“Das U und E des deutschen Krimis” nennt Lektorin, Übersetzerin und Autorin Lisa Kuppler ihren Bericht zur Lage der deutschen Kriminalliteratur in der FAZ. Vorweg: Sie beschreibt in ihrem Text die aktuelle Lage durchaus treffend (vor allem, was deutsche Regionalkrimis und Psychokrimis betrifft), aber irgendwie kann ich dieses Unterhaltungs-vs.-ernste-Literatur-Gejammer nicht mehr hören. Soll doch jeder lesen, was er will. Ich hatte auch meine intensive Pageturner-Phase, wo es mir egal war, dass die Figuren eher platt gezeichnet waren, Hauptsache die Cliffhanger am Ende des Kapitels stimmten. Ja, ich finde, auch das ist eine eigene Art von Kunst. Das kann man abschätzig betrachten – aber jeder, der so etwas im Vorbeigehen schreiben will, wird sehen, dass das gar nicht so einfach ist.
Trotzdem, mittlerweile sind mir diese Schema-F-Krimis persönlich eher ein Graus. Wie öd muss das sein, immer mit einer tabubrechenden Folter- oder Gewaltszene zu starten, dann kalkuliert irgendeinen schrulligen Charakter zu entwerfen, der in einem idyllischen Regiokrimi-Setting tourismusgerecht ausgeschlachtet werden kann. Dann muss möglichst viel persönliche Betroffen- und Gebrochenheit her, ach ja, irgendwelche Kochkünste nicht vergessen! usw. usw.
Das soll lesen, wer will. Daran ist nichts auszusetzen. Ich persönlich will das nicht mehr lesen. Deshalb suche ich nach Krimis, die nicht in irgendwelche Wohlfühlschienen fallen, aber auch nicht zu irgenwelchen Gewaltpornos ausarten. Ich habe kein Problem mit Toten, aber dass Serienmörder dauernd irgendwelche Botschaften an ihren Opfern hinterlassen, finde ich echt nervraubend und ein wenig pervers. Viel erschreckender finde ich da aktuelle Krimis wie Dave Zeltsermans “Killer”, dessen Horror viel subtiler ist, weil sein Buch zum Nachdenken anregt. Oder Pete Dexters einfühlsames Porträt “Unter Brüdern”. Das sind Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen wie du und ich. Keine Monster, keine Über-Bösen oder Super-Guten. Ich brauche auch keine grenzgenialen Kommissare und Tüftler, sondern mag normale Ermittler. Und auch hier gilt: Das werden viele fad finden. Und auch das ist ok – ich mag es eben.
Und ich mag vor allem eines: ich mag überrascht werden. Das muss kein Wahnsinnsplot sein, denn auch das kann ermüden. Es kann die Sprache sein, der Humor, der Blick auf das Geschehen, das feine Gefühl für Details und kleine Momente – es kann so viel sein. Man darf nur nicht das Gefühl haben, dass es nach irgendeinem Creative-Writing-Lehrbuch geplant ist. Das ist leider allzu oft der Fall – auch und gerade bei angloamerikanischer Kriminalliteratur. Aber nicht einmal das finde ich problematisch. Denn all die talentierten (und auch völllig untalentierten) Schreiber da draußen, wollen nun mal Bücher schreiben, die sich verkaufen lassen. Das ist nun einmal so. Das kann man furchtbar finde. Ich tue das nicht. Denn für mich liegt der Reiz darin, die echten Krimi-Perlen (also die nach meinem Geschmack) zu finden.
Umso größer der Misthaufen, umso schwerer die Suche, könnte man meinen. Doch wenn ich mir ansehe, welche aufregenden Krimis ich 2014 gelesen habe und auch heuer schon wieder genossen habe, so werde ich das Gefühl nicht los, dass es da draußen viel Qualität gibt – auch was deutsche Krimis betrifft. Ich nenne da spontan Jan Costin Wagner, Horst Eckert, Norbert Horst und Tom Hillenbrand.
Lisa Kuppler mag recht haben, dass die Verlage nach dem Motto “Ein guter Krimi ist ein Krimi, der sich gut verkauft” agieren. Aber mal ehrlich: Ist es wirklich ein Qualitätsmerkmal, wenn sich ein Krimi gar nicht gut verkauft?