Monthly Archives: November 2016

Bernhard Aichner: Interview mit einem Mörder

(c) Haymon

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Bernhard Aichners Krimis machen Spaß. Daran gibt es keinen Zweifel. Egal ob die Totenfrau-Thriller-Trilogie (der abschließende dritte Teil erscheint im Jänner 2017) oder die Max-Broll-Krimis. Egal ob Bestatterin oder Totengräber, Aichner hat seine stakkatohafte Sprache gefunden, die seine Geschichten rasant voranpeitscht. Gepaart mit vielen weißen Leerseiten entsteht das Gefühl, seine Bücher richtiggehend zu verschlingen.

Wow, schon wieder zehn Seiten geschafft. Und schon wieder zehn! Aichner hat das zur Perfektion getrieben. Das ist handwerklich eigentlich nicht mehr zu überbieten – das können nicht viele. Wer von einem Krimi unterhalten werden will, der ist bei Aichner absolut richtig.

Wem das allerdings nicht genügt, der sollte nun weiterlesen. Denn jetzt kommt das “Aber”.

Für mich ist das zu glatt, zu kalkuliert. Da reist Max Broll, der als einziger von der Schuld des Täters (der noch dazu auf seinen besten Freund geschossen hat) überzeugt ist, diesem zuerst per Zug und dann per Kreuzfahrtschiff nach, um ihn zu überführen. Ideal für jeden Buchhändler: Das empfiehlt sich als Lektüre für Zug- und Schiffsreisende. Und natürlich ist der Täter ein Deutscher, auch das erhöht die Leserschaft. Zudem soll jeder Dialog ein Knaller sein. Das unterhält und amüsiert, ermüdet aber auch. Denn manchmal ist weniger mehr.

Letztlich ist die Welt, die Aichner erschafft, künstlich. Das sind keine echten Menschen, keine echten Dialoge. Die Wahrhaftigkeit fehlt. Zu sehr ist Aichner auf überraschende Wendungen und das Außergewöhnliche fokussiert. Das driftet dann mitunter ins Comicartige ab. “Interview mit einem Mörder” liest sich stellenweise fast wie eine Abenteuerreise mit Tim und Struppi. Immer amüsant, immer unterhaltsam, aber auch völlig unglaubwürdig. Wie gesagt: Perfekte Realitätsflucht, perfekt für den Urlaub.

Letztlich geht es mir aber eben wie Marcus Müntefering, der auf “Spiegel Online” schreibt: “Auch mit Achterbahnfahrten werden Aichners Romane gern verglichen. Weil: ähnlich aufregend. Aber Achterbahnen werden irgendwann langweilig. Weil: fahren immer im Kreis.”

6 von 10 Punkten

Bernhard Aichner: “Interview mit einem Mörder”, Haymon Verlag, 288 Seiten.

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Abgebrochen: Walt

(c) Knaur

(c) Knaur

Zwei Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal einen Krimi abgebrochen habe. Nun ist es wieder einmal passiert. Lange habe ich überlegt, ob ich überhaupt darüber schreiben soll, aber ich habe mich einfach zu sehr geärgert und es hat mich wieder einmal in meinem Vorurteil gegenüber Spannungsliteratur bestätigt, auf der das Label “Psychothriller” prankt. Das ist offenbar die eine Schiene des Genres, mit der ich so gar nicht warm werden will.

Meist bekommt man es mit irgendwelchen kaputten, völlig kranken Typen zu tun. Oder es geht mal das halbe Buch lang um scheinbar ganz normale Menschen, wo aber immer schon mitschwingt, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Überraschung: Am Schluss entpuppen sich die zuerst nahezu perfekten Ehemänner und Ehefrauen als Monster. Eindimensional und realitätsfern.

Aber egal, wer sich damit gruseln will, nur zu. Flucht aus der Realität ist letztlich ein Grund, warum wir lesen!

Bei “Walt” dachte ich mir nun, ich versuche es wieder einmal. Das klingt nicht so schlecht, dachte ich mir, da verfolgt jemand mit Hilfe von Einkaufszetteln Personen und findet so auch viel über das Leben dieser heraus. Doch nach knapp 50 Seiten hatte ich genug. Da war schon wieder dieser seltsame Ton, und ich glaube dieser Walt ist ein ganz furchtbarer Charakter: Seine Frau Mary hat er vor ein paar Jahren verlassen, erfährt man. Ja, ich kann mir schon vorstellen, was man unter “verlassen” verstehen kann. Ich nehme mal an, am Schluss ist Walt ein mordendes Monster. Puuh.

Und dazwischen dürfen wir auf die Opfer-Seite blicken: “Kennst du dieses eigenartige Gefühl? Man ist ganz sicher, dass man beobachtet wird, aber wenn man sich umschaut, kann man niemanden entdecken?” Gähn. Echt jetzt? Nicht schon wieder. Kurz danach habe ich aufgehört zu lesen. Ich fühlte mich genervt und gelangweilt. Ich wollte nicht einmal wissen, ob Walt nun böse ist oder nicht. Es war mir egal. Das ist allerdgins genau das, was ich mir von einem Kriminalroman nicht erwarte.

An alle Psychothriller-Fans da draußen: Lasst euch bitte die Freude von mir nicht verderben und nehmt mir diese Zeilen nicht übel, aber ich kann damit leider gar nichts anfangen.

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Krimis, die man 2016 lesen sollte (IX)

(c) Haymon

(c) Haymon

“Der anatolische Panther” von André Pilz steht ganz oben auf meiner Leseliste. Sein Vorgänger “Die Lieder, das Töten” steht leider seit Jahren bei mir ungelesen herum, obwohl dieses Buch nach einer außergewöhnlichen Krimilektüre (ein Super-Gau in Deutschland, mann stelle sich das einmal vor! Was für ein Szenario) klingt.

Verlagstext: Kleiner Gangster, großes Herz: Seit der junge Türke Tarik seine Fußballkarriere aufgegeben hat, schlägt er sich in München mit kleinen Einbrüchen und Drogendeals durch. Er verbringt viel Zeit auf der Straße, mit seinen Freunden Doogie, Sugo-Joe und Yiannis, allesamt einigermaßen gescheiterte Existenzen. Als sie bei einem Einbruch erwischt werden, hat die Polizei Tarik am Haken – und schlägt einen Deal vor: Tarik soll sich ins Umfeld eines Hasspredigers einschleichen, der sich “Derwisch” nennt und im Verdacht steht, einen Terroranschlag zu planen. Das geht schief, und plötzlich ist neben der Polizei auch noch der Derwisch hinter ihm her – und Tarik muss nicht nur sich selbst retten, sondern auch seinen geliebten Großvater, der von den Islamisten bedroht wird ...

(c) Heyne

(c) Heyne

“American Blood” von Ben Sanders klingt ein bisschen nach Jack Reacher. Vielleicht bahnt sich hier eine vielversprechende Thriller-Serie an, so wie es zuletzt auch mit “Orphan X” von Gregg Hurwitz der Fall war (im August 2017 erscheint übrigens “Projekt Orphan”).

Marshall Grade hat zwei Leben. Früher war er undercover für das New York City Police Department im Einsatz. Nachdem er enttarnt wurde, hat das organisierte Verbrechen ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Jetzt sitzt er im Zeugenschutzprogramm in New Mexico fest und soll sich unauffällig verhalten. Doch dann verschwindet eine junge Frau, die jemandem aus seinem ersten Leben zum Verwechseln ähnlich sieht. Grade schlägt alle Warnungen in den Wind und begibt sich auf ihre Spuren. Wird es ihm diesmal gelingen, die Frau zu retten?

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Malla Nunn befindet sich mit “Zeit der Finsternis” momentan auf Platz zwei der KrimiZeit-Bestenliste. Viel mehr Empfehlungen braucht es da eigentlich nicht mehr.

Im zutiefst korrupten Apartheidstaat Südafrika geht das Jahr 1953 zu Ende. Fünf Tage vor Weihnachten wird im Johannesburger Villenviertel ein weißes Ehepaar überfallen und bewusstlos geprügelt. Dann verschwinden die Täter mit dem neuen Automobil der Familie Brewer. Die fünfzehnjährige Tochter Cassie hatte sich versteckt und blieb unversehrt. Der Vater erliegt noch in derselben Nacht seinen Verletzungen.
Detective Sergeant Emmanuel Cooper hat sich nach Johannesburg versetzen lassen, um hier mit seiner heimlichen Familie ein Doppelleben zu führen, von dem keiner seiner Kollegen etwas ahnen darf, schon gar nicht sein argwöhnischer Vorgesetzter Lieutenant Walter Mason. Andernfalls droht Cooper Berufsverbot und Gefängnis, ganz zu schweigen von den Repressalien, die seine farbige Frau und ihre kleine Tochter zu erwarten hätten: Die Rassentrennungsgesetze sind gnadenlos. Er muss also extrem behutsam lavieren.

(c) Selbstverlag

(c) Selbstverlag

Unbedingt unterstützen will ich auch Lawrence Blocks Akt kriminalliterarischer Selbstverteidigung. Mit “Drei am Haken” liegt nun auch der zweite Teil der Matthew-Scudder-Serie vor. Soeben bei mir eingelangt 😉

Der Spitzel und Kleingauner Jake »Schnipser« Jablon macht sich eine Menge neuer Feinde, als er die Laufbahn wechselt und von Informant auf Erpresser umsattelt. Früher oder später, vermutet er, wird einer seiner neuen Kunden handgreiflich werden, und wen wird das kümmern? Er sitzt an einem Tisch mit Matthew Scudder, schnipst einen Silberdollar an und lässt ihn auf dem Tisch kreiseln. Schließlich ist das die Gewohnheit, die ihm seinen Spitznamen eingebracht hat. Dann heuert er Scudder an, einen Mord aufzuklären, der sich noch nicht ereignet hat. Niemand ist sonderlich überrascht, als Schnipser mit eingeschlagenem Schädel im East River treibend gefunden wird. Noch schlimmer: Es kümmert niemanden – außer Matthew Scudder. Der Ex-Cop und Privatdetektiv ist kein pflichtversessener Racheengel. Aber er ist willig, Leib und Leben zu riskieren, um Schnipsers mörderisch-aggressive Kunden zur Rede zu stellen. Schließlich ist ein Job ein Job – und Scudder wurde bezahlt, einen Mörder zu finden. Bezahlt vom Opfer … im Voraus.

(c) Ars Vivendi

(c) Ars Vivendi

Es kommt nicht mehr so oft vor, dass ich spontan in der Buchhandlung zugeschlage. Nun war das bei John Harveys “Unter Tage” der Fall. Wer nach David Peaces “GB84” vom englischen Bergarbeiterstreik 1984 nicht genug hat, kann sich hier weiter spannend informieren lassen.

England, 1984: Der Bergarbeiterstreik spaltet das ganze Land. Die Gewerkschaft und die Thatcher-Regierung stehen sich unversöhnlich gegenüber, und in Bledwell Vale verläuft der Riss mitten durch die Familie Hardwick. Vater Barry lässt sich als Streikbrecher beschimpfen, doch er braucht das Geld, um die Familie durchzubringen. Mutter Jenny ist Aktivistin im Streikkomitee – bis sie kurz vor Weihnachten spurlos verschwindet. Dreißig Jahre später wird im Dorf eine einbetonierte Leiche gefunden. Charlie Resnick ist zwar schon im Ruhestand, wird aber der Ermittlerin Catherine Njoroge als Berater zur Seite gestellt; schließlich war er damals mit dem Auftrag vor Ort, die Streikszene auszuspionieren. Alles verdammt lang her, aber jetzt muss die Wahrheit auf den Tisch: Ausgrenzung, Hass, Korruption, Liebe in Zeiten bitterster Not. Und es gibt noch zwei weitere Cold Cases aus jener Zeit …

(c) Penguin

(c) Penguin

Und dann hätten wir wieder einmal einen Australier. Zwar konnte ich mit Peter Temple bislang nicht so recht warm werden, “Die Schuld vergangener Tage” klingt aber nach einer Lektüre, die mich verleiten könnte, es noch einmal zu probieren.

Mac Faraday glaubt nicht, dass sich sein Freund Ned das Leben genommen hat. Er beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, denn wenn es nicht Selbstmord war, muss es Mord gewesen sein. Faradays Nachforschungen führen ihn zu einer Erziehungsanstalt. Dabei entdeckt er eine Mädchenleiche in einem stillgelegten Bergwerksschacht. Nach und nach kommt Faraday denen auf die Spur, die zahllose Mädchen aus der Erziehungsanstalt missbraucht haben. Je näher er der Wahrheit kommt, desto mehr bringt ihn seine Recherche selbst in Gefahr.

 

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Iain Levison: Gedankenjäger

(c) Deuticke

(c) Deuticke

Bereits 2012 hat Iain Levison mit “Hoffnung ist Gift” einen außergewöhnlichen Kriminalroman geschrieben, den ich damals allerdings nicht gelesen habe. Als nun “Gedankenjäger” erschienen ist, war mir rasch klar, dass ich diesmal zuschlagen muss. Denn auch das neue Buch hat Ingredienzien, die im stinknormalen Kriminalroman nicht vorkommen: Als der Polizist Jared Snowe entdeckt, dass er Gedanken lesen kann, verändert sich sein Leben schlagartig.

Levison hat das Szenario fein durchdacht. Schon bald wird Snowe klar, dass seine neuen Fähigkeiten nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch sind. Auch dem verurteilten und in der Todeszelle sitzenden Mörder Brooks Denny eröffnen sich mit seinen plötzlich auftretenden Fähigkeiten neue Möglichkeiten. Und dann gibt es da noch die mysteriöse Geheimdienst-Mitarbeiterin Terry, deren Gedanken nicht lesbar sind.

Levison unterhält perfekt und entpuppt sich als glaubwürdiger und gleichzeitig humorvoller Erzähler einer spannenden, gut durchdachten Geschichte. Denn was hier auf den ersten Blick vielleicht ein wenig übersinnlich klingen mag, löst sich durchaus realistisch auf. Levison versteht es, auf die reale Entwicklung der USA in Richtung alleswissender Überwachungsstaat noch eins draufzusetzen. Wozu wären die Behörden erst fähig, könnten sie auch noch Gedankenleser einsetzen?

Aber es sind gerade die kleinen, alltäglichen Momente, die Levison schildert, die beeindrucken. Cool, denkt sich Snowe etwa: Endlich bekomme ich wieder mal eine Frau ins Bett! Dass das dann gar nicht so einfach ist, liest sich genial-komisch. Und auch die Vorstellung, mit jemandem Sex zu haben, dessen banale Gedanken man nicht ausblenden kann, scheint nur im ersten Moment erstrebenswert.

Levison versteht es außerdem, mit prägnanten (Gedanken-)Dialogen zwischen Snowe und Denny perfekt zu unterhalten. Die beiden geben ein äußerst ungewöhnliches Paar ab, dass erst durch das Schicksal zusammengeschweißt wird. Das ist manchmal Slapstick pur und ernsthaft zugleich. Hier hat man es also mit einem Autor zu tun, der sein Handwerk versteht. Gleichzeitig liefert er eine gesellschafts- und zeitkritische Geschichte ab, die auch nach dem Lesen noch nachhallt. Und auch als klassischer Polizei- bzw. Detektivroman ausgezeichnet funktioniert, was vielleicht sogar die erstaunlichste Leistung ist.

Lieber Iain Levison, Hut ab vor so viel Kreativität. “Gedankenjäger” ist eines der großen Krimi-Highlights des Jahres 2016.

9 von 10 Punkten

Iain Levison: “Gedankenjäger”, übersetzt von Walter Goidinger, 301 Seiten, Deuticke.

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Krimiautor Roger Hobbs (28) ist tot

(c) Goldmann

(c) Goldmann

2013 erhielt der damals gerade einmal 25 Jahre alte US-Autor Roger Hobbs den “Steel Dagger Award” – als jüngster Autor, dem das bisher gelungen ist – für den besten Thriller des Jahres. Jetzt, drei Jahre später, ist der Autor tot. Unfassbar.

Ich habe “Ghostman”, das Buch, für das er ausgezeichnet wurde, damals gelesen und war durchaus angetan. Er hatte einen rasanten, wendungsreichen Thriller geschrieben, der Lust auf mehr machte: “Ich freue mich auf eine Fortsetzung”, so meine Worte damals. Allerdings muss ich zugeben, dass ich heuer den Nachfolger “Killing Games” nach eher schlechten bis vernichtenden Kritiken ausgelassen habe. Dennoch handelte es sich bei Hobbs zweifellos um eine vielversprechende Stimme in der Krimilandschaft.

Noch vier Tage vor seinem Tod tweetete er folgende Nachricht:

Die Hoffnung lebt also, dass sein drittes Buch vielleicht irgendwann erscheinen wird. Umso fassungsloser macht die Nachricht, dass der Autor im Alter von 28 Jahren gestorben ist – offenbar an einer Überdosis.

Sein Herausgeber beim Verlag Transworld schreibt folgende Worte:

“Roger was a new shining talent on the crime writing scene and from the moment we bought him seemed destined to join the ranks of those American greats like James Ellroy and James Lee Burke he so admired. He won the Ian Fleming Steel Dagger Award for Best thriller of the Year in 2013 and was long listed for a John Creasey Award for Best First Novel that year too. He also won an Edgar Award in the US. Equipped with all the tools of the trade at a very young age, a genuinely original and stylish voice, impeccable storytelling elan and showing signs of genuine brilliance from the off, it is too upsetting to contemplate what he might have gone on to achieve. 

“Many fans will join us in mourning the loss of a singular talent and a glorious writing career sadly unfulfilled.”

Auch der irische Krimiautor Stuart Neville zeigte sich geschockt:

Rest in Peace, Roger Hobbs. Danke für die kurzweiligen Lesestunden!

 

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Der Kriminalroman – bloß eine “Schlachtplatte”?

(c) Heyne

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Ich habe gerade auf FAZ.net eine interessante, lesenswerte Rezension von Stephen Kings “Mind Control” gelesen. Unter dem Titel “Das Ende der Schlachtplatte” schildert der Autor, warum King das Zeug hat, ein ermattetes Genre an seine Wurzeln zurückzuführen. Hier ist allerdings der Punkt, wo ich gerne einhaken würde: Warum ist das Genre des Kriminalromans ermattet?

Bloß weil es unzählige Thriller und Krimis aus den USA und Skandinavien gibt, die man auch als Body-Count-Genre bezeichnen könnte – oder eben als “Schlachtplatte”, wie das der FAZ-Autor macht? Für mich ist das viel zu kurz gegriffen. Das mag ein Subgenre sein, mehr aber auch schon nicht. Gerade zur Zeit präsentiert sich der moderne Kriminalroman so vielseitig wie selten zuvor: Von klassischen Whodunnits (die auch nicht mein Fall sind, wie jeder Leser dieses Blogs weiß) bis hin zu historischen (William Shaw, Lyndsay Faye) und dystopischen Romanen (Tom Hillenbrands “Drohnenland”, Nathan Larsons Dewey-Decimal-Trilogie) hat das Genre doch alles zu bieten. Was ist etwa mit Horst Eckerts zeitkritischen NSU-Krimi “Wolfsspinne”? Was ist mit exzellenten Polizeiromanen, wie “Die Unantastbaren” von Richard Price? Was wäre das Genre ohne den bösartigen Witz eines Ken Bruen (“Kaliber”)? Iain Levisons “Gedankenjäger” wiederum kann man thematisch gleich neben Stephen Kings “Mind Control” stellen. Benjamin Percys außergewöhnlicher Vampir-Krimi “Roter Mond” sprengt ganz in Kings Stil ohnehin alle Konventionen. Sehr innovativ war übrigens auch “In den Straßen die Wut” von Ryan Gattis – wo hat man schon 17 Ich-Erzähler im Einsatz? Hier könnte man fast endlos fortsetzen.

Das Genre des Kriminalromans auf Schlachtplatten zu reduzieren, halt ich für falsch. Das mag zwar die Bedeutung von Stephen Kings Buch hervorheben, tut den unzähligen anderen Autoren anspruchsvoller Kriminalromane aber unrecht.

Und nein, ich habe kein Problem mit Stephen King. Aus meiner Sicht könnte er auch problemlos den Literatur-Nobelpreis erhalten, denn ich kenne kaum einen begnadeteren Erzähler als diesen Ausnahmeautor. Aber diesen Mut wird wohl keine Nobelpreis-Jury je aufbringen. Das wäre dann doch wieder zu konventionell, bloß weil einer gut erzählen kann …

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Trump ist US-Präsident: Warum jetzt jeder Country Noir lesen sollte

tomatenrotDie US-Wahl ist geschlagen und das Entsetzen nicht nur in Amerika, sondern vor allem auch in Europa ist groß. Ich werde jetzt hier nicht in das allgemeine Trump-Bashing einfallen. Ich finde, man muss das nüchtern betrachten, lange genug hatte man sich über den Mann lustig gemacht. Nun ist aus dieser Witzfigur der neue US-Präsident geworden.

Um Amerika – vor allem jenes, das Trump mehrheitlich gewählt hat – besser verstehen zu können, will ich daher noch einmal kurz auf Kriminalromane des Country Noir hinweisen. Sie machen verständlich, wie viele weiße Amerikaner der Mittel- und Unterschicht in ländlichen Regionen der USA so ticken.

US-Autor Daniel Woodrell wird als “Poet des White Trash” bezeichnet. Sowohl “In Almas Augen” als auch “Tomatenrot” sind zwei außergewöhnlich literarische Kriminalromane. Woodrells Bücher spielen vor allem in West Plains in den Ozarks, einer ländlichen Region, die sich von Missouri bis nach Arkansas erstreckt. Am bekanntesten ist aber wohl “Winters Knochen”, das mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Ein weiterer namhafter Autor des Genres ist Donald Ray Pollock, der mit “Das Handwerk des Teufels” und “Knockemstiff” zwei sehr derbe und raue, aber sehr authentische Kriminalromane geschrieben hat. Pollock lebt und schreibt über Ohio, das als “Swing State” gilt. Sein neuestes Buch, “Die himmlische Tafel”, war bis vor Kurzem auch auf der KrimiZeit-Bestenliste zu finden. Auf “Spiegel Online” gibt es übrigens ein ziemlich frisches Interview mit dem Autor zu lesen, der sich gerade auf Lesereise in Deutschland befindet: “Sie finden so viel Wut wie noch nie unter den Arbeitern der USA. Da gibt es immer mehr Menschen, die kaum noch über die Runden kommen. Es sind zuletzt so viele einfache Jobs verlorengegangen. Da bleiben viele auf der Strecke. Das wahre Amerika finden sie jedenfalls nicht in New York oder San Francisco.”

Pollock war vor 2013 auch Gast bei der Kriminacht in Wien. Mich hat damals die Bescheidenheit dieses Mannes sehr beeindruck, wie auch die von Woodrell, der 2012 in Wien zu Gast war.

Benjamin Whitmers vor Kurzem erschienener Country Noir “Nach mir die Nacht” wiederum spielt im San-Luis-Valley nahe Denver. Darin erzählt der Autor auch von einem von innen heraus verrottenden Amerika: “Im Landesinneren reiht sich ein Trümmerhaufen an den nächsten, so weit das Auge reicht. Zwischen Orkanschäden und dem Zerfall, den man im mittleren Westen heutzutage in jeder beliebigen Stadt vorfindet, besteht kein wesentlicher Unterschied mehr.”

Auch “Ein einziger Schuss” von Matthew F. Jones gehört in diese Kategorie. Darin porträtiert der Autor seine Hauptfigur Moon als einen in seiner Sichtweise sehr beschränkten Kerl, der eigentlich nichts Böses will, aber einfach nicht aus seiner Haut heraus kann und zielstrebig seine ohnehin wenig aussichtsreiche Situation weiter verschlechtert. Auch dieses Buch wurde verfilmt.

Alles in allem lautet mein Fazit: Wer nicht nur über dieses für viele andere, unbekannte und unbegreifliche Amerika lästern will, sondern es auch begreifen will, der sollte sich Zeit für den einen oder anderen Country Noir nehmen. Das ist oft keine Wohlfühllektüre, dafür öffnet sie die Augen.

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KrimiZeit-Bestenliste November: Ein Abgleich

(c) Tropen

(c) Tropen

Die KrimiZeit-Bestenliste im November wird durch drei australische (Temple, Carter, Fox) und drei deutsche (Dobler, Wittekindt, Ani) Kriminalromane geprägt. An der Spitze steht mit Franz Dobler der Deutsche Krimipreisträger 2015 (für “Ein Bulle im Zug”). Erneut steht Robert Fallner, mittlerweile Ex-Bulle, im Zentrum der Geschichte. Diesmal soll er eine bekannte Schauspielerin vor einem Stalker schützen.

Peter Temples hoch gelobtes “Tage des Bösen”, das allerdings ein Politthriller ist, war nicht wirklich mein Fall. Aber vielleicht kann mich Temple mit seinen klassischen Krimis eher überzeugen. Immerhin kenne ich auch ein paar Örtlichkeiten. Denn ich war schon einmal zwei Wochen im australischen Bergarbeiterdorf Ballarat, wo einige von Temples Romanen spielen. Der Autor lebt auch dort.

Von den zehn Büchern auf der Liste habe ich nur eines gelesen: Benjamin Whitmers “Nach mir die Nacht”, das ich zuletzt hier besprochen habe.

Ein Buch werde ich definitiv nicht lesen: “Eden” von Candice Fox. “Hades” war für mich eine der großen Enttäuschungen des heurigen Krimijahres. Den Hype darum verstehe ich überhaupt nicht.

Die Liste im Überblick:

1 (-) Franz Dobler: Schlag ins Gesicht
2 (10) Malla Nunn: Zeit der Finsternis
3 (1) Giancarlo de Cataldo/Carlo Bonini: Die Nacht von Rom
4 (-) Peter Temple: Die Schuld vergangener Tage
5 (-) Matthias Wittekindt: Der Unfall in der Rue Bisson
6 (6) Alan Carter: Des einen Freud
7 (2) Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt
8 (7) Benjamin Whitmer: Nach mir die Nacht
9 (-) Candice Fox: Eden
10 (4) Patrícia Melo: Trügerisches Licht

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Benjamin Whitmer: Nach mir die Nacht

(c) Polar Verlag

(c) Polar Verlag

Benjamin Whitmers Country Noir “Nach mir die Nacht” erzählt vor allem zwei Vater-Sohn-Geschichten. Aber nicht nur. Er erzählt auch von zwei aus der Bahn geworfenen Existenzen, von denen zumindest eine versucht, die Kurve wieder zu kriegen. Hauptfigur Patterson Wells, der einen Sohn verloren hat, und der gescheiterte Junior, der unter seinem Vater leidet, sollten sich von einander fernhalten. Sie tun sich nicht gut. Immer wenn sie zusammen unterwegs sind, kommt es zu Drogenexzessen oder blutigen Auseinandersetzungen oder sonstigen gefährlichen Ereignissen. Eigentlich hassen sie sich, dennoch werden sie vom jeweils anderen fast magnetisch angezogen.

Was Patterson und Junior tun, kann man bestenfalls als idiotisch bezeichnen. Sie haben ihre Leben nicht im Griff. Dennoch gelingt es Whitmer, den beiden auch liebenswerte Seite abzugewinnen. Sie scheinen genau um ihre Außenseiter-Stellung in der Gesellschaft zu wissen. Auch wissen sie, dass sie den Menschen, die sie lieben, nicht gut tun. Weil sie eben immer wieder Scheiße bauen, immer wieder das Falsche machen. Dennoch lassen sie billige Ausreden für ihr Handeln nicht gelten.

“Harte Kindheiten sind keine Mysterien, sondern Grundelemente des Lebens. Die Alltagshölle, die so gut wie jeder erlebt hat. Schlimm genug, wenn es dir so ergangen ist, aber noch erbärmlicher, wenn du dich später davon kaputt machen lässt, wenn du’s längst hinter dir hast.”

Darüber hinaus erzählt Whitmer immer wieder von einem verfallenden Amerika, einem von innen heraus verrottenden Land: “Im Landesinneren reiht sich ein Trümmerhaufen an den nächsten, so weit das Auge reicht. Zwischen Orkanschäden und dem Zerfall, den man im mittleren Westen heutzutage in jeder beliebigen Stadt vorfindet, besteht kein wesentlicher Unterschied mehr.” Es ist kein schönes Amerika, das er da beschreibt.

Der Polar-Verlag hat mit Whitmer wieder einmal eine neue, interessante Stimme entdeckt. Bleibt zu hoffen, dass von diesem Autor noch mehr nachkommt.

7 von 10 Punkten

Benjamin Whitmer: “Nach mir die Nacht”, übersetzt von Len Wanner, 274 Seiten, Polar Verlag.

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