Monthly Archives: December 2017

Candice Fox: Crimson Lake

(c) Suhrkamp

“Hades” von Candice Fox war meine persönliche Krimi-Enttäuschung des Vorjahrs. Ich konnte den Hype nicht nachvollziehen. Ich habe daher nach der Lektüre beschlossen, die beiden folgenden Bände der Trilogie nicht zu lesen. Da ich sehr selten zu solchen Schlüssen komme, habe ich entschieden, der Autorin noch eine Chance zu geben. Mit “Crimson Lake”, dem Auftakt zu einer neuen Reihe, habe ich es nun also getan.

Und was soll ich sagen: Es gibt ohnehin nicht viel Spannenderes als das Leseleben eines Krimilesers. Aber wieder einmal – zuletzt ist mir das bei Adam Sternbergh passiert – hat sich gezeigt, dass es gut ist, nicht zu schnell endgültige Schlüsse zu ziehen. Nach dem Motto: Traue nie deiner eigenen Meinung 😉

Fox hat mich nun wirklich überrascht, um nicht zu sagen: umgehauen. “Crimson Lake” ist einfach die pure Krimi-Unterhaltung. Nicht besonders realistisch, aber wunderbar abgefahren: Mit einer Mörderin und einem Pädophilen (wenn man dem Volkszorn glauben kann) als ermittelnde Hauptfiguren. So etwas Schräges liest man doch selten.

Meine Befürchtungen, dass Fox in irgendwelche Peinlichkeiten abdriften könnte, hat sich auf keiner Seite bewahrheitet. Im Gegenteil, ich habe sehr früh gespürt, dass sich hier eine außerordentliche Geschichte entwickelt, die natürlich auch gar nicht leicht zu erzählen ist, weil man da ordentlich ins Fettnäpfchen treten kann. Wider Erwarten hat sich Fox aber als durchaus sensible Erzählerin entpuppt. Sensibel und schräg zugleich: Das ist schon eine besondere Mischung.

Jedenfalls hat das echt Spaß gemacht. Von dem Duo Ted und Amanda will ich mehr lesen. So viel steht fest.

8 von 10 Punkten

Candice Fox: “Crimson Lake”, übersetzt von Andrea O’Brien, Suhrkamp, 380 Seiten.

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Don Winslow: Corruption

(c) Droemer

Um es in seinem typisch stakkatoartigen Stil zu schreiben: US-Krimiautor Don Winslow ist zurück. Wuchtvoll. Eindringlich. Erschütternd.

Die durchaus vernachlässigbaren Lückenfüller “Vergeltung” und “Germany” (beide auf Englisch übrigens niemals erschienen) sind nach wenigen Seiten vergessen. “Corruption” ist ein harter Kriminalroman über “Dirty Cops” in New York City. Denny Malone ist ein altgedienter Detective einer Polizei-Eliteeinheit in North Manhattan. Er selbst fühlt sich im Viertel wie ein König. Doch der strahlende Held ist korrupt bis auf die Knochen. Er nimmt ohne Bedenken Geld, auch vor Drogen und Mord schreckt er nicht zurück. Er befindet sich auf einem selbstherrlichen und selbstzerstörerischen Trip.

Das Buch hat vielleicht nur einen Fehler: Winslow übertreibt maßlos. Denn nach der Lektüre fragt man sich, ob es überhaupt möglich ist, als Polizist des New Yorker Police Department sauber zu bleiben.

Wie es so weit kommen kann? “Die Cops sehen, was passiert. Jeden Tag und jede Nacht. Die Verletzten, die Toten”, schreibt Winslow. Das verändert sie. Es beginnt mit dem Hass gegen die Täter. Doch dabei bleibt es nicht. Fühlen sie zuerst noch mit den Opfern von Gewalttaten, beginnen sie irgendwann, auch diese zu hassen: “Warum sind die so wehrlos, warum sind die so schwach, warum leben die in diesen Verhältnissen, warum gehen die in eine Gang, warum werden die Dealer, warum erschießen die sich gegenseitig ohne jeden Grund . . . warum benehmen die sich alle wie die Tiere?”

Und so kommt es, dass sich die Polizisten selbst irgendwann wie Tiere benehmen. Sie halten es nur mehr unter ihresgleichen aus. Niemand anderer versteht sie. Das Wandeln zwischen den Welten wird zunehmend unerträglicher. Der Alltag mit der Familie erscheint verlogen.

“Von Razzien, Festnahmen, Verfolgungsjagden über Dächer und Höfe zurückkommen, vollgepumpt mit Speed, Adrenalin, Angst und Wut, um hier in einem der braven Reihenhäuser Domino, Monopoly oder Pfennigpoker zu spielen?”

Es erscheint unvorstellbar, aber Malone sehnt sich zurück auf die Straßen, “in das heiße, stinkige, lärmende, gefährliche, schräge, nervende, empörende Harlem mit richtigen Menschen, richtigen Ganoven, Junkies, Dealern, Huren”.

Das eigentlich Erschreckende an dem Thriller ist aber, dass es nicht nur ein Buch über korrupte Polizisten ist. Winslow legt vielmehr ein flächendeckendes System der Korruption offen, in dem der Polizist Malone nur ein kleines Rädchen ist. Vom Bürgermeister abwärts hat jeder Dreck am Stecken. Wird ein wichtiger Verbrecher geschnappt, gibt es immer irgendeinen Deal, mit dem man sich die Freiheit erkaufen kann. Jeder profitiert von dem System. Und irgendwann gelangt jeder – ob Richter, Staatsanwalt oder Strafverteidiger – zu der Frage: “Warum sollen nur die Bösewichter kassieren?”

So weit, so gut. Aber ich verstehe auch die Winslow-Kritiker, von denen Thomas Wörtche seinen Unmut wohl am härtesten formuliert: “Stimmt, “Corruption” ist keine Katastrophe mehr – es ist nur ein völlig belangloses Buch”, schreibt er. “Eingepackt ist das Ganze in eine Art Stadtführer von Manhattan (“Und hier sehen Sie das Apollo-Theater”) aus dem Zettelkasten, elend langen Diskursen, gerne auch in Dialogen, in denen sich die Figuren Fakten erzählen, die zur Information der Leser dienen und zu sonst gar nichts – über weite Strecken ist “Corruption” ein Sachbuch mit didaktischer Handlung minus jeder Art von Literarizität, worüber auch ein paar clever Action Sequenzen nicht wirklich hinweghelfen.”

Ich mag seinen faktenlastigen Stil dennoch. Wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann dass er mitunter vergisst zu erzählen, dass er sich zu sehr darauf konzentriert, dem jeweiligen brisanten Thema gerecht zu werden. Mit seinem Meisterwerk “Tage der Toten” hat er meiner Meinung nach die optimale Mischung erreicht. “Das Kartell” glich manchmal einer Aneinanderreihung jeder tödlichen Drogen-Metzelei, die es je in Mexiko gab. Das war zu viel. Nun wartet er auch in “Corruption” seitenweise mit Dialogen auf, in denen die Welt, wie sie Winslow versteht, erklärt wird. Und vielleicht sind es vor allem sein Hang zur Übertreibung sowie zu Archetypen, die sich von Buch zu Buch abnutzen.

8 von 10 Punkten

Don Winslow: “Corruption”, übersetzt von Chris Hirte, Droemer, 544 Seiten.

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Krimi-Bestenliste im Dezember: Ein Abgleich

(c) Galiani Berlin

Vor drei Jahren hat mich Jan Costin Wagner mit seinem Kriminalroman “Tage des letzten Schnees” total begeistert. Es war damals das erste Buch, dem ich auf diesem Blog 10 von 10 Punkte gegeben habe. “Sakari lernt, durch Wände zu gehen” könnte nun die ideale Weihnachtslektüre sein. Oliver Bottinis “Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens” könnte wohl ein ähnliches Lesevergnügen sein – wie auch Jan Seghers “Menschenfischer”, das nicht auf der Liste zu finden ist. Diese drei Bücher würden mich momentan sehr reizen.

Tom Franklins “Smonk” und Dave Zeltsermans “Small Crimes” (beide bei Pulp Master erschienen) sind eigentlich ebenfalls Pflichtlektüre. Eine sehr schöne Liste, von der man vermutlich alles lesen könnte, wenn man die Zeit hätte.

1. Jan Costin Wagner: Sakari lernt, durch Wände zu gehen (-)
2. John le Carré: Das Vermächtnis der Spione (1)
3. Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens (-)
4. Norbert Horst: Kaltes Land (5)
5. Tom Franklin: Smonk (-)
6. Iori Fujiwara: Der Sonnenschirm des Terroristen (4)
7. Andreas Pflüger: Niemals (7)
8. Dave Zeltserman: Small Crimes (6)
9. Liza Cody: Krokodile und edle Ziele (10)
10. Friedrich Ani: Ermordung des Glücks (3)

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Lee Child: Der letzte Befehl

(c) Blanvalet

Lee Childs Jack-Reacher-Thriller sind die perfekte Lektüre für den Urlaub. Ich bin da beim Lesen nicht ganz so anspruchsvoll und genieße gern Reachers politisch unkorrekte, leicht machomäßige (“Ich meine, die Kerle waren anfangs zu viert, und ich habe ihnen die Chance gegeben, mit Verstärkung zurückzukommen. Und was tun sie? Sie kreuzen mit zwei Mann mehr auf. Das war’s schon. Die Kerle sind nur zu sechst angetreten. Was hat das zu bedeuten? Das ist bewusste Respektlosigkeit.”) Welt. “Der letzte Befehl” zeigt uns laut Rückentext des Buches “die Geburt einer Thriller-Legende: Jack Reacher – wie alles begann!”.

Nun ja, allzu viel Neues erfährt man über Jack Reacher nun auch wieder nicht. Interessant ist vielmehr, dass das nun auf Deutsch vorliegende Buch eigentlich Nummer 16 der Reacher-Reihe ist, aber erst nach Abschluss der sogenannten Susan-Turner-Tetralogie als 18. Band erscheint. Zumindest dürfte ab nun die richtige Reihenfolge wiederhergestellt sein.

Aber zurück zu Reacher: Wie gesagt, viel Neues erfährt man nicht über ihn. Bloß die Ursprünge seiner Verhaltensweisen werden hier noch einmal erklärt. Etwa: Warum kauft sich Reacher immer wieder neue T-Shirts statt sie waschen zu lassen, wenn sie schmutzig sind? Ein wenig Reacher-Nostalgie sozusagen.

Auch spielt der Autor gekonnt mit Erwartungen. Zwar wird Reachers Bruder immer wieder erwähnt. Aber Child versteht es gekonnt, den Leser mit wenig neuen bis gar keinen Informationen zurückzulassen. Hier foppt er die Leser genußvoll, das sind schöne Schmähs für echte Reacher-Fans. Natürlich dürfen auch die oben erwähnten Schlägereien nicht fehlen.

Allerdings war mir das diesmal doch ein wenig zu schablonenhaft runtergeschrieben, über die ideenlosen Sexszenen will ich erst gar kein Wort verlieren. Recht phantasielos.

6 von 10 Punkten

Lee Child: “Der letzte Befehl”, übersetzt von Wulf Bergner, Blanvalet, 448 Seiten.

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Mord mit Happy End?

Selten hat mir ein Text über Kriminalliteratur so aus der Seele gesprochen wie der von Zoë Beck in der Süddeutschen Zeitung – erschienen am 16. November 2017 unter dem Titel “Mord kennt kein Happy End”. Sie erklärt darin, warum sie Detektivromane mit raffiniert ausgetüftelten Plots und extravaganten Tötungsmethoden ganz und gar nicht interessieren.

Beck geht es nicht um das Wie, sondern das Warum – das seien zwei sehr unterschiedliche Kategorien des Kriminalromans. Sie kritisiert den “Unwillen, sich mit Mord als etwas auseinanderzusetzen, das unsere gesellschaftliche Verabredung, Konflikte gewaltfrei zu lösen, nachhaltig stört und gegen unsere Definition von Menschlichkeit und Moral verstößt”.

Krimis, in denen am Ende immer die Gerechtigkeit siegt, seien Märchen. “Beruhigende und sich rückversichernde Variationen eines altbekannten Themas, immer mal wieder aktualisiert durch Maden- und Larvenforschung, durch Anthropologie und schließlich allermodernste Forensik à la CSI.” Beck behauptet sogar, “dass die seit einigen Jahren so beliebten Zerstückelungs- und Schlachtorgien ebenfalls nur eine Variante sind, eine, die sich etwas weiter von der bekannten Methode entfernt hat, sogar noch ene Emotionalisierung durch mitleiderregende Opfer vornimmt, aber bei der das Thema doch geblieben ist.”

Ja, ja, ja. Genau so sehe ich das auch. Vor allem diese Schlachtplatten und rätselhaften Serienmorde, die dann irgendwelche durchgeknallten Superbösen begangen haben. Wenn ich mir die Neuerscheinungen der nächsten Monaten ansehe, bleibt der Boom in diese Richtung aber ungebrochen. Ich persönlich kann es nicht mehr lesen. Diese vielen Baukasten-Krimis, ich will nicht mehr. Ich will überrascht werden – aber nicht durch möglichst viele Tabubrüche. Sondern durch originelle Zugänge und lebensechte Charaktere (darunter verstehe ich nicht nur alkoholkranke Ermittler – sondern vor allem Figuren wie Monika Geiers Bettina Boll oder Chastity Riley von Simone Buchholz, wunderbar!). Was bedeutet Gewalt und wie wirkt sie nach ihrem Ausbruch weiter? Was geschieht mit betroffenen Familien und Freunden?

“Der Mord ist ein Trauma, das kein noch so genialer Ermittler mit seiner triumphalen Spurenanalyse wegmeistern kann”, schreibt Beck. Die Tat kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Whydunnit statt Whodunnit also – klingt gut!

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