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James Ellroy: Allgemeine Panik

(c) Ullstein Verlag

Unglaublich eigentlich, aber seit ich diesen Blog hier betreibe, habe ich offenbar kein Buch von Krimi-Ikone James Ellroy besprochen. Mein Lieblings-Ellroy ist “Ein amerikanischer Thriller”, aber den habe ich bereits vor vielen, vielen Jahren gelesen. Sein neuester Kriminalroman “Allgemeine Panik” widmet sich – wieder einmal – dem Hollywood der 1950er-Jahre und zeigt dessen wenig glamouröse Seite. Das Buch zeigt auch sehr gut: Ellroy ist und bleibt ein Meister des Rabiaten.

“Ich arbeite für jeden, außer für Kommunisten. Und tue alles, bis auf Mord.” So lautet Freddy Otashs Lebensmotto. Bloß sagt er nur die halbe Wahrheit, denn einer dieser beiden Sätze stimmt nicht, wie man im Verlauf der Geschichte von “Allgemeine Panik” schon bald feststellen wird. Otash, der wirklich gelebt hat, ist eine typische James-Ellroy-Figur: Der Expolizist und nunmehrige Privatermittler war ein selbstbezogener, brutaler und sexbesessener Kerl, der sich im Los Angeles der 1950er-Jahren für keinen schmutzigen Job zu schade war. Für das Schundblatt “Confidential”, gegen das heutige Klatschmagazine wie Bibeln guten Geschmacks anmuten, schnüffelte er skrupellos Prominenten hinterher, horchte diese ab und scheute vor Bestechung und Erpressung nicht zurück. Zu seinen Opfern zählten angeblich Marilyn Monroe, Frank Sinatra sowie der spätere US-Präsident John F. Kennedy.

Willkommen im Fegefeuer

Der betagte, aber alles andere als altersmilde US-Autor lässt Ich-Erzähler Otash zu Beginn des Buches im Fegefeuer sitzen, aus dem dieser sich nur befreien kann, wenn er endlich die Wahrheit offenbart: “Seit achtundzwanzig Jahren stecke ich in diesem beschissenen Elendsloch fest. Und jetzt will man mir weismachen, ich könne mir durch schonungslose Offenlegung meiner Missetaten einen Weg nach draußen schreiben.”

Also packt Otash, der auch das Vorbild für Jack Nicholsons Rolle als Jack Gittes in “Chinatown” gewesen sein soll, aus und beichtet die Sünden seines Lebens. Was folgt, ist ein wilder Ritt durch ein wenig glamouröses Hollywood, sehr viel Sex inklusive. Die Schauspieler Marlon Brando, James Dean, Rock Hudson, Burt Lancaster würden sich bei der Lektüre wohl im Grab umdrehen – wie auch der spätere US-Präsident John F. Kennedy, der aufgrund seiner mangelnden Ausdauer beim Sexualakt abschätzig als Zwei-Minuten-Mann tituliert wird. Elizabeth Taylor und weitere Filmdiven werden ebenfalls wenig schmeichelhaft porträtiert.

Man kann Ellroys Buch als wahllose Aneinanderreihung von Obszönitäten und ungezügelten Gewaltausbrüchen (“An meiner Seele klebte Blut, an meinem Totschläger lose Zähne”) lesen, doch entwickelt dieses unweigerlich einen ganz eigenen Sog. All die realen Persönlichkeiten und fiktiven Figuren, für deren Übersichtlichkeit ein Glossar durchaus hilfreich wäre, die unzähligen Nebenschauplätze und historischen Hintergründe lassen ein ungezügelt mäanderndes Panoptikum entstehen, das seinesgleichen sucht. Skurril mutet es etwa an, wenn sich Politiker und Prominente auf Dächern versammeln, um die Schönheit von Atombombentests in der Wüste zu bewundern: “Die prächtige Pilzwolke prangte in Purpur und Rosa.”

Ellroy, wahrlich keine Edelfeder

Ellroy ist keine Edelfeder, er ist ein Poet des Rabiaten, des Rohen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt, was und wie es ihm beliebt, politische Korrektheit ist ihm ein Gräuel. So übertrieben seine Beschreibungen Hollywoods als reiner Sündenpfuhl auch sein mögen, bietet gerade diese Überzeichnung bis ins Absurde letztlich auch eine Möglichkeit zur Annäherung an die Wirklichkeit.

Letztlich ist Ellroys Rückgriff auf das Purgatorium als Ort der Beichte ein genialer Zug. Was wird Otash erzählen oder erfinden, um aus dem Fegefeuer erlöst zu werden? Was davon ist wahr, was halb wahr, was komplette Fiktion? Fragen, die sich aufdrängen, zumal Otash sich selbst bereits zu Lebzeiten immer wieder als Verräter und jämmerlicher Polizeispitzel bezeichnet. So viel Otash auch erzählen mag, endgültige Antworten auf den möglichen Wahrheitsgehalt des Erzählten gibt es nicht.

“Allgemeine Panik” ist vermutlich keines von Ellroys besten Büchern, aber es ist ein abgründiges, verstörendes, zutiefst schurkisches und letztlich auch Spaß machendes Stück Kriminalliteratur.

7 von 10 Punkten

James Ellroy: “Allgemeine Panik”, übersetzt von Stephen Tree, Ullstein Verlag, 430 Seiten.

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50 Jahre JFK-Attentat: Neun Krimi-Tipps

(c) Heyne

(c) Heyne

Am Freitag jährt sich das Attentat auf den US-Präsidenten John F. Kennedy zum 50. mal. Nach wie vor beschäftigt das “ballistische Jahrhunderträtsel” Experten und Pseudoexperten. Auch die Frage danach, wer Interesse am Tod von JFK hatte, lässt Verschwörungstheorien ungebremst blühen. Ich will mich hier aber der fiktiven Zuwendung zum Thema widmen und zeigen, welche herausragenden Werke der Kriminalliteratur die Geschehnisse vom 22. November 1963 hervorgebracht haben.

Ich habe dazu versucht, gewissenhaft die spannendsten Bücher zusammenzusuchen. Ich habe einen Großteil der Bücher gelesen, aber natürlich nicht alle. Für alle, die der Mythos Kennedy nicht loslässt und die sich ihm von kriminalliterarischer Seite nähern wollen, hier jedenfalls meine Tipps (geordnet nach alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen).

Don DeLillo: “Sieben Sekunden”

DeLillo hat in seinem Buch nicht die Wahrheit gepachtet. Im Gegenteil. “DeLillo kleistert das Dunkel dieses geschichtlichen Augenblicks nicht zu. Seine lakonische, durch Detailgenauigkeit und Aussparungen gekennzeichnete Sprache und seine parataktische Erzählweise schaffen Distanz, so daß die schwarzen Löcher der Geschichte spürbar werden. Schweigen umhüllt seine Figuren wie eine zweite Haut”, schrieb die “Die Zeit” treffend bei Erscheinen des Romans im Jahr 1991. An diesem Buch führt fast kein Weg vorbei.

James Ellroy: “Ein amerikanischer Thriller”

“James Ellroy spinnt Amerikas Jahrhundert-Trauma als Krimi-Fiktion fort – und liefert das bisher wüsteste Verschwörungsszenario zum Kennedy-Attentat”, urteilte “Der Spiegel” 1997 bei Erscheinen von Ellroys Thriller. Für mich zählt das Buch zu einem der besten des Autors.

(c) Pocket Books

(c) Pocket Books

Stephen Hunter: “The Third Bullet”

Hunters Anfang des Jahres 2013 erschienener Scharfschützen-Thriller wurde bislang nicht auf Deutsch übersetzt. Es ist aber ausgerechnet Hunter, der im Nachwort zu seinem Thriller auf weiterhin ungeklärte Widersprüche im Fall des JFK-Attentats hinweist: Der Waffenexperte und ehemalige “Washington Post”-Journalist hält es schlicht für unmöglich, dass Kennedy mit Oswalds Mannlicher-Carcano-Gewehr erschossen wurde (hier zu seiner Begründung).

Christopher Hyde: “Die Weisheit des Todes”

Hyde wiederum hat einen ganz eigenen Zugang gefunden. Er lässt seinen Thriller um den in Dallas ermittelnden Polizisten Ray Duval – der einen Serienmörder sucht, der farbige Mädchen tötet – ausgerechnet kurz vor und nach der Ermordung des US-Präsidenten spielen. Duval versucht sich von der allgemeinen Hektik nicht anstecken zu lassen und ist der Einzige, dem die Mädchen wichtig sind. Er wird dabei auch Augenzeuge der Ermordung von Lee Harvey Oswald durch Jack Ruby.

Stephen King: “Der Anschlag”

Stephen Kings “Der Anschlag” ist eine klassische Was-wäre-wenn-Geschichte. In diesem Fall: Was wäre, wenn JFK nicht erschossen worden wäre. “Mit “Der Anschlag” erbringt Stephen King einen weiteren Beweis, dass er einer der großen Erzähler ist”, urteilte im Vorjahr “Die Presse”. King beweise drei Dinge, schrieb meine hochgeschätzte Kollegin Doris Kraus: “Er ist einer der fesselndsten lebenden Erzähler, er beherrscht auch andere Sujets als Horror und er ist mittlerweile ein wunderbarer Chronist Amerikas – des gegenwärtigen und auch des vergangenen.”

Robert Littell: “Tag und Nacht”

Auch Spionage-Großmeister Robert Littell ist am Thema JFK nicht vorbeigekommen. Er ist ein Meister der Vermischung von Fakten und Fiktion. Zum Buch (Verlagstext): Francis und Carroll, genannt “die Schwestern Tod und Nacht”, sind mit allen Wassern gewaschene Agenten der CIA. Wieder einmal planen sie die Ermordung einer missliebigen politischen Persönlichkeit: Im Visier ist US-Präsident John F. Kennedy. Die Schuld wollen sie dem KGB in die Schuhe schieben. Doch dann setzt ein ehemaliger sowjetischer Geheimdienstoffizier alles daran, ihre Pläne zu durchkreuzen. Ein unerbittlicher Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Norman Mailer: “Feinde”

“Norman Mailer hat mit seinem Buch einen spannenden Beitrag zur Diskussion über den Kennedy-Mord geleistet”, urteilte 1996 die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Fügte aber auch hinzu: “Mitunter wünscht sich der Leser aber, der Autor hätte sich doch etwas mehr auf die Indizienklauberei seiner Kollegen eingelassen. (…) So hinterlässt das abschließende Urteil Norman Mailers einen leicht schalen Nachgeschmack.” Ich habe das damals beim Lesen ähnlich empfunden. Die eigentliche Stärke seines Epos der geheimen Mächte liegt aber in der beeindruckenden Gesamtdarstellung der CIA.

Charles McCarry: “Tränen des Herbsts”

Der amerikanische LeCarré war der erste ernstzunehmende Autor, der die Ermordung des US-Präsidenten auf literarischem Weg aufzuarbeiten versuchte. Es habe zehn Jahre gebraucht, bis es genug Abstand gegeben habe, sagte der Autor auch einmal selbst. Sein Buch gilt bis heute als ein Meisterwerk des Genres (mehr dazu…).

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Don Winslow: “Manhattan”

Und ausgerechnet mein momentaner Lieblingsautor Don Winslow hat bereits vor vielen Jahren einen Krimi über JFK – allerdings nicht über dessen Ermordung – geschrieben. Das Buch ist heuer wiederaufgelegt worden. Leider bin ich bis jetzt nicht dazugekommen, “Manhattan” zu lesen. “‘Manhattan’, dieses frühe Meisterwerk Winslows, ist ein Spionageroman der alten Schule, präzise konstruiert, sauber erzählt und voller Sätze, die man beglückt ein zweites und drittes Mal liest, bis man sie endlich auswendig kennt”, schwärmte Marcus Müntefering auf “Spiegel Online”. Die Krimi-Kolumne “Killer & Co.” hingegen warf Winslow eine “gewisse unterkühlte Eitelkeit” vor, während auch “zeilenkino” das Buch als “eleganten und altmodischen Thriller mit wohl komponierten Sätzen” lobte.

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