Vorneweg: 2014 war ein außerordentlich gutes Krimijahr. Ich lese jetzt seit rund vier Jahren wirklich intensiv Bücher dieses Genres und blogge nun seit fast zwei Jahren darüber. Aber dieser Jahrgang war wirklich ein besonderer. Ich schummle daher ein wenig und reihe drei Krimis auf Platz zehn. Ich weiß, das ist feig, aber ich hätte es einfach nicht übers Herz gebracht. Und los geht´s!

(c) Diogenes
Platz 10
Dennis Lehane: The Drop. Bargeld
US-Autor Dennis Lehane (“Gone, baby, gone”, “Shutter Island” und “Mystic River”) ist für mich einer der ganz großen Erzähler – nicht nur des Genres, sondern überhaupt. Eine Top-10-Liste 2014 ohne ihn ist eigentlich nicht vorstellbar. Auf nur 224 Seiten entfaltet sich ein unvergessliches Kleinkriminellendrama, in dem Lehane alle seine Stärken ausspielt. Klein, aber fein. Eigentlich ein Muss.
Zitat: “Das Schlimme im Menschen ist ganz alltäglich. Das Beste ist ein weit selteneres Ding.”

(c) suhrkamp nova
Platz 10
Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast
McKinty ist ein Meister der Szenen und Dialoge. Dass ihm diesmal nicht der geniale Plot gelungen ist, stört zumindest mich nicht – denn das Buch ist voll von feinen Szenen. Es wäre allerdings vermessen, McKinty vergeben zu wollen. Danken muss ich ihm. Seitenweise war ich wirklich fasziniert und sehr demütig: Es war mir eine Ehre, durch die Seiten blättern zu dürfen. Es macht Spaß, einen Autor zu lesen, der ein derart perfektes Gefühl für Szenen hat. Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig. Bilder entstehen im Kopf, auch seinen Humor mag ich.
Zitat: “Carrickfergus war ethnisch so komplex und bunt wie eine Mitgliedervollversammlung von Nazipartei und Ku-Klux-Klan.”

(c) Metrolit
Platz 10
Nic Pizzolatto: Galveston
“Galveston” wird bereits als eine Art Neuerfindung des Noir gefeiert. Ich weiß nicht, ob man Büchern immer einen Gefallen tut, indem man zu Superlativen greift. Pizzolatto hat schlicht einen sehr, sehr feinen Noir-Krimi geschrieben, der lange nachwirkt und ans Herz geht. Punkt.
Zitat: “Es kommt einem unfair vor, weil alles zufällig passiert. Aber genau deshalb ist es fair. Verstehst du? Fair wie eine Lotterie.”

(c) Haffmans Tolkemitt
Platz 9
Flore Vasseur: Kriminelle Bande
“Kriminelle Bande” ist nur bedingt ein Krimi. Letztlich hat die Französin Flore Vasseur sein entlarvendes Porträt einer nach falschen Werten strebenden Generation der heute 40-Jährigen geschrieben, die beruflich über alle Maßen erfolgreich und gleichzeitig Vorzeigeeltern sein wollen. Für mich eine der ganz großen Überraschungen.
Zitat: “Er hat eine Familie haben wollen. Er wohnt mit Menschen zusammen, die er nicht kennt.”

(c) Diaphanes
Platz 8
Nathan Larson: 2/14
Future Noir. Am 14. Februar (daher der Titel) ist New York von Anschlägen erschüttert worden, die Welt ist seitdem eine andere. Es sind das Diffuse und die sich zerlegende Realität (welche Erinnerungen der Hauptfigur Dewey Decimals sind echt? Welche sind ihm hinzugefügt?), die den Reiz des Buches ausmachen. Ich kann das gar nicht in eigene Worte fassen. Das muss man einfach lesen.
Zitat: “Die Große Böse Mutter Erde lernt aus ihren Fehlern, dreht an ein paar Schrauben und kommt das nächste Mal mit einem besseren Modell daher.”

(c) dtv premium
Platz 7
Lyndsay Faye: Der Teufel von New York
Lyndsay Fayes historischer Krimi spielt im Jahr 1845 und ist aus meiner Sicht perfekt gelungen. Spannend ist es, die Entstehung des berühmten New York Police Department (NYPD) nachzuverfolgen. Faye hat ein beeindruckendes Debüt voller einprägsamer Charaktere und interessanter historischer Details geschrieben. Die gute Nachricht: Hauptfigur Timothy Wilde geht in Serie, Ende Februar 2015 erscheint “Die Entführung der Delia Wright”.

(c) Galiani
Platz 6
Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees
Im März gab ich den Tipp ab: “Wer 2014 nur einen Krimi lesen will, der soll hier zugreifen!” Meine Begründung: Tage des letzten Schnees sei eine literarische Wucht, die einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Der deutsche Autor erzähle leichtfüßig und stimmig. Man spüre auf jeder Seite, dass er seine Charaktere mag. In dem Buch lägen Tod, Trauer und Glück so unglaublich nah zusammen. Das tue beim Lesen manchmal richtig weh, befreie gleichzeitig aber auch immens. Dazu stehe ich auch heute, aber naja, was soll ich sagen: Wagner wurde dennoch gleich fünf Mal überholt! Und ich habe gelernt, leichtsinnige Tipps dieser Art nicht mehr abzugeben.

(c) KiWi
Platz 5
Tom Hillenbrand: Drohnenland
“Drohnenland” war zwar nicht der beste Krimi 2014, aber dieses Buch hat mir definitiv am meisten Spaß gemacht. Das ist ein kleines future-noir-Meisterwerk, das sich wie die logische Fortsetzung von Steven Spielbergs “Minority Report” liest. Drohnen überwachen unser Leben in jedem erdenklichen Moment. Eigentlich lückenlos. Aber zum Glück gibt es auch noch Ermittler wie Kommissar Westerhuizen, der in dieser erschreckenden Zukunftsvision wunderbar altmodisch daherkommt. In einer Welt, in der Polizisten Tatorte nicht mehr begehen, weil es perfekte “Spiegelungen” gibt, die man vor- und zurückspulen kann (im Schnelldurchlauf sowie in Zeitlupe natürlich), sollte kein Verbrechen unlösbar sein. Außer…
Zitat: “Er ist die mit Abstand bestangezogene Leiche, die mir je untergekommen ist. (…) Alles an ihm sitzt tadellos, außer seinem Gesicht. Dessen Überreste sind halbkreisförmig auf dem sandigen Boden verteilt.”

(c) Heyne Hardcore
Platz 4
James Lee Burke: Regengötter
Ich habe “Regengötter” erst am Silvesternachmittag fertiggelesen, meine ausführliche Kritik folgt daher erst. Das Buch hat eine enorme Wucht, der Autor schreibt elegant und prägnant. Selten habe ich 672 mit einem derartigen Genuß absolviert. Man merkt auf jeder Seite die große Klasse von James Lee Burke. Dennoch hat es sein Buch um ein Haar nicht in meine Top-3 geschafft. Drei Bücher haben mich 2014 eben noch mehr begeistert.
Zitat: “Meine Hauptmahlzeit ist die am Abend, und selbst da esse ich nur einen halben Teller. Wissen Sie, warum ich das tue? (…) Ein Pferd hat den Magen immer nur bis zur Hälfte gefüllt. Somit hat es genug Energie, um sich gegen seine Feinde zu wehren oder zu fliehen, und wird gleichzeitig nicht schwerfällig durch einen vollen Bauch.”

(c) Kunstmann
Platz 3
William McIlvanney: Laidlaw
“Laidlaw”, im Original bereits 1977 erschienen, ist ein unglaublich zeitloser Kriminalroman, der keinen modischen Trends unterliegt. Er beschäftigt sich schlicht mit allen grundlegenden Fragen, die uns zum Menschen machen. Danke Conny Lösch für die Neuübersetzung und Danke dem Verlag Antje Kunstmann, der nach George V. Higgins nun erneut einen vergessenen Krimiautor ins Rampenlicht zerrt! Die gute Nachricht: Teil zwei und drei der Laidlaw-Serie werden 2015 erscheinen. Und offenbar schreibt er momentan, Jahrzehnte später, an Teil vier!
Zitat: “Verbrechen klärt man nicht auf. Man begräbt sie unter Fakten.”

(c) Argument Verlag
Platz 2
Liza Cody: Lady Bag
“Lady Bag” ist ein grandioses, realistisches, witziges, trauriges und berührendes Buch. Cody hält der anonymen Großstadt einen Spiegel vor. Sie fällt dabei aber keine moralischen Urteile und führt den Leser in eine Welt, die er sonst nie kennenlernen würde. Sie erfüllt damit eine der Hauptbedingungen für großartige Literatur. Noch nie zuvor habe ich die Welt von so weit unten gesehen.
Zitat: “Wir leben von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Wenn wir Geld haben, essen und trinken wir. Wir horten kein Geld für schlechte Tage, weil alle Tage schlecht sind.”

(c) Penhaligon
Platz 1
Benjamin Percy: Roter Mond
Ein Werwolf-Roman auf Platz eins einer Krimi-Bestenliste? Im Ernst? Ja. Abseits von all dem Vampir- und Werwolf-Kitsch am Buchmarkt hat Percy ein dystopisches Buch der Sonderklasse geschrieben. “Roter Mond” ist ein spannendes Buch, das in keine Schublade (weder in die Fantasy- noch in die Krimischublade) gesteckt gehört, weil es einfach großartige Literatur ist. Percy hält uns einen Spiegel vor, in den wir nicht sehen wollen, aber unbedingt sehen sollten. Zu Unrecht hatte ich seinen Vorgänger, das Wildnisdrama “Wölfe der Nacht” (der nichts mit Werwölfen zu tun hat!), nicht auf meine persönliche Krimi-Bestenliste 2013 genommen (ich hatte es schlicht übersehen) – Platz eins ist nun also auch eine kleine Wiedergutmachung.