Monthly Archives: March 2016

Krimis, die man 2016 lesen sollte (III)

(c) Berlin Verlag

(c) Berlin Verlag

Wahnsinn, fünf Jahre ist die Katastrophe von Fukushima nun schon wieder her. Mit Thomas Reverdys “Die Verflüchtigten” (seit 1. März im Handel) liegt nun der – meines Wissens – erste Kriminalroman vor, der dieses Thema zumindest anstreift. Reverdys Roman klingt alles andere als reißerisch und sehr vielversprechend. Auf meiner Leseliste weit oben.

Der Verlag schreibt: Sich in Luft auflösen, das ist in Japan ein gängiger Weg, der Familie große Schande zu ersparen. Kaze hat sein Gesicht verloren, weil er, der treue Angestellte einer großen Investementbank plötzlich fristlos entlassen wurde. Mit einem Koffer und drei Pappkartons verschwindet er nachts nach San’ya, das verlorene Viertel Tokios. Dort regiert mit äußerster Brutalität die japanische Mafia. Und dort kreuzt sein Weg den von Akainu, einen Jungen, den der GAU von Fukushima zum Straßenkind gemacht hat. Vor der Bedrohung durch die Yakuza fliehen die beiden weiter nach Norden, zu den Landschaften der Verwüstung, auch um Akainus Familie zu suchen. In San Francisco hat derweil Kazes Tochter beschlossen, den Vater aufzuspüren und bittet ihren Exfreund Richard B. um Hilfe. Der ist Privatdetektiv, Gelegenheitsdichter, Reisehasser und vor allem immer noch unsterblich verliebt in die schöne Yukiko und ihr rätselhaftes Land. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg.

(c) Kriminalroman Nautilus

(c) Kriminalroman Nautilus

Mit Declan Burke habe ich noch eine Rechnung offen. Sein hochgelobter Meta-Krimi “Absolute Zero Cool” konnte mich damals so gar nicht begeistern. Ich konnte zwar in Ansätzen erkennen, dass es sich um Autor handelt, der durchaus sein Handwerk versteht, aber letztlich hatte mich das Buch eher gelangweilt als gut unterhalten. Ich bin also schon gespannt, ob mich Burke diesmal mit “The Big O” (seit 3. März) auf die Reise mitnehmen kann. Grundsätzlich klingt das ja ganz ansprechend:

Karen ist eine Sprechstundenhilfe mit notorisch schlechter Laune. Zum Monatsende unternimmt sie regelmäßig Raubüberfälle unter virtuosem Einsatz ihrer .44er Magnum. Karens Chef, Frank, ist ein Schönheits­chirurg mit Geldsorgen und einer Frau, die bald seine Ex-Frau sein wird, Madge. Sie will er entführen lassen, um das Lösegeld von der Versicherung zu kassieren. Hier kommt Ray ins Spiel, den Karen kennengelernt hat, als sie ihn bei einem Überfall versehentlich fast erschossen hätte. Hauptberuflich malt Ray Wandbilder, aber nebenbei ist er Auftrags-Kidnapper. Nur leider ist Madge, auf die er angesetzt wird, Karens beste Freundin. Und dann ist da noch Karens Ex Rossi, der gerade aus dem Knast kommt und sich an ihre Fersen heftet, denn sie hat noch ein Motorrad und eine Knarre, die ihm gehören …

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Als ein weiteres Krimi-Highlight könnte sich Andreas Pflügers “Endgültig” (seit 7. März) entpuppen. Vor über zehn Jahren habe ich Pflügers BKA-Epos “Operation Rubikon” gelesen, das er erst nach Ausstrahlung der gleichnamigen TV-Serie verfasst hat. Pflüger hat in der Zwischenzeit auch keinen weiteren Krimi geschrieben. Das Erscheinen eines neuen Buchs von ihm ist also ein äußerst rares Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

In ihrem ersten Leben war Jenny Aaron Mitglied einer international operierenden Elitetruppe der Polizei – hochintelligent, kampferprobt, effektiv. In ihrem zweiten ist sie Verhörspezialistin und Fallanalytikerin beim BKA. Sie spürt das Verborgene und versteht es, zwischen den Worten zu tasten – denn seit einem misslungenen Einsatz in Barcelona ist Aaron blind. Die damaligen Ereignisse haben sie traumatisiert. Doch es war nicht der schlimmste Tag ihres Lebens. Der schlimmste Tag ihres Lebens ist heute.

(c) Tropen

(c) Tropen

Philip Kerrs Fußball-Krimi “Der Wintertransfer” (das Buch hat es auf meine Top-10-Liste 2015 geschafft) war für mich eine der großen Überraschungen des Vorjahres. Nun liegt bereits der zweite Band rund um Scott Manson vor. Vor allem für Fußball-Fans ist “Die Hand Gottes” (seit 19. März) wohl eine Pflichtlektüre, aber nicht nur für diese. Das war echt feine Unterhaltung.

Griechenland im Hochsommer: Die Sonne brennt, auf den Rängen im Hexenkessel des Karaiskakis Stadions toben die Fans. Scott Manson und sein Team vom skandalträchtigen Erstligisten London City wollen nur das Champions League Spiel gewinnen und nichts wie zurück ins kühle England. Da bricht Scotts Topstürmer vor laufenden Kameras tot zusammen. Die griechische Polizei stellt die gesamte Mannschaft unter Verdacht, und der ukrainische Clubchef und Ex Mafiaboss Sokolnikow verlangt schnelle Aufklärung. Doch als wenig später ein totes Escortgirl aus dem Hafenbecken von Piräus gefischt wird, weiß Scott, dass der Schuldige nicht unter seinen Spielern, sondern in der Chefetage von London City zu finden ist. Ein Spiel gegen den Gegner aus den eigenen Reihen beginnt.

(c) HarperCollins

(c) HarperCollins

Ganz kann ich meine alte Vorliebe für klassische Pageturner-Thriller nicht ablegen. Daher will ich diesmal noch zum Schluss Gregg Hurwitz’ “Orphan X”  (seit 10. März) empfehlen. “Ein perfekter Mix aus Jason Bourne und Jack Reacher”, wirbt der Verlag. Mir fallen da auch noch die TV-Serien “Orphan Black” und “Dark Angel” ein… Naja, vielleicht auch nur Marketing-Schmäh. Interessant klingt für Thriller-Fans übrigens auch Mark Dawsons “One – Sie finden dich”, das zudem Auftakt zu einer Agenten-Serie sein dürfte.

1. Gebot: Keine voreiligen Schlüsse

Seine Nachbarn halten Evan Smoak für einen harmlosen Verkäufer von Industriereinigern. Dabei ist er eine der tödlichsten und geheimsten Waffen der US-Regierung: ein Absolvent des Orphan-Programms, in dem Waisenkinder zu hocheffizienten Killern ausgebildet wurden.

4. Gebot: Es ist nie persönlich

Nach Jahren des Mordens im inoffiziellen Regierungsauftrag, ist Evan in den Untergrund gegangen. Er hilft nun den Verzweifelten, die mit ihren Problemen nicht zur Polizei gehen können – mit allen Fähigkeiten, die ihm zur Verfügung stehen. Dabei hält er sich strikt an seine eigenen Gebote. Doch diesmal bricht er eine der Regeln und sein Auftrag entwickelt sich zur Katastrophe. Nun muss er gegen ein Gebot nach dem anderen verstoßen, damit das allerwichtigste unangetastet bleibt:

10. Gebot: Lasse niemals einen Unschuldigen sterben

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Adrian McKinty: Gun Street Girl

(c) Suhrkamp Nova

(c) Suhrkamp Nova

“Gun Street Girl” ist bereits der vierte Teil der Sean-Duffy-Reihe des nordirischen Krimiautors Adrian McKinty. Erneut muss Duffy, der katholische Polizist, im protestantischen Belfast ermitteln. Als ein wohlhabendes Ehepaar ermordet wird und kurz darauf der Sohn in einem Abschiedsbrief die Tat gesteht, scheint alles klar. Doch nichts ist, wie es scheint.

McKinty schreibt nicht einfach nur sehr gut, sondern nahezu perfekt. Nichts kommt zu kurz: das Rätselhafte, die Ermittlerarbeit, starke Charaktere, Handlung, Humor und vor allem das zeithistorische Setting. Teil vier ist der stärkste Band der nicht gerade mit schwachen Teilen ausgestatteten faszinierenden Duffy-Serie.

Nur kurz zu meinen Leseerfahrungen: Ich brauche immer ein Kapitel, in dem mir McKintys Stil sogar sperrig vorkommt, doch spätestens dann entfaltet sich jedes Mal hohe Krimikunst. Einstiege mögen also nicht seine Stärke sein, aber da ist dann auch schon Schluss mit Schwächen. Selten schmunzle ich so oft beim Lesen von Krimis. Nicht unbedingt, weil McKinty so lustig ist (obwohl er schon einen feinen Humor hat), sondern weil ich mich einfach wohlfühle beim Lesen. Vielleicht grinse ich dann sogar schwachsinnig, alles möglich: Andere mögen das beim Blick in ihr Smartphone machen, bei mir ist das bei McKinty der Fall 😉

Ich habe einfach großen Respekt vor diesem Autor. Für mich ist er einer der ganz Großen des Genres. Wenn ihr mehr über ihn wissen wollt, schaut doch einfach einmal auf seinen äußerst unterhaltsamen Blog “The Psychopathology of Everyday Life”. Da erfahrt ihr, warum er Don Winslows “Das Kartell” für ein Meisterwerk hält (das auch sein “Favourite Book of 2015” war), welche Ridley-Scott-Filme Schrott sind und welche nicht oder was passieren kann, wenn man in Melbourne ohne Helm Fahrrad fährt. Besonders sympathisch finde ich seinen Beitrag “What Happened Next?”.

Die Serie im Überblick:

Der katholische Bulle

Die Sirenen von Belfast

Die verlorenen Schwestern

10 von 10 Punkte

Adrian McKinty: “Gun Street Girl”, übersetzt von Peter Torberg, Suhrkamp, 375 Seiten.

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“Lust am Verbrechen” oder warum wir Krimis lieben

(c) Arte (Beall Productions)

(c) Arte (Beall Productions)

Seit Sonntag läuft auf Arte die dreiteilige Dokumentation “Lust am Verbrechen”, die auch in der Mediathek des Senders abrufbar ist. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, die ich auch in einem umfassenden Artikel auf “DiePresse.com” zusammengefasst habe. Nur kurz: Ich fand den ersten Teil durchaus gelungen, weil er dem Krimigenre in all seiner Vielseitigkeit gerecht wird.

Störend waren nur manche Sprüche des Erzählers, die tief aus irgendwelchen Klischeeschubladen gezogen wurden. Beispiele: “Wer beim Krimi an Bord geht, lässt sich auf eine mörderische Reise ins schwarze Herz der Welt ein.” Oder: “Der Krimi ist eine Maschine zur Herstellung von Leichen und ihr Motor läuft im Zweitakt von Wut und Gewalt.”

Abgesehen davon erfuhr man aber viele interessante Dinge. Namhafte Autoren wie Michael Connely und Jo Nesbo gewährten ebenso spannende Einblicke ins Genre wie US-Regisseur Michael Mann. Wer also Krimis liebt und Zeit hat, sollte sich das nicht entgehen lassen. Teil zwei folgt am 20. März.

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Dennis Lehane: Am Ende einer Welt

(c) Diogenes

(c) Diogenes

Dennis Lehane ist einer meiner Lieblingsautoren. Ich mag dieses klassische Gangster-Genre – und ich mag einfach, wie er erzählt. Lehane ist für mich einfach Genuß pur. Es ist mir eigentlich egal, wohin er mich führt, ich folge ihm und vertraue ihm blind. Am Ende kommt immer eine gute Geschichte raus. Dialoge, Szenen, Charaktere – seine Bücher sind voll Leben, voll kleiner Wahrheiten, voll bedeutsamer Unbedeutsamkeiten. War ich schon von “In der Nacht” begeistert, bin ich es auch von “Am Ende einer Welt”.

Man könnte dem Buch vorwerfen, eine Kopie bzw. ein Klon des Vorgängers zu sein. Das mag sogar zutreffen, der Aufbau der beiden Geschichten ist letztlich sehr ähnlich. Aber mir war das egal, meine einzige Sorge war, dass dieses Buch auf alle Fälle zu früh enden würde. Das ist auch so eine Wirkung, die Lehanes historische Gangsterkrimis auf mich haben. So geht es mir sonst eigentlich momentan nur bei Adrian McKinty und William Shaw.

Inhaltlich spielt der Krimi etwas mehr als ein Jahrzehnt nach “In der Nacht”, im Jahr 1943. Mafioso Jack Coughlin hat sich nach dem Tod seiner Frau aus der ersten Reihe des organisierten Verbrechens zurückgezogen. Doch im Hintergrund ist er immer noch ein wichtiger Mann. Als er eines Tage erfährt, dass auf ihn ein Killer angesetzt wurde, kann er das kaum glauben. Steckt ein alter Feind dahinter?

“Es gab eine Regel in dem seltsamen Geschäft, das sie betrieben: Ziehe nie Familien in die Sache hinein. Es war eine geheiligte Regel, die über allen anderen stand, mit einer einzigen Ausnahme: Mach so viel Geld, wie nur geht. Dank dieser Regel konnten sie glauben, dass etwas sie von Tieren unterschied. Etwas, das ihrer Grausamkeit und ihrem Eigennutz eine Grenze setzte.”

Souverän entwickelt Lehane seine Geschichte, sein Buch ist auch ein Beziehungsroman. Jack Coughlins Beziehungen zu seinem Sohn, seiner Geliebten, seinen Freunden stehen im Zentrum. Da geht es um Verrat, Verlust und viele andere Dinge. Wie sauber kann man in einer schmutzigen Welt bleiben? Ich mag diese altmodischen Geschichten, die vielleicht schon oft erzählt wurden, aber nichts an Reiz verlieren. Vielleicht auch deshalb, weil sie immer auch Reisen in vergangene Zeiten inkludieren, uns an Vergangenem teilhaben lassen.

9 von 10 Punkten

Dennis Lehane: “Am Ende einer Welt”, übersetzt von Steffen Jacobs, 394 Seiten, Diogenes.

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KrimiZeit-Bestenliste im März: Ein Abgleich

(c) Unionsverlag

(c) Unionsverlag

Gerade eben habe ich “Bitter Wash Road” in meinen Tipps für die Krimineuerscheinungen im Februar erwähnt – und mit einem Schlag ist der australische Krimi auf Platz eins der KrimiZeit-Liste im März. Cool, ich mag das Krimiland Australien. Weniger cool: Schon sitze ich wieder ganz tief in der Wann-soll-ich-das-alles-lesen-Bredouille. Denn eigentlich sind auch die Herren auf Platz zwei und drei Pflichtbücher.

Warum? Gattis scheint mit “In den Straßen die Wut” eine der spannendsten Krimi-Neuerscheinungen des ersten Halbjahrs 2016 zu sein und von Andreas Pflüger – im Hauptberuf Drehbuchautor (v.a. beim “Tatort”) – habe ich vor über einem Jahrzehnt das BKA-Epos “Operation Rubikon” gelesen. Wobei ich sagen muss, dass mich damals die gleichnamige TV-Serie, die auf Pflügers Drehbüchern basierte, noch mehr begeistert hat (sie wurde übrigens auch zwei Jahre vor Erscheinen des dicken Romans ausgestrahlt). Nun liegt mit “Endgültig” also sein zweiter Krimi vor. Meine Neugier ist groß.

Tja und dann wäre da “Porkchoppers” von Ross Thomas. Ich habe bisher nur verstümmelte Versionen seiner Krimis gelesen, weil es eben vor zwei Jahrzehnten noch üblich war, im Zuge der Übersetzung 400-seitige Bücher auf die Hälfte zusammenzuschrumpfen – das war damals leider keine Seltenheit. Eigentlich ein Verbrechen! Ich vermute stark, dass seine Bücher auch deshalb keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen haben.

Einen darf man natürlich auch nicht vergessen: Großmeister Cormac McCarthy mit seinem erstmals ins Deutsche übersetzten Frühwerk “Der Feldhüter” ist ein Muss auf jeder anspruchsvollen Leseliste.

Tja, da fehlt mir eigentlich nur einer, der meiner Meinung nach in McCarthys Liga spielt: Daniel Woodrell mit seinem eben erst erschienenen “Tomatenrot”. Ich habe das Buch soeben beendet und was soll ich sagen: Es ist ein typischer Woodrell – präzise und einfühlsam formuliert, eine kleine Wucht.

Und eines hätte ich fast vergessen: Von Eugene McCabes “Die Welt ist immer noch schön” hätte ich ohne KrimiZeit-Jury wohl nichts mitbekommen. Danke dafür, liebe Krimi-Experten.

Die Liste im Überblick:

1 (-) Garry Disher: Bitter Wash Road
2 (4) Ryan Gattis: In den Straßen die Wut
3 (-) Andreas Pflüger: Endgültig
4 (-) Ross Thomas: Porkchoppers
5 (1) Malla Nunn: Tal des Schweigens
6 (-) Cormac McCarthy: Der Feldhüter
7 (3) Tito Topin: Exodus aus Libyen
8 (9) Michael Robotham: Der Schlafmacher
9 (-) Eugene McCabe: Die Welt ist immer noch schön
10 (9) Joseph Kanon: Leaving Berlin

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