Nachgeholt: Meine Lieblingskrimis 2022

Eine Jahres-Bestenliste mit über einem Jahr Verspätung? Außer mir macht das wohl auch niemand 😉 Aber so habe ich jetzt wenigstens ein vollständiges Jahrzehnt (mehr sogar: 11 Jahre) meiner Lieblingskrimis zusammengefasst.

Vorab möchte ich einen Krimi erwähnen, der es gerade nicht in die Top 10 geschafft hat: “Wie die einarmige Schwester das Haus fegt” von Cherie Jones. Nun geht es aber auch schon los:

Platz 10 – James Ellroy: Allgemeine Panik

(c) Ullstein Verlag

In “Allgemeine Panik” widmet sich James Ellroy – wieder einmal – dem Hollywood der 1950er-Jahre und zeigt dessen wenig glamouröse Seite. Das Buch zeigt auch sehr gut: Ellroy ist und bleibt ein Meister des Rabiaten. Es ist vermutlich keines von Ellroys besten Büchern, aber es ist ein abgründiges, verstörendes, zutiefst schurkisches und letztlich auch Spaß machendes Stück Kriminalliteratur.

Platz 9 – Kotaro Isaka: Bullet Train

Fünf Killer besteigen in Tokio den Shinkansen in Richtung Morioka. Wer wird die Fahrt überleben? Der Tarantino-Vergleich mag auf die schrille Hollywood-Verfilmung mit Sandra Bullock und Brad Pitt zutreffen, zumindest lassen das die ersten Trailer vermuten. Das Buch hat aber ganz andere Vorzüge.

Der Autor erzählt eine rasante Geschichte, die aber auch immer wieder ihre stillen Momente hat, fast schon philosophisch wird und mit schlagfertigen Dialogen glänzt. Die comicartigen – weil überzeichneten – Figuren wirken überraschend glaubwürdig. Absurd-Authentisches aus Asien sozusagen. Vermutlich hätte auch Agatha Christie an diesem Mordsspektakel im modernen Orient-Express ihres Erben Isaka ihre helle Freude gehabt.

Platz 8 – Riku Onda: Die Aosawa-Morde

Der Kriminalroman „Die Aosawa-Morde“ von Isakas Landsfrau Riku Onda hat nicht nur ein paar stille Momente, sondern sogar ganz viele davon. In Ondas Buch dreht sich alles um ein Fest der Familie Aosawa, bei dem siebzehn Menschen einen qualvollen Tod finden. Sie werden vergiftet, nur Hisako, die blinde Tochter des Hauses, überlebt. Die Japanerin schreibt darüber, wie polymorph die Wahrheit sein kann. Sie erzählt aus vielen verschiedenen Perspektiven und verdeutlicht, wie widersprechend scheinbar eindeutige Geschehnisse manchmal sind. Nicht immer ist gleich klar, wessen Stimme zu hören ist, doch mit jeder neuen Sichtweise setzen sich die Geschehnisse von damals neu und anders zusammen.

Das Erzähltempo ist langsam. Die Spannung entsteht allein durch die allgegenwärtige Frage, was wirklich geschah. Eine letztgültige Antwort verweigert die Autorin aber. Das ist konsequent: Es geht letztlich nicht darum, wer die schreckliche Tat begangen hat, sondern was diese mit den Überlebenden getan hat.

Platz 7 – Stephen Mack Jones: Princess Margarita Illegal

(c) Tropen Verlag

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind aus europäischer Sicht nicht immer ganz leicht zu verstehen, da können auch Kriminalromane durchaus aufklärerisch wirken. Der Autor zeigt etwa, dass auch Liberale ein Faible für Waffen haben können. Die Waffenlobby NRA wird bei aller Kritik an sozialen Missständen und rechtsradikalen Fanatikern durchaus ihre Freude an diesem Buch haben. Denn am Ende gewinnen die gut bewaffneten Guten.

Platz 6 – Zhou Haohui: “18/4 – Der Hauptmann und der Mörder”

Raffiniert konstruiert Zhou Haohuis eine rätselhafte Geschichte, die er einerseits meisterhaft aufzulösen versteht und an deren Ende er andererseits gekonnt ein neues Rätsel erschafft, an dem sich in den Teilen zwei (“18/4 – Der Pfad des Rächers”, erscheint im Mai) und drei (“18/4 – Die blinde Tochter”, September) die Ermittler die Zähne auszubeißen haben.

Platz 5 – Don Winslow: City on Fire

Don Winslow hat es nicht verlernt. Zum Auftakt seiner (vorerst) letzten Trilogie hat der Amerikaner die Figuren und Themen der „Ilias“ und der „Aeneis“ ins Rhode Island der 1980er übertragen. Griechen und Trojaner werden zu rivalisierenden Mafiabanden.

Platz 4 – Garry Disher: Stunde der Flut

Garry Disher ist bekannt für seine beiden Krimiserien rund um die Polizisten Inspector Challis und Constable Hirschhausen, aber auch für die Reihe um den vornamenslosen Berufsverbrecher Wyatt (dem Richard Starks ebenfalls vornamensloser Kriminelle “Parker” als Vorbild diente). Zwischendurch schreibt er aber auch Stand-Alones wie nun “Stunde der Flut”. Und das überzeugend.

Ein Markenzeichen des Australiers ist sein ruhiger Erzählstil. Seine Geschichten beginnen nicht mit einem Paukenschlag, ehe er Schlag auf Schlag die Nerven attackiert. Nein, Disher dreht ganz gemächlich, Stück für Stück, an der Spannungsschraube. Zuerst führt er seine Figuren ein, schafft ein stimmiges Setting. Fad ist das nie, aber untypisch für einen Kriminalroman. Erst langsam, wenn man die Figuren besser kennt, die Spannungsfelder in den Beziehungen und die Brüche in der Vergangenheit durschaut, wird Fahrt aufgenommen.

Platz 3 – Gu Byeong-Mo: Frau mit Messer

Leider sind alle meine Notizen zu der Lektüre dieses Buches verschwunden. Als ich vor über einem Jahr die Reihenfolge dieser Liste festgelegt habe, reihte ich das Buch unter die Top 3. Deshalb füge ich “Frau mit Messer” jetzt auch hier ein, kann aber nicht mehr allzu viel darüber erzählen. Hornclaw ist eine ins Alter gekommene Auftragsmörderin. Von alternden männlichen Killern wurde in der Kriminalliteratur schon oft erzählt, nun gibt es endlich auch eine weibliche Variante davon!

Platz 2 – Michael Mann/Meg Gardiner: Heat 2

(c) HarperCollins

Michael Manns Krimiepos „Heat“ aus dem Jahr 1995 genießt unter Filmkennern Kultstatus. 2022 hat Mann mithilfe der Krimiautorin Meg Gardiner eine Fortsetzung geschrieben, Pre- und Sequel in einem. Dem Autorenduo gelingt es dabei ausgezeichnet, die Figuren wieder aufleben zu lassen. Es ist die große Stärke des Buchs, dass hier fehlende Puzzleteile aus dem Leben Hannas und McCauleys schlüssig eingefügt werden. Deren Handlungsweisen und Besessenheiten werden noch klarer. Der Fokus liegt diesmal aber auf Chris Shiherlis, einst gespielt von Val Kilmer. „Heat 2“ bietet fast 700 Seiten knallharte Krimikost in der Tradition von Don Winslow.

Platz 1 – William McIlvanney/Ian Rankin: “Das Dunkle bleibt”

(c) Kunstmann Verlag

Selten kommt es vor, dass unvollendete Manuskripte von Kollegen fertig geschrieben werden. Doch William McIlvanneys „Das Dunkle bleibt“ hat niemand Geringerer als sein schottischer Landsmann Ian Rankin vollendet, dessen Ermittler John Rebus Kultstatus genießt.

Die hohe Kunst Rankins liegt darin, dass man sich bei der Lektüre des Buchs nicht mit der Frage beschäftigen muss, welcher der beiden Autoren denn nun welchen Teil geschrieben hat. Sowohl die beiden Schriftsteller als auch ihre Figuren haben einen ähnlich abgeklärten Blick auf die Dinge, der sich auch in folgendem Zitat perfekt zusammenfassen lässt: „Das Gesetz hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Das ist ein System, das wir installiert haben, weil’s keine Gerechtigkeit gibt.“

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