Monthly Archives: June 2018

Krimi-Bestenliste Juni: Ein Abgleich

(c) Ariadne

Spät, aber doch serviere ich die aktuelle Krimi-Bestenliste für den Monat Juni. Denise Mina hat mit “Blut Salz Wasser” tatsächlich den Sprung an die Spitze geschafft. scheint Pflichtlektüre zu sein. Seit “Das Vergessen” bin ich ein Fan der Autorin und möchte daher auch das neueste Werk unbedingt lesen.

Über Dan Chaons “Der Wille zum Bösen” hört man teilweise hymnische Kritiken. Aber mich schreckt dieses Serienmöder-Element schon sehr massiv ab. Aidan Truhens “Fuck You Very Much” und Douglas E. Winters “Run” wiederum klingen nach der idealen Urlaubslektüre.

Fein, dass der kürzlich verstorbene Philip Kerr erneut in der Liste auftaucht, ich werde aber wohl trotzdem auf einen späteren Band der Bernie-Gunther-Serie warten. “Kalter Frieden” spricht mich thematisch nicht so ganz an.

Hideo Yokoyamas “64” ist somit das einzige Buch der Liste, das ich bisher gelesen habe.

Die Liste im Überblick:

1. Denise Mina: Blut Salz Wasser (2)
2. Dan Chaon: Der Wille zum Bösen (-)
3. Aidan Truhen: Fuck You Very Much (4)
4. Douglas E. Winter: Run (-)
5. Graeme Macrae Burnet: Der Unfall auf der A 35 (10)
6. Dominique Manotti: Kesseltreiben (-)
7. Hideo Yokoyama: 64 (1)
8. Philip Kerr: Kalter Frieden (9)
9. Joyce Carol Oakes: Pik-Bube (-)
10. Friedemann Hahn: Foresta Nera (-)

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Alex Beer: Die rote Frau

(c) Limes Verlag

Alex Beer hat mit “Der zweite Reiter” einen der besten Kriminalromane abgeliefert, die ich im Vorjahr gelesen habe. Ihr Polizeiagent August Emmerich ist bei mir haften geblieben. Groß war daher die Freude, so schnell einen zweiten Teil lesen zu können.

“Die rote Frau” ist sehr penibel recherchiert. Das merkt man auf jeder Seite. Das verkommene und arme Wien aus dem Jahr 1920 wird lebendig, angreifbar. Emmerich, mittlerweile wohnhaft im Männerheim in der Meldemannstraße (ja, hier wohnte auch Adolf Hitler), muss sich diesmal im wahrsten Sinn des Wortes durch die Wiener Unterwelt boxen – und das auf durchaus amüsante Weise. Ein Stadtrat wurde ermordet und ein Täter allzu leicht gefunden. Emmerich, der sich beruflich auf einem Abstellgleis befindet, hat aber seine Zweifel.

Überhaupt: Dieses Ermittler-Gespann aus Emmerich und seinem Assistenten Ferdinand Winter wächst einem zunehmend ans Herz. Von den beiden will man einfach mehr lesen.

Fasziniert hat mich, wie gekonnt die gebürtige Vorarlbergerin den Wiener Schmäh und vor allem den Wiener Grant zu Leben erweckt. Viele alte, fast schon ausgestorbene Ausdrücke tauchen da auf. Wie angenehm. Das liest sich authentisch, obwohl es manchmal fast eine Spur zu viel wird. Wie das Nicht-Wiener empfinden, würde mich auch interessieren: Ist das reizvoll oder steigt man da irgendwann einfach aus?

Wenn sich die “Wertlosen” aus der Meldemannstraße gegen die “Wohltäter” der Gesellschaft verbünden, ist das natürlich sympathisch. Aber das Ende des Buches war für mich dann doch ein wenig zu konstruiert und die Gut-und-Böse-Rollen letztlich zu klar verteilt. Da hätte ich es gern eine Spur abgründiger. Dennoch bin ich schon sehr gespannt auf den dritten Teil, der in den nächsten Monaten erscheinen soll.

7 von 10 Punkten

Alex Beer: “Die rote Frau”, 416 Seiten, Limes Verlag.

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Krimis, die man 2018 lesen sollte (IV)

(c) Suhrkamp Nova

Curtis Dawkins war bereits Schriftsteller, als er auf Crack einen Mann tötete. “Alle meine Freunde haben wen umgebracht” ist eine Geschichten-Sammlung von Männern hinter Gittern. Klingt sehr authentisch und nach außergewöhnlicher Lektüre.

Der Verlag schreibt: Curtis Dawkins schreibt aus ungewöhnlicher Perspektive. Den Weg des Schriftstellers hatte er eingeschlagen, in namhaften Magazinen veröffentlicht, geheiratet, drei Kinder bekommen. Dann tötete er auf Crack einen Mann. Jetzt sitzt er lebenslänglich im Knast. Dieses Buch ist die kraftvolle literarische Anverwandlung eines Schicksals, es erzählt von Männern hinter Gittern und ihren Versuchen, etwas von dem zurückzugewinnen, was unwiderruflich verloren ist. Es spricht von Freiheit, Liebe und Familie aus der Sicht derer, die ihr Recht darauf verwirkt haben. Curtis Dawkins findet dafür eine massive Sprache, einen Sound voller Sehnsucht, Humor und Tragik. Alle meine Freunde haben wen umgebracht wird so zu einem neuen und streitbaren Meisterwerk amerikanischen Erzählens.

(c) Droemer

Zugegeben, Steve Hamiltons “Das zweite Leben des Nick Mason” konnte mich nicht wirklich überzeugen. Doch dem Autor des Genre-Klassikers “Der Mann im Safe” und der Alex-McKnight-Reihe  werde ich noch eine Chance geben. Mal sehen, was Teil zwei seiner Serie rund um Nick Mason, “Drei Zeugen zu viel”, kann.

Darius Cole, der Pate von Chicago, will Rache nehmen an den drei Männern, die ihn lebenslang hinter Gitter gebracht haben. Und Nick Mason, Killer wider Willen, weil er sich an ihn verkaufen musste, um zu überleben, wird sein Werkzeug sein. Das gesuchte Trio aber ist mit neuen Identitäten im Zeugenschutzprogramm des FBI abgetaucht und wird rund um die Uhr von US Marshals bewacht. Nick muss das Programm knacken, um herauszufinden, wo die drei „Zielobjekte” sich aufhalten – eine lebensgefährliche Aufgabe. Denn der Detective, der ihm vor Jahren ein Totschlagsdelikt anhing, das er nicht begangen hatte, ist ihm hart auf den Fersen …

(c) Kiepenheuer & Witsch

Auf David Schalkos “Schwere Knochen” freue ich mich ganz besonders. Sein Buch entführt in die Wiener Unterwelt der Nachkriegszeit – eine bislang kriminalliterarisch viel zu wenig erfasste Zeit. Wer Schalkos TV-Werke kennt, weiß: hier wird es nicht gerade konventionell zugehen. Ich bin echt gespannt.

Ein großes Epos über die schillerndste Verbrecherszene der Nachkriegszeit. Wien, März 1938, »Anschluss« Österreichs ans Deutsche Reich. Am Tag, als halb Wien am Heldenplatz seinem neuen Führer zujubelt, raubt eine Bande jugendlicher Kleinganoven, die sich darauf spezialisiert hat, Wohnungen zu »evakuieren«, einen stadtbekannten Nazi aus. Sieben Jahre lang müssen die Kleinkriminellen daraufhin als sogenannte Kapos für die »Aufrechterhaltung des Betriebs« in den KZs Dachau und Mauthausen sorgen und wachsen so zu Schwerverbrechern heran, die lernen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier eine Illusion ist. Zurück in der österreichischen Hauptstadt übernimmt die Bande um Ferdinand Krutzler die Wiener Unterwelt. Mit ungekannter Brutalität nutzt sie ihre Macht nicht zuletzt, um ehemalige Nazi-Widersacher aus dem Weg zu räumen. Aber der eingeschworene Zusammenhalt täuscht. Zunehmend verlieren sie einander in verräterischen Verstrickungen und verhängnisvollen Liebschaften. So lange, bis sie ihren Ehrenkodex aufgeben und aus Freunden unerbittliche Feinde werden.

(c) Suhrkamp

Aidan Truhens “Fuck You Very Much” ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig und gleichzeitig problematisch die Gestaltung des Covers ist. Einerseits verleitet mich das Cover zum Direktkauf, andererseits gehen bei mir alle Warnsignale los: da will mir sicher jemand einen gehypten, stylishen, ultracoolen Thriller unterjubeln. Ich wollte das Buch daher eher nicht lesen. Doch nun ist es tatsächlich auch noch in der Krimibestenliste aufgetaucht. Nennen wir es ein Dilemma 😉

Jack Price ist Drogengroßhändler, aber nicht irgendeiner, sondern der beste: cleverer, smarter und intelligenter als alle seine Konkurrenten zusammen. Mr. Cool himself. Und er hat sich bislang noch vor jeder unliebsamen Überraschung geschützt. Als man jedoch eine Nachbarin, die unter seinem Penthouse wohnt, ermordet auffindet, wird er nervös. Sie war zwar eine garstige alte Frau, mit der er nichts zu tun hatte. Was aber, wenn dieser anscheinend sinnlose Mord eine Botschaft seiner Gegenspieler an ihn war? Er zieht Erkundungen ein und erfährt, dass die »Seven Demons« auf ihn angesetzt sind – eine exklusive, hocheffiziente »Bruderschaft«, die bösartigsten, gnadenlosesten Hitmen überhaupt. Sieben absolut tödliche Spezialisten, die nie aufgeben und noch nie einen Auftrag vermasselt haben. Aber Price nimmt den Kampf an und setzt damit eine Kette unfassbarer Ereignisse in Gang …

(c) C. Bertelsmann

Ein Buch hat gereicht, um mich zu einem großen Fan von Antonin Varenne zu machen. Für mich war sein Buch “Die Treibjagd” der beste Kriminalroman des Vorjahres. “Äquator” ist daher so etwas wie Pflichtlektüre.

Dieb und Brandstifter in Nebraska, Deserteur im amerikanischen Bürgerkrieg, Mörder in Nevada: Pete Ferguson ist ein Mann auf der Flucht. Er ist auf der Suche nach dem Äquator, dem Ort, wo sich angeblich alles ins Gegenteil verkehrt, die Träume wahr werden und er von seinen Dämonen befreit wird. Wird er dieses verheißungsvolle Land finden? In Äquator schildert Antonin Varenne virtuos Pete Fergusons Weg von den großen Weiten des amerikanischen Westens über Guatemala bis in die dichten Urwälder Brasiliens. Mit dieser atemberaubenden und zutiefst ergreifenden Odyssee bestätigt der Autor seinen Ruf als Erneuerer des großen Abenteuerromans mit den erzählerischen Mitteln des 21. Jahrhunderts.

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James Carlos Blake: Red Grass River

(c) liebeskind

“Falls sich der Teufel je einen Garten angelegt hat, dann die Everglades.” Mit diesem Satz beginnt James Carlos Blakes Gangster-Epos “Red Grass River”. “Es heißt, dass es kaum einen anderen Ort gibt, an dem man weiter schauen und dabei weniger sehen kann.” Diese menschenfeindliche Umgebung ist das ideale Rückzugsgebiet für Alkoholschmuggler und Bankräuber John Ashley, der in den 1910er- und 1920er-Jahren zu einer Outlawlegende wurde – noch ehe Bonnie und Clyde oder John Dillinger für Schlagzeilen sorgten.

Der Autor ist Spezialist für die gewalttätigen Aspekte der US-Geschichte. “Red Grass River” ist sein mittlerweile drittes Buch, das mit zwei Jahrzehnten Verspätung auf Deutsch übersetzt wurde. “Das Böse im Blut” widmete sich dem mexikanisch-amerikanischen Krieg in den 1840er-Jahren, die darin beschriebene Grenzregion glich damals dem Vorhof zur Hölle. In “Pistolero” wiederum versuchte Blake, die Wildwestlegende John Wesley Hardin zu entschlüsseln.

Sein nun vorliegendes Porträt der berüchtigten Ashley-Gang setzt sich erneut mit Männern auseinander, die – diesmal in den Sümpfen Floridas, einem für seine Gesetzlosigkeit berüchtigten Ort – ihre eigenen Regeln aufstellen. Es ist das Revier der sogenannten Crackers, die sich mit dem Fallenstellen und dem Verkauf von Tierfellen sowie dem Schnapsbrennen und Schmuggeln tagtäglich durch ihr großteils karges Leben kämpfen. Auch deshalb werden die anfangs durchaus respektierten, später aber eher gefürchteten Brüder und ihre kriminellen Kumpane zu Legenden.

Der Autor spielt gekonnt mit dem Mythos, mit der Legende. Nur schwer ist zu erkennen, was wahr ist – und was erdichtet. Blake macht das durch den sogenannten Liars Club deutlich – eine Gruppe alter Männer, die immer wieder Geschehnisse kommentiert sowie Gerüchte aufkocht und alternative Versionen einwirft.

Das wäre schön und gut, funktioniert aber aus einem Grund nur bedingt. Zu offenkundig sind seine Sympathien für die Ashleys. Gegenspieler Sheriff Bobby Baker ist der eigentlich verkommene Charakter, dem Blake aber zu wenig literarischen Spielraum gewährt. Er bleibt im Vergleich zu dem überlebensgroßen John Ashley eindimensional. Die erbitterte Fehde der beiden Männer wird so nur bedingt spürbar.

Auch das Gangsterleben liest sich mitunter etwas klischeehaft. John Ashley frönt einem sexuell ausschweifenden Lebensstil. Hemmungslos gibt er sich abwechselnd (teilweise auch gleichzeitig) einer blinden Hure und seiner Komplizin, Laura Upthegrove, der „Queen of the Everglades“, hin. Beim Liebesspiel ist er so laut, dass er sich in die Sümpfe zurückziehen muss, um seine Familie nicht zu belästigen.

Blake hätte noch mehr erreichen können. Sein Buch ist zeitweise zu chronikal und fädelt blutige Schlägereien und Überfälle aller Art nacheinander auf. Das hat mich stark an Don Winslows “Das Kartell” und Paolo Roversis Mailand-Krimis “Milano Criminale” und  “Schwarze Sonne über Mailand” erinnert.

Was Blake aber wunderbar gelingt, sind die kleinen historischen Szenen, die den Alltag von damals vermitteln. Das zeigt sich etwa, wenn Blake über die Straßendecke von Miami schreibt, die aus pulverisiertem Kalkstein bestand, „der im Sommer so stark reflektierte, dass man zu erblinden fürchtete“. Also belegte man die Straßen mit Holzblöcken. Doch als dann der Regen kam, begannen diese aufzuquellen, „und als es dann weiterregnete, sprangen die Blöcke – peng! peng! peng! – aus der Straßendecke hoch, dass es knallte wie Pistolenschüsse […], zischten in alle möglichen Richtungen, prallten von Fassaden ab, schlugen Fenster ein“.

Diese falschen Pistolenschüsse hallen mehr nach als die echten in Blakes Roman.

7 von 10 Punkten

James Carlos Blake: “Red Grass River”, übersetzt von Stefan Lux, liebeskind, 528 Seiten.

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