Monthly Archives: June 2014

Abgebrochen: Sibirischer Wind

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

Eigentlich hatte ich mich auf Ilja Albrechts “Sibirischer Wind” gefreut. Ansprechendes Cover, eine neuer deutscher Autor, eine spannende Geschichte… Tja, das hätte es sein können. Doch bei Punkt drei hakte es.

Albrecht nutzt auch das Stilmittel des Prologs, um Neugier zu erzeugen. Einem Buben erfährt auf den ersten drei Seiten etwas Grausames, ehe der Thriller richtig startet. Und hier komme ich zu Kritikpunkt eins: Ich habe nach ca. 110 Seiten zu lesen aufgehört, weil einfach keine Spannung aufkommen wollte. Um einen Thriller handelt es sich bei “Sibirischer Wind” also nicht. Und auch die Auflösung des Rätsels aus dem Prolog interessierte mich nicht.

Albrecht führt die Hauptpersonen, Kiran Mendelsohn und den eigenwilligen Kommissar Bolko Blohm, zwar ordentlich ein. Man erhält auch einen Einblick in die Arbeit eines BKA-Teams, wie der Verlag preist – doch irgendwie tut sich da einfach nichts. Man hantelt sich von Seite zu Seite und das Interesse verschwindet. Ich kann nicht einmal genau erklären, warum das so ist. Albrecht schreibt nicht schlecht, aber dann doch viel zu brav. Wenn schon keine Spannung, dann brauche ich doch zumindest eine gewisse Rafinesse – doch auch hier Fehlanzeige. Letztlich kommt auch alles ein wenig konstruiert daher. Diese ganzen Machtspiele zwischen Politik, Polizei, Geheimdiensten, Russenmafia und Medien hat man schon viel besser dargestellt bekommen.

Als die beiden Ermittler dann beim Unterweltler Osmanow vorstellig werden, war für mich endgültig Schluss. Ab da wurde die Geschichte für mich auch unglaubwürdig. Osmanow öffnet den beiden Ermittler die Augen über die Zusammenhänge zwischen Organisierter Kriminalität und Politik. Die Dialoge dienen dabei vorwiegend der Erklärung dieser Zusammenhänge. Wie Osmanow Mendelsohn und Blohm als naive, verträumte Polizisten vorführt, war mir einfach zu viel.

Nach den 110 Seiten habe ich daher zu einem anderen Buch gegriffen. Und das war kein Fehler. Ich will aber fair sein, die Kritikerin vom RBB ist angetan und wünscht sich eine Fortsetzung: “Ilja Albrecht gibt einen guten Einblick in die Arbeit des BKA, die Rolle von Politik und Medien. Kiran Mendelsohn und seine Mitstreiter sind sympathische Ermittler. Sie werden weitere Fälle lösen. Die perfekten Cliffhanger hat Ilja Albrecht schon mal eingebaut. So fehlt die Antwort auf die Frage, warum Kiran keine Waffen tragen will.”

Ilja Albrecht wird seine Leser finden, ich werde aber nicht dazugehören.

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Krimis, die man 2014 lesen sollte (VI)

C. Bertelsmann

C. Bertelsmann

Tja, meine Juni-Liste ist kurz, was auch daran liegt, dass ich Ilja Albrechts “Sibirischer Wind” (ab 17. Juni), das ich hier eigentlich vorstellen wollte, abgebrochen habe. Dazu hier in Kürze mehr. Für Fans von Spionageroman kündigt sich aber ein Pflichtlektüre an: Joseph Kanons “Die Istanbul Passage”. Ich muss zwar gestehen: Bei mir steht immer noch sein Buch “Der verlorene Spion” ungelesen im Regal, doch an der Qualität des Autors liegt es sicher nicht – vielmehr an der Zeit. Sein Buch “In den Ruinen von Berlin” wurde unter dem Originaltitel “The Good German” verfilmt. Zuletzt war 2006 “Stadt ohne Gedächtnis” erschienen. Für Kanon-Fans geht damit also eine lange Durststrecke zu Ende. “Die Istanbul Passage” ist sicher ideal für Leser von John LeCarré, Oliver Bottini und Olen Steinhauer.

Der Verlagstext: Als neutrale Stadt zwischen Europa und Asien war Istanbul im Zweiten Weltkrieg Magnet für Flüchtlinge und Spione. Leon Bauer, ein amerikanischer Geschäftsmann, ist durch kleine Undercover-Tätigkeiten für die Alliierten mit der Unterwelt in Berührung gekommen. Nun, als die Geheimdienste abziehen und sich die Stadt auf die Realität der Nachkriegszeit einstellt, bekommt Leon einen letzten Routine-Auftrag. Doch als ihm der Job gefährlich aus dem Ruder läuft und er der attraktiven Gattin des amerikanischen Botschafters in der Türkei verfällt, weiß Leon bald nicht mehr, wem er vertrauen kann, und wo das Gute aufhört und das Böse beginnt …

(c) Bastei Lübbe

(c) Bastei Lübbe

Buch Nummer zwei interessiert mich noch mehr: Peter Lineys “Die Verdammten” (13. Juni) löst meinen aktuellen dystopischen Zugreifreflex aus. Nach den zwei genialen dystopischen Krimis “Roter Mond” und “2/14” bin ich bereit für mehr. Der Verlag schreibt hier: Clancey ist in die Jahre gekommen. Früher stand er als “Mann fürs Grobe” in Diensten der Mafia. Jetzt zählt er zu den Ausgestoßenen: Er lebt auf einer Insel, auf die alle Alten und Gebrechlichen ausgelagert werden. Hier herrscht ein ständiger Kampf ums Überleben, und es gibt keinen Schutz vor den Scheusalen, die die Menschen in nebligen Nächten quälen. Eines Tages entdeckt Clancey ein geheimes Tunnelsystem, in dem ein blindes Mädchen lebt. Sie gibt ihm Hoffnung. Und die Gelegenheit, endlich zurückzuschlagen.

Mafia, Ausgestoßene, ein kleines blindes Mädchen, geheimes Tunnelsystem. Mehr brauche ich nicht 😉

 

 

 

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Tom Hillenbrand: Drohnenland

(c) KiWi

(c) KiWi

Momentan macht das Lesen wirklich Spaß. Dabei war ich vor allem bei “Drohnenland” skeptisch. Denn eigentlich dachte ich mir, ich lese das Buch zur Abrundung, um Marc Elsbergs “Zero” besser einordnen zu können – als Beiwerk sozusagen. Was meine Skepsis besonders genährt hat: Hillenbrand ist mit seinen “kulinarischen Krimis” rund um den Koch Xavier Kieffer bekannt geworden. Wenn mich ein Trend am Krimimarkt im Moment besonders nervt (ja, ich weiß, neben supergenialen Serienkillern natürlich), dann diese Schwemme an Krimis, die sich wie gut getarnte Kochbücher lesen. Das mag charmant sein, ich finde es großteils kalkuliert und aufgesetzt. Aber egal. Denn wer so zwischen den Welten wandeln kann wie Hillenbrand, muss gut sein. Sein Buch ist alles andere als ein Beiwerk. Und da bin ich nun sogar versucht, einen seiner kulinarischen Krimi zu lesen. Mein Respekt: Es ist wagemutig, erfolgreiche, aber abgetretene Pfade zu verlassen. Denn letztlich riskiert er damit auch ökonomischen Misserfolg.

Aber nun zu “Drohnenland”. Das ist ein kleines future-noir-Meisterwerk, das sich wie die logische Fortsetzung von Steven Spielbergs “Minority Report” (Stichwort: Pre-Crime, also die Vorhersage von Verbrechen aufgrund von Wahrscheinlichkeiten) liest. Drohnen überwachen unser Leben in jedem erdenklichen Moment. Eigentlich lückenlos. Aber zum Glück gibt es auch noch Ermittler wie Kommissar Westerhuizen, der in dieser erschreckenden Zukunftsvision wunderbar altmodisch daherkommt. In einer Welt, in der Polizisten Tatorte nicht mehr begehen, weil es perfekte “Spiegelungen” gibt, die man vor- und zurückspulen kann (im Schnelldurchlauf sowie in Zeitlupe natürlich), sollte kein Verbrechen unlösbar sein. Außer… Mehr will ich hier aber nicht verraten.

Es ist nicht nur die überzeugende Zukunftsvision eines komplett überwachten Europas (es gibt Assassinendrohnen, Hobodrohnen, Colibris usw.), die fasziniert. Es sind auch Hillenbrands Figuren sowie seine politischen und geopolitischen Szenarien. Die USA spielen überhaupt keine Rolle mehr, dafür aber Brasilien oder auch Portugal, das aufgrund seiner Wellenkraft zum reichsten EU-Land (es gibt 36 Mitglieder!) aufgestiegen ist. Was im ersten Moment wie Humbug klingen mag, wirkt beim Lesen vollkommen glaubwürdig und realistisch. Und auch sprachlich hat er es drauf. Ich finde seinen Einstieg genial:

“Er ist die mit Abstand bestangezogene Leiche, die mir je untergekommen ist: rahmengenähte Kalbslederschuhe, ein Mailänder Maßanzug, dessen Preis mein Monatsgehalt übersteigt, dazu ein bewusst nachlässig gebundener Steinkirk – nebst passendem Einstecktuch. Alles an ihm sitzt tadellos, außer seinem Gesicht. Dessen Überreste sind halbkreisförmig auf dem sandigen Boden verteilt.”

Da entstehen Bilder im Kopf. Zudem hat Hillenbrand einen angenehm klassischen Kriminalroman geschrieben, der halt einfach in einer (noch) unvorstellbaren Zukunft spielt. “Krekeler killt” schreibt dazu übrigens: “Das Interessante für das Genre ist nun, dass ein Kommissar eigentlich komplett überflüssig wird in der Zukunft. Westerhuizen könnte ein Letzter seiner Art sein. (…) Drohnen ersetzen dann nicht nur Soldaten, sondern auch Detektive. Weil es in einer Welt voller Aufklärungselektronik streng genommen keinen Aufklärer mehr geben muss.” Hut ab, Elmar Krekeler, besser kann man es nicht formulieren! Und Hut ab, Tom Hillenbrand – “Drohnenland” ist sicher eine der großen positiven Überraschungen dieses Krimijahres.

9 von 10 Punkten

Tom Hillenbrand: “Drohnenland”, 423 Seiten, KiWi.

 

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KrimiZeit-Bestenliste Juni: Ein Abgleich

(c) Dumont

(c) Dumont

Die KrimiZeit-Bestenliste für den Juni ist da – und ich bin begeistert. Ein Applaus für die Jury! Zwei Neueinsteiger habe ich im Mai gelesen und den dritte Neueinsteiger habe ich gerade zu lesen begonnen. An der Spitze hat sich nichts verändert: Oliver Bottini ist mit “Ein paar Tage Licht” noch immer die Nummer eins. Auch auf den Plätzen zwei und drei hat sich nichts getan: Ross Thomas liegt mit “Fette Ernte” weiter auf Platz zwei und die Französin Dominique Manotti reiht sich mit “Ausbruch” erneut auf Rang drei ein.

Ich wende mich daher gleich den Neueinsteigern zu: Auf Platz fünf liegt Tom Hillenbrand mit “Drohnenland”. Das Buch habe ich eher zufällig in der Buchhandlung gekauft, weil es thematisch ein wenig an Marc Elsbergs “Zero” erinnert. Ich stehe zudem im Moment auf futuristische Krimis. Und “Drohnenland” liest sich ein wenig wie eine Fortsetzung von “Minority Report”. Das Buch ist fesselnd, faszinierend und einfach gut geschrieben – mehr dazu in Kürze. Tja, Neueinsteiger Benjamin Percy (Platz sechs) hat mich mit “Roter Mond” in meinem letzten Eintrag Lobeshymnen singen lassen – zur Kritik hier. Und André Georgi ist mit “Tribunal” auf Rang zehn eingestiegen. Da kann ich noch nicht viel sagen, weil ich gerade mal 20 Seiten absolviert habe. Stilistisch gefällt es mir aber bisher gut.

Fazit: 4 von 10 Bücher habe ich gelesen bzw. lese ich gerade.

Die Liste im Überblick:

  1. Oliver Bottini: “Ein paar Tage Licht” (1)
  2. Ross Thomas: “Fette Ernte” (2)
  3. Dominique Manotti: “Ausbruch” (3)
  4. Leonardo Padura: “Ketzer” (5)
  5. Tom Hillenbrand: Drohnenland (-)
  6. Benjamin Percy: “Roter Mond” (-)
  7. Mukoma wa Ngugi: “Nairobi Heat” (10)
  8. Daniel Woodrell: “In Almas Augen” (9)
  9. Sascha Arango: “Die Wahrheit und andere Lügen” (-)
  10. André Georgi: “Tribunal” (-)

 

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Benjamin Percy: Roter Mond

(c) Penhaligon

(c) Penhaligon

Ich habe schon vor Kurzem angekündigt, dass ich hier wieder 10 von 10 Punkten vergeben werde. Das lässt mich nun ein wenig an meinem Bewertungssystem zweifeln (waren jetzt wirklich alle 10 Punkte gerechtfertigt? habe ich “Tage des letzten Schnees” und “Der Teufel von New York” zu hoch bewertet?) – aber eigentlich ist es ja egal: Es sind letztlich immer nur Momentaufnahmen, die nicht unwesentlich von der eigenen Stimmungslage abhängen.

So, bevor ich jetzt zu schwafeln beginne: Bei diesen 10 Punkten bin ich mir absolut sicher. Und ein zähneknirschendes Ja: Wahrscheinlich waren die beiden anderen 10er eigentlich doch nur 9er… Denn Benjamin Percys Werwolf-Epos (in dem er übrigens kein einziges Mal das Wort Werwolf verwendet) “Roter Mond” ist ein absolutes Meisterwerk. Eigentlich kommt es nicht einmal überraschend. 2013 war ich schon von Percys Wildnis-Drama “Wölfe der Nacht” sehr angetan. Mein Urteil damals: “In Percys Roman wird der Mensch wieder klein. Bildgewaltig erzählt er vom Kampf des ungleichen Trios mit sich selbst und vor allem gegen die Natur. Er vermeidet dabei jegliche Klischees.” Percy erwies sich schon damals als begnadeter Erzähler.

Jetzt mögen viele einwenden: Werwölfe? Meint er das ernst? Ja, absolut. Abseits von all dem Vampir- und Werwolf-Kitsch am Buchmarkt hat Percy ein dystopisches Buch der Sonderklasse geschrieben. “Roter Mond” ist ein spannendes Buch, das in keine Schublade (weder in die Fantasy- noch in die Krimischublade) gesteckt gehört, weil es einfach großartige Literatur ist. Ich habe das unter dem Titel “Werwölfe sind auch nur Menschen” ausführlich beschrieben: “Er hat ein fesselndes und aufrüttelndes Buch geschrieben, das den Leser mit den zentralen Fragen des Menschseins konfrontiert. Denn Percys Lykaner könnte man immer wieder durch Muslime, Schwarze, Aidskranke, Homosexuelle sowie jede Art von Minderheit ersetzen. „Roter Mond“ ist daher wohl auch einer der wichtigsten Post-9/11-Romane, die bisher geschrieben wurden.” Mein Fazit: Percy hält uns einen Spiegel vor, in den wir nicht sehen wollen, aber unbedingt sehen sollten. Und ich liebe einfach seine bildhafte Sprache.

Nur hier eine Warnung für Zartbesaitete: Das Buch hat wirklich blutige Szenen. Das liest sich dann unter anderem so: “Auf einer Bank sitzt eine Frau ohne Schädeldecke (…) Blut rinnt ihr übers Gesicht und durchtränkt ihren Anorak. Sie scheint die Verletzung nicht zu spüren und blickt auf das Display ihres Smartphones als überlege sie, jemanden anzurufen.” Ein Werwolf-Roman ohne solche wäre aber auch irgendwie absurd. Zudem setzt Percy die Gewalt wohlüberlegt ein. Percy sagt dazu: “Unsere Aufgabe als Schriftsteller ist es, so unangenehm das auch sein mag, gelegentlich das Licht auf die dunklen Ecken der menschlichen Existenz zu richten.”

Ausdrücklich empfehlen muss ich hier unbedingt auch Alf Mayers umfassende Rezension auf culturmag. Damit ist dann wirklich alles gesagt. Und jetzt meine Empfehlung: Kauft dieses Buch, lest es und lasst es nachwirken!

10 von 10 Punkten

Benjamin Percy: “Roter Mond”, übersetzt von Michael Pfingstl, 638 Seiten, Penhaligon.

 

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