Monthly Archives: March 2014

Warum ich Krimis lese

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich mich über Krimi-Klischees im österreichischen TV aufgeregt. Gleichzeitig hat mich das angeregt, darüber nachzudenken, warum ich gern Romane aus dem Krimi/Thriller-Genre lese. Und dabei ist mir auch der interessante Text der ORF-Kulturredakteurin Clarissa Stadler in der “Presse am Sonntag” untergekommen: “Die ewig gleichen Rituale der Ermittler”. Das für mich Faszinierende: Ihre Gründe Krimis zu lesen, stehen ziemlich im Widerspruch zu meinen.

Ich habe vier Zitaten ihres Textes herausgegriffen, um das zu veranschaulichen:

  • “Unser liebstes Mysterium ist das Verbrechen, unsere größte Erlösung dessen Aufklärung.”

Ich fühle mich nicht durch die Aufklärung von Verbrechen erlöst. Ich habe auch erhebliche Probleme mit dem immer wiederkehrenden Schema, den stereotypen Ermittlungsritualen. Ich will mich nicht vertraut fühlen, wohl fühlen, weil ich weiß, was der Kommissar als nächstes sagen wird. Ich will überrascht werden, auch formal!

  • “Neu ist ja nicht der Mord, der wurde nicht weniger blutrünstig schon im griechischen Drama abgehandelt. Neu ist die Kriminologie, die Spurensuche, das Fährtenlesen, die Indizienkette, das forensische Prinzip. Neu ist die Sicherheit, die sich nach dem Aha-Effekt einstellt, mit der Gewissheit, dass eine Ordnung wiederhergestellt ist.”

Ich teile nicht die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der Ordnung. Thomas Wörtche schreibt dazu in seinem genialen Nachwort von Nathan Larsons “2/14” (das ich hier in Kürze besprechen werde): “Und das beweist aufs Vergnüglichste, dass es nicht die Aufklärbarkeit der Welt oder gar die Aufklärung undurchsichtiger Verhältnisse ist, die Spannungsliteratur wirklich spannend macht, sondern Erzählungen vom Chaos, der Kontingenz, vom Hyperrealen und durch und durch Enigmatischen.” Jetzt muss ich schon zugeben, dass ich etwa bei Jerome Charyn selbst damit Probleme hatte, wie ich auch hier beschrieben habe. Dennoch will ich vor allem Spannungsliteratur lesen, die nicht in 08/15- oder Kochbuch-Krimi-Kategorien zu packen ist. Nathan Larson etwa schreibt laut Wörtche “ein Hybrid, irgendetwas zwischen Science-Fiction und Privatdetektivroman und Politthriller mit leichter Tendenz zum Ego-Shooter”. Das macht wirklich Spaß, wobei es nicht darum geht, möglichst zwanghaft alle Genregrenze zu durchbrechen. Aber dieses enge Verständnis von Kriminalliteratur, in der es nur um die Aufklärung von Fällen und die Wiederherstellung von Ordnung geht, stört mich persönlich.

  • “Die Welt ist rätselhaft. Jemand soll bitte das Rätsel lösen. Für diesen Job gibt es gut ausgebildetes Personal. Die Kommissare.”

Es gibt so viel gute “Crime Fiction”, die zum Glück ohne ermittelnde Kommissare (aber auch ohne Hobby-Kommissare wie Nonnen und Dorfpfarrer) auskommt. Mir fallen da spontan Daniel Woodrell (ja, da würden jetzt viele sagen: “Aber das ist ja Literatur”), David Peace (“GB84”) und natürlich Don Winslow ein. Für gute Spannungsliteratur braucht man weder Kommissar noch Detektiv. Siehe: Howard Linskeys “Crime Machine” oder Tom Eppersons “Hyänen”. Diese Autoren sind so widersprüchlich, und doch schreiben sie alle drei Crime Fiction, die sich vor allem durch eines auszeichnet: Es ist einfach gute Literatur.

  • “Der Krimi ist ein dermaßen erfolgreiches Produkt, weil er ein fantastisches Vehikel für so ziemlich alles ist, was sich in der Gesellschaft verändert.”

“Der Krimi ist ein Produkt” – das würde man über “hohe Literatur” niemals sagen. Diese klare Trennung zwischen Literatur und Krimi bleibt also weiterhin aufrecht. Mit anderen Worten: Ein Krimi funktioniert also in seinen eingelernten Strukturen und ist leicht konsumierbar. Wenn man leicht konsumierbar mit gut lesbar gleichsetzt, will ich da nicht einmal widersprechen. Das macht ja auch Spaß. Man will spannende Bücher verschlingen. Aber “Crime Fiction” hat eben so viel mehr zu bieten. Wer James Sallis’ “Driver” oder Bücher von Daniel Woodrell und Donald Ray Pollock gelesen hat, weiß was ich meine.

Zum Schluss will ich den 1995 verstorbenen französischen Noir-Autor Jean-Patrick Manchette zitieren, weil er gut auf den Punkt bringt, warum ich Kriminal- und Spannungsliteratur lese: “Ein guter Roman noir ist ein Sozialroman, ein sozialkritischer Roman, der die Geschichte eines Verbrechens als vordergründige Handlung nimmt.”

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Krimi-Klischees im österreichischen TV

Ich muss jetzt einmal über das öffentlich-rechtliche österreichische Fernsehen lästern. In der ORF-Sendung “Kulturmontag” haben am Montagabend “profilierte Krimifans” über das Phänomen “Krimi-Boom” diskutiert. Profilierte Krimifans? Geladen waren die Motivforscherin Helene Karmasin und Philosoph/Autor Franz Schuh.

Da stellte sich für mich gleich die erste Frage: Hat Österreich denn keine namhaften Krimiautoren, die man befragen könnte? Wo gibt es in Österreich Krimi-Experten wie Thomas Wörtche, Tobis Gohlis, Elmar Krekeler etc.? Stattdessen lädt man eine Motivforscherin ein, die sich gleich zu Beginn “outet”, dass sie sich jeden Abend einen Krimi reinzieht – als wäre das irgendetwas Verbotenes oder Anrüchiges. Moderatorin Clarissa Stadler kichert dazu.

Ab da war für mich diese Krimi-Kiste eingentlich gelaufen. Danach badete Karmasin aus meiner Sicht in den klassischen Krimi-Klischees: Sie sprach vom “Triumph der Struktur”: “Es ist ein Verbrechen geschehen und es wird aufgeklärt. Am Ende hat das Licht über die Schatten gesiegt. Verbrecher kommen und gehen, Kommissare bleiben. Gute Krimis sind geführt wie Marken, Sie wissen immer, was sie zu erwarten haben.”

Wenn ich das schon höre. Denn für mich ist Crime Fiction viel mehr als “am Ende siegt das Gute” und “Der Krimi ist eine Marke”. In der ganzen Sendung wurden keine konkreten Krimis besprochen, als Beispiel herangezogen. Was ist überhaupt ein Krimi? Worüber sprachen die da eigentlich? Karmasin sagte aber zumindest: “Letztlich ist der Krimi ein Nachdenken über die Gesellschaft.” Ja, zumindest das stimmt.

Als der Philosoph Schuh von einem Krimi schwärmte, in dem keine Leichen vorkommen, fragte Moderatorin Stadler einigermaßen naiv: “Wieso ist es dann ein Krimi, wenn es keine Leichen gibt?”. Doch die Frage blieb so stehen. Es war die letzte Chance, doch noch etwas Spannendes an diesem Abend zu erfahren. Stattdessen wurde weiter über “schrullige Kommissare” und wissenschaftliche Falllösung geplaudert. Auch vom “Krimi als Reiseführer” (ahh!) war die Rede.

Am Ende dankte dann Stadler für die “erhellenden An- und Einsichten”. Die hatte ich auch: Wann immer der ORF künftig über Krimis berichtet – ich werde abschalten!

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David Peace: GB84

(c) liebeskind

(c) liebeskind

“GB84” ist das erste Buch, das ich von David Peace gelesen habe. Sein vielgepriesenes “Red-Riding-Quartett” kenne ich nur vom Hören. Jedenfalls dürften sich daran (Gewalt, viel Blut) die Geister scheiden. Er gilt seitdem als einer der härtesten Krimiautoren der Welt. Und dass er James Ellroy als eines seiner Vorbilder bezeichnet, sagt auch schon etwas aus.

“GB84” ist nun weniger blutig als seine erwähnten Krimis. Aber auch dieses Buch liest sich sehr düster. Stellenweise zweifelt man daran, dass er über Geschehnisse in einer funktionierenden Demokratie schreibt. Wir schreiben das Jahr 1984. Großbritannien steht am Rande eines Bürgerkriegs, denn der ein Jahr dauernde Bergarbeiterstreik spaltet das ganze Land.

“GB84” liest sich wie ein literarischer Grabenkampf, bei dem die verfeindeten Lager um jeden Zentimeter ringen. Auf der einen Seite steht die “eiserne Lady” Maggie Thatcher, auf der anderen die mächtigen Gewerkschaften. Gewinner gibt es letztlich keine, dafür viele Opfer. Peace zeigt sich nicht weniger erbarmungslos als seine Protagonisten und bohrt mit seinem Buch in einer bis heute offenen Wunde der britischen Gesellschaft. Sein Buch ist daher sehr intensiv und verstörend. Peace macht diese düstere Epoche britischer Zeitgeschichte hautnah spürbar. Von Lesevergnügen kann man nicht sprechen, denn Peace mutet seinen Lesern viel zu – was natürlich gut ist.

Dennoch hat er sein Buch meiner Meinung nach zu episch angelegt. Mit dem Verlauf der Geschichte wird “GB84” langatmiger und verliert dadurch auch an Spannung. 250 statt 530 Seiten hätten ausgereichet. Es wäre dann noch eindringlicher geworden. Im Lesefluss gestört hat mich auch der in sehr kleiner Schrift gehaltene Teil zu Beginn jedes Kapitels, der die Geschehnisse aus Sicht von zwei Bergarbeitern erzählt. Durch die kleine Schrift war das sehr anstrengend zu lesen und auch die Zeitsprünge waren mitunter sehr mühsam. Dennoch finden sich gerade auf diesen Seiten sehr starke Momente, die gut spürbar machen, was damals passiert ist.

“Ziegel und Steine – Ich hebe ein paar auf. Ich werfe damit – zum allerersten Mal. So weit bin ich gekommen – nur um in Ruhe gelassen zu werden.”

Diese Schlachten, anders kann man das nicht nennen, zwischen Bergarbeitern und Polizisten sind für mich unfassbar. Dieser Graben, diese Spaltung der Gesellschaft. Entweder war man für die eine Seite oder für die andere. Dazwischen gab es nichts. Ich war damals zehn Jahre alt und habe das nur als die ewig gleiche Randnotiz in den TV-Nachrichten wahrgenommen. Dank “GB84” verstehe ich nun, was damals abging. Streikbrecher gelten bis heute als Verräter, gleichzeitig taten auch die Gewerkschaften ihren Mitgliedern durch ihre Kompromisslosigkeit keinen Gefallen. Die streikenden Bergarbeiter darbten vor sich hin, sie hatten kaum Geld. Als ihre Kinder zu Weihnachten aus aller Welt Geschenke erhielten, war der Neid groß.

Ich habe nun auch einiges über die im Buch erwähnten historischen Persönlichkeiten nachgelesen und auch darüber, welche fiktiven Figuren an welche lebenden Personen angelehnt sind. Für alle, die es interessiert: “Der Jude” geht zum Beispiel auf Thatcher-Berater David Hart zurück. So wird Geschichte lebendig, das ist wirklich faszinierend.

7 von 10 Punkten

David Peace: “GB84”, übersetzt von Peter Torberg, 535 Seiten, liebeskind.

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Best Blog Award – 11 Fragen, 11 Antworten

bestblogDanke Ludger für das Stöckchen (mein erstes!), das ich hiermit aufnehme.

  • 1. Stell Dir vor, Du bist Schauspieler oder Sprecher und Du darfst ein Buch Deiner Wahl als Hörbuch lesen. Welches wählst Du?

“Die Straße” von Cormac McCarthy. “Tage der Toten” von Don Winslow ist mir zu lang, da hätte ich keine Stimme mehr. Ich würde diese beiden Bücher übrigens auch auf die gern zitierte Insel mitnehmen. Da wär ich nie allein.

  • 2. Du hast eine Stunde Sendezeit bei einem großen Radiosender. Welche Musik, welche Songs spielst Du?

Auf diese Gelegenheit warte ich schon lange 😉 Danke, Ludger, dass ich das jetzt endlich machen kann! Also ganz viel von Depeche Mode. Aber keine Nummern wie “Enjoy the Silence”, sondern wunderbare unbekannte und alte Stücke wie “Pipeline”, “Lie to Me”, “New Dress”, “Nothing”, “Sweetest Perfection” und “Higher Love” sowie “I feel loved”, “Ghost”, “Wrong” und “Should be higher” von den neueren Alben. Da kann man sehr gut die ganze Bandbreite des musikalischen Schaffens der Band erhören. Tja, dann ist nicht mehr viel Zeit übrig – ich würde wohl noch etwas von Kosheen sowie die geniale Elektronummer “Dios” von Oliver Huntemann wählen. Und unbedingt den “neuen” Song von Johnny Cash: “She Used to Love Me a Lot”.

  • 3. Wie überstehst Du schlechte Tage?

Mit einem hoffentlich guten Krimi/Thriller.

  • 4. Welchem Charakter aus einem Kriminalroman möchtest Du begegenen?

Amelia aus “Der Mann im Safe” von Steve Hamilton. Wäre ich noch einmal Teenager würde ich mich wohl wie Hauptfigur Michael unsterblich in dieses Mädchen verlieben.

  • 5. Welcher Krimiautor hat Dich am meisten beeindruckt?

Don Winslow. Er hat mir das Krimi-Genre ganz neu eröffnet. Vor allem weil er zeigt, dass es eigentlich keine Genre-Grenzen gibt. Es gibt nur gute oder schlechte Bücher.

  • 6. Welche Bücher, die Du bereits vor einigen Jahren gelesen hast, möchtest Du noch einmal lesen?

Darüber möchte ich demnächst in meinem Blog schreiben. Mir fallen da ad hoc ein paar Bücher ein, die wohl entscheidend dafür verantwortlich sind, dass ich so gerne Krimis und Thriller lese: “Eine lange, dunkle Nacht” von Joseph Hayes, “Der Pate” von Mario Puzo, “Der Rabe” von Lionel Davidson, “Ein einfacher Plan” von Scott Smith und “Der Schacht” von Joseph Garber.

  • 7. Welches Gedicht hast Du zuletzt gelesen?

Ich muss gestehen, ich lese schon lange keine Gedichte mehr. Ich liebe Geschichten.

  • 8. Mit wem würdest Du gerne einmal tanzen?

Darauf weiß ich jetzt keine Antwort.

  • 9. Ein Spiegel an der Wand – schaust Du rein?

Mal ja, mal nein. Aber eigentlich hat der Typ im Spiegel nicht unbedingt was mit mir zu tun – der sieht viel zu durchschnittlich aus 😉

  • 10. Wo möchtest Du einmal einen Sonnenuntergang erleben?

Hm, stimmungsvolle Sonnenuntergänge sind überall schön. Ob am Strand, am Berg oder zu Hause. Noch besser gefallen mir aber Sonnenaufgänge (wobei ich die ganz selten sehe, ich bin eher die Krimi lesende Nachteule).

  • 11. Vervollständige diesen Satz: »Die schönste Liebesgeschichte…«

… habe ich in Steve Hamiltons oben genannten Buch gelesen.

Nun kommen meine 11 Fragen:

  1. Warum liest du Krimis/Thriller?
  2. Was sagst du zu Leuten, die sich abschätzig über Krimis äußern?
  3. Wer ist der am meisten unterschätzte Krimiautor?
  4. Wer ist deine liebste Serien-Figur im Krimigenre?
  5. Was liest du, wenn du keinen Krimi liest?
  6. Welchen Krimi sollte jeder Krimi-Liebhaber gelesen haben?
  7. Welche Art von Krimis nerven dich?
  8. Dein Lieblings-Comic bzw. -Cartoon ist …
  9. An welchem Ort liest du auf keinen Fall?
  10. Als alter Tortentiger muss ich einfach fragen: Was ist deine Lieblings-Süßspeise?
  11. Die beste Krimiserie aller Zeiten (mit Stichtag heute ;-)) ist …

So, mein Crime-Stöckchen würde ich nun an Sonja (ich weiß, du gehst schon davon unter ;-)), Nicole, Karo, Philipp, Sebastian, Marcus, Günter, Micha und den Grenzreiter weitergeben. Ich freue mich natürlich über jeden, der antworten mag!

Liebe Grüße

Peter

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Krimis, die man 2014 lesen sollte (III)

(c) dtv

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Ich habe hier vor Kurzem fünf Bücher erwähnt, auf die ich 2014 besonders gespannt bin. Drei davon erscheinen im März: “Der Teufel von New York” von Lyndsay Faye, “Spademan” von Adam Sternbergh und “Der unvermeidliche Tod von Lewis Winter” von Malcolm MacKay. Darüber hinaus habe ich aber weitere im März erscheinende Krimis entdeckt, die Spannung versprechen.

Seit 1. März ist Matt Ruffs Parallel-Welt-Thriller “Mirage” im Handel erhältlich. Die reizvolle Ausgangssituation laut Verlagstext: Am 9.11.2001 steuern christliche Fundamentalisten zwei Flugzeuge in die Türme des Welthandelszentrums von Bagdad, ein drittes ins arabische Verteidigungsministerium in Riad, während mutige Passagiere das vierte, für Mekka bestimmte in der Wüste zum Absturz bringen. Die wirtschaftliche Supermacht sagt dem Terror daraufhin den Kampf an und besetzt die Ostküste von Amerika – Entwicklungsland und mutmaßliche Heimat der Terroristen.

der alte dem kugeln nichts anhaben konntenAuch Daniel Friedman (seit 10. März) könnte mit “Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten” für beste Unterhaltung sorgen, wenn man dem Verlagstext glauben darf: Der 87-jährige Buck Schatz genießt das ruhige Leben mit seiner Frau Rose. Seit sein Sohn gestorben ist, sitzt er am liebsten auf seinem Sofa, raucht eine Stange Lucky Strike am Tag und schaut Fox News. “Leidenschaft macht so viel Mühe”, ist sein Credo. Bis ihm sein Kriegskamerad Jim auf dem Sterbebett beichtet, dass sein Peiniger, der Lageraufseher Heinrich Ziegler, damals in einem Mercedes voller Nazigold fliehen konnte und noch lebt.

(c) Dumont

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Mal sehen, ob auch Stefano Piedimonte ab 13. März mit seinem Krimi “Im Namen des Onkels” tatsächlich für Spannung mit einer ordentlichen Prise Humor garantieren kann. Der Verlagstext dazu: “Der Onkel” ist ein geborener Geschäftemacher und ein Mafiaboss, wie er im Buche steht: Aalglatt und mitleidlos herrscht er in Neapel über die Quartieri Spagnoli und hat den uneingeschränkten Respekt der Camorra. Nur eine Schwäche leistet sich der knallharte Capo: Niemals, wirklich niemals verpasst er eine Folge seiner Lieblingssendung “Big Brother” auch dann nicht, als er untertauchen muss.

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Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

(c) Galiani

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Ich werde jetzt nicht lange um den heißen Brei herumschreiben: Jan Costin Wagners “Tage des letzten Schnees” ist der erste Krimi, der in meinem Blog – nach rund 50 gelesenen Büchern – 10 von 10 Punkten erhält. Das Buch hat alles, was ich brauche. Glaubwürdige Figuren und eine wunderbar erzählte, wirklich berührende Geschichte (wäre ich bei einer Stelle nicht gerade im McDonalds gesessen, hätte mich die Geschichte tatsächlich zu Tränen gerührt).

Meine – zugegeben gewagte – Empfehlung: Wer 2014 nur einen Krimi lesen will, der soll hier zugreifen! Denn “Tage des letzten Schnees” ist eine literarische Wucht, die einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Der deutsche Autor erzählt leichtfüßig und stimmig. Man spürt auf jeder Seite, dass er seine Charaktere mag. In dem Buch liegen Tod, Trauer und Glück so unglaublich nah zusammen. Das tut beim Lesen manchmal richtig weh, befreit gleichzeitig aber auch immens.

Es ist Wagners Gespür für das Detail, das seine große Könnerschaft ausmacht. Etwa, als sich der Banker Markus nach einer Liebesnacht zu verlieben beginnt und gedankenverloren zu Cornflakes und Milch greift: “Er fragte sich, was er mit Cornflakes wollte. Er aß nie Cornflakes. Ville (sein Sohn, Anm.) aß Cornflakes zum Frühstück, aber er nicht.” Das mag jetzt nicht das beste Beispiel sein – aber es sind genau solche seltsamen Dinge, die Menschen tun, wenn sie sich verlieben, trauern oder leiden. Und Wagner beschreibt viele kleine Momente, die so viel über uns und unser Leben aussagen. Die mehr über uns verraten als große Taten oder Untaten.

Zur Handlung Es ist der fünfte Fall für den finnischen Polizisten Kimmo Joentaa. Dass ich die vier Teile davor nicht gelesen habe, macht überhaupt nichts. Das Buch liest sich perfekt – Serie hin oder her. Die Suche nach dem Mörder ist nur zweitrangig, was aber überhaupt nichts macht. Vielmehr ist man dankbar, an den Leben der feinfühlig gezeichneten Figuren des Romans teilhaben zu dürfen. Dabei streift Wagner brisante Themen wie den Breivik-Amoklauf, Sexmigration und Finanzkrise. Er macht das aber in einem erfrischend stillen, unaufgeregten Stil. Das wird an keiner Stelle plakativ oder voyeuristisch.

“Dies ist ein Roman wie eine perfekte Schneeflocke”, schreibt Elmar Krekeler in seiner Krimi-Kolumne “Krekeler killt”. Und Sonja hat es in ihrem Zeilenkino-Blog wunderschön formuliert: “Die stille Traurigkeit und einsame Ruhe der Figuren fasst Jan Costin Wagner in eine präzise und klare Sprache, die niemals aufgesetzt wirkt, sondern sich in aller Lakonie den Seelenzuständen der Charaktere widmet. Sein Roman ist durchzogen von stummen Schmerz und leiser Melancholie, seine Welt ist voller Grautöne, in denen die hellen, strahlenden Momente umso deutlicher zu erkennen sind.” Nicht weniger treffend beschreibt Bloggerin Klappentexterin ihren Einsteig in das Buch: “Stille. Und lange Zeit nichts. Der Lärm schrumpft zu einem kleinen Häufchen zusammen und verlässt fliegend meinen Körper. Dies geschieht während ich die ersten Sätze in Tage des letzten Schnees von Jan Costin Wagner lese. Das Buch umschließt mich wie ein Vakuum.”

Bei all meiner Euphorie will ich aber nicht verschweigen, dass man das Buch auch anders lesen kann. Wie etwa der Kritiker der FAZ: “Es fehlt Wagner diesmal verblüffenderweise an lokalem Einfühlungsvermögen.” Und auch wenn “Spiegel Online” das eine Haar in der Suppe findet, das auch mich stören könnte (“Die ‘Tage des letzten Schnees’ enthalten so viele Schicksalswendungen, vor allem zum Schluss, dass die Tragik albern zu werden droht”), es ändert nichts daran, dass dieses Buch das perfekte Lesevergnügen bietet. Das ist einfach große Literatur! Daher:

10 von 10 Punkten

Jan Costin Wagner: “Tage des letzten Schnees”, 314 Seiten, Galiani.

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KrimiZeit-Bestenliste März: Ein Abgleich

(c) liebeskind

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Diesmal ist mir ein Doppelschlag gelungen: Ich habe zwei Bücher gelesen/zu lesen begonnen, die sich auf der aktuellen KrimiZeit-Liste befinden, noch bevor sie dort aufgetaucht sind! Über Daniel Woodrells Neueinsteiger (5) “In Almas Augen” habe ich hier erst vor wenigen Tagen geschrieben. Ich war sehr begeistert. In David Peaces “GB84”, das es als Neueinsteiger gleich auf Platz eins geschafft hat, stecke ich gerade. Die KrimiZeit-Jury fasst das Buch fein zusammen: “Das Ende der Kohlewelt: kolossal noir”. Großbritannien erscheint in diesem Roman, der im Jahr 1984 spielt, wie ein Bürgerkriegsland, ein Land im Ausnahmezustand.

Tja, Dennis Lehanes “In der Nacht”, über das ich ja auch geschrieben habe, lässt sich nicht aus der Liste schütteln. Gut so. Gelesen habe ich mittlerweile auch Jan Costin Wagners geniales Buch “Tage des letzten Schnees”, über das ich hier schon bald schreiben werde.

Meine KrimiZeit-Ausbeute lässt sich also sehen: Vier von zehn Büchern habe ich gelesen bzw. lese ich gerade.

Die Liste im Überblick:

  1. David Peace: “GB84” (-)
  2. Jan Costin Wagner: “Tage des letzten Schnees” (7)
  3. Jesper Stein: “Unruhe” (3)
  4. Zoe Beck: “Brixton Hill” (6)
  5. Daniel Woodrell: “In Almas Augen” (-)
  6. Dennis Lehane: “In der Nacht” (2)
  7. Martin Cruz Smith: “Tatjana” (5)
  8. Uta-Maria Heim: “Wem sonst als dir” (10)
  9. Friedrich Ani: M” (4)
  10. Karim Miské: “Entfliehen kannst du nie” (-)

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Daniel Woodrell: In Almas Augen

(c) liebeskind

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Daniel Woodrell beherrscht eine Kunst: Dünne Bücher mit epischer Wucht zu schreiben – ähnlich wie James Sallis und Donald Ray Pollock. “In Almas Augen” ist das jüngste Beispiel für Woodrells Meisterschaft. Da ist kein Wort zu viel. In kürzester Zeit ist man abgetaucht in das Missouri des Jahres 1929. Die Explosion bei einer Tanzveranstaltung fordert 42 Menschenleben. Wer war schuld? Woodrell beleuchtet die Geschehnisse von damals, seziert dabei das Kleinstadtleben (Abhängigkeiten, Beziehungen, Geheimnisse) vor dem Hintergrund der Großen Depression – und löst das Rätsel gekonnt auf.

Woodrell ist ein großer Erzähler, der es versteht, Bilder entstehen zu lassen. Schonungslos zeigt er, wozu Menschen fähig sind. Er wird dabei allerdings niemals voyeuristisch. Im Gegenteil: Er schreibt sehr einfühlsam.  Er schafft den Spagat: Einerseits verschont er seine Charaktere nicht, andererseits stellt er sie auch nie bloß.

Er moralisiert nicht. Er manipuliert nicht. Er bezieht nicht Position. Das muss der Leser tun. Woodrell entfaltet seine Geschichte, die rührt und zornig macht. Er erzählt viele kleine Geschichten, die sich zu einer großen zusammenfügen. Ob das nun Crime Fiction ist oder nicht, ist egal. Woodrells Werke sind packende Literatur.

Um noch mehr Lese-Anreiz zu bieten, habe ich ein paar Lese-Eindrücke und Rezensionen zusammengefasst:

“Solche Gegenden, solche Geschichten, solche Mikrogesellschaften haben wir in Deutschland auch. So einen Erzähler wie Daniel Woodrell haben wir nicht. Es ist ein Elend”, schreibt Elmar Krekeler in seiner Kolumne “Krekeler killt”.

“Daniel Woodrell ist ein Genie. Er braucht nur 192 Seiten für eine Geschichte, die andere Autoren mindesten 500, 600, 700 Seiten kosten würde”, meint auch Günter Keil in seinem Blog.

“Von diesen Irrungen und Wirrungen erzählt Woodrell mit distanzierter Empathie, prägnant in den Bildern, die er wählt, soghaft ist die Poesie seiner Sprache, die hineinzieht in eine Welt aus Wut und Armut, aus Gier, Angst und Lust. Eine Welt, in der das Wünschen schon lange nicht mehr hilft”, urteilt Volker Albers vom “Hamburger Abendblatt”.

Kritik auf Literaturblog.at

9 von 10 Punkten

Daniel Woodrell: “In Almas Augen”, übersetzt von Peter Torberg, 188 Seiten, liebeskind.

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