Monthly Archives: April 2015

Ist nur ein nichtverkaufter Krimi ein guter Krimi?

“Das U und E des deutschen Krimis” nennt Lektorin, Übersetzerin und Autorin Lisa Kuppler ihren Bericht zur Lage der deutschen Kriminalliteratur in der FAZ. Vorweg: Sie beschreibt in ihrem Text die aktuelle Lage durchaus treffend (vor allem, was deutsche Regionalkrimis und Psychokrimis betrifft), aber irgendwie kann ich dieses Unterhaltungs-vs.-ernste-Literatur-Gejammer nicht mehr hören. Soll doch jeder lesen, was er will. Ich hatte auch meine intensive Pageturner-Phase, wo es mir egal war, dass die Figuren eher platt gezeichnet waren, Hauptsache die Cliffhanger am Ende des Kapitels stimmten. Ja, ich finde, auch das ist eine eigene Art von Kunst. Das kann man abschätzig betrachten – aber jeder, der so etwas im Vorbeigehen schreiben will, wird sehen, dass das gar nicht so einfach ist.

Trotzdem, mittlerweile sind mir diese Schema-F-Krimis persönlich eher ein Graus. Wie öd muss das sein, immer mit einer tabubrechenden Folter- oder Gewaltszene zu starten, dann kalkuliert irgendeinen schrulligen Charakter zu entwerfen, der in einem idyllischen Regiokrimi-Setting tourismusgerecht ausgeschlachtet werden kann. Dann muss möglichst viel persönliche Betroffen- und Gebrochenheit her, ach ja, irgendwelche Kochkünste nicht vergessen! usw. usw.

(c) pulp master

(c) pulp master

Das soll lesen, wer will. Daran ist nichts auszusetzen. Ich persönlich will das nicht mehr lesen. Deshalb suche ich nach Krimis, die nicht in irgendwelche Wohlfühlschienen fallen, aber auch nicht zu irgenwelchen Gewaltpornos ausarten. Ich habe kein Problem mit Toten, aber dass Serienmörder dauernd irgendwelche Botschaften an ihren Opfern hinterlassen, finde ich echt nervraubend und ein wenig pervers. Viel erschreckender finde ich da aktuelle Krimis wie Dave Zeltsermans “Killer”, dessen Horror viel subtiler ist, weil sein Buch zum Nachdenken anregt. Oder Pete Dexters einfühlsames Porträt “Unter Brüdern”. Das sind Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen wie du und ich. Keine Monster, keine Über-Bösen oder Super-Guten. Ich brauche auch keine grenzgenialen Kommissare und Tüftler, sondern mag normale Ermittler. Und auch hier gilt: Das werden viele fad finden. Und auch das ist ok – ich mag es eben.

Und ich mag vor allem eines: ich mag überrascht werden. Das muss kein Wahnsinnsplot sein, denn auch das kann ermüden. Es kann die Sprache sein, der Humor, der Blick auf das Geschehen, das feine Gefühl für Details und kleine Momente – es kann so viel sein. Man darf nur nicht das Gefühl haben, dass es nach irgendeinem Creative-Writing-Lehrbuch geplant ist. Das ist leider allzu oft der Fall – auch und gerade bei angloamerikanischer Kriminalliteratur. Aber nicht einmal das finde ich problematisch. Denn all die talentierten (und auch völllig untalentierten) Schreiber da draußen, wollen nun mal Bücher schreiben, die sich verkaufen lassen. Das ist nun einmal so. Das kann man furchtbar finde. Ich tue das nicht. Denn für mich liegt der Reiz darin, die echten Krimi-Perlen (also die nach meinem Geschmack) zu finden.

Umso größer der Misthaufen, umso schwerer die Suche, könnte man meinen. Doch wenn ich mir ansehe, welche aufregenden Krimis ich 2014 gelesen habe und auch heuer schon wieder genossen habe, so werde ich das Gefühl nicht los, dass es da draußen viel Qualität gibt – auch was deutsche Krimis betrifft. Ich nenne da spontan Jan Costin Wagner, Horst Eckert, Norbert Horst und Tom Hillenbrand.

Lisa Kuppler mag recht haben, dass die Verlage nach dem Motto “Ein guter Krimi ist ein Krimi, der sich gut verkauft” agieren. Aber mal ehrlich: Ist es wirklich ein Qualitätsmerkmal, wenn sich ein Krimi gar nicht gut verkauft?

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Pete Dexter: Unter Brüdern

(c) liebeskind

(c) liebeskind

Seit “Paperboy” liebe ich Pete Dexters Erzählstil: ruhig, unaufgeregt, präzise und schnörkellos. Das verhält sich auch bei “Unter Brüdern” nicht anders. Besonders im ersten Teil des Buchs erzählt Dexter sehr einfühlsam vom Ende einer Kindheit. Als Peter Flood im Alter von acht Jahren mitansehen muss, wie seine Schwester bei einem Autounfall stirbt, ist mit einem Schlag nichts mehr wie zuvor. Von einem Moment auf den anderen bleibt er sich selbst überlassen. Seine Mutter zerbricht am Verlust der Tochter. Sein Vater, ein gewichtiger lokaler Gewerkschaftsboss mit Verbindungen zur Mafia, sinnt nur mehr auf Rache. Er will seinen Nachbarn (der noch dazu ein Polizist ist), der seine Tochter getötet hat, ebenfalls unter der Erde sehen. Um Peter Flood kümmert sich niemand.

In der Folge erzählt Dexter vom Erwachsenwerden von Peter. Was mir eigentlich erst nach der Lektüre bewusst wurde, ist die tiefe Einsamkeit und Verlorenheit, die Dexter nie im Worte fasst, die aber zwischen den Zeilen ständig mitschwingt. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, das mir irgendwas fehlt. Es ist wohl dieses leere Gefühl, das beim Lesen ensteht, diese Emotionslosigkeit, die im ersten Moment ein wenig enttäuscht. Doch dieser Peter Flood wird von der Welt vergessen, er wird nach dem traumatischen Ereignissen nie mehr in dieser Welt verankert sein. Er hat nur mehr sich selbst. Er lebt bloß, um weiterzuleben, verliert dabei aber nie seinen eigenen moralischen Kompass. Das ist wohl auch der Grund – ohne hier mehr zu verraten – der ihn alternativlos auf den Abgrund zuführt.

Sonja hat das bei zeilenkino auch sehr schön formuliert:

„Unter Brüdern“ erfordert aufmerksames und konzentriertes Lesen, damit sich die Einsichten in die Charaktere entfalten. Es ist ein stilles, aufwühlendes und düsteres Buch, in dem die Resignation eines Kindes schmerzlich nachvollzogen und weiterentwickelt wird. Daneben liefert es Inneneinsichten in das Leben in einer Gemeinschaft, in der die Kontrolle über Arbeitsplätze gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Macht und Skrupellosigkeit ist.

“Unter Brüdern” fällt im Vergleich zu “Paperboy” ein wenig ab. Es fehlt vielleicht das Besondere, das Außergewöhnliche. Aber könnten bloß alle Autoren so fein erzählen…

7 von 10 Punkten

Pete Dexter: “Unter Brüdern”, übersetzt von Götz Pommer, 303 Seiten, liebeskind.

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Ben Atkins: Stadt der Ertrinkenden

(c) Polar Verlag

(c) Polar Verlag

Alf Mayer schwärmt auf crimemag von Ben Atkins Debütroman “Stadt der Ertrinkenden” ebenso wie Nicole auf mycrimetime. “Willkommen am Tresen des Noir”, formuliert es Alf Mayer wunderschön, aber das ist genau der Punkt, wo es bei mir ein wenig hakt. Für mich ist “Stadt der Ertrinkenden” ein gelungener, stimmungsvoller Krimi. Doch aus meiner Sicht ist das Buch, das in der Prohibitionszeit der USA spielt, kein Noir – zumindest seine Hauptfigur nicht. Dazu ist mir Ich-Erzähler Fontana zu wenig gebrochen, zu korrekt, zu brav, zu anständig.

Vor allem Fontanas Weigerung, Waffen zu tragen und zu verwenden, kam mir ein wenig an den Haaren herbeigezogen vor. “Sie hielten mich für schrullig, weil ich keine Kanonen mochte. Sie waren naiv. Zu dumm, um den Frevel des Tötens wirklich zu erfassen”, sinniert Fontana einmal. “Ein vorzeitiger Tod ist, mehr als alles andere, ein unwiderruflicher Verlust von Möglichkeit.” Grundsätzlich finde ich das schon in Ordnung, einen gewaltfreien Weg in einer gewalttätigen Welt gehen zu wollen. Aber sogar bewusst in lebensbedrohliche Situationen nicht einmal ein Messer (das aus praktischen Gründen benötigt wird – mehr will ich nicht verraten) mitzunehmen, grenzt dann schon eher an Dummheit. Ich weiß nicht, ob so hehre Gedanken (Der Tod als unwiderruflicher Verlust von Möglichkeit) in einer gefährlichen Situation, in der man sterben könnte, nicht ein unleistbarer Luxus ist. Besser ich lebe und der andere verliert seine Möglichkeit unwiderruflich.

Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Mir hat “Stadt der Ertrinkenden” wirklich gut gefallen. Da ist eine neue Stimme, noch dazu aus Neuseeland. Und Atkins schreibt großteils so, als wäre er in den USA aufgewachsen und keine 20 Jahre alt. Wobei ich glaube, die Anhäufung seiner sentimentalen Formulierungen, die gegen Ende hin stark zunimmt, ist schon auch auf sein junges Alter zurückzuführen. “Wenn ein Menschenleben endet, bevor es sollte, ist das ein Verlust für die Gegenwart und für jeden einzelnen Tag, der noch kommt” – ja eh, aber was will er damit eigentlich genau sagen? Ich hatte beim Lesen das Gefühl, wäre Atkins ein paar Jahre älter, wäre sein Buch kompromissloser, weniger moralisierend und noch düsterer geworden. Vielleicht hat ihm da doch ein wenig der Mut gefehlt – was ich ihm allerdings gar nicht vorwerfen will. Denn Atkins schreibt sehr erfrischend.

“Für Geld machen Menschen dumme Sachen. Sie und ich sind Belege dafür.”

Wohl wahr. Atmende, nervöse Belege.

Da gibt es auch diese wunderbar minimalistischen Beschreibungen: “Ich hatte Schiss unter meinem schwarzen Anzug, hinter meinem ausdruckslosen Gesicht.” Oder: “Die Frau an der Kasse trug fünfzig Jahre Enttäuschung im Gesicht und darüber ein halbes Pfund billiges Make-Up.” Diese Vergleiche: “Lebe nach den Regeln, und du wirst für den Rest deines Lebens ein Opfer sein.” Diese kleinen Wahrheiten: “Komisch, dass wir hungrigen Vögeln eher Brot gaben als hungrigen Menschen.”

Außergewöhnlich an “Stadt der Ertrinkenden” ist auch, dass die Handlung in einer einzigen Nacht spielt. Ich würde dieses Buch jedem empfehlen. Bloß bin ich nicht sooo begeistert. Der Vergleich mit Dashiell Hammett ist unnötig und verfrüht, aber wenn Atkins dadurch Leser gewinnt, ist es mir auch recht. Gratulation jedenfalls an den Polar Verlag, der hier wieder einmal ein feines Händchen bewiesen hat. Aus diesem Verlagshaus kommt Qualität, das steht fest.

7 von 10 Punkten

Ben Atkins: “Stadt der Ertrinkenden”, übersetzt von Laudan Szelinski, 230, Seiten, Polar Verlag.

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KrimiZeit-Bestenliste April: Ein Abgleich

(c) Kunstmann

(c) Kunstmann

Diesmal versammeln sich jene Bücher, die ich von der aktuellen KrimiZeit-Bestenliste schon gelesen habe bzw. gerade lese am Ende: auf den Plätzen 8-10. Dave Zeltsermans “Killer” ist wirklich ein Krimi-Highlight, hier zahlt sich das Lesen schon allein wegen des genialen Schlusses aus.

“Natchez Burning” von Greg Iles lese ich gerade. Die Lektüre dauert allerdings etwas länger. Ich habe gerade 500 Seiten hinter mir und somit 500 Seiten vor mir. Bisher ist das ein feines Rassismus-Drama, das Iles episch ausbreitet. Zwischendurch habe ich auch James Lee Burkes “Sturm über New Orleans” zu lesen begonnen, und damit mit einer meiner alten Leseregeln gebrochen. Normalerweise lese ich nie zwei Krimis gleichzeitig. Doch hier entpuppt sich das als optimal – denn beide Bücher beziehen sich auf New Orleans nach dem verheerenden Sturm Katrina.

Wenn ich den Iles-Wälzer absolviert habe, freue ich mich schon auf etwas schlankere Bücher wie “Die Suche nach Tony Veitch” oder “Die verlorenen Schwestern”. Von “Perfida” werde ich vorerst die Finger lassen, zwei 1000-seitige Krimis kurz hintereinander vertrage ich einfach nicht.

Tja, und krimimäßig würde ich auch gern wieder mal nach Australien (“Prime Cut”) reisen. Und dann wäre da natürlich auch “Schwarzblende”, wo mir von allen Seiten der Mund wässrig gemacht wird.

Die Liste im Überblick:

1 (1) William McIlvanney: Die Suche nach Tony Veitch
2 (9) Zoë Beck: Schwarzblende
3 (-) James Ellroy: Perfidia
4 (3) Mike Nicol: Bad Cop
5 (-) Giancarlo de Cataldo/Carlo Bonini: Suburra
6 (-) Adrian McKinty: Die verlorenen Schwestern
7 (2) Alan Carter: Prime Cut
8 (8) Dave Zeltserman: Killer
9 (-) Greg Iles: Natchez Burning
10 (-) James Lee Burke: Sturm über New Orleans

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