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James Sallis: Willnot

(c) Liebeskind

Es ist immer wieder eine Freude, wenn einer der besten Kriminalschriftsteller der Welt ein neues Buch herausbringt. US-Autor James Sallis ist ein Meister des Minimalismus. In der Würze liegt die Kürze – wenn jemand diesen Spruch kriminalliterarisch perfekt umzusetzen weiß, dann er. Doch wer diesmal einen kurzen, aber vielschichtigen Kriminalroman erwartet, wird enttäuscht sein.

Zwar wird in der titelgebenden Kleinstadt Willnot eine Grube voller Leichen entdeckt, doch damit enden Handlung und Spannungsbogen eigentlich auch schon wieder. “Willnot” ist vielmehr eine philosophische Betrachtung, ein Porträt einer Kleinstadt in den USA. Es eignet sich als Zitatesammlung besser als Krimi.

Ein Beispiel:

“Was passiert denn so im Herzen Amerikas?” – “Mais. Das gute Leben der Fünfziger. Mit einer gelegentlichen Schulschießerei oder einem schicken Massenmord.”

auch schön, gleich darauf:

“Und einige wirklich feine Menschen.” – “Feine Menschen gibt es überall.” – “Sie wären entsetzt, wenn Sie wüssten, wie lange ich gebraucht habe, um das zu begreifen.”

Das Fazit: gutes Buch ja, Krimi nein. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Autor mit seinem Buch derzeit die genrerelevante Krimi-Bestenliste anführt. Und ich habe normalerweise wirklich kein Problem mit einer großzügigen Auslegung, was ein Kriminalroman ist. Ich habe schon ein bisschen gezweifelt, ob das nur an mir liegt, aber dann bin ich auf Gunnar Wolters  Rezension auf “Kaliber.17” gestoßen. Er sieht das ziemlich ähnlich: “Ich denke, wer von vornherein weiß, dass er hier eher etwas Existentialistisches als einen Thriller zu erwarten hat, kann sich besser auf diesen Roman einlassen.”

Da dies ein Krimiblog ist:

5 von 10 Punkten (als normaler Roman: 8 von 10)

James Sallis: “Willnot”, übersetzt von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt, Liebeskind, 240 Seiten.

 

 

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Krimi-Bestenliste im April: Ein Abgleich

(c) Liebeskind

James Sallis ist einer der besten Kriminalautoren überhaupt. Er erzählt in wenigen Sätzen mehr als andere in hunderten Seiten. “Driver” und “Driver 2” sind dafür die besten Beispiele. Kein Wunder also, dass er sich auf Platz 1 der Krimi-Bestenliste wiederfindet. Obwohl eigentlich schon, denn “Willnot” ist kein Kriminalroman, nicht einmal in entferntesten Sinn. Dazu fehlt eine klar erkennbare Handlung sowie ein gewisser Spannungsbogen. Meiner Meinung nach ist das auch kein Noir. Es ist ein sehr guter Roman, der allerdings nichts mit Kriminalliteratur zu tun hat, außer dass er von einem Krimiautor geschrieben ist. Aber dazu werde ich hier in Kürze mehr schreiben.

Fein, dass Don Winslows monumentales “Jahre des Jägers” nun auch auf der Liste auftaucht. Winslow ist ja auch ein Hauptgrund, warum es diesen Blog hier gibt. Mit “Tage der Toten” hat er mich damals, vor fast zehn Jahren, endgültig mit dem Krimi-Virus infiziert. Das fast 1000-seitige “Jahre des Jägers” ist nun der würdige Abschluss seiner Kartell-Trilogie. Der Feind sitzt im eigenen Land und nicht in Mexiko.

Wer es lieber aus erster Hand, also aus mexikanischer Sicht hat, der sollte bei Antonio Ortuño zugreifen. Bereits “Die Verdammten” war vor drei Jahren eine außergewöhnliche Lektüre. Stand damals die Flüchtlingsproblematik im Vordergrund, geht es diesmal um Korruption und Gier.

Weiters von der Liste gelesen habe ich bereits “Bluebird, Bluebird” und “Lola”. Das Buch von Attica Locke ist wirklich herausragend, vor allem aufgrund seiner Menschlichkeit. “Lola” ist ein tolles Debüt einer jungen Autorin mit einer Drogendealerin als Heldin, das aber auch einige Schwächen hat. Über beide Bücher werde ich hier in Kürze ebenfalls schreiben.

Die Liste im Überblick:

1. James Sallis: Willnot (2)
2. Heinrich Steinfest: Der schlaflose Cheng (4)
3. Sara Gran: Das Ende der Lügen (7)
4. Gary Victor: Im Namen des Katers (3)
5. Attica Locke: Bluebird, Bluebird (1)
6. Leonardo Padura: Die Durchlässigkeit der Zeit (8)
7. Jonathan Robijn: Kongo Blues (-)
8. Melissa Scrivner Love: Lola (-)
9. Don Winslow: Jahre des Jägers (-)
10. Antonio Ortuño: Die Verschwundenen (-)

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Die besten Krimi-Cover im Mai

(c) Heyne

(c) Heyne

Im Mai ist mir die Wahl leicht gefallen. Das beste Krimi-Cover des Monats ziert “Gun Machine” (Heyne) von Warren Ellis. Die Lektüre des Buches habe ich gerade begonnen und eines lässt sich schon jetzt sagen: Ellis schreibt unkonventionell. Den Graphic Novelist, der er eigentlich ist, kann er nicht verleugnen. Das wird sicher nicht jedermanns Sache sein, liest sich aber erfrischend. Mal sehen, ob sich das über 380 Seiten halten lässt. Da es in dem Buch um Waffen geht, war es also naheliegend, eine Waffe auf das Cover zu bringen. Dem Verlag ist das in diesem Fall aber aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Inhalt, Titel und Cover passen gut zusammen. Im Geschäft hätte ich da sofort hingegriffen…

(Heyne)

(Heyne)

Auf Platz zwei reihe ich “Gute Nacht” (Heyne) von John Verdon. Versuchte es der Verlag bislang mit eher nichtssagenden Cover-Varianten (“Die Handschrift des Todes”, “Schließe deine Augen”), auf denen Blutspritzer zu sehen sind, erscheint das aktuelle Titelbild nun weit rätselhafter und strahlt auch eine gewisse Bedrohlichkeit aus. Meine Neugierde ist zwar geweckt, allerdings schreckt mich der im Verlagstext erwähnte Serienkiller erheblich ab. Ich werde daher wohl die Finger davon lassen.

(c) Dumont

(c) Dumont

Nicht die Finger lassen werde ich von “Stiller Zorn” (Dumont) von James Sallis, einem der besten zeitgenössischen Krimiautoren überhaupt. Sein minimalistischer Stil war für mich zwar anfänglich gewöhnungsbedürftig, hat mich aber mittlerweile mehr als überzeugt. “Stiller Zorn” ist der Auftakt zur Serie rund um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin. Das Buch ist erstmals 1999 unter dem Titel “Die langbeinige Fliege” auf Deutsch erschienen. Insgesamt gibt es sechs Teile, aber nur die ersten beiden wurden übersetzt.

(c) Dumont

(c) Dumont

Wie schon bei der Neuauflage der Washington-Trilogie von George Pelecanos (siehe Beispiel: “Eine süße Ewigkeit”) ist dem Verlag Dumont die optische Auffrischung bei der Lew-Griffin-Serie äußerst gelungen. Das wirkt sehr atmosphärisch. Das sind Bücher, die man einfach gern im Regal stehen hat – das konnte man von der ersten Ausgaben nicht unbedingt sagen.

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Krimis, die man 2013 lesen sollte (V)

(c) Heyne

(c) Heyne

Der Mai ist auch aus Krimi-Sicht ein Wonnemonat: In den nächsten Tagen erscheinen einige der Bücher, die für mich zu den Highlights des Jahres zählen. Mal schauen, ob sie die hohen Erwartungen erfüllen. Den Beginn macht Warren Ellis mit “Gun Machine” (13. Mai). Warren Ellis ist eigentlich ein hervorragender Graphic Novelist, der auch Romane schreibt. Der Verlag preist das Buch folgendermaßen: Detective Tallow muss mitansehen, wie sein Partner von einem Irren niedergeschossen wird, woraufhin er zufällig ein verrammeltes Apartment entdeckt, das bis zur Decke mit Waffen vollgestopft ist. Jede einzelne davon hat einen Menschen getötet hat – und keiner dieser Morde wurde je aufgeklärt. Hunderte Fälle, die bereits bei den Akten lagen, müssen somit neu aufgerollt werden … Das klingt nach einem wahren Höllentrip voll schwarzem Humor und viel Action. Das kann aber auch gewaltig in die Hose gehen. Der erste Satz scheint jedenfalls vielversprechend: “Wenn man sich die Aufnahme des Notrufs anhörte, konnte man den Eindruck bekommen, die Tatsache, dass der Mann vor ihrer Apartmenttür nackt war, bereitete Mrs. Stegman mehr Sorgen als die großen Schrotflinte in seiner Hand.” Für mich eine der spannendsten Neuerscheinungen dieses Jahres.

(c) Dumont

(c) Dumont

Einer meiner Lieblingsautoren legt dann am 21. Mai nach: “Stiller Zorn” von James Sallis ist der Auftakt der Lew-Griffin-Serie, die angesichts seiner Erfolge (“Driver”, “Driver 2”) bei Dumont wiederaufgelegt wird. Das Werk aus dem Jahr 1992 erschien bereits 1999 unter dem Titel “Die langbeinige Fliege”. Sallis hat zwischen 1992 und 2001 insgesamt sechs Teile rund um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin geschrieben, von denen aber nur die ersten beiden auf Deutsch erschienen sind. Vielleicht werden ja nun alle sechs Bänder veröffentlicht – hoffen kann man zumindest.

(c) C. Bertelsmann

(c) C. Bertelsmann

Ende Mai erscheint dann “Das Fest der Schlange” (28. Mai) von Stephen Dobyns. Der Autor feiert im deutschsprachigen Raum damit eine Art Wiederauferstehung. Von Dobyns war zuletzt “Der Junge im Pool” (1998) auf Deutsch erschienen. Dobyns gilt als Meister des intelligenten Psychothrillers. Zum Inhalt schreibt der Verlag: Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht in der kleinen Stadt Brewster in Rhode Island: Auf der Säuglingsstation ist ein Baby verschwunden, und im Bettchen liegt eine Schlange. Dann wird ein Toter gefunden, ermordet und grausam skalpiert. Und wo kommen die Kojoten her, die nachts durch die Stadt streifen? Haben die seltsamen Hippies etwas damit zu tun? Betreiben sie einen Hexen- und Satanskult? Als auch noch eine Katze erhängt aufgefunden wird, gerät ganz Brewster in Panik. Kein Wunder, dass Stephen King dieses Buch empfiehlt.

(c) Goldmann

(c) Goldmann

Ebenfalls im Mai geht Michael Robothams “Bis du stirbst”  (20. Mai) ins Rennen. Ich habe von dem Autor bisher nichts gelesen, aber über ihn werden wahre Lobeshymnen – vor allem über sein letztes Werk “Der Insider” verfasst. Das aktuelle Buch scheint eine gute Möglichkeit, den Autor kennenzulernen.

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Giancarlo De Cataldo: Der König von Rom

(c) Folio

(c) Folio

Ich habe das Pferd von hinten aufgezäumt: Mittlerweile ist der vierte Krimi von Giancarlo De Cataldo erschienen und ich habe erst jetzt zugegriffen. Was sich als gar nicht so schlecht erwiesen hat, denn “Der König von Rom” ist die Vorgeschichte zu seinem Meisterwerk “Romanzo Criminale”. Auf gerade einmal 159 Seiten – und diese sind durch 28 Kapitel und mehrere weiße Seiten gestreckt – erzählt der Autor die Geschichte von Libanese, der am Beginn seiner kriminellen Karriere steht. Und es hat funktioniert: Die Lust auf mehr ist da. “Romanzo” steht deshalb schon in meinem Bücherregal und ich kokettiere mit dem Gedanken, mir die italienische TV-Serie mit gleichnamigem Titel ebenfalls zuzulegen.

Hätte ich De Cataldos Hauptwerk sowie seine zwei Nachfolger bereits gelesen, würde ich “Der König von Rom” aber wohl in einem anderen Licht sehen. Denn dann wäre das dünne Büchlein wohl nicht viel mehr als nettes Beiwerk, das vor allem durch den erklärenden Begleittext (zur Entstehung der Werke) des Autors in Zusammenarbeit mit Tobias Gohlis aufgewertet wird – und das Buch um 15 Seiten verlängert. Mit 19,90 Euro hat das im Folio-Verlag erschienene Buch auch einen durchaus stolzen Preis.

Bereits auf der zweiten Seite bringt De Cataldo die Geschichte auf den Punkt: “Libanese war fünfundzwanzig Jahre alt, er trug einen Kampfnamen, den bislang nur wenige, zu wenige, kannten, und er hatte eine fixe Idee. Er wollte König von Rom werden.” Spannend ist vor allem die Wahl, vor der Libano steht: Erliegt er tatsächlich der Romantik des Gangstertums? Oder wird er den Ausweg wählen und sich für ein bürgerliches Leben an der Seite von Giada, an die er sein Herz verloren hat, entscheiden?

Zur Hintergrund-Information: De Cataldo war Richter in Rom, ehe er beschloss aus Prozessakten Romane über Aufstieg und Fall der berüchtigten Magliana-Bande zu machen. De Cataldos Stil ist daher dokumentarisch, was seiner Geschichte Authenzität verleiht. Er erzählt trocken und verweigert effektheischende Action. “Noch am selben Abend entführten Libanese, Scrocchia, Dandi und Bufalo den Commendatore”, heißt es da einmal – viel minimalistischer geht es kaum. Das erinnert phasenweise an James Sallis (“Driver”, “Driver 2”). Manchmal wird man das Gefühl nicht los, in trockenen Akten zu lesen – Leben einhauchen muss diesen Szenen erst der Leser selbst. Das macht aber auch den Reiz derartig reduzierter Prosa aus.

De Cataldo hat insgesamt vier Kriminalromane geschrieben, die ins Deutsche übersetzt wurden:

  • “Romanzo Criminale” (2010), 575 Seiten: Zeitraum 1977-1992
  • “Schmutzige Hände” (2011), 376 Seiten: 1992-1994
  • “Zeit der Wut” (2012), 248 Seiten: nach 9/11
  • “Der König von Rom” (2013), 174 Seiten: 1976-1977

Mein Urteil: Gut, aber nicht überragend, daher 6 von 10 Punkten

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Ein Tipp: “Parker” (wieder-)entdecken

parkerChristoph Huber hat in der Presse einen tollen Artikel über Richard Stark und seinen Antihelden Parker verfasst. Anlass ist der gleichnamige Film mit Jason Statham in der Hauptrolle. Es ist übrigens nicht die erste Verfilmung – als beste gilt bislang die von Regisseur John Boorman (“Point Blank”) aus dem Jahr 1967. 1999 spielte Mel Gibson beim Brian-Helgeland-Remake Porter alias Parker. Stark war übrigens nur ein Pseudonym von Krimi-Vielschreiber Donald Westlake (2008 verstorben). Als Stark versuchte er ab 1962 mit der Parker-Serie einen neuen Stil zu etablieren. “Die Sprache reduziert, ohne Adverbien – kahl”, schreibt darüber Huber.

Das erinnert mich an Elmore Leonard, der es sich ebenfalls zur Regel gemacht hat, Dialoge immer nur mit dem Verb “sagte” zu schreiben (mehr dazu…). Alles andere wäre beim Vorantreiben von Dialogen hinderlich. Adverben sind ebenfalls nicht sein Ding. Und natürlich erinnert das auch an James Sallis, der diesen minimalistischen Stil mit seinen beiden Driver-Romanen perfektioniert hat. Da ist kein Wort zu viel. Wer die Wyatt-Romane des Australiers Garry Disher kennt, kann auch problemlos die Seelenverwandtschaft der zwei Verbrecher Parker und Wyatt erkennen.

Für alle, die mehr über Parker wissen wollen, empfiehlt sich die Seite violentworldofparker.com. Und der Zsolnay-Verlag hat Richard Stark eine eigene Webseite gewidmet: www.richard-stark.de. Sogar die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” schrieb 2010, dass es nie zu spät sei, Richard Stark zu entdecken. Nun wäre wieder einmal ein guter Zeitpunkt.

Und wer mit Büchern und Filmen noch immer nicht genug haben sollte: Im März erscheint die Graphic Novel “Parker” (siehe Bild).

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