Monthly Archives: October 2022

James Ellroy: Allgemeine Panik

(c) Ullstein Verlag

Unglaublich eigentlich, aber seit ich diesen Blog hier betreibe, habe ich offenbar kein Buch von Krimi-Ikone James Ellroy besprochen. Mein Lieblings-Ellroy ist “Ein amerikanischer Thriller”, aber den habe ich bereits vor vielen, vielen Jahren gelesen. Sein neuester Kriminalroman “Allgemeine Panik” widmet sich – wieder einmal – dem Hollywood der 1950er-Jahre und zeigt dessen wenig glamouröse Seite. Das Buch zeigt auch sehr gut: Ellroy ist und bleibt ein Meister des Rabiaten.

“Ich arbeite für jeden, außer für Kommunisten. Und tue alles, bis auf Mord.” So lautet Freddy Otashs Lebensmotto. Bloß sagt er nur die halbe Wahrheit, denn einer dieser beiden Sätze stimmt nicht, wie man im Verlauf der Geschichte von “Allgemeine Panik” schon bald feststellen wird. Otash, der wirklich gelebt hat, ist eine typische James-Ellroy-Figur: Der Expolizist und nunmehrige Privatermittler war ein selbstbezogener, brutaler und sexbesessener Kerl, der sich im Los Angeles der 1950er-Jahren für keinen schmutzigen Job zu schade war. Für das Schundblatt “Confidential”, gegen das heutige Klatschmagazine wie Bibeln guten Geschmacks anmuten, schnüffelte er skrupellos Prominenten hinterher, horchte diese ab und scheute vor Bestechung und Erpressung nicht zurück. Zu seinen Opfern zählten angeblich Marilyn Monroe, Frank Sinatra sowie der spätere US-Präsident John F. Kennedy.

Willkommen im Fegefeuer

Der betagte, aber alles andere als altersmilde US-Autor lässt Ich-Erzähler Otash zu Beginn des Buches im Fegefeuer sitzen, aus dem dieser sich nur befreien kann, wenn er endlich die Wahrheit offenbart: “Seit achtundzwanzig Jahren stecke ich in diesem beschissenen Elendsloch fest. Und jetzt will man mir weismachen, ich könne mir durch schonungslose Offenlegung meiner Missetaten einen Weg nach draußen schreiben.”

Also packt Otash, der auch das Vorbild für Jack Nicholsons Rolle als Jack Gittes in “Chinatown” gewesen sein soll, aus und beichtet die Sünden seines Lebens. Was folgt, ist ein wilder Ritt durch ein wenig glamouröses Hollywood, sehr viel Sex inklusive. Die Schauspieler Marlon Brando, James Dean, Rock Hudson, Burt Lancaster würden sich bei der Lektüre wohl im Grab umdrehen – wie auch der spätere US-Präsident John F. Kennedy, der aufgrund seiner mangelnden Ausdauer beim Sexualakt abschätzig als Zwei-Minuten-Mann tituliert wird. Elizabeth Taylor und weitere Filmdiven werden ebenfalls wenig schmeichelhaft porträtiert.

Man kann Ellroys Buch als wahllose Aneinanderreihung von Obszönitäten und ungezügelten Gewaltausbrüchen (“An meiner Seele klebte Blut, an meinem Totschläger lose Zähne”) lesen, doch entwickelt dieses unweigerlich einen ganz eigenen Sog. All die realen Persönlichkeiten und fiktiven Figuren, für deren Übersichtlichkeit ein Glossar durchaus hilfreich wäre, die unzähligen Nebenschauplätze und historischen Hintergründe lassen ein ungezügelt mäanderndes Panoptikum entstehen, das seinesgleichen sucht. Skurril mutet es etwa an, wenn sich Politiker und Prominente auf Dächern versammeln, um die Schönheit von Atombombentests in der Wüste zu bewundern: “Die prächtige Pilzwolke prangte in Purpur und Rosa.”

Ellroy, wahrlich keine Edelfeder

Ellroy ist keine Edelfeder, er ist ein Poet des Rabiaten, des Rohen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt, was und wie es ihm beliebt, politische Korrektheit ist ihm ein Gräuel. So übertrieben seine Beschreibungen Hollywoods als reiner Sündenpfuhl auch sein mögen, bietet gerade diese Überzeichnung bis ins Absurde letztlich auch eine Möglichkeit zur Annäherung an die Wirklichkeit.

Letztlich ist Ellroys Rückgriff auf das Purgatorium als Ort der Beichte ein genialer Zug. Was wird Otash erzählen oder erfinden, um aus dem Fegefeuer erlöst zu werden? Was davon ist wahr, was halb wahr, was komplette Fiktion? Fragen, die sich aufdrängen, zumal Otash sich selbst bereits zu Lebzeiten immer wieder als Verräter und jämmerlicher Polizeispitzel bezeichnet. So viel Otash auch erzählen mag, endgültige Antworten auf den möglichen Wahrheitsgehalt des Erzählten gibt es nicht.

“Allgemeine Panik” ist vermutlich keines von Ellroys besten Büchern, aber es ist ein abgründiges, verstörendes, zutiefst schurkisches und letztlich auch Spaß machendes Stück Kriminalliteratur.

7 von 10 Punkten

James Ellroy: “Allgemeine Panik”, übersetzt von Stephen Tree, Ullstein Verlag, 430 Seiten.

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André Pilz: Morden und lügen

(c) Suhrkamp Verlag

Es ist eine Weile vergangen seit “Der anatolische Panther”. Mit diesem ungewöhnlichen Underdog-Krimi hat mich der Vorarlberger André Pilz vor sechs Jahren so richtig begeistert. Seitdem ist offenbar auch im Leben des Schriftstellers einiges geschehen, denn er schreibt nicht mehr für den Haymon Verlag, sondern für den prestigeträchtigen Suhrkamp Verlag. Dessen Herausgeber der Krimireihe, Thomas Wörtche, steckt da wohl dahinter. Nun liegt mit “Morden und lügen” jedenfalls endlich wieder ein Thriller von Pilz vor. Soviel vorweg: Er muss keinen Vergleich mit namhaften heimischen Krimiautoren scheuen.

Hauptfigur Jan, ein Autor in einer veritablen Schaffenskrise, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Und gleich zu Beginn hat man ein wenig das Gefühl, Pilz schreibe über seine eigenen Erfahrungen mit den Schattenseiten des Schriftstellerdaseins: “Ich konnte nur so lange davon leben, solange ich konzentriert arbeitete, etwas schrieb, das ich verkaufen konnte. Und im Moment wollte man mein Zeug nicht mal geschenkt.” Tatsächlich muss diese Ungewissheit belastend sein. “Ich balancierte ohne Sicherheitsnetz, und sollte ich fallen, war alles aus und vorbei und ich würde mich mit Schulden wiederfinden und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Jobs annehmen müssen, die ich hasste.”

Wollen wir hoffen, dass das niemals der Fall sein wird! Denn Pilz ist ein verdammt guter Autor. Aber worum geht es? Vor sechzehn Jahren wurde die Studentin Angelika vor ihrem Wohnheim in einer österreichischen Universitätsstadt getötet. Nun taucht plötzlich die Mutter der Toten auf und bezichtigt Jan, mehr über die Tat zu wissen, als er zugibt.

Ein unzuverlässiger Erzähler

Pilz bedient sich bei seiner Erzählung des Stilmittels des unzuverlässigen Erzählers. Kann man Jan, der auch mal schnell aus der Fassung gerät, trauen? Ist er wirklich unschuldig? Was weiß er? Diese Fragen stellt sich auch Haddah, Bloggerin mit Migrationshintergrund und heimliche Heldin der Geschichte. Die selbstbewusste junge Frau ist an den Hintergründen des Todes zweier Afrikaner interessiert, die ein halbes Jahr nach der Studentin fast ohne Wahrnehmung der Öffentlichkeit von einer Polizistin getötet wurden. Ein typischer Fall im Drogenmilieu eben, so hat es den Anschein. Schon bald aber stellt sich die Frage: Hängen die beiden Geschehnisse zusammen?

Was als durchaus üblicher Thriller über eine mutmaßliche Beziehungstat beginnt, wird zunehmend facettenreicher, denn Pilz greift auch die Themen Polizeigewalt und Rassismus auf. Was mir besonders gut gefällt, ist seine Sichtweise. Im Zentrum seiner Geschichten stehen nicht die Ermittler, sondern Menschen, die nicht ganz in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. In “Morden und lügen” fasziniert vor allem der Charakter von Haddah. Mit ihr würde man sich auch gern mal einen verbalen Schlagabtausch liefern. Wobei: Man hätte keine Chance gegen sie!

Ich brauche keine verzwickten, rätselhaften High-Society-Morde. Ich lese lieber über Außenseiter und an den Rand Gedrängte. Gut gefallen hat mir auch, dass Jan ein sehr ambivalenter Charakter ist. So richtig sympathisch wird einem dieser Kerl nicht. Er wirkt dadurch dem Leben entsprungen. “Der anatolische Panther” hat mich noch eine Spur mehr beeindruckt, aber wie auch immer: Kein zweiter österreichischer Krimiautor erzählt so wunderbare Underdog-Geschichten. Und hoffen wir, dass es nicht wieder sechs Jahre dauert, bis es etwas von Pilz zu lesen gibt.

7 von 10 Punkten

André Pilz: “Morden und lügen”, Suhrkamp Verlag, 304 Seiten.

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