Ich bin immer noch ein wenig geschockt: Philip Kerr ist tot. Der britische Krimiautor wirkte bei seiner Lesung im Zuge der Wiener Kriminacht 2015 so lebendig und lebenslustig, dass es schwer fällt zu akzeptieren, dass Kerr keine weiteren Krimis mehr schreiben wird.
Obwohl Kerr angeblich kurz vor seinem Tod noch Band 14 seiner Bernie-Gunther-Serie fertiggestellt hat. Auf Deutsch erscheint im April übrigens “Kalter Frieden“, der elfte Band der Reihe – man wird also wohl auch nach dem Tod des Autors noch längere Zeit Neues von Kerr lesen können.
Kerrs Präsentation in Wien hat nachhaltig Eindruck bei mir hinterlassen, deswegen will ich diese hier noch einmal kurz zusammenfassen. Kerr stellte damals seinen ersten Fußball-Thriller “Der Wintertransfer” rund um Co-Trainer Scott Manson vor. Der Fußball- und Arsenal-Fan erklärte, dass er die Arbeit an seinem Buch genossen habe. Gelte es bei seinen historischen Krimis, chronologische Fehler sowie solche bei Straßennamen etc. zu vermeiden, sei es sehr angenehm gewesen, endlich einmal wieder über etwas in Zeiten von Twitter und Facebook zu schreiben.
Kerr vermisste in Europa gute Sportbücher – damit meinte er keine Sachbücher, sondern Romane. Es sei bezeichnend, dass eine der besten Sportpassagen ausgerechnet Ian Fleming in “Goldfinger” geschrieben habe: 60 Seiten über ein Golfduell zwischen James Bond und Goldfinger. Es gebe so viele furchtbare Sportbücher, nahezu jeder Fußballer habe eines geschrieben. Er wisse, wovon er spreche, denn er habe sie alle gelesen.
Die Recherche im Fußball-Bereich sei einfach gewesen. Es gebe viele gute journalistische Texte. Man müsse nicht stundenlang Fußballer interviewen. Es sei überhaupt ein Irrglaube, die größtmögliche Authentizität dadurch zu erzeugen, dass man die involvierten Persönlichkeiten interviewe. Er erinnere sich an ein Gespräch mit einem der größten Autoren von Kriminalromanen überhaupt: Elmore Leonard. “Dutch (so lautete Leonards Spitzname), du bist doch sicher mit einer Menge Cops und Kriminellen abgehangen”, habe er ihn gefragt. “Nein”, habe dieser geantwortet. Er habe fast all seine Informationen aus dem TV, vorwiegend der “Jerry Springer Show”.
Mit kleinen Geschichten die große Geschichte begreifbar machen
Aber auch für seine historischen Krimis sitze er nicht stundenlang in der Bibliothek und in den Archiven. Er gehe vielmehr zu den Orten und versuche, eine Vision zu erhalten – ein wenig wie ein “Method Actor”. Er liebe es bei seinen Recherchetätigkeiten, die “Gaps” der Geschichte zu finden. Kleine Geschichten, die die große Geschichte erst begreifbar machen. Er führte als Beispiel an, dass die Menschen, die etwa in Obersalzberg lebten, alle Hitler hassten, weil ihre Höfe und Villen von Martin Bormann enteignet wurden.
Eine Aufgabe seiner Romane sei es auch, die Briten von ihrem hohen Ross der moralischen Unfehlbarkeit zu holen. Das britische Empire basiere auf vielen Holocausts – das erzähle er auch immer wieder in Vorträgen. Man müsse sich nur ansehen, was die Briten in den 1850er Jahren in Indien angerichtet haben: 50.000-60.000 Inder seien massakriert worden. Keine große Zivilisation in der Geschichte sei sauber geblieben. Er habe über 30 Jahren über die SS und die Verbrechen der Nazis geschrieben, da sei das Schreiben eines Fußball-Krimi nun eine echte Befreiung gewesen. Das Schreiben generell sei für ihn so etwas wie eine Sucht. Er erfinde Geschichten und erschaffe sein Leben lang Figuren – das sei fast schon krankhaft, wie er zugeben müsse. Zu seiner Schreibweise erklärte er, dass er all jenen Autoren misstraue, die jedes Kapitel ihrer Bücher strikt durchgeplant haben.
Ich selbst werde dem Autor Respekt zollen, indem ich mich in nächster Zeit intensiv mit seiner Bernie-Gunther-Serie auseinandersetzen werde. Rest in Peace, Philip Kerr.