Monthly Archives: December 2020

Denise Mina: Götter und Tiere

(c) Ariadne Kriminalroman

Die Ariadne-Kriminalromane sind seit vielen Jahren Garant für hochqualitative Genre-Kost geworden. Unglaublich, wie ein kleiner Verlag mit seinen weiblichen Autorinnen derart beständig für Unruhe im vorwiegend männlichen Betrieb der zünftigen Kriminalliteratur sorgt.

Erschienen im Vorjahr die faszinierenden Bücher neuer oder zu Unrecht nahezu unbekannter Autorinnen wie Hannelore Cayre (“Die Alte”), Tawni O’Dell (“Wenn Engel brennen”) und Sarah Schulman (“Trüb”), sind in den vergangenen Wochen die Bücher zweier etablierten Größen des “dunkel-realistischen Genres”, wie es der Verlag nennt, herausgekommen. Auf Dominique Manotti werde ich im nächsten Beitrag eingehen, hier will ich mich mit Denise Mina, der “Queen of Tartan Noir”, beschäftigen.

Die Schottin Denise Mina lässt erneut die Polizistin Alex Morrow Licht in die Schattenseiten von Glasgow bringen. “Götter und Tiere” ist der chronologischen Reihenfolge nach der dritte von fünf Morrow-Romanen (ich habe “Das Vergessen” – Teil 4 – und “Blut Salz Wasser” – Teil 5 – gelesen) , der die Serie nun endlich komplettiert. Dem Lesegenuss tut das unregelmäßige Erscheinen der Teile aber keinen Abbruch.

Als bei einem Raubüberfall in einer Postfiliale ein älterer Mann erschossen wird, ist nichts so klar, wie es im ersten Moment erscheint. Martin Pavel, der den Enkelsohn des Getöteten, der ihm bis dahin unbekannt war, beschützt, verhält sich seltsam. Zudem hat der Student das titelgebende Zitat “Gods and Beasts” auf seinem Hals tätowiert. Dieses stammt von Aristoteles und meint jene Lebewesen, “die nicht in Gemeinschaft leben oder ihrer bedürfen”.

Aber auch das Verhalten des alten Mannes in den letzten Minuten seines Lebens ist eigenartig. Parallel dazu erzählt die Schottin die Geschichte des politischen Auf- und Abstiegs des Gewerkschafters Kenny Gallagher, dessen Weste alles andere als sauber ist.

Laudan bringt es im Vorwort auf den Punkt: “Das ist clevere und scharf sozialkritische zeitgenössische Kriminalliteratur, die mit klassischen Mustern des Genres spielt, dem Publikum viel zutraut und auch viel zumutet.” Minas Blick für die Details des Zwischenmenschlichen ist gestochen scharf, ihre Figuren mit all ihren inneren Widersprüchen faszinieren.

Lebensnah, ein oft strapazierter Begriff, fällt einem dazu ein. Er passt perfekt. Denn Mina geht es nicht um den wohligen Schauer beim Lösen eines Rätselkrimis. Sie will genau hinsehen, Geschehnisse sezieren und Bruchlinien in der Gesellschaft erkennbar machen. Und das tut sie auf bestechende Art und Weise.

9 von 10 Punkten

Denise Mina: “Götter und Tiere”, übersetzt von Karen Gerwig, Argument Verlag mit Ariadne, 360 Seiten.

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Rest in Peace, John le Carré

John le Carré und ich. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Vermutlich überhaupt keine Liebe. Aber großer Respekt ist geblieben, vor diesem Ausnahmekönner, der den Spionageroman im Handumdrehen in die Weltliteratur gehoben hat und nun gestorben ist.

Ich habe schon vor sehr langer Zeit sein wohl bekanntestes Buch, das ihm damals den Durchbruch verschaffte, gelesen: “Der Spion, der aus der Kälte kam”. Für viele ist das der besten Spionageroman, der jemals geschrieben wurde. Auf mich hat das Buch allerdings keinen bleibenden und nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Wenn ich an Spionageromane denke, dich mich beeindruckt haben, denke ich sofort an den zweiten Altmeister des politischen Spannungsromans: Frederick Forsyth. “Die Faust Gottes” und “Das Schwarze Manifest” haben mich echt gefesselt. Auch diverse Romane von Jack Higgins habe ich als Teenager verschlungen. Der im deutschsprachigen Raum vollkommen in Vergessenheit geratene Gerald Seymour hat mich so richtig begeistert und berührt. Und später waren es dann Daniel Silva und David Ignatius.

Mit le Carrés Romanen wurde ich lange hingegen nie so richtig warm. Mir war das zu langsam, zu verkopft, zu kompliziert. Was auch immer. Ähnlich geht es mir übrigens mit Graham Greene. Er ist einer jener Autoren, die man eigentlich mögen sollte. Aber ich kann mit ihm bis heute nicht viel anfangen.

Dann habe ich irgendwann “Absolute Freunde” gelesen. Das hat mich auch nicht zu einem Fan gemacht, aber phasenweise hat mich das so richtig gepackt. Tja, und dann habe ich voriges Jahr “Federspiel” gelesen. Mit diesem Spätwerk hat mich der weise alte Mann dann endgültig auf die Reise mitgenommen.

Ich habe noch einmal nachgelesen, was mich damals so begeistert hat: “Sein Interesse gilt ohnehin den kleinen Rädchen im Spionagegetriebe, den offenkundigen Verlierern, die ihr Gewissen bewahrt haben – was wohl auch ein Hauptgrund für ihren beruflichen Abstieg ist.” Da steckt doch eine gute Portion Noir drin.

Als Leser bildet man sich ja ständig weiter. Was man früher mochte, mag man oft gar nicht mehr – und umgekehrt. Und irgendwann werde ich vermutlich auch noch seine Klassiker “Die Libelle” und “Der ewige Gärtner” lesen.

PS: Sehr zu empfehlen ist der TV-Mehrteiler “Der Nachtmanager”.

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Simone Buchholz: Hotel Cartagena

(c) Suhrkamp

Mit “Mexikoring” hat Simone Buchholz den Deutschen Krimipreis 2019 gewonnen (und den Sprung auf die Liste meiner Lieblingskrimis des Jahres 2018 geschafft). Nun liegt mit “Hotel Cartagena” seit längerer Zeit ihr neuester Kriminalroman aus der Kultserie rund um die eigenwillige Staatsanwältin Chastity Riley vor: Sie wird mit ihren Freunden in einer Hotelbar als Geisel genommen.

Schräge, lebensechte Charaktere und ein feines Gespür für das Zwischenmenschliche kennzeichnen die Bücher der Autorin (sehr stark auch der Vor-Vorgänger “Beton Rouge”). Diesmal aber übertreibt sie es aus meiner Sicht mit ihrer Kapitalismuskritik, vor allem steuert sie ab der Hälfte – und das ist für ihre Romane untypisch – auf ein vorhersehbares Ende zu. Macht aber nichts, meine Vorfreude auf den nächsten Chastity-Riley-Krimi (“River Clyde”, erscheint im März 2021) ist jetzt schon groß.

7 von 10 Punkten

Simone Buchholz: “Hotel Cartagena”, Suhrkamp Nova, 229 Seiten.

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Lee Child: Der Bluthund

(c) Blanvalet

Jack Reacher ist eine der Kultfiguren des modernen Thrillers. Nur mit einer Zahnbürste bewaffnet reist er quer durch die USA. Sein Ziel ist ihm unbekannt, zumeist steigt er in jenen Bus, der als nächstes am Busbahnhof abfährt. Oder er fährt als Anhalter mit. Eines sollte man den ehemaligen Militärpolizisten aber nicht: sich zum Feind machen. Denn dann ist der einsame Reiter kompromiss- und erbarmungslos. Da kann man sich gleich sein Grab schaufeln.

Der Bluthund” ist bereits das 22. Reacher-Abenteuer und ein Ende der Serie ist nicht in Sicht. Denn nach den nächsten beiden, noch nicht übersetzten Bänden (“Past Tense”, Blue Moon”) werden vier weitere Jack-Reacher-Romane in Co-Arbeit mit Childs Bruder Andrew Grant erscheinen. Danach übernimmt der kleine Bruder die Serie überhaupt.

Aber zurück zum aktuellen Buch. Diesmal entdeckt Reacher zufällig bei einem Pfandleiher einen Abschlussring der Militärakademie West Point. Wie dieser dorthin gelangt ist? Das lässt den hartnäckigen Gerechtigkeitsfanatiker nicht mehr los und schon bald steckt er in massiven Schwierigkeiten – naja, genau genommen, die Bösen natürlich.

Hatte man bei den vergangenen Bänden der Reihe immer wieder das Gefühl, der Autor würde ein wenig ermüden, findet Child nun wieder zu alter Stärke zurück. Dabei ist Jack Reacher diesmal so sanft wie schon lange nicht. So wenig Schlägereien und Schießereien finden selten statt.

Dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch – im Gegenteil. Allerdings ist der Thrill-Faktor ein wenig reduziert worden, was vielleicht nicht jedem Fan behagt. Reacher wirkt diesmal fast wie ein echter Mensch – nicht übergroß. Vor allem setzt sich Autor Child diesmal mit einer sehr realen Problematik in den USA auseinander: der Opioid-Krise, die mittlerweile das ganze Land erschüttert und alle Gesellschaftsschichten durchdringt.

Fazit: Auch ein Held ist nur ein Mensch.

7 von 10 Punkten

Lee Child: “Der Bluthund”, übersetzt von Wulf Bergner, Blanvalet Verlag, 447 Seiten.

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