Monthly Archives: January 2022

Beth Ann Fennelly/Tom Franklin: Das Meer von Mississippi

(c) Heyne Hardcore


In “Das Meer von Mississippi” arbeiten Beth Ann Fennelly und Tom Franklin die dramatischen Geschehnisse rund um eine vergessene Tragödie in den USA literarisch auf. Die große Flut von 1927 gilt als die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte der USA. Heute ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Das Autoren-Ehepaar Beth Ann Fennelly und Tom Franklin schreibt eindrucksvoll gegen dieses Vergessen an.

Bereits seit dem Winter 1926 ließen heftige Regenfälle immer wieder die Dämme entlang des Mississippi und seiner Nebenflüsse brechen. Kleinere Überflutungen forderten zahlreiche Todesopfer. Am Karfreitag 1927 ergoss sich dann eine dreißig Meter hohe Flutwelle mit der doppelten Wucht der Niagara-Fälle ins Mississippi-Delta, auf eine Fläche “ungefähr so groß wie Connecticut, New Hampshire, Massachusetts und Vermont zusammen”. Dass die Fluten nicht die reichen Staaten im Osten der Vereinigten Staaten heimsuchten, dürfte auch der Hauptgrund sein, warum die große Flut kaum Eingang in die Geschichtsbücher fand. “Aber wir lebten im Dreck des Deltas, im fruchtbarsten Dreck der Nation, der allerdings unter den Stiefelsohlen der Ärmsten klebte”, sinniert Hauptfigur Dixie Clay im Epilog des Buches.

Das schreibende Ehepaar Fennelly/Franklin hat sich für eine Krimi-Rahmenhandlung rund um die Ereignisse von 1927 entschieden. Im fiktiven Ort Hobnob stellt Jesse gemeinsam mit seiner Frau, Dixie Clay, illegal Whiskey her – den besten der ganzen Gegend. Dixie leidet, sie hat erst vor Kurzem ein Kind verloren. Nachdem zwei Prohibitionsagenten spurlos verschwinden, werden zwei neue Kollegen auf die Schwarzbrenner angesetzt: Ham und Ingersoll. Als die beiden auf dem Weg zu ihrem Einsatzort ein verlassenes Baby entdecken, beschließt Ingersoll (selbst ein Waisenkind) kurzerhand, dieses mitzunehmen.

Woher kommt bloß der Spitzname “Ham”?

In Hobnob angekommen, gibt Ingersoll das Baby nicht im Waisenhaus ab, sondern bringt es zu Dixie Clay – nicht ahnend, mit wem er es zu tun hat. Dixie brennt Nacht für Nacht einsam Whiskey, während ihr kaum anwesender Mann, Jesse, für die geschäftliche Seite zuständig ist. Es entspinnt sich eine Geschichte, die das Leben aller Beteiligten verändern wird.

Manchmal vielleicht etwas langatmig erzählen Fennelly und Franklin davon, welch erbärmliche Existenzen viele Menschen in den 1920er-Jahren in den ruralen Teilen der Vereinigten Staaten führen mussten. Mittels fesselnder Episoden ziehen die Autoren die Leser immer mehr in ihre Geschichte hinein. Wie Dixie und Ingersoll um das Leben des erkrankten Babys kämpfen, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf die heimgekehrten US-Soldaten hatte und wie sehr all das mit Herbert Hoovers erfolgreicher Präsidentschaftskandidatur und dem Scheitern von Amtsinhaber Coolidge zusammenhängt – das bringen sie eindringlich nahe.

“Das Meer von Mississippi” ist darüber hinaus ein Beziehungsroman auf vielen Ebenen. Fennelly und Franklin beschreiben einfühlsam, wie Dixie Clay von Tag zu Tag vor sich hinstirbt, während sich Jesse als Lebemann austobt; sie schildern die durch den Krieg zusammengeschweißte Männerfreundschaft zwischen Ingersoll und Ham, der um die Entstehung seines seltsamen Vornamens ein Geheimnis macht und in launigen Runden Zuhörer mit schier endlosen, immer anderslautenden Geschichten darüber narrt. Das weiß allerdings nur sein Freund Ingersoll. Und dann ist da natürlich auch das Baby, das in Dixie Clay die Lebensgeister erweckt und in dem sich der innerlich leer fühlende Ingersoll wiedererkennt: “Die Waffe war wie seine Gitarre, denn sie bezog ihre ganze Macht aus einem Loch in der Mitte. Wie Ingersoll selbst, möglicherweise.”

All das passiert vor dem Hintergrund der omnipräsenten Gefahr von Dämmen, die zu brechen drohen – nicht zuletzt, weil Saboteure im Auftrag profitgieriger Bankiers in New Orleans unterwegs sind. Es ist also ein apokalyptisches Setting, letztlich geht es aber vor allem um menschliche Bedürfnisse: Solidarität in der Not, Hoffnung – und natürlich Liebe.

8 von 10 Punkten

Beth Ann Fennelly/Tom Franklin: “Das Meer von Mississippi”, übersetzt von Eva Bonné, 384 Seiten, Heyne Hardcore.

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Hannelore Cayre: Reichtum verpflichtet

(c) Ariadne

Blanche de Rigny ist seit einem Autounfall gehbehindert, lässt sich aber vom Leben nicht unterkriegen. Als sie zufällig erfährt, dass sie aus einer steinreichen Familie stammt, schmiedet sie einen raffinierten Plan, um an das Erbe zu kommen. Dafür ist sie bereit, über Leichen zu gehen.

Wie schon in ihrem grandiosen Vorgänger “Die Alte” erzählt die Französin Hannelore Cayre eine anarchistische Geschichte – diesmal über eine Frau, die im Alleingang versucht, das kapitalistische System auszuhebeln. Dieser Rachefeldzug einer Unterschätzten liest sich amüsant und größenwahnsinnig zugleich. Das ist Sozialkritik pur.

Bei der Lektüre von “Die Alte” bin ich vor Begeisterung ja fast aus den Stiefeln gekippt – ich habe es sogar zu meinem Lieblingskrimi des Jahres 2019 gewählt. Vermutlich lag es auch an diesem hohen Anspruch, dass mich “Reichtum verpflichtet” nicht ganz so umgehauen hat. Dennoch ist gerade dieses Buch mit seinen historischen Elementen ein perfektes Beispiel dafür, wozu Kriminalliteratur fähig ist, wenn man das Genre nicht zu engstirnig begreift.

Dann lässt man diese Wow-Effekte zu. Wow, das kann also auch Krimi sein, wow, mehr davon!

8 von 10 Punkten

Hannelore Cayre: “Reichtum verpflichtet”, übersetzt v. Iris Konopik, Ariadne-Verlag, 255 S., 20,60 Euro.

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Meine Lieblingskrimis 2021

(c) Polar Verlag

Ich war 2021 alles andere als lesefaul, aber blogfaul war ich. Noch nie seit Bestehen von crimenoir habe ich so wenige Beiträge gepostet: 26. Mittlerweile habe ich mich also bei einem Zwei-Wochen-Rhythmus eingependelt. Das entspricht nicht wirklich meinen eigenen Ansprüchen, aber was gibt es Schöneres als den alljährlichen Neujahrsvorsatz, dass heuer alles anders wird 😉

Wie dem auch sei, ich beginne das neue Jahr mit meinen Lieblingskrimis des Vorjahrs (einige davon muss ich hier erst besprechen). Über Feedback würde ich mich freuen!

Platz 10 – John le Carré: Silverview

Platz 9 – Philip Kerr: Metropolis

Platz 8 – Hannelore Cayre: Reichtum verpflichtet

Platz 7 – Sabina Naber: Leopoldstadt

Platz 6 – James Lee Burke: Dunkle Tage im Iberia Parish

Platz 5 – Garry Disher: Moder

Platz 4 – S. A. Cosby: Blacktop Wasteland

Platz 3 – Stuart Turton: Der Tod und das dunkle Meer

Platz 2 – Heinrich Steinfest: Die Möbel des Teufels

Platz 1 – Doug Johnstone: Der Bruch

Meine Lieblingskrimis 2020

Meine Lieblingskrimis 2019

Meine Lieblingskrimis 2018

Meine Lieblingskrimis 2017

Meine Lieblingskrimis 2016

Meine Lieblingskrimis 2015

Meine Lieblingskrimis 2014

Meine Lieblingskrimis 2013

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