Monthly Archives: April 2019

James Sallis: Willnot

(c) Liebeskind

Es ist immer wieder eine Freude, wenn einer der besten Kriminalschriftsteller der Welt ein neues Buch herausbringt. US-Autor James Sallis ist ein Meister des Minimalismus. In der Würze liegt die Kürze – wenn jemand diesen Spruch kriminalliterarisch perfekt umzusetzen weiß, dann er. Doch wer diesmal einen kurzen, aber vielschichtigen Kriminalroman erwartet, wird enttäuscht sein.

Zwar wird in der titelgebenden Kleinstadt Willnot eine Grube voller Leichen entdeckt, doch damit enden Handlung und Spannungsbogen eigentlich auch schon wieder. “Willnot” ist vielmehr eine philosophische Betrachtung, ein Porträt einer Kleinstadt in den USA. Es eignet sich als Zitatesammlung besser als Krimi.

Ein Beispiel:

“Was passiert denn so im Herzen Amerikas?” – “Mais. Das gute Leben der Fünfziger. Mit einer gelegentlichen Schulschießerei oder einem schicken Massenmord.”

auch schön, gleich darauf:

“Und einige wirklich feine Menschen.” – “Feine Menschen gibt es überall.” – “Sie wären entsetzt, wenn Sie wüssten, wie lange ich gebraucht habe, um das zu begreifen.”

Das Fazit: gutes Buch ja, Krimi nein. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Autor mit seinem Buch derzeit die genrerelevante Krimi-Bestenliste anführt. Und ich habe normalerweise wirklich kein Problem mit einer großzügigen Auslegung, was ein Kriminalroman ist. Ich habe schon ein bisschen gezweifelt, ob das nur an mir liegt, aber dann bin ich auf Gunnar Wolters  Rezension auf “Kaliber.17” gestoßen. Er sieht das ziemlich ähnlich: “Ich denke, wer von vornherein weiß, dass er hier eher etwas Existentialistisches als einen Thriller zu erwarten hat, kann sich besser auf diesen Roman einlassen.”

Da dies ein Krimiblog ist:

5 von 10 Punkten (als normaler Roman: 8 von 10)

James Sallis: “Willnot”, übersetzt von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt, Liebeskind, 240 Seiten.

 

 

2 Comments

Filed under Rezensionen

Krimi-Bestenliste im April: Ein Abgleich

(c) Liebeskind

James Sallis ist einer der besten Kriminalautoren überhaupt. Er erzählt in wenigen Sätzen mehr als andere in hunderten Seiten. “Driver” und “Driver 2” sind dafür die besten Beispiele. Kein Wunder also, dass er sich auf Platz 1 der Krimi-Bestenliste wiederfindet. Obwohl eigentlich schon, denn “Willnot” ist kein Kriminalroman, nicht einmal in entferntesten Sinn. Dazu fehlt eine klar erkennbare Handlung sowie ein gewisser Spannungsbogen. Meiner Meinung nach ist das auch kein Noir. Es ist ein sehr guter Roman, der allerdings nichts mit Kriminalliteratur zu tun hat, außer dass er von einem Krimiautor geschrieben ist. Aber dazu werde ich hier in Kürze mehr schreiben.

Fein, dass Don Winslows monumentales “Jahre des Jägers” nun auch auf der Liste auftaucht. Winslow ist ja auch ein Hauptgrund, warum es diesen Blog hier gibt. Mit “Tage der Toten” hat er mich damals, vor fast zehn Jahren, endgültig mit dem Krimi-Virus infiziert. Das fast 1000-seitige “Jahre des Jägers” ist nun der würdige Abschluss seiner Kartell-Trilogie. Der Feind sitzt im eigenen Land und nicht in Mexiko.

Wer es lieber aus erster Hand, also aus mexikanischer Sicht hat, der sollte bei Antonio Ortuño zugreifen. Bereits “Die Verdammten” war vor drei Jahren eine außergewöhnliche Lektüre. Stand damals die Flüchtlingsproblematik im Vordergrund, geht es diesmal um Korruption und Gier.

Weiters von der Liste gelesen habe ich bereits “Bluebird, Bluebird” und “Lola”. Das Buch von Attica Locke ist wirklich herausragend, vor allem aufgrund seiner Menschlichkeit. “Lola” ist ein tolles Debüt einer jungen Autorin mit einer Drogendealerin als Heldin, das aber auch einige Schwächen hat. Über beide Bücher werde ich hier in Kürze ebenfalls schreiben.

Die Liste im Überblick:

1. James Sallis: Willnot (2)
2. Heinrich Steinfest: Der schlaflose Cheng (4)
3. Sara Gran: Das Ende der Lügen (7)
4. Gary Victor: Im Namen des Katers (3)
5. Attica Locke: Bluebird, Bluebird (1)
6. Leonardo Padura: Die Durchlässigkeit der Zeit (8)
7. Jonathan Robijn: Kongo Blues (-)
8. Melissa Scrivner Love: Lola (-)
9. Don Winslow: Jahre des Jägers (-)
10. Antonio Ortuño: Die Verschwundenen (-)

1 Comment

Filed under Krimi-Bestenliste

Mick Herron: Slow Horses

(c) Diogenes

Sie werden “Slow Horses” genannt, die ausrangierten MI5-Agenten, die im Slough House, einer unscheinbaren Außenstelle des britischen Geheimdienstes in London, ihr Dasein fristen. Hier versammeln sich all die Gescheiterten und Verstoßenen, deren Karrieren mehr als nur einen kleinen Knick erlitten haben. Als ein pakistanischer Jugendlicher entführt wird und seine Enthauptung live im Internet übertragen werden soll, wittern die Außenseiter ihre Chance – an ihrer Spitze der uncharismatische, dickbäuchige, aber mit allen Wassern gewaschene Jackson Lamb.

Der britische Autor Mick Herron hat daraus keinen reißerischen Thriller mit vielen skurrilen Charakteren (wie zuletzt Sophie Hénaff in “Kommando Abstellgleis” durchaus gewitzt) gemacht. Im Gegenteil, er nimmt sich viel Zeit, um diese Existenzen und ihren tristen Alltag zu porträtieren. Von Glanz und Glamour keine Spur. Charakterstudie statt kniffliger Spionage. Aber man sollte sich von den ersten 200 Seiten nicht täuschen lassen, denn Herron führt die Leser in die Irre.

Was folgt, ist ein Spionageroman mit vielen Wendungen und noch mehr Charme. Die Uhr tickt. Nicht jeder scheint zu sein, wer er ist. Der Autor lässt die Leser an einem raffinierten Ränkespiel innerhalb des Geheimdienstes teilhaben, bei dem das eigentlich zu befreiende Opfer schon bald zur Nebensache wird. Mit “Slow Horses” beweist Herron eindrucksvoll, dass der klassische Spionageroman lebt – auch ohne technologischen Firlefanz.

Das vorliegende Buch ist übrigens der Auftakt zu einer vielfach ausgezeichneten Serie. Im Herbst soll Teil zwei auf Deutsch erscheinen.

8 von 10 Punkten

Mick Herron: “Slow Horses. Ein Fall für Jackson Lamb”, übersetzt von Stefanie Schäfer, Diogenes-Verlag, 472 Seiten.

Leave a comment

Filed under Rezensionen