
Es ist eine Weile vergangen seit “Der anatolische Panther”. Mit diesem ungewöhnlichen Underdog-Krimi hat mich der Vorarlberger André Pilz vor sechs Jahren so richtig begeistert. Seitdem ist offenbar auch im Leben des Schriftstellers einiges geschehen, denn er schreibt nicht mehr für den Haymon Verlag, sondern für den prestigeträchtigen Suhrkamp Verlag. Dessen Herausgeber der Krimireihe, Thomas Wörtche, steckt da wohl dahinter. Nun liegt mit “Morden und lügen” jedenfalls endlich wieder ein Thriller von Pilz vor. Soviel vorweg: Er muss keinen Vergleich mit namhaften heimischen Krimiautoren scheuen.
Hauptfigur Jan, ein Autor in einer veritablen Schaffenskrise, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Und gleich zu Beginn hat man ein wenig das Gefühl, Pilz schreibe über seine eigenen Erfahrungen mit den Schattenseiten des Schriftstellerdaseins: “Ich konnte nur so lange davon leben, solange ich konzentriert arbeitete, etwas schrieb, das ich verkaufen konnte. Und im Moment wollte man mein Zeug nicht mal geschenkt.” Tatsächlich muss diese Ungewissheit belastend sein. “Ich balancierte ohne Sicherheitsnetz, und sollte ich fallen, war alles aus und vorbei und ich würde mich mit Schulden wiederfinden und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Jobs annehmen müssen, die ich hasste.”
Wollen wir hoffen, dass das niemals der Fall sein wird! Denn Pilz ist ein verdammt guter Autor. Aber worum geht es? Vor sechzehn Jahren wurde die Studentin Angelika vor ihrem Wohnheim in einer österreichischen Universitätsstadt getötet. Nun taucht plötzlich die Mutter der Toten auf und bezichtigt Jan, mehr über die Tat zu wissen, als er zugibt.
Ein unzuverlässiger Erzähler
Pilz bedient sich bei seiner Erzählung des Stilmittels des unzuverlässigen Erzählers. Kann man Jan, der auch mal schnell aus der Fassung gerät, trauen? Ist er wirklich unschuldig? Was weiß er? Diese Fragen stellt sich auch Haddah, Bloggerin mit Migrationshintergrund und heimliche Heldin der Geschichte. Die selbstbewusste junge Frau ist an den Hintergründen des Todes zweier Afrikaner interessiert, die ein halbes Jahr nach der Studentin fast ohne Wahrnehmung der Öffentlichkeit von einer Polizistin getötet wurden. Ein typischer Fall im Drogenmilieu eben, so hat es den Anschein. Schon bald aber stellt sich die Frage: Hängen die beiden Geschehnisse zusammen?
Was als durchaus üblicher Thriller über eine mutmaßliche Beziehungstat beginnt, wird zunehmend facettenreicher, denn Pilz greift auch die Themen Polizeigewalt und Rassismus auf. Was mir besonders gut gefällt, ist seine Sichtweise. Im Zentrum seiner Geschichten stehen nicht die Ermittler, sondern Menschen, die nicht ganz in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. In “Morden und lügen” fasziniert vor allem der Charakter von Haddah. Mit ihr würde man sich auch gern mal einen verbalen Schlagabtausch liefern. Wobei: Man hätte keine Chance gegen sie!
Ich brauche keine verzwickten, rätselhaften High-Society-Morde. Ich lese lieber über Außenseiter und an den Rand Gedrängte. Gut gefallen hat mir auch, dass Jan ein sehr ambivalenter Charakter ist. So richtig sympathisch wird einem dieser Kerl nicht. Er wirkt dadurch dem Leben entsprungen. “Der anatolische Panther” hat mich noch eine Spur mehr beeindruckt, aber wie auch immer: Kein zweiter österreichischer Krimiautor erzählt so wunderbare Underdog-Geschichten. Und hoffen wir, dass es nicht wieder sechs Jahre dauert, bis es etwas von Pilz zu lesen gibt.
7 von 10 Punkten
André Pilz: “Morden und lügen”, Suhrkamp Verlag, 304 Seiten.