“GB84” ist das erste Buch, das ich von David Peace gelesen habe. Sein vielgepriesenes “Red-Riding-Quartett” kenne ich nur vom Hören. Jedenfalls dürften sich daran (Gewalt, viel Blut) die Geister scheiden. Er gilt seitdem als einer der härtesten Krimiautoren der Welt. Und dass er James Ellroy als eines seiner Vorbilder bezeichnet, sagt auch schon etwas aus.
“GB84” ist nun weniger blutig als seine erwähnten Krimis. Aber auch dieses Buch liest sich sehr düster. Stellenweise zweifelt man daran, dass er über Geschehnisse in einer funktionierenden Demokratie schreibt. Wir schreiben das Jahr 1984. Großbritannien steht am Rande eines Bürgerkriegs, denn der ein Jahr dauernde Bergarbeiterstreik spaltet das ganze Land.
“GB84” liest sich wie ein literarischer Grabenkampf, bei dem die verfeindeten Lager um jeden Zentimeter ringen. Auf der einen Seite steht die “eiserne Lady” Maggie Thatcher, auf der anderen die mächtigen Gewerkschaften. Gewinner gibt es letztlich keine, dafür viele Opfer. Peace zeigt sich nicht weniger erbarmungslos als seine Protagonisten und bohrt mit seinem Buch in einer bis heute offenen Wunde der britischen Gesellschaft. Sein Buch ist daher sehr intensiv und verstörend. Peace macht diese düstere Epoche britischer Zeitgeschichte hautnah spürbar. Von Lesevergnügen kann man nicht sprechen, denn Peace mutet seinen Lesern viel zu – was natürlich gut ist.
Dennoch hat er sein Buch meiner Meinung nach zu episch angelegt. Mit dem Verlauf der Geschichte wird “GB84” langatmiger und verliert dadurch auch an Spannung. 250 statt 530 Seiten hätten ausgereichet. Es wäre dann noch eindringlicher geworden. Im Lesefluss gestört hat mich auch der in sehr kleiner Schrift gehaltene Teil zu Beginn jedes Kapitels, der die Geschehnisse aus Sicht von zwei Bergarbeitern erzählt. Durch die kleine Schrift war das sehr anstrengend zu lesen und auch die Zeitsprünge waren mitunter sehr mühsam. Dennoch finden sich gerade auf diesen Seiten sehr starke Momente, die gut spürbar machen, was damals passiert ist.
“Ziegel und Steine – Ich hebe ein paar auf. Ich werfe damit – zum allerersten Mal. So weit bin ich gekommen – nur um in Ruhe gelassen zu werden.”
Diese Schlachten, anders kann man das nicht nennen, zwischen Bergarbeitern und Polizisten sind für mich unfassbar. Dieser Graben, diese Spaltung der Gesellschaft. Entweder war man für die eine Seite oder für die andere. Dazwischen gab es nichts. Ich war damals zehn Jahre alt und habe das nur als die ewig gleiche Randnotiz in den TV-Nachrichten wahrgenommen. Dank “GB84” verstehe ich nun, was damals abging. Streikbrecher gelten bis heute als Verräter, gleichzeitig taten auch die Gewerkschaften ihren Mitgliedern durch ihre Kompromisslosigkeit keinen Gefallen. Die streikenden Bergarbeiter darbten vor sich hin, sie hatten kaum Geld. Als ihre Kinder zu Weihnachten aus aller Welt Geschenke erhielten, war der Neid groß.
Ich habe nun auch einiges über die im Buch erwähnten historischen Persönlichkeiten nachgelesen und auch darüber, welche fiktiven Figuren an welche lebenden Personen angelehnt sind. Für alle, die es interessiert: “Der Jude” geht zum Beispiel auf Thatcher-Berater David Hart zurück. So wird Geschichte lebendig, das ist wirklich faszinierend.
7 von 10 Punkten
David Peace: “GB84”, übersetzt von Peter Torberg, 535 Seiten, liebeskind.