Monthly Archives: April 2020

Melba Escobar: Die Kosmetikerin

(c) Heyne

“Maniküre. Massage. Mord” – das steht auf der Rückseite des Kriminalromans “Die Kosmetikerin” von Melba Escobar und lässt das Schlimmste befürchten. Doch weit gefehlt!

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die gefragte Kosmetikerin Karen, deren Leben sich mit jenem ihrer Kundinnen auf unterschiedlichste Weise verknüpft. Eine davon wird tot aufgefunden. Statt eines Psychothrillers nach gängigem Muster hat die Kolumbianerin Escobar allerdings einen Noir ganz ohne Narco-Machos geschrieben – fast ausnahmslos mit weiblichen Charakteren.

Aus mehreren Sichtweisen und manchmal etwas unübersichtlich erzählt, vermag das Buch dennoch zu fesseln.

Ach ja, ein außerordentlich gelungenes Cover übrigens, das aus all den immer gleich aussehenden Krimis heraussticht – ganz ohne Krähen, Messer oder stilisierte Blumen.

7 von 1o Punkten

Melba Escobar: “Die Kosmetikerin”, übersetzt von Sybille Martin, Heyne Verlag, 320 Seiten.

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Sarah Schulman: Trüb

(c) Ariadne Verlag

“Alle waren komplett verwirrt, denn der Präsident war ein Irrer.” Mit diesem wuchtigen Satz beginnt Sarah Schulmans außergewöhnlicher Kriminalroman “Trüb”, der in einem unter US-Präsident Donald Trump aus den Fugen geratenen New York City spielt.

Aber keine Angst, die Autorin ergötzt sich nicht an billigem Präsidenten-Bashing, vielmehr porträtiert sie Maggie Terry, eine Ex-Polizistin, deren Alkohol- und Drogensucht ihre eigene kleine Welt erschüttert hat. “Ihr inneres Chaos spiegelt auf tragikomische Weise das ihrer Stadt”, formuliert es Schulmans deutsche Herausgeberin und Übersetzerin Else Laudan. Und das der USA, könnte man hinzufügen.

Terry ist seit über einem Jahr clean, als sie zu Beginn des Buchs einen neuen Job als Privatdetektivin antritt. Jeder Tag ist eine Qual, verzweifelt taumelt sie durch ihr Leben. In der Mittagspause, vor und nach der Arbeit schleppt sie sich zu “Narcotics Anonymous”-Meetings, um den nie verschwindenden Verlockungen der Sucht zu widerstehen. Das Verständnis ihres ermittelnden Partners (sowie des gesamten Teams) für diese abgewrackte Kollegin ist enden wollend. Wie soll man mit dieser Frau zusammenarbeiten, Fälle lösen?

Man will dieser Maggie aufmunternd auf die Schulter klopfen, um im nächsten Moment an ihr zu verzweifeln. Selten war Trostlosigkeit so hoffnungsvoll, und auch Komik und Ernst sind in diesem Roman eineiige Zwillinge.

Das Buch ist intim, fesselnd, komisch, traurig, aufwühlend – kurz: grandios.

Ich weiß, ich habe gerade erst die Höchstnote an ein Buch aus dem Ariadne Verlag vergeben, aber:

10 von 10 Punkten

Sarah Schulman: “Trüb”, übersetzt von Else Laudan, Ariadne Verlag, 269 Seiten.

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Hannelore Cayre: Die Alte

(c) Ariadne Verlag

Die Mittfünfzigerin Patience Portefeux hört als Dolmetscherin tagtäglich für die französische Kriminalpolizei Telefonate ab, um diese zu übersetzen. Sie kommt damit kaum über die Runden, muss sie doch die im Altersheim im Sterben liegende Mutter mitfinanzieren.

Da erfährt sie eines Tages aufgrund eines abgehörten Telefonats von Dingen, die ihre Geldsorgen mit einem Schlag beseitigen könnten. Sie lässt diese Chance nicht ungenützt verstreichen, gerät aber in einen Strudel unabsehbarer Folgen, die sie selbst bald in Gefahr bringen. “Die Alte” erinnert ein wenig an “The Wire” und “Breaking Bad”, allerdings hat Autorin Hannelore Cayre etwas ganz Eigenständiges geschaffen, mit dem man möglicherweise in Zukunft andere Kriminalromane wird vergleichen können.

Begeistert hat mich auch der Wien-Bezug ihrer Hauptfigur sowie deren kleine neurologische Absonderlichkeit. Denn Patience Portefeuxs Gehirn verbindet mehrere Sinne: “Bei mir sind Farben und Formen mit Geschmack oder mit Empfindungen wie Behagen oder Sattheit gekoppelt”. Sie “sammelt” daher Feuerwerke, wann immer sie welche sehen kann, denn diese lösen in ihr ein Gefühl der Erfüllung aus: “Wie ein Orgasmus.”

Ich will hier abschließend kurz den Rückentext zitierten, weil er das Buch meiner Meinung nach perfekt auf den Punkt trifft. “Ein rotziger, amoralischer Roman, der eine schwarze Tragödie sein könnte, wäre er nicht eine krachend realistische Komödie”, schreibt “Lire”. Eine realistische Komödie!

10 von 10 Punkten

Hannelore Cayre: “Die Alte”, übersetzt von Iris Konopik, Ariadne Verlag, 203 Seiten.

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Tawni O’Dell: Wenn Engel brennen

(c) Ariadne

Dove Carnahan, vor Kurzem 50 Jahre alt geworden, ist Polizeichefin von Buchanan, einem Ort mitten in einer vom exzessiven Kohleabbau zerstörten Landschaft. Als eines Tages die Leiche eines Mädchens in einer glühenden Erdspalte gefunden wird, ist es mit der Beschaulichkeit – in diesem Fall ohnehin eher Trägheit statt Gemütlichkeit – rasch vorbei.

Verwüstet sind hier vor allem die Menschen: Sie sind feindselig, verhärmt und wortkarg. Doch Autorin Tawni O’Dell porträtiert ihre gewöhnungsbedürftigen, oft unsympathischen Figuren ausgewogen. Auch wie sich Frauen in dieser unfreundlichen Welt durchschlagen müssen, wird glaubwürdig thematisiert. “Wenn Engel brennen” überrascht bei allem Realismus allerdings auch mit trockenem Humor und unverhofftem Optimismus.

“Wer auf faszinierende Charaktere steht, wird bei Tawni O’Dell grandios bedient”, schreibt Herausgeberin Else Laudan im Vorwort. Ganz genau.

9 von 10 Punkten

Tawni O’Dell: “Wenn Engel brennen”, übersetzt von Daisy Dunkel, Ariadne Verlag, 352 Seiten.

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