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“American Sniper” – bloß ein Affe mit Waffe

(c) riva

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“American Sniper” Chris Kyle wird gern als der “most lethal sniper” der US-Militärgeschichte bezeichnet. 160 tödliche Abschüsse (ja, das ist ein schlimmes Wort) sind bestätigt, über 255 im Bereich des Möglichen. Sein Leben wurde soeben von Clint Eastwood verfilmt und mit sechs Oscar-Nominierungen geehrt. Auf Deutsch sind auch Kyles Erinnerungen als Buch erschienen. Der von mir hochgeschätzte Alf Mayer hat nun auf crimemag Film und Buch zerrissen, er spricht von “Propaganda für den Hass”. Ich kann das verstehen – so kann man das sehen und lesen.

Für mich sind aber Film und Buch vor allem eines: entlarvend. Im Buch sieht sich Kyle als Kämpfer gegen das “wilde, verachtenswerte Böse”. Deshalb bezeichnet er die Iraker in seinem Buch auch generell als Wilde und bad guys. Kyle gibt vor, dass ihm die genaue Zahl der von ihm getöteten Iraker nicht wichtig sei – gleichzeitig prahlt er: “Ich wünschte nur, ich hätte mehr getötet”. Er offenbart sich als jemand, der Spaß am Töten hat. Als sein perverser Abschussrekord kurzzeitig in Gefahr gerät, erschießt er eben jeden Iraker, der ihm vor das Zielfernrohr läuft. Sein Buch ist schlicht kriegsverheerlichend.

Diesen Vorwurf will ich Clint Eastwoods Film nicht machen. Aus seiner Sicht hat er einen Antikriegsfilm gemacht: Denn “American Sniper” zeigt, was Krieg mit Angehörigen und Familien macht. Das glaube ich ihm. Bloß wäre das zu einfach, denn der Film lässt sich auf sehr unterschiedliche Weise lesen. Das Problem liegt schon allein darin, das Leben dieses gottgläubigen und schwer selbstgerechten Chris Kyle zu verfilmen. Denn er ist nicht der Held, der amerikanische Leben rettet, indem er Iraker tötet. US-Army-Scharfschütze Garret Reppenhagen, ein Kollege von Kyle sozusagen, warnt daher. Krieg nur durch Kyles Augen zu sehen, greife zu kurz, schreibt er bei “Salon”. Er selbst habe die Iraker niemals als Wilde betrachtet. Sie hätten vielmehr eine freundliche Kultur, die an Gastfreundschaft glaube. Es sei traurig, dass die kurzsichtige Darstellung von Irakern dazu führe, dass noch mehr Leute Araber fürchten und Gewalt gegen sie glorifizieren. Er selbst sieht sich als Scharfschütze als Verursacher von Gewalt und Tod. Während Kyle seine posttraumatische Belastungsstörung darauf zurückführt, dass er nicht noch mehr US-Soldaten habe retten können, meint Reppenhagen, dass der posttraumatische Stress, mit dem er zu kämpfen habe, auf die Untaten der Amerikaner (Abu Ghraib) zurückzuführen sei.

Der bekannteste Scharfschütze, der nie einen Menschen tötete

(c) Fischer

(c) Fischer

Interessant ist es in diesem Zusammenhang auch, was Anthony Swofford (Autor von “Jarhead”, gleichnamig von Hollywood verfilmt) zu Chris Kyle meint. Denn Swofford ist das Gegenteil von Chris Kyle: Er ist der wohl bekannteste Scharfschütze der Welt, der niemals einen Menschen getötet hat (wie auch im Buch zu lesen und im Film zu sehen ist). Er sieht bei Chris Kyle das Dilemma eines Mannes, der “larger than life” ist. Er spricht vom “Mythos des kompletten und fehlerlosen Helden, eines Mannes, der nicht nur die bösen Kerle tötet, sondern auch die guten Kerle rettet.” Krieg sei jedoch niemals so einfach: “Aber als Nation wollen wir es simpel und rein. Und wir wollen auch unsere Helden auf diese Weise.”

Swofford ist bis zur Unerträglichkeit ehrlich. “Wenn du ein Marine sein willst, ein echter Marine, dann musst du töten”, schreibt er in seinen Erinnerungen. “Du hältst dich für einen schlechten Marine und sogar für einen schlechten Menschen, weil du niemanden im Kampf getötet hast.” Er habe Jahre gebraucht, um damit fertig zu werden. Das zeigt gut, wie diese Krieger denken und was Krieg aus Menschen macht. Also auch der Scharfschütze, der niemanden tötete, hatte mit seinen eigenen Geistern zu kämpfen.

Nun kann man “American Sniper”, den Film, als gefährliches hurrapatriotisches Machwerk sehen. Ich habe ihn aber anders wahrgenommen. Denn er zeigt auch, wie die US-Soldaten im Irak wirklich aufgetreten sind: Nicht als Befreier, sondern als angstmachende Besatzungsmacht. Dass Kyles Einheit das Totenkopf-Logo des Comic-Helden “The Punisher” (einen Selbstjustiz übenden selbsternannten Verbrecherjäger) trägt, hat mich dabei am meisten schockiert. Kyle schreibt darüber in seinem Buch: “Wir alle dachten, was der Punisher macht, ist cool: Er richtet Übeltäter. Er tötet die Bösewichte. Er sorgt dafür, dass ihn die Übeltäter fürchten.” Und: “We wanted people to know, we’re here and want to fuck with you. It was our version of psyops. You see us? We’re the people kicking your ass. Fear us. Because we will kill you, motherfucker.” Ich finde, hier malt Eastwood nicht schön. Er zeigt, dass vielen US-Soldaten die Zivilbevölkerung schlicht scheißegal war.

Kein Wunder, dröhnten sie sich mit Song wie “Bodies” (von Drowning Pool) vor Kampfhandlungen zu:

Let the bodies hit the floor

(…)

One – Nothing wrong with me
Two – Nothing wrong with me
Three – Nothing wrong with me
Four – Nothing wrong with me

“Bloß ein Affe mit einer Waffe”

Problematisch fand ich auch das erfundene Scharfschützen-Duell im Film. Kyle hat sich niemals mit “Mustafa”, wie der Scharfschütze auf irakischer Seite im Film heißt, duelliert. In seiner Autobiografie schreibt Kyle dazu: “I never saw him, but other snipers later killed an Iraqi sniper we think was him.” Darüber kann man zwar hinwegsehen, denn auch das Scharfschützen-Duell in “Duell – Enemy at the Gates” von Regisseur Jean-Jacques Annaud ist erfunden. Dennoch finde ich das gerade dann problematisch, wenn doch angeblich das wahre Leben dargestellt werden soll.

Was mich auch sehr verwundert hat: Dafür, dass es sich um ein Scharfschützen-Drama handelt, wird darauf kaum Bezug genommen. Kyle wird eher als vorbildhaft im Bodengefecht kämpfender Soldat gezeigt und weniger als eiskalter Killer auf Distanz auf dem Dach. Das ist widersprüchlich, aber mit der Heldengeschichte hätte das wohl nicht so funktioniert. Alf Mayer trifft es auf den Punkt: “Scharfschützentechnisch übrigens ist „American Sniper“ nur heiße Luft. Vom Präzisionshandwerk, das das treffsichere Schießen auf weite Distanz erfordert und durchaus seine Faszination hat, ist so gut wie nichts zu sehen.” Und: “Die Welt durch ein Zielfernrohr betrachtet, all die visuellen Möglickeiten von Fadenkreuz, Teleobjektiv, Schärfe, Unschärfe, Zoom und Tiefe des Raums, das Thema des Sehens selbst, blendet Eastwoods Film weitgehend aus, bleibt da filmisch völlig belanglos.”

Jetzt ist dieser Beitrag wesentlich länger geworden als gedacht. Aber ich gebe zu, ich befasse mich schon lange mit der problematischen Rolle von Scharfschützen (die ja eigentlich verabscheut werden – nicht umsonst werden sie als Heckenschützen bezeichnet) und ihrem erschreckenden und erschreckend faszinierenden Handwerk.

(c) Heyne

(c) Heyne

Chris Kyle selbst hat übrigens den US-Soldaten Carlos Hathcock als den größten Scharfschützen aller Zeiten bezeichnet. Hathcock war als “Weiße Feder” im Vietnamkrieg gefürchtet. “I have more kills, but that does not mean, I’m better than he is”, sagte Kyle bei Conan O’Brien. “Ich bin bloß ein Affe mit einer Waffe”, scherzte er. Denn er habe im Gegensatz zu Hathcock ballistische Computer verwendet. Wer sich für Hathcock interessiert: Vor vielen Jahren ist seine Biografie “Todesfalle. Die wahre Geschichte eines Scharfschützen in Vietnam” auch auf Deutsch erschienen. Es war mein Einstieg in die Welt der Scharfschützen.

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