Daniel Woodrell ist einer der sprachgewaltigsten Krimiautoren der Gegenwart. Einfach nur ein Genuss. Jedes Buch ein Volltreffer. Da ist die Vorfreude vor dem Lesen jedes Mal groß, währenddessen strebt man dann wehmütig der letzten Seite entgegen, will sie hinauszögern. Zumal Woodrells Bücher selten viel mehr als 200 Seiten umfassen. Auch in “Tomatenrot” (neu übersetzt von Peter Torberg) kommt neben der sprachlichen Wucht die zweite außergewöhnliche Stärke des bescheidenen, sympathischen Autors – ich durfte ihn bei einer Lesung in Wien miterleben – ganz klar heraus: Charaktere, die nicht erfunden wurden, sondern exisitieren. So scheint es zumindest. Das ist lebensecht.
Und lebensweise:
“Süße”, sagte sie, “man stellt sich dem Ärger nicht in den Weg. Man schmeichelt ihm.”
Und auch humorvoll:
“Was ist mit der Akte?” – “Oh, die lesen wir mit vollem Magen, Süßer. Es muss ja was drin, sein, was hochkommen kann, falls wir kotzen müssen.”
Woodrell erzählt nicht von großen Heldentaten, von wichtigen Personen der Geschichte. Er schreibt am liebsten Geschichten über normale Menschen, oft auch Verlierer. Er erschafft dabei keine eindimensionalen Charaktere, sondern echte Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen. Wobei ihn letztere einfach mehr interessieren.
Woodrell macht diese gescheiterten Existenzen sympathisch und liebenswert. Wenn sie schon sonst niemand liebt auf dieser Welt, dann zumindest der Leser. Der Autor öffnet die Tür in eine traurige, auf das wesentliche, nämlich das Überleben, reduzierte Welt. Er lässt uns an einer Welt teilhaben, die man sonst nicht begreifen könnte – weil man schlicht keinen Zugang zu ihr hat. Er sieht genau hin, begreift das Wesen des Menschen, verurteilt gleichzeitig aber niemals. Er macht nur Dinge besser begreifbar.
Groß, groß, groß.
9 von 10 Punkten
Daniel Woodrell: “Tomatenrot”, übersetzt von Peter Torberg, Liebeskind, 222 Seiten.