. Zugegeben, beide Bücher sind nicht der ganz große Wurf. Das ist für mich allerdings Jammern auf hohem Niveau. Die von Marcus herausgegriffenen Zitate, an denen er seine Kritik festmacht, kann ich zwar verstehen. Allein für sich stehend klingen diese Sätze ziemlich banal und eventuell sogar dumpf. Während des Lesens ist mir das aber nicht aufgefallen. Ich glaube das Hauptproblem liegt in der hohen Erwartungshaltung: Don Winslow darf einfach keine durchschnittlichen Thriller schreiben.

Umso spannender wird es sein, “Jahre des Jägers” zu lesen. Denn nach der Lektüre werde auch ich mir ein Urteil darüber bilden, ob Winslow sein Handwerk tatsächlich verlernt hat. Bislang kann ich mit seinem Ausflug in den Mainstream gut leben, allerdings erwarte ich mir von der Fortsetzung eines Meisterwerks halt schon ein weiteres Meisterwerk. Und damit wären wir wieder beim kniffligen Punkt der Erwartungshaltung 😉

Als Teil zwei meines kleinen Don-Winslow-Spezials will ich über Don Winslows Besuch in Wien (“Lange Nacht der Bücher” am 12. November) schreiben. Bislang tourte er ja noch höchst erfolgreich in Deutschland, wie man auch hier sehen kann:

Als Teil drei folgt dann meine ausführliche Rezension von “Missing. New York”. Bleibt dran!

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KrimiZeit-Bestenliste im November: Ein Abgleich

(c) Tropen

(c) Tropen

Da bin ich zuletzt ja ganz gut gelegen: Franz Doblers “Ein Bulle im Zug” ist im November auf Platz eins der KrimiZeit-Bestenliste geklettert. Ich habe diesen Krimi abseits ausgetretener Pfade erst vor wenigen Tagen hier besprochen: “Dobler ist ein Meister der kleinen Szenen. Nicht selten hat er mich dabei zum Schmunzeln gebracht. Auch weil er so einen scharfen Blick hat – und ein immenses Gespür für Menschen und Situationen.”

Liza Codys (Platz 2) “Lady Bag” hat mich restlos umgehauen, wie ich auch vor nicht allzu langer Zeit geschrieben habe: “‘Lady Bag’ ist ein grandioses, realistisches, witziges, trauriges und berührendes Buch. (…) Noch nie zuvor habe ich die Welt von so weit unten gesehen.” Für mich gehört dieses Buch eigentlich auf Platz eins, wobei auch Doblers Krimi sehr gut war.

James Lee Burkes “Regengötter” (Platz 3) steht fix auf meiner Leseliste. Die geschlossen hymnischen Besprechungen machen mich echt schon neugierig. “Brennerova” von Wolf Haas hingegen steht momentan nicht am Krimi-Speiseplan, da werde ich hoffentlich bald einen anderen Brenner-Krimi vorziehen.

Was gibt es noch zu sagen?

Ian Rankins “Schlafende Hunde” hat Nicole auf ihrem Blog MyCrimeTime wenig begeistert.

Nic Pizzolattos “Galveston” hat mich überzeugt: “Pizzolatto hat schlicht einen sehr, sehr feinen Noir-Krimi geschrieben, der lange nachwirkt und ans Herz geht.”

Von Oliver Harris habe ich das Debüt “London Killing” gelesen, das mich phasenweise überzeugt hat, dessen Ende aber einen schalen Beigeschmack hinterlassen hat. Die Ausgangssituation von “London Underground” klingt allerdings spannend: Bei einer Verfolgungsjagd durch die Londoner City entdeckt Detective Nick Belsey einen Bunker und ein mysteriöses Tunnellabyrinth unter den Straßen der Stadt. Der Verdächtige verschwindet darin spurlos, aber der ungewöhnliche Ort bringt Belsey auf eine Idee: Am Abend verabredet er sich dort mit einer jungen Frau zu einem ganz besonderen Rendezvous. (Verlagstext) Marcus von Krimi-Welt schreibt dazu: “Und es ist schön zu sehen, dass Oliver Harris seit seinem Erstling „London Killing“ viel dazugelernt hat, was Erzählökonomie angeht. Auf jeden Fall muss er zu den größten Talenten der aktuellen britischen Krimiszene gezählt werden.” Also doch wieder reizvoll…

Von Daniel Suarez werde ich weiter die Finger lassen. Ich habe “Dark Net” von ihm gelesen und damals beschlossen, dass Suarez nicht mein Fall ist. Das war mir persönlich zu trashig.

Die Liste im Überblick:

1 (3) Franz Dobler: Ein Bulle im Zug
2 (4) Liza Cody: Lady Bag
3 (-) James Lee Burke: Regengötter
4 (2) Wolf Haas: Brennerova
5 (1) Orkun Ertener: Lebt
6 (-) Ian Rankin: Schlafende Hunde
7 (-) Max Annas: Die Farm
8 (5) Nic Pizzolatto: Galveston
9 (-) Oliver Harris: London Underground
10 (-) Daniel Suarez: Control

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11 Wege, zu guten Krimis zu kommen (II): Die Krimi-Blogger

Beschreiten wir also einen weiteren Pfad, um gute Krimis zu finden. Dieser Beitrag widmet sich meinem persönlichen Wohlfühl-Eck des Internets: Den Krimi-Bloggern. Da gibt es gar nicht wenige. Laut Stefan Mesch mindestens 33 Krimi-Blogs, die er empfehlen kann. Die Liste hat zwar einen Schönheitsfehler, wie manchem Hobby-Kriminalisten auffallen wird: mein Blog ist nicht dabei. Das liegt aber vermutlich daran, dass von den besten Krimi-Blogs Deutschland die Rede ist 🙂 Ich darf also noch auf einen entsprechenden Österreich-Beitrag hoffen. Aber Scherz beiseite, dort sind wirklich gute Blogs versammelt, von denen ich einige jetzt hervorheben werde, weil ich sie mit Regelmäßigkeit besuche. Aber es gibt auch noch mehr, als auf der Liste aufscheint.

Beginnen will ich bei Ludgers Krimi-Depeschen, die fast täglich (momentan macht Ludger allerdings gerade ein längere Pause) Überblick über aktuelle Krimi-Rezensionen (deutsch und englisch) geben. Wer beim Krimi-Depeschen-Dienststellenleiter hält, kann ziemlich sicher nichts verpassen! Ludgers Blog war auch der erste Krimi-Blog, den ich nach meinem Start von crimenoir entdeckt habe.

Kurz darauf war ich auf Sonjas feinen zeilenkino-Blog gestoßen, “wo Film und Literatur sich treffen”. Seit Kurzem schreibt sie auch für das Online-Projekt polar-noir.de – da müsst ihr ebenfalls vorbeischauen. Bei Sonja findet man keine 08/15-Krimis, so viel steht fest.

Viel Spaß macht Nicoles mycrimetime-Blog. Dort wird euch mit Garantie nicht fad. Sie macht dem Spannungs-Genre alle Ehre. Nicoles und meine Meinung gehen mal weit auseinander, dann sind wir uns wieder komplett einig. Was mir gefällt, gefällt ihr noch lange nicht – und umgekehrt. Aber gerade das macht ja den Reiz aus, ihre immer pointierten Text zu lesen. Es ist wirklich faszinierend, wie unterschiedlich (aber auch gleich) man Bücher lesen kann.

Besuchen sollte man unbedingt Marcus Krimi-Welt. Er beschränkt sich nicht nur auf die Besprechung von Krimis, sondern erzählt auch viel über Phänomene darum herum. Auch wenn er nicht so regelmäßig bloggt wie Nicole, so stoße ich doch gerade bei ihm immer wieder auf Crime Fiction, die ich sonst wohl übersehen hätte.

Nicht verpassen sollten KrimiLeser die KrimiLese von Philipp Elph. Dort findet ihr sehr regelmäßig Krimi-Besprechungen. Unsere Leselisten überschneiden sich immer wieder, besonders interessant ist es dann, zu sehen, wie sehr sich unsere Meinungen gleichen oder auch nicht.

Kurz und kompakt fasst Günter Keil in seinem Blog Krimi-Besprechungen, aber auch Krimiautoren-Interviews zusammen. Entsprechend seinem Motto, halt ich mich kurz: Schaut rein, es zahlt sich aus.

Henny Hidden bietet mit frauenkrimis.net ähnlich wie die Krimi-Depeschen einen perfekten Überblick darüber, was in Krimi-Belangen gerade so im Netz erschienen ist. Perfekt zum Stöbern und Entdecken.

Auch beim Kaffeehaussitzer Uwe fühle ich mich wohl. Dort finden sich zwar nicht regelmäßig, aber doch immer wieder Krimis, die er auf seine ganz eigene, feine Art bespricht. Allein schon der genial-gemütliche Blog-Name lädt zu einem Besuch ein!

Bei krimimimi.com machen vor allem die Podcast-Beiträge Spaß. Da diskutieren Mimi und Alf über gelesene Krimis, ohne vorher zu wissen, was das Gegenüber darüber denkt. Und nein: Da werden keine Alte-Oma-Krimis besprochen. Eine sehr feine Idee, fein umgesetzt. Mein Lieblings-Beitrag: Der zu Adrian McKintys “Sirenen von Belfast”! Reinhören (und reinlesen)!

Dann gibt es da Micha mit seinem Blog wassollichlesen. Hier finden sich ebenfalls viele Krimis. Micha und ich teilen vor allem eine Vorliebe: Wir sind Fans von Don Winslow 🙂

Mit DieLeserin habe ich endlich eine Bücher-Bloggerin entdeckt, die auch in Österreich sitzt (bitte für die österreichischen Krimiblogger vormerken!). Und sie liest gern Krimis und Thriller:

https://twitter.com/dieleserin/status/517295788620513280

Noras krimirezensionen habe ich erst zur Recherche dieses Artikels wiederentdeckt. Insgesamt sechs Leser(innen) bloggen auf ihrer Plattform. Das ist auch eine feine Idee, weil ja jeder Leser seinen eigenen Zugang zu Büchern hat, und so hat man gleich sechs auf einen Schlag.

Zum Schluss: Wer Noir liebt, der MUSS einfach bei Martin Comparts Blog vorbeischauen. Der Mann weiß, worüber er schreibt.

Und wer jetzt sagt, er findet keine guten Krimis, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen!

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Franz Dobler: Ein Bulle im Zug

(c) Tropen

(c) Tropen

Hauptkommissar Fallner hat bei einem Einsatz einen jungen Kriminellen erschossen. Er ist seitdem dienstunfähig. Seine Therapie, um wieder gesund und einsatzfähig zu werden: Er setzt sich in den Zug und fährt quer durch Deutschland. Das ist ein Kindheitstraum Fallners – und so soll der ständig in seinem Kopf herumspukende Junge endlich verschwinden.

Doch Maarouf, der Junge, wird das ganze Buch lang sein hartnäckiger Reisebegleiter bleiben. Dobler hat zwar einen Kriminalroman geschrieben, in klassische Genre-Kisten lässt er sich aber nicht packen. Es wirkt alles ein wenig ziellos, so wie Fallners Reise. Man kann Doblers Buch phasenweise als eine wahllose Aneinanderreihung kleiner Episoden von bahnfahrenden Menschen lesen. Doch man darf sich von dem Autor nicht täuschen lassen. Dobler betreibt ein raffiniertes Spiel mit dem Leser, wenn dieser bereit ist, sich darauf einzulassen. Allerdings ist der rote Faden nicht immer erkennbar. Man erfährt nebenbei so viele “nutzlose” und scheinbar zusammenhangslose Dinge, die sich allerdings zu einem beeindruckenden Panorama bzw. zu einer fesselnden Gesellschaftsanalyse zusammenfügen. Denn Dobler ist ein Meister der kleinen Szenen. Nicht selten hat er mich dabei zum Schmunzeln gebracht. Auch weil er so einen scharfen Blick hat – und ein immenses Gespür für Menschen und Situationen.

Fallner ist zwar oft nur Beobachter, aber natürlich die zentrale Figur. Dobler wühlt im Innenleben des beschädigten Polizisten, der mit seinen Dämonen fertigzuwerden versucht. Als ihn seine Psychologin fragt, ob es berufsbedingt sei, dass er jeden Vorgang grundsätzlich negativ sehe und deute bis zum Beweis des Gegenteils, antwortet Faller: “Würde passen, sicher”. Kurz darauf schildert Fallner das Beispiel eines Mannes, der seinen Rucksack wie einen Koffer in der Hand trägt (“… wieso trägt der seinen bescheuerten Rucksack in der Hand und nicht auf’m Rücken?”) und im Gehen in diesen greift (“Wenn er was sucht, dann ist es doch normal, dass du stehen bleibst”). “In dem Moment bin ich mir hundert Prozent sicher, dass der eine Knarre aus seinem Rucksack holt und mich angreifen wird”, sagt Fallner. Das klingt paranoid, verdeutlicht aber, welcher Druck auf Polizisten lasten muss. Wie geht er dann mit Ausnahmesituationen um, wenn ihn zudem Eheprobleme plagen und er schlicht müde ist?

“Ein Bulle im Zug” kann ich allen empfehlen, die ausgetretene Krimipfade verlassen wollen und gern mit der Bahn fahren (wobei das kein Muss ist). Ein Lob auch an die Verantwortlichen beim Verlag. Das Cover spricht mich total an. Zusammen mit dem Titel fasst es die Geschichte genial zusammen.

8 von 10 Punkten

Franz Dobler: “Ein Bulle im Zug”, 344 Seiten, Tropen Verlag.

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