Tag Archives: 7 Punkte

James Ellroy: Allgemeine Panik

(c) Ullstein Verlag

Unglaublich eigentlich, aber seit ich diesen Blog hier betreibe, habe ich offenbar kein Buch von Krimi-Ikone James Ellroy besprochen. Mein Lieblings-Ellroy ist “Ein amerikanischer Thriller”, aber den habe ich bereits vor vielen, vielen Jahren gelesen. Sein neuester Kriminalroman “Allgemeine Panik” widmet sich – wieder einmal – dem Hollywood der 1950er-Jahre und zeigt dessen wenig glamouröse Seite. Das Buch zeigt auch sehr gut: Ellroy ist und bleibt ein Meister des Rabiaten.

“Ich arbeite für jeden, außer für Kommunisten. Und tue alles, bis auf Mord.” So lautet Freddy Otashs Lebensmotto. Bloß sagt er nur die halbe Wahrheit, denn einer dieser beiden Sätze stimmt nicht, wie man im Verlauf der Geschichte von “Allgemeine Panik” schon bald feststellen wird. Otash, der wirklich gelebt hat, ist eine typische James-Ellroy-Figur: Der Expolizist und nunmehrige Privatermittler war ein selbstbezogener, brutaler und sexbesessener Kerl, der sich im Los Angeles der 1950er-Jahren für keinen schmutzigen Job zu schade war. Für das Schundblatt “Confidential”, gegen das heutige Klatschmagazine wie Bibeln guten Geschmacks anmuten, schnüffelte er skrupellos Prominenten hinterher, horchte diese ab und scheute vor Bestechung und Erpressung nicht zurück. Zu seinen Opfern zählten angeblich Marilyn Monroe, Frank Sinatra sowie der spätere US-Präsident John F. Kennedy.

Willkommen im Fegefeuer

Der betagte, aber alles andere als altersmilde US-Autor lässt Ich-Erzähler Otash zu Beginn des Buches im Fegefeuer sitzen, aus dem dieser sich nur befreien kann, wenn er endlich die Wahrheit offenbart: “Seit achtundzwanzig Jahren stecke ich in diesem beschissenen Elendsloch fest. Und jetzt will man mir weismachen, ich könne mir durch schonungslose Offenlegung meiner Missetaten einen Weg nach draußen schreiben.”

Also packt Otash, der auch das Vorbild für Jack Nicholsons Rolle als Jack Gittes in “Chinatown” gewesen sein soll, aus und beichtet die Sünden seines Lebens. Was folgt, ist ein wilder Ritt durch ein wenig glamouröses Hollywood, sehr viel Sex inklusive. Die Schauspieler Marlon Brando, James Dean, Rock Hudson, Burt Lancaster würden sich bei der Lektüre wohl im Grab umdrehen – wie auch der spätere US-Präsident John F. Kennedy, der aufgrund seiner mangelnden Ausdauer beim Sexualakt abschätzig als Zwei-Minuten-Mann tituliert wird. Elizabeth Taylor und weitere Filmdiven werden ebenfalls wenig schmeichelhaft porträtiert.

Man kann Ellroys Buch als wahllose Aneinanderreihung von Obszönitäten und ungezügelten Gewaltausbrüchen (“An meiner Seele klebte Blut, an meinem Totschläger lose Zähne”) lesen, doch entwickelt dieses unweigerlich einen ganz eigenen Sog. All die realen Persönlichkeiten und fiktiven Figuren, für deren Übersichtlichkeit ein Glossar durchaus hilfreich wäre, die unzähligen Nebenschauplätze und historischen Hintergründe lassen ein ungezügelt mäanderndes Panoptikum entstehen, das seinesgleichen sucht. Skurril mutet es etwa an, wenn sich Politiker und Prominente auf Dächern versammeln, um die Schönheit von Atombombentests in der Wüste zu bewundern: “Die prächtige Pilzwolke prangte in Purpur und Rosa.”

Ellroy, wahrlich keine Edelfeder

Ellroy ist keine Edelfeder, er ist ein Poet des Rabiaten, des Rohen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt, was und wie es ihm beliebt, politische Korrektheit ist ihm ein Gräuel. So übertrieben seine Beschreibungen Hollywoods als reiner Sündenpfuhl auch sein mögen, bietet gerade diese Überzeichnung bis ins Absurde letztlich auch eine Möglichkeit zur Annäherung an die Wirklichkeit.

Letztlich ist Ellroys Rückgriff auf das Purgatorium als Ort der Beichte ein genialer Zug. Was wird Otash erzählen oder erfinden, um aus dem Fegefeuer erlöst zu werden? Was davon ist wahr, was halb wahr, was komplette Fiktion? Fragen, die sich aufdrängen, zumal Otash sich selbst bereits zu Lebzeiten immer wieder als Verräter und jämmerlicher Polizeispitzel bezeichnet. So viel Otash auch erzählen mag, endgültige Antworten auf den möglichen Wahrheitsgehalt des Erzählten gibt es nicht.

“Allgemeine Panik” ist vermutlich keines von Ellroys besten Büchern, aber es ist ein abgründiges, verstörendes, zutiefst schurkisches und letztlich auch Spaß machendes Stück Kriminalliteratur.

7 von 10 Punkten

James Ellroy: “Allgemeine Panik”, übersetzt von Stephen Tree, Ullstein Verlag, 430 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen

André Pilz: Morden und lügen

(c) Suhrkamp Verlag

Es ist eine Weile vergangen seit “Der anatolische Panther”. Mit diesem ungewöhnlichen Underdog-Krimi hat mich der Vorarlberger André Pilz vor sechs Jahren so richtig begeistert. Seitdem ist offenbar auch im Leben des Schriftstellers einiges geschehen, denn er schreibt nicht mehr für den Haymon Verlag, sondern für den prestigeträchtigen Suhrkamp Verlag. Dessen Herausgeber der Krimireihe, Thomas Wörtche, steckt da wohl dahinter. Nun liegt mit “Morden und lügen” jedenfalls endlich wieder ein Thriller von Pilz vor. Soviel vorweg: Er muss keinen Vergleich mit namhaften heimischen Krimiautoren scheuen.

Hauptfigur Jan, ein Autor in einer veritablen Schaffenskrise, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Und gleich zu Beginn hat man ein wenig das Gefühl, Pilz schreibe über seine eigenen Erfahrungen mit den Schattenseiten des Schriftstellerdaseins: “Ich konnte nur so lange davon leben, solange ich konzentriert arbeitete, etwas schrieb, das ich verkaufen konnte. Und im Moment wollte man mein Zeug nicht mal geschenkt.” Tatsächlich muss diese Ungewissheit belastend sein. “Ich balancierte ohne Sicherheitsnetz, und sollte ich fallen, war alles aus und vorbei und ich würde mich mit Schulden wiederfinden und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Jobs annehmen müssen, die ich hasste.”

Wollen wir hoffen, dass das niemals der Fall sein wird! Denn Pilz ist ein verdammt guter Autor. Aber worum geht es? Vor sechzehn Jahren wurde die Studentin Angelika vor ihrem Wohnheim in einer österreichischen Universitätsstadt getötet. Nun taucht plötzlich die Mutter der Toten auf und bezichtigt Jan, mehr über die Tat zu wissen, als er zugibt.

Ein unzuverlässiger Erzähler

Pilz bedient sich bei seiner Erzählung des Stilmittels des unzuverlässigen Erzählers. Kann man Jan, der auch mal schnell aus der Fassung gerät, trauen? Ist er wirklich unschuldig? Was weiß er? Diese Fragen stellt sich auch Haddah, Bloggerin mit Migrationshintergrund und heimliche Heldin der Geschichte. Die selbstbewusste junge Frau ist an den Hintergründen des Todes zweier Afrikaner interessiert, die ein halbes Jahr nach der Studentin fast ohne Wahrnehmung der Öffentlichkeit von einer Polizistin getötet wurden. Ein typischer Fall im Drogenmilieu eben, so hat es den Anschein. Schon bald aber stellt sich die Frage: Hängen die beiden Geschehnisse zusammen?

Was als durchaus üblicher Thriller über eine mutmaßliche Beziehungstat beginnt, wird zunehmend facettenreicher, denn Pilz greift auch die Themen Polizeigewalt und Rassismus auf. Was mir besonders gut gefällt, ist seine Sichtweise. Im Zentrum seiner Geschichten stehen nicht die Ermittler, sondern Menschen, die nicht ganz in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. In “Morden und lügen” fasziniert vor allem der Charakter von Haddah. Mit ihr würde man sich auch gern mal einen verbalen Schlagabtausch liefern. Wobei: Man hätte keine Chance gegen sie!

Ich brauche keine verzwickten, rätselhaften High-Society-Morde. Ich lese lieber über Außenseiter und an den Rand Gedrängte. Gut gefallen hat mir auch, dass Jan ein sehr ambivalenter Charakter ist. So richtig sympathisch wird einem dieser Kerl nicht. Er wirkt dadurch dem Leben entsprungen. “Der anatolische Panther” hat mich noch eine Spur mehr beeindruckt, aber wie auch immer: Kein zweiter österreichischer Krimiautor erzählt so wunderbare Underdog-Geschichten. Und hoffen wir, dass es nicht wieder sechs Jahre dauert, bis es etwas von Pilz zu lesen gibt.

7 von 10 Punkten

André Pilz: “Morden und lügen”, Suhrkamp Verlag, 304 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen

Greg Buchanan: Sechzehn Pferde

(c) S. Fischer

Es ist ein grausiger Fund, den ein Farmermädchen im kleinen Ort Ilmarsh macht: Sechzehn Pferdeköpfe, kreisförmig eingegraben im Ackerboden. Der lokale Polizist Alec ist einer der ersten, der zum Tatort gerufen wird. “Alec zählte sechzehn Köpfe, auf der Seite liegend und fast vollständig eingegraben. Nur ein Auge lag frei, und bei einem Kopf konnte man ein Stück des Halses erkennen.”

Warum ausgerechnet sechzehn Pferde, die noch dazu von unterschiedlichen Besitzern stammen? Warum diese Anordnung der Köpfe? Um die Tat zu klären, wird die Veterinärforensikerin Cooper Allen gerufen. Die Expertin hat schon viel gesehen, wenn es darum geht, wie grausam Menschen mit Tieren umgehen. Alec, der erst vor vier Jahren in das scheinbar idyllische Örtchen gezogen ist, hat ebenso wie seine Ermittler-Kollegin mit seinen eigenen Geistern der Vergangenheit zu kämpfen. Alec ist nicht angekommen in Ilmarsh, nicht Teil der Gesellschaft und auf der Suche nach Bedeutung. Seine Persönlichkeit scheint sich aufzulösen.

Wie passend, dass nahezu jede Person in Ilmarsh, mit der das Duo konfrontiert wird, eigene Geheimnisse zu hüten scheint. “Jeder, der uns helfen könnte, ist tot oder lügt oder hat sich aus dem Staub gemacht”, sagt Allen einmal. Greg Buchanan hat mit seinem Debüt “Sechzehn Pferde” aber nur vordergründig einen Kriminalroman geschrieben. Ihm geht es um ganz etwas anderes als um die Lösung des Falls, der zunehmend in den Hintergrund gerät. Der Autor versucht in die Seelen seiner Figuren zu blicken. Der Leser wird dabei aber vor allem Leere vorfinden. Abgestumpft vom Leben, vegetieren die Menschen dahin, teilweise wie Geister – genau so wie der dahinsiechende Ort selbst, dem das Schicksal einer Geisterstadt droht. Es ist, als würden sich die Menschen verflüchtigen, ehe es auch der Ort tut.

Die Geschichte löst sich im Nichts auf

Buchanan hat ein gutes Auge für Details, ihm gelingen viele kleine wahrhaftige Momente. Aber umso mehr er das Rätsel der Pferdeköpfe aus dem Blick verliert, umso stärker schwindet auch das Interesse an dieser Geschichte. Schwer einordenbare Dialogteile und nicht immer nachvollziehbare Sprünge in der Perspektive bremsen das Lesevergnügen ebenso wie verweigerte Erklärungen und ins Nichts führende Erzählstränge.

Grundsätzlich ging es mir bei der Lektüre ähnlich wie Marius in seinem Blog Buch-Haltung schreibt: “Ich muss gestehen, dass ich mit den Sechzehn Pferden nicht wirklich warm wurde, auch wenn ich die erzählerischen Ansätze und die Weiterentwicklung eines konventionellen Krimis hier durchaus goutieren. Im Ganzen waren es mir dann aber doch einfach zu viele Brüche, Fragen und skizzenhafte Erzählelemente, die unaufgelöst blieben und keinen tieferen Sinn ergaben.”

Wie auch Marius kam mir Jon McGregors “Speicher 13” in den Sinn, das einen noch entschleunigteren Zugang hatte. Buchanan hat jedenfalls ein vielschichtiges Porträt eines im Sterben befindlichen Dorfes und seiner Bewohner geschrieben. Nach der vielversprechenden ersten Hälfte des Buches schwindet aber eben zunehmend das Interesse am Schicksal der beschriebenen Menschen. Fast gleichgültig nimmt man das Ende hin.

Aber vielleicht ist das ja die eigentliche düstere Botschaft des Autors: Wir alle verschwinden irgendwann, und nichts wird von uns bleiben.

7 von 10 Punkten

Greg Buchanan: “Sechzehn Pferde”, übersetzt von Henning Ahrens, S. Fischer-Verlag, 443 Seiten.

1 Comment

Filed under Rezensionen

Henri Faber: Ausweglos

(c) dtv

Ein Serienmörder geht um – auch das noch! Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass es mir in diesem Fall zumeist die Haare aufstellt. Nicht wegen der nervenzerfetzenden Spannung, sondern weil ich dieses Serienmörder-Genre nicht mag. Es war für mich eigentlich nach der Lektüre von “Das Schweigen der Lämmer” als Jugendlicher beendet. Doch man soll als Leser nie zu absolut in seinen Meinungen werden, immer offen bleiben – das wird dann immer wieder belohnt.

Und dann gibt es noch ein spannendes Detail. Vor einem Jahr hat ein gewisser Rudolf Ruschel mit “Ruhet in Friedberg” einen rabenschwarzen, in der Provinz spielenden Kriminalroman geschrieben, der für den renommierten Glauser-Preis in der Kategorie Debüt nominiert wurde. Warum ich das hier erwähne? Unter seinem Pseudonym Henri Faber hat der österreichische Autor nun eben den klassischen Thriller “Ausweglos” vorgelegt.

Die Handlung ist schnell erklärt. Hamburg zittert, denn der gefürchtete Ringfinger-Mörder ist zurück. Die fesselnde Geschichte wird aus der Sicht des Polizisten Elias, des Verdächtigen Noah, von dessen Frau Linda sowie des mutmaßlichen Mörders erzählt.

Mein Fazit: Faber bringt Schwung in das immer gleiche Serienmörder-Genre bringt. Denn: Nichts ist, wie es scheint.

7 von 10 Punkten

Henri Faber: “Ausweglos”, dtv Verlag, 495 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen

Rudolf Ruschel: “Ruhet in Friedberg”

(c) btb

Ich bin nicht der größte Fan jener Gattung österreichischer Kriminalromane, die viele mit dem typischen österreichischen Krimi gleichsetzen: Humorig, mit Schmäh, schräg und am besten im Dialekt, die Handlung eher sekundär bis tertiär. Als also Rudolf Ruschels “Ruhet in Friedberg” in meinen Händen landete, war ich zu Beginn durchaus skeptisch. Zumal auch der Vergleich mit “Pulp Fiction” strapaziert wurde.

Worum es geht? Andi und Fipsi sind Aushilfen beim Bestatter im Provinznest Friedberg. Als ein Sarg bei einem Begräbnis doppelt so viel wiegt wie normal, ist es mit der Geruhsamkeit vorbei. Lässt hier jemand heimlich Leichen verschwinden? Und wer?

Nach der Lektüre, die mittlerweile ein Jahr zurückliegt (irgendwie habe ich es verabsäumt, diesen Beitrag, der schon lange angelegt war, auch “live” zu stellen), war ich aber durchaus angetan. Ruschel reiht sich mit seinem Debüt nahtlos in die oben erwähnte Riege erfolgreicher österreichischer Krimiautoren ein, deren eigentlicher Trumpf der Humor ist. Und man muss sagen: Thomas Raab, Stefan Slupetzky, Heinrich Steinfest & Co. haben ernsthafte (kann man das jetzt so schreiben?) Konkurrenz erhalten. Denn der Autor verflicht schräge Einzelschicksale gekonnt zu einer amüsanten Krimi-Melange.

Rudolf Ruschel: “Ruhet in Friedberg”, btb Verlag, 302 Seiten.

3 Comments

Filed under Rezensionen

Horst Eckert: Die Stunde der Wut

(c) Heyne

Horst Eckert zählt für mich zu den besten deutschen Krimiautoren. Nach “Im Namen der Lüge” legt er nun mit “Die Stunde der Wut” den zweiten Teil seiner Serie rund um Melia Adan und Vincent Veih (“Schwarzlicht”, “Wolfsspinne”) vor. Keiner beherrscht im deutschsprachigen Raum das Genre des “Police Pocedural” so traumwandlerisch gut wie Eckert – mit Ausnahme von Norbert Horst (“Mädchenware”) vielleicht.

Auch die Machenschaften der Geheimdienste spielen in seinen letzten Büchern eine große Rolle. Sehr spannend war es daher auch, als Eckert im Zuge des virtuell übertragenen “Crime Day 2021” in einer Debatte auf Stephan R. Meier, den Autor des Politkrimis “44 Tage” (indem es um den RAF-Terror im Jahr 1977 geht) traf. Gegensätzlicher könnten die beiden Autoren in ihrer Grundeinstellung kaum sein. Während Eckert die Tätigkeiten der Inlandsgeheimdienste Deutschlands äußerst skeptisch betrachtet, steht Meier diesen wesentlich wohlwollender gegenüber.

Kein Wunder, ist Meier doch der Sohn des ehemaligen Verfassungsschutzchefs. Und gibt unumwunden zu, dass er seinem Vater ein literarisches Denkmal setzen wollte. Das ist natürlich verständlich, zumal Meiers Familie tödliche Bedrohung hautnah miterlebte. “Das gleitet jedoch oft in eine allzu plumpe, schon peinliche Glorifizierung des im Roman „Roland Manthey“ (=Richard Meier) genannten Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz – und auch einiger anderer Protagonisten – ab”, schreibt etwa der Literaturblog.

Eckert, wie gesagt, ist von einer Glorifizierung der Geheimdienste weit entfernt. “Du weißt doch, dass seit der NSU-Geschichte das Vernichten von Unterlagen verboten ist, weil herauskam, dass wir etliche NSU-Helfer auf diese Art geschützt haben. So etwas wie die Aktion Konfetti soll es nie wieder geben”, heißt es da an einer Stelle. “Deshalb lässt man Akten, die niemand lesen soll, nicht mehr verschwinden, sondern belegt sie mit einem Auswertungsverbot.”

Gekonnt führt der Autor lose Fäden aus “Im Namen der Lüge” weiter. Melia ist im zweiten Band zur Kriminalrätin aufgestiegen, Kriminalhauptkommissar Vincent Veih ist ihr mittlerweile unterstellt. Melia will noch immer den Tod einer Kollegin klären, deren Leiche bis dato nicht gefunden wurde. Und Veih hat sich noch immer mit seiner Mutter, einer ehemaligen RAF-Kämpferin, herumzuschlagen. Wohl auch deshalb ist ihr Streben nach Gerechtigkeit so ausgeprägt. Aber auch so wichtig wie nie: Denn der Feind lauert in den eigenen Reihen. Ränkespiele und Korruption stehen auch bei der Polizei an der Tagesordnung.

7 von 10 Punkten

Horst Eckert: “Die Stunde der Wut”, Heyne Verlag, 445 Seiten.

2 Comments

Filed under Rezensionen

Simone Buchholz: Hotel Cartagena

(c) Suhrkamp

Mit “Mexikoring” hat Simone Buchholz den Deutschen Krimipreis 2019 gewonnen (und den Sprung auf die Liste meiner Lieblingskrimis des Jahres 2018 geschafft). Nun liegt mit “Hotel Cartagena” seit längerer Zeit ihr neuester Kriminalroman aus der Kultserie rund um die eigenwillige Staatsanwältin Chastity Riley vor: Sie wird mit ihren Freunden in einer Hotelbar als Geisel genommen.

Schräge, lebensechte Charaktere und ein feines Gespür für das Zwischenmenschliche kennzeichnen die Bücher der Autorin (sehr stark auch der Vor-Vorgänger “Beton Rouge”). Diesmal aber übertreibt sie es aus meiner Sicht mit ihrer Kapitalismuskritik, vor allem steuert sie ab der Hälfte – und das ist für ihre Romane untypisch – auf ein vorhersehbares Ende zu. Macht aber nichts, meine Vorfreude auf den nächsten Chastity-Riley-Krimi (“River Clyde”, erscheint im März 2021) ist jetzt schon groß.

7 von 10 Punkten

Simone Buchholz: “Hotel Cartagena”, Suhrkamp Nova, 229 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen

Lee Child: Der Bluthund

(c) Blanvalet

Jack Reacher ist eine der Kultfiguren des modernen Thrillers. Nur mit einer Zahnbürste bewaffnet reist er quer durch die USA. Sein Ziel ist ihm unbekannt, zumeist steigt er in jenen Bus, der als nächstes am Busbahnhof abfährt. Oder er fährt als Anhalter mit. Eines sollte man den ehemaligen Militärpolizisten aber nicht: sich zum Feind machen. Denn dann ist der einsame Reiter kompromiss- und erbarmungslos. Da kann man sich gleich sein Grab schaufeln.

Der Bluthund” ist bereits das 22. Reacher-Abenteuer und ein Ende der Serie ist nicht in Sicht. Denn nach den nächsten beiden, noch nicht übersetzten Bänden (“Past Tense”, Blue Moon”) werden vier weitere Jack-Reacher-Romane in Co-Arbeit mit Childs Bruder Andrew Grant erscheinen. Danach übernimmt der kleine Bruder die Serie überhaupt.

Aber zurück zum aktuellen Buch. Diesmal entdeckt Reacher zufällig bei einem Pfandleiher einen Abschlussring der Militärakademie West Point. Wie dieser dorthin gelangt ist? Das lässt den hartnäckigen Gerechtigkeitsfanatiker nicht mehr los und schon bald steckt er in massiven Schwierigkeiten – naja, genau genommen, die Bösen natürlich.

Hatte man bei den vergangenen Bänden der Reihe immer wieder das Gefühl, der Autor würde ein wenig ermüden, findet Child nun wieder zu alter Stärke zurück. Dabei ist Jack Reacher diesmal so sanft wie schon lange nicht. So wenig Schlägereien und Schießereien finden selten statt.

Dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch – im Gegenteil. Allerdings ist der Thrill-Faktor ein wenig reduziert worden, was vielleicht nicht jedem Fan behagt. Reacher wirkt diesmal fast wie ein echter Mensch – nicht übergroß. Vor allem setzt sich Autor Child diesmal mit einer sehr realen Problematik in den USA auseinander: der Opioid-Krise, die mittlerweile das ganze Land erschüttert und alle Gesellschaftsschichten durchdringt.

Fazit: Auch ein Held ist nur ein Mensch.

7 von 10 Punkten

Lee Child: “Der Bluthund”, übersetzt von Wulf Bergner, Blanvalet Verlag, 447 Seiten.

4 Comments

Filed under Rezensionen

Tommie Goerz: Meier

(c) Ars Vivendi

Zehn Jahre lang hat Meier im Gefängnis gesessen, wegen Mordes – unschuldig. Als er wieder in Freiheit kommt, versucht er sein Leben in den Griff zu bekommen. Er agiert wohlüberlegt und schreckt auch vor kriminellen Taten nicht zurück, um sich finanziell über Wasser zu halten. Autor Tommie Goerz porträtiert in “Meier” einen vom Leben Betrogenen, der nicht akzeptiert, Opfer zu sein. Als sich Meier durch Zufall die Möglichkeit zur Rache bietet, zögert er nicht.

Atmosphärisch sehr dicht erzählt, überzeugt diese “Ballade des zufriedenen Knackis”, wie die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” schreibt, in vielen Punkten. Einziges Manko des schmalen Buches: Es sind dann doch ein paar Zufälle zu viel: Dass er den eigentlichen Schuldigen seiner Haftstrafe zufällig wiedersieht, ein Beweisstück zufällig auftaucht – an einem Ort, an den Meier wohl nie im Leben kommen würde. Das ist nicht ganz glaubwürdig. Das ist wohl dem Umstand geschuldet, dass der Autor sein Buch ohne wirklichen Plan geschrieben hat, wie er auf “BR.de” sagt. Das ist einerseits sein großes Plus, weil es nicht in irgendein Schema hineinfällt, aber eben auch sein großes Minus.

Für den ersten Versuch im Hardboiled-Genre ist “Meier” aber eine echte Überraschung im positiven Sinne, zumal der Autor bislang vor allem für seine “Bierkrimis” um den schrullig-kauzigen Kommissars Friedemann “Friedo” Behütuns bekannt war.

7 von 10 Punkten

Tommie Goerz: “Meier”, Ars Vivendi Verlag, 160 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen

Robert Pobi: Manhattan Fire

Es ist eigentlich ein unmöglicher Schuss: Mit höchster Präzision tötet ein Scharfschütze mitten in New York City einen FBI-Agenten – noch dazu, während ein Blizzard die Stadt heimsucht. Deshalb wird Lucas Page, brillanter Ballistiker und Ex-Kollege des Toten, herangezogen, um dem Täter auf die Spur zu kommen.

Mit der Figur Lucas Page hat Autor Robert Pobi eine Figur erschaffen, die ein Fixpunkt des Krimigenres werden könnte. Der körperlich Versehrte verfügt über ein unglaubliches Talent räumlicher Wahrnehmung und kann Tatorte “lesen”. Er ist eine Art “Tatortflüsterer”.

Die ungewöhnliche Familiensituation der Hauptfigur verleiht der Lektüre darüber hinaus einen besonderen Reiz. Page und seine Frau kümmern sich um Kinder, die das US-Sozialsystem ausgespuckt hat. Es ist eine sympathisch unperfekte – um nicht zu sagen: chaotische – Familiensituation. Kaum wo werden die Werte der Familie so betont wie in den USA. Da kann man diese Konstellation durchaus als Kritik verstehen.

Besonders spannend fand ich es auch, dass es dem Autor gelungen ist, die USA als tief gespaltenes Land zu porträtieren. Denn “Manhattan Fire” wartet mit einer ordentlichen Portion Medienkritik auf. Sowohl CNN als auch Fox News bekommen ihr Fett ab. Es ist eine mitunter scharfe Abrechnung mit den beiden TV-Giganten. Die Wahrheit findet weder da noch dort, sondern irgendwo in der Mitte statt.

7 von 10 Punkten

Robert Pobi: “Manhattan Fire”, übersetzt von Wolfgang Thon, Aufbau Verlag, 445 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen