In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich mich über Krimi-Klischees im österreichischen TV aufgeregt. Gleichzeitig hat mich das angeregt, darüber nachzudenken, warum ich gern Romane aus dem Krimi/Thriller-Genre lese. Und dabei ist mir auch der interessante Text der ORF-Kulturredakteurin Clarissa Stadler in der “Presse am Sonntag” untergekommen: “Die ewig gleichen Rituale der Ermittler”. Das für mich Faszinierende: Ihre Gründe Krimis zu lesen, stehen ziemlich im Widerspruch zu meinen.
Ich habe vier Zitaten ihres Textes herausgegriffen, um das zu veranschaulichen:
- “Unser liebstes Mysterium ist das Verbrechen, unsere größte Erlösung dessen Aufklärung.”
Ich fühle mich nicht durch die Aufklärung von Verbrechen erlöst. Ich habe auch erhebliche Probleme mit dem immer wiederkehrenden Schema, den stereotypen Ermittlungsritualen. Ich will mich nicht vertraut fühlen, wohl fühlen, weil ich weiß, was der Kommissar als nächstes sagen wird. Ich will überrascht werden, auch formal!
- “Neu ist ja nicht der Mord, der wurde nicht weniger blutrünstig schon im griechischen Drama abgehandelt. Neu ist die Kriminologie, die Spurensuche, das Fährtenlesen, die Indizienkette, das forensische Prinzip. Neu ist die Sicherheit, die sich nach dem Aha-Effekt einstellt, mit der Gewissheit, dass eine Ordnung wiederhergestellt ist.”
Ich teile nicht die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der Ordnung. Thomas Wörtche schreibt dazu in seinem genialen Nachwort von Nathan Larsons “2/14” (das ich hier in Kürze besprechen werde): “Und das beweist aufs Vergnüglichste, dass es nicht die Aufklärbarkeit der Welt oder gar die Aufklärung undurchsichtiger Verhältnisse ist, die Spannungsliteratur wirklich spannend macht, sondern Erzählungen vom Chaos, der Kontingenz, vom Hyperrealen und durch und durch Enigmatischen.” Jetzt muss ich schon zugeben, dass ich etwa bei Jerome Charyn selbst damit Probleme hatte, wie ich auch hier beschrieben habe. Dennoch will ich vor allem Spannungsliteratur lesen, die nicht in 08/15- oder Kochbuch-Krimi-Kategorien zu packen ist. Nathan Larson etwa schreibt laut Wörtche “ein Hybrid, irgendetwas zwischen Science-Fiction und Privatdetektivroman und Politthriller mit leichter Tendenz zum Ego-Shooter”. Das macht wirklich Spaß, wobei es nicht darum geht, möglichst zwanghaft alle Genregrenze zu durchbrechen. Aber dieses enge Verständnis von Kriminalliteratur, in der es nur um die Aufklärung von Fällen und die Wiederherstellung von Ordnung geht, stört mich persönlich.
- “Die Welt ist rätselhaft. Jemand soll bitte das Rätsel lösen. Für diesen Job gibt es gut ausgebildetes Personal. Die Kommissare.”
Es gibt so viel gute “Crime Fiction”, die zum Glück ohne ermittelnde Kommissare (aber auch ohne Hobby-Kommissare wie Nonnen und Dorfpfarrer) auskommt. Mir fallen da spontan Daniel Woodrell (ja, da würden jetzt viele sagen: “Aber das ist ja Literatur”), David Peace (“GB84”) und natürlich Don Winslow ein. Für gute Spannungsliteratur braucht man weder Kommissar noch Detektiv. Siehe: Howard Linskeys “Crime Machine” oder Tom Eppersons “Hyänen”. Diese Autoren sind so widersprüchlich, und doch schreiben sie alle drei Crime Fiction, die sich vor allem durch eines auszeichnet: Es ist einfach gute Literatur.
- “Der Krimi ist ein dermaßen erfolgreiches Produkt, weil er ein fantastisches Vehikel für so ziemlich alles ist, was sich in der Gesellschaft verändert.”
“Der Krimi ist ein Produkt” – das würde man über “hohe Literatur” niemals sagen. Diese klare Trennung zwischen Literatur und Krimi bleibt also weiterhin aufrecht. Mit anderen Worten: Ein Krimi funktioniert also in seinen eingelernten Strukturen und ist leicht konsumierbar. Wenn man leicht konsumierbar mit gut lesbar gleichsetzt, will ich da nicht einmal widersprechen. Das macht ja auch Spaß. Man will spannende Bücher verschlingen. Aber “Crime Fiction” hat eben so viel mehr zu bieten. Wer James Sallis’ “Driver” oder Bücher von Daniel Woodrell und Donald Ray Pollock gelesen hat, weiß was ich meine.
Zum Schluss will ich den 1995 verstorbenen französischen Noir-Autor Jean-Patrick Manchette zitieren, weil er gut auf den Punkt bringt, warum ich Kriminal- und Spannungsliteratur lese: “Ein guter Roman noir ist ein Sozialroman, ein sozialkritischer Roman, der die Geschichte eines Verbrechens als vordergründige Handlung nimmt.”