Monthly Archives: March 2015

Krimis, die man 2015 lesen sollte (III)

(c) suhrkamp nova

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Schon über den Februar hatte ich geschrieben, er sei ein Krimi-Wonnemonat. Der März steht dem Vormonat aber kaum nach. Einerseits ist da gleich zu Beginn Adrian McKintys dritter Teil der Sean-Duffy-Serie erschienen. “Die verlorenen Schwestern” ist seit 7. März im Handel und bei mir Pflicht. Ich habe hier sowohl Teil 1 (“Der katholische Bulle”) als auch Teil 2 (“Die Sirenen von Belfast”) hymnisch besprochen. Trotzdem bin ich enttäuscht vom Verlag: Kamen die ersten beiden Bände als Hardcover heraus, ist “Die verlorenen Schwestern” bloß als Weder-Fisch-noch-Fleisch-Lösung herausgekommen: also als “großes” Taschenbuch (wie auch immer der Fachausdruck dafür sein mag). Sieht im Regal nicht so toll aus. Aber der Inhalt wird diesen Makel wohl wieder wettmachen. Der Verlag schreibt: “Nordirland, 1983. Als an einem Septembertag 38 IRA-Terroristen aus einem Hochsicherheitsgefängnis ausbrechen, herrscht höchste Alarmbereitschaft: Unter den Flüchtlingen befindet sich der in Libyen ausgebildete Bombenspezialist Dermot McCann. Inspector Sergeant Sean Duffy drückte mit McCann die Schulbank, weshalb mit einem Mal der MI5 vor seiner Tür steht. Duffy soll McCann finden.”

(c) Heyne

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Sehr vielversprechend klingt auch Richard Lange düsterer Krimi “Angel Baby”  (9. März), der immerhin mit dem Hammett Prize ausgezeichnet wurde. Verlagstext: “Im Leben von Luz ist einiges schiefgelaufen: Sie hat ihre kleine Tochter in Los Angeles zurückgelassen, um in Tijuana einen mächtigen Drogenboss zu heiraten. Seither lebt sie wie eine Gefangene in Rolandos bizarrer Villa und ist seiner Willkür ausgeliefert. Doch heute ist der Tag, an dem Luz ihre Fehler wiedergutmachen wird. Sie schießt ihre Bewacher nieder, räumt den Tresor leer und flieht in Richtung Grenze. Alles oder nichts. Das Schicksal wird entscheiden, ob sie ihre Tochter findet oder beim Versuch draufgeht.” Eigentlich kann ich da nicht widerstehen. Und ich entdecke immer wieder gern neue Stimmen.

(c) Luchterhand

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Benjamin Percy hat seit “Wölfe der Nacht” und vor allem “Roter Mond” (das Werwolf-Drama habe ich ja zum besten Krimi 2014 gewählt) einen großen Stein bei mir im Brett. : Mit “Jemand wird dafür zahlen müssen” sind seit 23. März nun erstmals auf Deutsch Kurzgeschichten des jungen Autors erhältlich. Der Verlag schreibt: “Viele der jungen Männer in Benjamin Percys atemberaubenden Geschichten stammen aus zerbrochenen Familien, finden keinen Halt in ihren Freundeskreisen und müssen das Undenkbare tun, um sich – und allen – zu beweisen, dass sie stark genug sind, um sich dem Schmerz dieser Welt zu stellen. Percy siedelt seine Erzählungen im ländlichen Oregon an, seine Helden kämpfen, jeder für sich. Ihre Gegner sind höchst unterschiedlich: ein verrückter Bär, ein Haus mit einem Keller, der sich in eine Höhle öffnet, ein Unfall, der den geliebten Menschen das Leben kostet, eine Fehlgeburt, die ein Paar sprachlos zurücklässt und einander entfremdet. Eines haben all ihre Kämpfe gemeinsam: Immer sind es die Narben, die ihre Geschichten erzählen, selbst wenn sie unsichtbar sind.”

(c) Fischer

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Auch Malcolm Mackay hat mich mit seinem Debüt “Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter” überzeugt. Nun ist “Der Killer hat das letzte Wort” erschienen (26. März), der zweite Teil seiner Glasgow-Trilogie. Der Verlag schreibt: “Frank MacLeod war der beste in seinem Fach. Überlegt. Effektiv. Skrupellos. Aber ist er immer noch der beste? Er bekommt einen neuen Auftrag. Ein Ziel. Aber diesmal wird etwas furchtbar schiefgehen. Der zweite Thriller nach ›Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter‹ nimmt die Leser mit auf die dunkle Seite von Glasgow. Wer zwischen die Fronten gerät, darf sich keinen Fehler erlauben. Denn Fehler sind tödlich.” Interessant ist, dass offenbar die Erzähperspektive wechselt. Denn der alternde Frank MacLeod spielte in Teil eins nur eine Nebenrolle, im Zentrum stand da der jüngere Killer Calum MacLean. Klingt ein wenig nach Don Winslows “Frankie Machine”.

(c) Heyne Hardcore

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Von Ryan David Jahn habe ich bereits “Der Cop” gelesen. Das war aus meiner Sicht ein solider und äußerst spannender Thriller um einen Cop, dessen Tochter vor sieben Jahren verschwand und vor vier Monaten für Tod erklärt wurde. Dann plötzlich erhält er einen Anruf von ihr… “Der letzte Morgen” (30. März) verspricht nun klassische Unterwelt-Lektüre: “Los Angeles. Zwei Morde in derselben Nacht bringen den Unterweltboss James Manning in Bedrängnis. Ein Sündenbock muss her. Eugene Dahl, ein einfacher Mann, der morgens Milch ausliefert und abends Barhocker wärmt, ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Doch er weigert sich, zum Spielball des organisierten Verbrechens zu werden. Um seine Haut zu retten, wird er Dinge tun müssen, die weit schlimmer sind als alles, was man ihm vorwirft.” Ich mag zwar mittlerweile Serien, aber ich weiß es immer noch sehr zu schätzen, wenn Krimiautoren sich ständig neu erfinden. Ryan David Jahn dürfte zu dieser Kategorie zählen. Denn sein Debütroman “Ein Akt der Gewalt” handelt wieder von etwas ganz anderem.

sturmueberneworleansJames Lee Burkes “Sturm über New Orleans” ist eigentlich schon Mitte Februar erschienen, ich habe sein Buch offenbar übersehen. Mittlerweile stecke ich allerdings gerade in der Lektüre und ich bin begeistert. “Hurrikan Katrina trifft New Orleans mit voller Wucht. In der überfluteten Stadt treiben Leichen umher, und die Menschen versuchen panisch, ihr Hab und Gut zu retten. Die Häuser sind verlassen, der Strom ist weg und keine Spur mehr von Recht und Ordnung. Ein tiefer Graben des Misstrauens trennt die weiße und die schwarze Bevölkerung, während Hilfe der Behörden auf sich warten lässt.” Und mittendrin ermittelt Burkes Kultfigur Dave Robicheaux. Für alle, die es noch nicht wissen sollten: Burke hat ja mit “Regengötter” den Deutschen Krimipreis 2015 gewonnen und auch die KrimiZeit-Jahresliste 2014 angeführt. Es feiert also im deutschsprachigen Raum eine kleine Wiederauferstehung. Sehr fein, dass da der feine Kleinverlag Pendragon nachlegt – noch dazu mit Burkes wütendstem Buch, wie er im Vorwort selbst sagt: “Was damals in New Orleans geschah, das war nicht nur eine Naturkatastrophe, das war das größte Versagen einer Regierung, der denkbar größte Verrat an der eigenen Bevölkerung. Es war ein Verbrechen. Eine nationale Schande.”

(c) dtv

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Tja, und ein Buch hätte ich jetzt fast übersehen. Ich dachte, es würde erst im April erscheinen. Lyndsay Faye legt mit “Die Entführung der Delia Wright” ihren zweiten historischen Roman rund um den New Yorker Polizisten Timothy Wilde vor. Band eins, “Der Teufel von New York”, hat mich vor einem Jahr ziemlich begeistert. “1846. Vor einem halben Jahr wurde die Polizei von New York gegründet. Timothy hat sich als sehr talentiert für die Polizeiarbeit erwiesen. Und er glaubt sich ganz gut auszukennen mit dem Verbrechen in seiner Stadt. Dann erscheint die schöne Blumenverkäuferin Lucy Adams in seinem Amtszimmer: Ihr kleiner Sohn Jonas und ihre Schwester Delia sind entführt worden. Tims Ermittlungen führen ihn in ungeahnte Abgründe. Denn Lucys Familie ist »gemischter«, also nicht rein weißer Abstammung. Freie schwarze Bürger im Norden der USA sind Freiwild für Verbrecherbanden, die sie in ihre Gewalt bringen und als Sklaven in die Südstaaten verkaufen. Der Einzige, der Tim jetzt helfen kann, ist sein schillernder Bruder Valentine, seines Zeichens Polizei-Captain, korrupter Politiker, Frauenheld und noch einiges mehr. Als aber in Valentines Bett eine Leiche gefunden wird, muss Tim seinem ungeliebten Bruder beistehen …”

 

 

 

 

 

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Richard Stark: The Hunter

(c) Zsolnay

(c) Zsolnay

Parker ist eine der skrupellosesten Figuren der Kriminalliteratur. 1962 hat ihn Donald Westlake, der auch als Richard Stark schrieb, erschaffen. “The Hunter” war der erste von mehr als 20 Krimis rund um Parker. 1967 wurde “The Hunter” mit Lee Marvin in der Hauptrolle verfilmt, 1999 mit Mel Gibson (wenn auch die Filmfiguren nicht Parker hießen). Zuletzt mimte 2013 Jason Statham Parker im gleichnamigen Film, der allerdings auf Starks Krimi “Irgendwann gibt jeder auf” basiert.

Bei der Lektüre musste ich immer wieder an Garry Dishers Figur Wyatt, der ebenfalls der Vorname fehlt, denken. Wyatt könnte Parkers kleiner australischer Bruder sein. Parker und Wyatt sind Profi-Verbrecher in einer Welt voller Amateure und Stümper. Im letzten Wyatt-Krimi “Dirty Old Town” nimmt Disher sogar ganz offen Bezug darauf: Da spielt eine Lydia Stark eine wichtige Rolle, einmal nimmt Wyatt die Identität eines Mannes mit dem Namen Parker an und dann gibt es da den Westlake-Gebäudekomplex.

(c) dtv

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Das Faszinierendste an Parker ist: Er ist ein skrupelloser Verbrecher, kein klischeebeladener Gentleman-Ganove. Er ist brutal und tötet, wann immer nötig. In “The Hunter” geht er ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen. Auch über die einer unschuldigen Frau, die Opfer seiner Gewalt wird. Parker will ihren Tod zwar nicht (“Ihr Tod war vollkommen unnötig”) und ist wütend darüber, dass er sie versehentlich getötet hat. Gewissensbisse hat er deswegen aber keine.

In den folgenden Büchern der Serie ist er da schon zurückhaltender. Kann man mit Parker sympathisieren? Nein. Aber das ist gar nicht nötig. Wer sonst sollte sich einem Verbrechersyndikat so kaltblütig und gleichzeitig überlegt gegenüberstellen wie Parker? “Helden von diesem Kaliber werden heute gar nicht mehr hergestellt”, schreibt dazu Hans-Jörg Wangner in der Krimi-Kolumne Killer & Co..

Schon der erste Satz in “The Hunter” ist legendär:

“Als ein junger Kerl mit gesunder Gesichtsfarbe in einem Chevy ihm eine Mitfahrgelegenheit anbot, sagte Parker ihm, er solle sich verpissen. (When a fresh-faced guy in a Chevy offered him a lift, Parker told him to go to hell.)”

Eine bemerkenswerte Szene ist auch folgende: “Sein Körper war hart, langgliedrig und von Narben bedeckt. Nach dem Bad setzte er sich nackt auf das Bett, trank langsam den Wodka direkt aus der Flasche und grinste die gegenüberliegende Wand an. Als die Flasche leer war, warf er sie in den Papierkorb und schlief ein.”

Sie gewährt laut Philipp L’Heritier (fm4)“eine einzige Sekunde lang Einsicht in das Innenleben Parkers, meist bleibt er einzig Oberfläche, Klotz, dem auch nicht der Weg der Rache Genugtuung zu bereiten scheint.”

(c) IDW

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Es ist also die Geschichte eines Rachefeldzugs, den Parker aber so abgestumpft und gleichgültig abspult, dass einem der Atem stockt. Denn Parker wurde reingelegt, von seinem Komplizen und seiner Ex-Frau. Das ist für mich vielleicht auch die größte Schwachstelle des Buchs. Das fand ich nicht ganz glaubwürdig, wie Lynn (ja, sie war bedroht – aber trotzdem) da einfach die Seiten wechselt.

Viel besser fand ich hingegen, dass sich am Ende zeigt, dass auch Parker nur ein Verbrecher ist, dem Fehler unterlaufen – so viel also zum coolen Profi.

Wer Parker und “The Hunter” mag, sollte sich unbedingt auch die feine Graphic Novel von Darwyn Cooke zulegen, die es übrigens auch auf Deutsch gibt. Ich habe sie mir aber im Original gegönnt.

Ach ja, ein völlig nutzloses, aber interessantes Detail noch: Die ersten acht und letzten acht Parker-Krimis beginnen alle mit When….

8 von 10 Punkten

Richard Stark: “The Hunter”, übersetzt von Nikolaus Stingl, 191 Seiten, Zsolnay Verlag.

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Norbert Horst: Mädchenware

(c) Goldmann

(c) Goldmann

Dass ich Norbert Horsts “Mädchenware” gelesen habe, verdankt sich eigentlich nur einem Zufall. Ich hatte Richard Starks “The Hunter” in der Arbeit vergessen und war buchlos – das geht gar nicht, wie viele von euch wissen! Also ab ins Buchgeschäft und an die KrimiZeit gedacht, das Buch geschnappt und losgelesen. Meine Erwartungshaltung war gering, doch ich wurde positiv überrascht. Und ich habe gelernt: Auch wirkliche Hauptkommissare, denn Norbert Horst ist so einer, können Krimis schreiben.

Seine Stärke liegt auf der Hand: Authentizität. Würde er das nicht können, wäre das auch irgendwie seltsam. Horst Eckert (“Schwarzer Schwan”, “Schwarzlicht”) war der erste, der mich davon überzeugt hat, dass Polizeiromane nicht eine rein amerikanische Sache sind. Und Norbert Horst hat mich darin bestätigt, dass es sich auszahlen kann, deutschsprachige Polizeiromane zu lesen. Kurz hatte mich der Spruch “Der bisher persönlichste Fall für Kommissar Steiger” abgeschreckt: Für mich sind solche Lockrufe ja eher Warnzeichen. Oh Gott, nicht schon wieder eine entführte Ehefrau oder getötete Geliebte… Doch Horst zeigt einen persönlich betroffenen Kommissar, ohne erbarmungslos dick aufzutragen. Der persönliche Zug passt zur Geschichte, ist ein Detail, aber nicht mehr. Das ist angenehm.

(c) Das Erste

(c) Das Erste

Ein wenig hat mich die Lektüre an Dominik Grafs geniale TV-Serie “Im Angesicht des Verbrechens” erinnert. Hier wie da wird die Geschichte auch aus der Sicht von Prostituierten aus dem Osten erzählt. “Mädchenware” spielt in der Dortmunder Rotlichtszene, in der es zu Revierstreitigkeiten kommt, bei denen eine Prostituierte getötet wird. Kommissar Steiger, ein stiller und besonnener Mann – einer der sich über all die Jahre treu geblieben ist – muss ermitteln. Horst stellt die Polizeiarbeit nüchtern dar – ohne sie zu heroisieren. Er kommt ohne verrückte Serienkiller und voyeuristische Gewaltdarstellungen aus, sensationelle CSI-Wendungen erspart er dem Leser ebenfalls. Horst erzählt dabei keine wahnsinnig originelle Geschichte und erfindet das Krimi-Rad nicht neu. Aber das ist gut so, denn “Mädchenware” will einfach ein gut unterhaltender Krimi sein – nicht mehr aber auch nicht weniger. Mich persönlich hat der Erzählstrang um die drei Freundinnen aus dem Osten, von denen zwei in die Prostitution abrutschen, am meisten beeindruckt. Er schildert das Schicksal der Mädchen unaufgeregt und ohne Effektheischerei.

Elmar Krekeler formuliert das in seiner Krimi-Kolumne “Krekeler killt” wunderbar: “Eingesponnen in die erholsam realistische, sprachlich nirgends aktenordnertrockene Ermittlungserzählung, folgt Horst einem Trio russischer Mädchen durch ihre an Prügeln reiche Jugend ins sich dramatisch verändernde Dortmunder Rotlichtviertel. (…) Horst spekuliert nicht, macht kein Rührstück aus dem Schicksal der Mädchenware, die da im wahrsten Wortsinn in den Westen verschlagen wird.”

7 von 10 Punkten

Norbert Horst: “Mädchenware”, Goldmann Verlag, 351 Seiten.

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Dave Zeltserman: Killer

(c) pulp master

(c) pulp master

Leonard March, der für die Mafia 28 Auftragsmorde begangen hat, kommt nach vierzehn Jahren aus dem Gefängnis. Möglich wurde diese milde Strafe durch eine Aussage gegen seinen Ex-Boss Salvatore Lombard. Nun rechnet March damit, dass jeder Tag sein letzter sein könnte. Dennoch versucht er, ein normales Leben zu führen. Er zieht in einen kleinen Ort, nimmt einen Job als Putzkraft an und versucht, Kontakt zu seinen Kindern herzustellen.

So weit, so gut. Das hat das Zeugs für einen guten Krimi. Dave Zeltserman hat aus diesem Stoff jedoch ein kleines Meisterwerk gemacht. Denn “Killer”, seine Charakterstudie eines Mannes auf der Suche nach sich selbst, hat ein faszinierendes, erschütterndes und gleichzeitig zutiefst logisches Ende. Mehr will ich hier nicht verraten, das sollte einfach jeder selbst lesen.

Beeindruckt haben mich die “faden Alltagsszenen” dieses alles andere als guten Menschen Leonard March. Sein ernsthafter Versuch, sich ausgerechnet als Putzkraft durchzuschlagen, mutet ungewohnt an. Das hat man in der Kriminalliteratur wohl noch selten gelesen. Der eiskalte Mörder als Putzkraft – da spielt Zeltserman geschickt mit Genre-Klischees. Faszinierend fand ich auch die Szenen, in denen er, das Monster – so sehen ihn die meisten Leute – auf der Straße, im Kaffeehaus oder wo auch immer erkannt wird. Und auch die Annäherung an seinen Sohn, dem er fremd ist, ist sehr einfühlsam erzählt. Was muss in den Kindern eines Serienmörders vorgehen? Wie werden sie damit fertig?

Der Verlag pulp master wird für mich damit immer mehr zur fixen Größe für außergewöhnliche Kriminalliteratur abseits des Mainstreams. Stopp – falsch: Eigentlich ist er schon längst ein Leuchtturm. Sowohl “Götterdämmerung in El Paso”, “Dirty Old Town” und “Der Krake auf meinem Kopf” konnten mich zuletzt überzeugen. Da kann momentan eigentlich nur der neue, erst fünf Bücher alte Polar Verlag mithalten (ich sage nur: Gene Kerrigan und Ben Atkins; zu Atkins gibt es hier in Kürze mehr).

Das Buch ist übrigens – wenig verwunderlich – auf Platz 4 der KrimiZeit-Bestenliste im März eingestiegen.

Was meinen andere?

Nicole (mycrimetime) war schwer begeistert: “Auf den letzten Seiten gibt es da nämlich einen erkenne-dich-selbst-Orgasmus, der es in sich hat: ehrlich, schonungslos – und absolut emotionslos und gleichgültig.”

Marcus (krimi-welt) schreibt: “Am Ende findet Zeltserman eine ziemlich einleuchtende Antwort auf die Frage, wie sich ein Mann, dessen Job das Töten war (der aber davon abgesehen eine ziemlich bürgerliche Existenz führte), in einem Leben zurechtfinden kann, das nichts zu tun hat mit irgendetwas, das er kennt.”

8 von 10 Punkten

Dave Zeltserman: “Killer”, übersetzt von Ango Laina und Angelika Müller, pulp master, 262 Seiten.

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“American Sniper” – bloß ein Affe mit Waffe

(c) riva

(c) riva

“American Sniper” Chris Kyle wird gern als der “most lethal sniper” der US-Militärgeschichte bezeichnet. 160 tödliche Abschüsse (ja, das ist ein schlimmes Wort) sind bestätigt, über 255 im Bereich des Möglichen. Sein Leben wurde soeben von Clint Eastwood verfilmt und mit sechs Oscar-Nominierungen geehrt. Auf Deutsch sind auch Kyles Erinnerungen als Buch erschienen. Der von mir hochgeschätzte Alf Mayer hat nun auf crimemag Film und Buch zerrissen, er spricht von “Propaganda für den Hass”. Ich kann das verstehen – so kann man das sehen und lesen.

Für mich sind aber Film und Buch vor allem eines: entlarvend. Im Buch sieht sich Kyle als Kämpfer gegen das “wilde, verachtenswerte Böse”. Deshalb bezeichnet er die Iraker in seinem Buch auch generell als Wilde und bad guys. Kyle gibt vor, dass ihm die genaue Zahl der von ihm getöteten Iraker nicht wichtig sei – gleichzeitig prahlt er: “Ich wünschte nur, ich hätte mehr getötet”. Er offenbart sich als jemand, der Spaß am Töten hat. Als sein perverser Abschussrekord kurzzeitig in Gefahr gerät, erschießt er eben jeden Iraker, der ihm vor das Zielfernrohr läuft. Sein Buch ist schlicht kriegsverheerlichend.

Diesen Vorwurf will ich Clint Eastwoods Film nicht machen. Aus seiner Sicht hat er einen Antikriegsfilm gemacht: Denn “American Sniper” zeigt, was Krieg mit Angehörigen und Familien macht. Das glaube ich ihm. Bloß wäre das zu einfach, denn der Film lässt sich auf sehr unterschiedliche Weise lesen. Das Problem liegt schon allein darin, das Leben dieses gottgläubigen und schwer selbstgerechten Chris Kyle zu verfilmen. Denn er ist nicht der Held, der amerikanische Leben rettet, indem er Iraker tötet. US-Army-Scharfschütze Garret Reppenhagen, ein Kollege von Kyle sozusagen, warnt daher. Krieg nur durch Kyles Augen zu sehen, greife zu kurz, schreibt er bei “Salon”. Er selbst habe die Iraker niemals als Wilde betrachtet. Sie hätten vielmehr eine freundliche Kultur, die an Gastfreundschaft glaube. Es sei traurig, dass die kurzsichtige Darstellung von Irakern dazu führe, dass noch mehr Leute Araber fürchten und Gewalt gegen sie glorifizieren. Er selbst sieht sich als Scharfschütze als Verursacher von Gewalt und Tod. Während Kyle seine posttraumatische Belastungsstörung darauf zurückführt, dass er nicht noch mehr US-Soldaten habe retten können, meint Reppenhagen, dass der posttraumatische Stress, mit dem er zu kämpfen habe, auf die Untaten der Amerikaner (Abu Ghraib) zurückzuführen sei.

Der bekannteste Scharfschütze, der nie einen Menschen tötete

(c) Fischer

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Interessant ist es in diesem Zusammenhang auch, was Anthony Swofford (Autor von “Jarhead”, gleichnamig von Hollywood verfilmt) zu Chris Kyle meint. Denn Swofford ist das Gegenteil von Chris Kyle: Er ist der wohl bekannteste Scharfschütze der Welt, der niemals einen Menschen getötet hat (wie auch im Buch zu lesen und im Film zu sehen ist). Er sieht bei Chris Kyle das Dilemma eines Mannes, der “larger than life” ist. Er spricht vom “Mythos des kompletten und fehlerlosen Helden, eines Mannes, der nicht nur die bösen Kerle tötet, sondern auch die guten Kerle rettet.” Krieg sei jedoch niemals so einfach: “Aber als Nation wollen wir es simpel und rein. Und wir wollen auch unsere Helden auf diese Weise.”

Swofford ist bis zur Unerträglichkeit ehrlich. “Wenn du ein Marine sein willst, ein echter Marine, dann musst du töten”, schreibt er in seinen Erinnerungen. “Du hältst dich für einen schlechten Marine und sogar für einen schlechten Menschen, weil du niemanden im Kampf getötet hast.” Er habe Jahre gebraucht, um damit fertig zu werden. Das zeigt gut, wie diese Krieger denken und was Krieg aus Menschen macht. Also auch der Scharfschütze, der niemanden tötete, hatte mit seinen eigenen Geistern zu kämpfen.

Nun kann man “American Sniper”, den Film, als gefährliches hurrapatriotisches Machwerk sehen. Ich habe ihn aber anders wahrgenommen. Denn er zeigt auch, wie die US-Soldaten im Irak wirklich aufgetreten sind: Nicht als Befreier, sondern als angstmachende Besatzungsmacht. Dass Kyles Einheit das Totenkopf-Logo des Comic-Helden “The Punisher” (einen Selbstjustiz übenden selbsternannten Verbrecherjäger) trägt, hat mich dabei am meisten schockiert. Kyle schreibt darüber in seinem Buch: “Wir alle dachten, was der Punisher macht, ist cool: Er richtet Übeltäter. Er tötet die Bösewichte. Er sorgt dafür, dass ihn die Übeltäter fürchten.” Und: “We wanted people to know, we’re here and want to fuck with you. It was our version of psyops. You see us? We’re the people kicking your ass. Fear us. Because we will kill you, motherfucker.” Ich finde, hier malt Eastwood nicht schön. Er zeigt, dass vielen US-Soldaten die Zivilbevölkerung schlicht scheißegal war.

Kein Wunder, dröhnten sie sich mit Song wie “Bodies” (von Drowning Pool) vor Kampfhandlungen zu:

Let the bodies hit the floor

(…)

One – Nothing wrong with me
Two – Nothing wrong with me
Three – Nothing wrong with me
Four – Nothing wrong with me

“Bloß ein Affe mit einer Waffe”

Problematisch fand ich auch das erfundene Scharfschützen-Duell im Film. Kyle hat sich niemals mit “Mustafa”, wie der Scharfschütze auf irakischer Seite im Film heißt, duelliert. In seiner Autobiografie schreibt Kyle dazu: “I never saw him, but other snipers later killed an Iraqi sniper we think was him.” Darüber kann man zwar hinwegsehen, denn auch das Scharfschützen-Duell in “Duell – Enemy at the Gates” von Regisseur Jean-Jacques Annaud ist erfunden. Dennoch finde ich das gerade dann problematisch, wenn doch angeblich das wahre Leben dargestellt werden soll.

Was mich auch sehr verwundert hat: Dafür, dass es sich um ein Scharfschützen-Drama handelt, wird darauf kaum Bezug genommen. Kyle wird eher als vorbildhaft im Bodengefecht kämpfender Soldat gezeigt und weniger als eiskalter Killer auf Distanz auf dem Dach. Das ist widersprüchlich, aber mit der Heldengeschichte hätte das wohl nicht so funktioniert. Alf Mayer trifft es auf den Punkt: “Scharfschützentechnisch übrigens ist „American Sniper“ nur heiße Luft. Vom Präzisionshandwerk, das das treffsichere Schießen auf weite Distanz erfordert und durchaus seine Faszination hat, ist so gut wie nichts zu sehen.” Und: “Die Welt durch ein Zielfernrohr betrachtet, all die visuellen Möglickeiten von Fadenkreuz, Teleobjektiv, Schärfe, Unschärfe, Zoom und Tiefe des Raums, das Thema des Sehens selbst, blendet Eastwoods Film weitgehend aus, bleibt da filmisch völlig belanglos.”

Jetzt ist dieser Beitrag wesentlich länger geworden als gedacht. Aber ich gebe zu, ich befasse mich schon lange mit der problematischen Rolle von Scharfschützen (die ja eigentlich verabscheut werden – nicht umsonst werden sie als Heckenschützen bezeichnet) und ihrem erschreckenden und erschreckend faszinierenden Handwerk.

(c) Heyne

(c) Heyne

Chris Kyle selbst hat übrigens den US-Soldaten Carlos Hathcock als den größten Scharfschützen aller Zeiten bezeichnet. Hathcock war als “Weiße Feder” im Vietnamkrieg gefürchtet. “I have more kills, but that does not mean, I’m better than he is”, sagte Kyle bei Conan O’Brien. “Ich bin bloß ein Affe mit einer Waffe”, scherzte er. Denn er habe im Gegensatz zu Hathcock ballistische Computer verwendet. Wer sich für Hathcock interessiert: Vor vielen Jahren ist seine Biografie “Todesfalle. Die wahre Geschichte eines Scharfschützen in Vietnam” auch auf Deutsch erschienen. Es war mein Einstieg in die Welt der Scharfschützen.

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KrimiZeit-Bestenliste März: Ein Abgleich

(c) Kunstmann

(c) Kunstmann

Diesmal beginnt mein Abgleich mit einer dreifachen Gratulation: Sowohl Sonja Hartl, Marcus Müntefering als auch Frank Rumpel sind neu in die KrimiZeit-Jury aufgerückt (Thomas Wörtche hingegen ist ausgeschieden, auch unvorstellbar!). Alle drei sind auch wichtige Krimi-Blogger, die ständig auf der Suche nach guter Krimikost abseits ausgetretener Pfade sind. Ich hätte nicht gedacht, dass man die KrimiZeit noch aufwerten könnte, doch genau das ist hier passiert. Fein!

Aber nun zur Sache, der aktuellen KrimiZeit-Bestenliste. Mit “Die Suche nach Tony Veitch” ist ein Buch von Null auf Platz eins eingestiegen, dass auch für mich zum absoluten Pflichtprogramm gehört. McIlvanneys “Laidlaw” habe ich auf Platz drei der besten Krimis des Jahres 2014 gewählt. Ich freue mich schon auf dieses Buch.

Auch auf den Plätzen zwei bis vier sind Neueinsteiger gelandet. “Prime Cut” befindet sich – jetzt erst recht – fix auf meiner Leseliste, “Bad Cop” werde ich wohl auslassen, und über den feinen Pulp-Krimi “Killer” werde ich in meinem nächsten Beitrag schreiben.

Norbert Horsts “Mädchenware” – meine erste Begegnung übrigens mit dem Autor – habe ich vor Kurzem beendet. Das Buch hat seinen Platz in der KrimiZeit zweifellos verdient, dazu auch bald mehr. “The Drop” hat es ja ebenfalls in meine persönliche Jahresbestenliste geschafft.

Wen habe ich vermisst? Ben Atkins mit “Stadt der Ertrinkenden”, aber vielleicht ist es dafür einen Monat zu früh …

Die Liste im Überblick:

1 (-) William McIlvanney: Die Suche nach Tony Veitch
2 (-) Alan Carter: Prime Cut
3 (-) Mike Nicol: Bad Cop
4 (-) Dave Zeltserman: Killer
5 (6) Norbert Horst: Mädchenware
6 (3) Dennis Lehane: The Drop – Bargeld
7 (4) Tana French: Geheimer Ort
8 (8) Tony Parsons: Dein finsteres Herz
9 (-) Zoë Beck: Schwarzblende
10 (2) Jesper Stein: Weißglut

 

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Krimi-Cover-Trends: Das bedrohliche Haus

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

In meinem ersten Blog-Jahr hatte ich eine Kategorie eingeführt, in der ich die besten Krimi-Cover des Monats gekürt habe. Irgendwann ist mir dabei aber die Luft ausgegangen – auch weil es Monate gab, in denen es einfach keine schönen oder außergewöhnlichen Cover gab.

(c) Goldmann

(c) Goldmann

Da ich aber ein sehr “visueller” Krimikäufer bin bzw. nicht selten schon aufgrund der Cover-Gestaltung Bücher kaufe oder nicht kaufe (das betrifft natürlich vor allem Spontankäufe im Buchgeschäft), will ich mich in Zukunft auch diesem Aushängeschild wieder etwas mehr widmen.

(c) Diana Verlag

(c) Diana Verlag

Ich werde dabei auf Trends hinweisen und auch besonders gelungene oder misslungene Cover hervorheben. Beginnen möchte ich mit einem Trend, der mir bei der Durchsicht von Krimi-Neuerscheinungen aufgefallen ist: Das bedrohliche Haus.

(c) Ullstein

(c) Ullstein

Was dabei auffällt: Es ist nicht das Phänomen eines einzelnen Verlags, der zum Beispiel eine Reihe damit pushen oder erkennbar machen will. Nein, es ist ein verlagsübergreifendes Ding – dass es dabei aus meiner Sicht allerdings noch viel schlimmere Trends gibt, darüber werde ich hier bald schreiben. Und ehrlich: Einige Haus-Cover gefallen mir auch wirklich gut, aber die Häufung fand nun ich bedrohlich.

(c) Ullstein

(c) Ullstein

Ake Edwardsons “Das dunkle Haus” etwa erscheint im September als Taschenbuch. Beachtlich: Es ist der einzige Krimi, der ein Haus nicht nur am Cover hat, sondern auch im Titel. Am seltsamsten wirkt ja der Hammesfahr-Titel “Die Frau, die Männer mochte” mit dem Haus dazu – das passt irgendwie gar nicht.

(c) Knaur

(c) Knaur

Nur zur Erklärung: Ich habe hier nur Cover von Krimis ausgewählt, die im Zeitraum von Juni bis September erscheinen werden. Es gibt aber noch viel mehr dieser bedrohlichen Häuser. Seht euch einfach mal um. Ihr könnt mir gern noch mehr Titel bzw. Cover schicken, aber ich wollte den Rahmen nicht sprengen 😉

Im folgenden weitere Cover, die mit dem Stilmittel des bedrohlichen Hauses arbeiten:

(c) Mira Taschenbuch

(c) Mira Taschenbuch

(c) Bastei

(c) Bastei

(c) Goldmann

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(c) Page & Turner

(c) Page & Turner

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