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Don Winslow: Broken

(c) HarperCollins

Mit seiner epischen Drogentrilogie (“Tage der Toten”, “Das Kartell”, “Jahre des Jägers”) hat Don Winslow seinen Ruf als einer der besten Thriller-Autoren unserer Zeit gefestigt. Dass er aber nicht nur bis zur Unerträglichkeit realistische Bücher schreiben kann, beweist er eindrucksvoll mit “Broken”: sechs Kurzgeschichten, jeweils um die 80 bis 90 Seiten lang.

Ausgerechnet die erste und titelgebende Geschichte, “Broken”, ist die schwächste. Sie liest sich wie eine Kurzfassung seines Cop-Thrillers “Corruption”. Hier begibt sich der Polizist Jimmy McNabb auf einen gnadenlosen Rachefeldzug. Brutal, so könnte man das Auftaktstück mit einem Wort beschreiben. Davon sollte man sich allerdings nicht abschrecken lassen.

Denn bereits die zweite Geschichte, “Crime 101”, die er Schauspiel-Legende Steve McQueen gewidmet hat, zeigt ihn von einer ganz anderen Seite. Juwelendieb Davis begeht all seine Raubzüge nur auf dem Highway 101 und folgt dabei einem strikten Verbrecher-Kodex. Das liest sich wunderbar altmodisch. Man würde sich hier einen Roman in voller Länge wünschen.

In “San Diego Zoo” zeigt sich Winslow, der die Geschichte seinem Vorbild Elmore Leonard gewidmet hat, von seiner komischen Seite. Der Schimpanse, der mit einem Revolver die Stadt unsicher macht und der junge, beherzte Polizist Chris Shea, der sich deshalb zum Esel macht – das bleibt in Erinnerung.

In “Sunset” wiederum, das Raymond Chandler gewidmet ist, tritt nicht nur eine seiner Kultfiguren, der Kopfgeldjäger Boone Daniels, auf. Er lässt ihn auch mit einer weiteren einprägsamen Charakter seines schreiberischen Universums, dem in die Jahre gekommenen ehemaligen Meisterdetektiv Neal Carey, aufeinanderprallen.

Wirkt die Zusammenführung der beiden Figuren ein wenig erzwungen, so funktioniert dies in “Paradise” umso besser. Ben, Chon und O., bekannt aus den unkonventionellen und sprachlich sprühenden Kriminalromanen “Zeit des Zorns” (verfilmt von Oliver Stone) und “Kings of Cool”, versuchen sich mit ihrem florierenden Marihuana-Business auf Hawaii zu etablieren. Dass auch “Frankie Machine” und “Bobby Z” aus den gleichnamigen Romanen ihre Auftritte haben, macht wirklich Spaß. Das ist eine gelungene Geschichte für Fans.

Zu Höchstform läuft Winslow aber mit seinem Schlussstück “The Last Ride” auf. Bereits der erste Satz packt zu: “Als er das Kind zum ersten Mal sah, war es in einem Käfig.” Die Rede ist zwar von einem “Auffanglager” an der US-mexikanischen Grenze, doch Grenzschützer Cal Strickland findet dafür keine andere Bezeichnung, denn “wenn man einen Haufen Menschen hinter einem Maschendrahtzaun einpfercht, dann ist es ein Käfig.” Man kann die Kurzgeschichte als Anklage gegen die Trump-Regierung begreifen. Und tatsächlich ist der Autor ein lautstarker Kritiker der Trump-Adminstration. Man kann “The Last Ride” aber auch als eine Essenz all dessen lesen, was Winslow je geschrieben hat. Humanität in Zeiten größter Ungerechtigkeit – es ist die zentrale Frage, die den Schriftsteller umtreibt.

Don Winslow: “Broken”, übersetzt von U. Wasel, K. Timmermann, J. Stefanidis, P. Friedrich, K. Fricke, HarperCollins, 512 Seiten.

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Don Winslow: Jahre des Jägers

(c) Droemer Verlag

Mit “Tage der Toten” hat Don Winslow Anfang der 2000er-Jahre neue Maßstäbe im Krimi-Genre gesetzt. Realismus pur, bis an die Schmerzgrenze – und darüber hinaus. Durch seine Erzählweise aus vielen Perspektiven machte er den globalen Drogenkrieg am Beispiel Mexikos begreifbar, vom kleinsten Rädchen im Getriebe bis zum einflussreichen Drogenboss, vom Fahnder bis zum Killer. Besser als jedes Sachbuch legte Winslow die Mechanismen und Logiken des Drogenkrieges offen und überzeugte darüber hinaus durch präzise Charakterstudien sowie einen ausgeklügelten Plot bis zur letzten Wendung.

In “Das Kartell”, dem im Jahr 2015 erschienenen zweiten Teil seiner rund 2500 Seiten umfassenden Drogen-Trilogie, litt die Geschichte, weil er versuchte, jedem einzelnen Opfer der brutalen Exzesse in Mexiko gerecht zu werden. Phasenweise las sich das Buch wie eine Chronik all der Grauslichkeiten des Drogenkriegs. Ein sehr ehrbares, literarisch aber etwas enttäuschendes Unterfangen.

Nun erzählt der Winslow im abschließenden Teil erneut von den mächtigen mexikanischen Drogenkartellen, deren Aufstieg seiner Meinung nach aber erst die USA ermöglicht haben. “Welcher Schmerz sitzt so tief im Herzen der amerikanischen Gesellschaft, dass wir zu Drogen greifen, um ihn zu lindern?”, fragt der legendäre Drogenfahnder Art Keller, der in “Jahre des Jägers” zum Chef der Drogenbehörde DEA aufsteigen wird. Winslow hasst die Scheinheiligkeit, wenn von einem „mexikanischen Drogenproblem“ die Rede ist. “Wir alle sind das Kartell”, heißt es. Der Krieg gegen die mexikanischen Bosse ist, obwohl Keller die Spitze der Karriereleiter erreicht hat, nicht leichter geworden. Ganz im Gegenteil, nun führt er auch Krieg gegen die eigene Regierung. “Aber eigentlich ist beides dasselbe.”

Meiner Meinung nach ist es Winslow gelungen, zur Qualität seines Meisterwerks “Tage der Toten” zurückzukehren. Wenn man die unnötigen Actionszenen am Anfang und Ende des fast 1000-seitigen Buches weglässt, dann überzeugt Winslow in allen Belangen. Er erzählt vom Kampf der US-Drogenfahnder gegen die mexikanischen Kartelle, obwohl die Feinde oft im eigenen Land zu sitzen scheinen: an den politischen und finanziellen Machthebeln im Weißen Haus und an der Wall Street.

Seitenhiebe auf US-Präsident Trump

Winslows Stärke ist es, aus den vielen kleinen und schnell vergessenen Meldungen, die man aus den Nachrichten kennt, ein hoch empathisches Werk (im Gegensatz zu “Das Kartell”), ein wahres gesellschaftliches Panorama zu machen. Es ist ein wenig schmeichelhaftes Porträt der von einer Opioid- und Heroin-Epidemie heimgesuchten USA. Er zeigt, wie das Leben eines kleinen Flüchtlingsbuben aus Guatemala, der illegal in die USA gelangt, mit jenem einer Heroinsüchtigen aus dem US-Mittelstand und dem eines New Yorker Undercover-Polizisten zusammenhängt. Gekonnt lässt er die drei Figuren dann auch kurz vor Schluss aufeinanderprallen.

Kontroversiell ist es sicher, dass Winslow sich in “Jahre des Jägers” so politisch wie nie zuvor zeigt. Dass er ein Verfechter einer Legalisierung der Drogen ist, weiß man schon länger – damit würde den Kartellen ihr Geschäftsmodell entzogen. Doch nun lässt er seine Figur Keller einen offenen Feldzug gegen den fiktiven US-Präsidentschaftskandidaten John Dennison, unschwer als Donald Trump erkennbar, führen. Das wird sicher nicht jeder mögen.

Ich habe mich auch lange gefragt, ob ich das gut finde. Denn es ist mehr als offensichtlich, dass Winslow ein massives Problem mit Trump hat. Das kann jeder auf Twitter nachlesen, dort attackiert der Autor täglich den realen Präsidenten. Ich sehe diesen Trend, dass Krimiautoren offen politisch schreiben, an sich ziemlich ambivalent. Natürlich können und sollen Krimiautoren politische Menschen sein und auf üble gesellschaftliche und politische Zustände aufmachen. Aber wenn die Vermittlung politischer Botschaften zunehmend wichtiger wird als der Kriminalroman selbst, dann habe ich ein Problem damit. Hier hat es mich aber nicht gestört, weil Winslow einfach wieder sehr lebensnah von den Drogen und ihren vielseitigen Auswirkungen auf die Gesellschaft erzählt. Natürlich macht sich Winslow mit seinen Trump-Seitenhieben angreifbar. Das kann seinem Buch schaden und von dessen eigentlichen Qualitäten ablenken. Aber die von ihm geschilderten Verflechtungen von schmutizgem Geld mit Politik und Finanzwelt sind ja andererseits nicht sehr weit hergeholt.

9 von 10 Punkten

Don Winslow: “Jahre des Jägers”, übersetzt von Conny Lösch, 991 Seiten, Droemer Verlag.

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Don Winslow: Corruption

(c) Droemer

Um es in seinem typisch stakkatoartigen Stil zu schreiben: US-Krimiautor Don Winslow ist zurück. Wuchtvoll. Eindringlich. Erschütternd.

Die durchaus vernachlässigbaren Lückenfüller “Vergeltung” und “Germany” (beide auf Englisch übrigens niemals erschienen) sind nach wenigen Seiten vergessen. “Corruption” ist ein harter Kriminalroman über “Dirty Cops” in New York City. Denny Malone ist ein altgedienter Detective einer Polizei-Eliteeinheit in North Manhattan. Er selbst fühlt sich im Viertel wie ein König. Doch der strahlende Held ist korrupt bis auf die Knochen. Er nimmt ohne Bedenken Geld, auch vor Drogen und Mord schreckt er nicht zurück. Er befindet sich auf einem selbstherrlichen und selbstzerstörerischen Trip.

Das Buch hat vielleicht nur einen Fehler: Winslow übertreibt maßlos. Denn nach der Lektüre fragt man sich, ob es überhaupt möglich ist, als Polizist des New Yorker Police Department sauber zu bleiben.

Wie es so weit kommen kann? “Die Cops sehen, was passiert. Jeden Tag und jede Nacht. Die Verletzten, die Toten”, schreibt Winslow. Das verändert sie. Es beginnt mit dem Hass gegen die Täter. Doch dabei bleibt es nicht. Fühlen sie zuerst noch mit den Opfern von Gewalttaten, beginnen sie irgendwann, auch diese zu hassen: “Warum sind die so wehrlos, warum sind die so schwach, warum leben die in diesen Verhältnissen, warum gehen die in eine Gang, warum werden die Dealer, warum erschießen die sich gegenseitig ohne jeden Grund . . . warum benehmen die sich alle wie die Tiere?”

Und so kommt es, dass sich die Polizisten selbst irgendwann wie Tiere benehmen. Sie halten es nur mehr unter ihresgleichen aus. Niemand anderer versteht sie. Das Wandeln zwischen den Welten wird zunehmend unerträglicher. Der Alltag mit der Familie erscheint verlogen.

“Von Razzien, Festnahmen, Verfolgungsjagden über Dächer und Höfe zurückkommen, vollgepumpt mit Speed, Adrenalin, Angst und Wut, um hier in einem der braven Reihenhäuser Domino, Monopoly oder Pfennigpoker zu spielen?”

Es erscheint unvorstellbar, aber Malone sehnt sich zurück auf die Straßen, “in das heiße, stinkige, lärmende, gefährliche, schräge, nervende, empörende Harlem mit richtigen Menschen, richtigen Ganoven, Junkies, Dealern, Huren”.

Das eigentlich Erschreckende an dem Thriller ist aber, dass es nicht nur ein Buch über korrupte Polizisten ist. Winslow legt vielmehr ein flächendeckendes System der Korruption offen, in dem der Polizist Malone nur ein kleines Rädchen ist. Vom Bürgermeister abwärts hat jeder Dreck am Stecken. Wird ein wichtiger Verbrecher geschnappt, gibt es immer irgendeinen Deal, mit dem man sich die Freiheit erkaufen kann. Jeder profitiert von dem System. Und irgendwann gelangt jeder – ob Richter, Staatsanwalt oder Strafverteidiger – zu der Frage: “Warum sollen nur die Bösewichter kassieren?”

So weit, so gut. Aber ich verstehe auch die Winslow-Kritiker, von denen Thomas Wörtche seinen Unmut wohl am härtesten formuliert: “Stimmt, “Corruption” ist keine Katastrophe mehr – es ist nur ein völlig belangloses Buch”, schreibt er. “Eingepackt ist das Ganze in eine Art Stadtführer von Manhattan (“Und hier sehen Sie das Apollo-Theater”) aus dem Zettelkasten, elend langen Diskursen, gerne auch in Dialogen, in denen sich die Figuren Fakten erzählen, die zur Information der Leser dienen und zu sonst gar nichts – über weite Strecken ist “Corruption” ein Sachbuch mit didaktischer Handlung minus jeder Art von Literarizität, worüber auch ein paar clever Action Sequenzen nicht wirklich hinweghelfen.”

Ich mag seinen faktenlastigen Stil dennoch. Wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann dass er mitunter vergisst zu erzählen, dass er sich zu sehr darauf konzentriert, dem jeweiligen brisanten Thema gerecht zu werden. Mit seinem Meisterwerk “Tage der Toten” hat er meiner Meinung nach die optimale Mischung erreicht. “Das Kartell” glich manchmal einer Aneinanderreihung jeder tödlichen Drogen-Metzelei, die es je in Mexiko gab. Das war zu viel. Nun wartet er auch in “Corruption” seitenweise mit Dialogen auf, in denen die Welt, wie sie Winslow versteht, erklärt wird. Und vielleicht sind es vor allem sein Hang zur Übertreibung sowie zu Archetypen, die sich von Buch zu Buch abnutzen.

8 von 10 Punkten

Don Winslow: “Corruption”, übersetzt von Chris Hirte, Droemer, 544 Seiten.

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Dagger Award 2016 für Don Winslow

(c) Droemer

(c) Droemer

Endlich hat Don Winslow seinen ersten Dagger Award gewonnen, der spätestens seit dem grandiosen “Power of the Dog” fällig war. Gratulation! Eigentlich unglaublich, dass er bis jetzt keinen Dagger einheimsen konnte.

Mit “Das Kartell” konnte er die Jury in der Kategorie “Bester Thriller” (“Ian Fleming Steel Dagger”) nun jedenfalls überzeugen. Trotz seiner zuletzt schwankenden Form (mehr dazu hier) ist dieser Preis absolut gerechtfertigt. Winslow fühlt sich jedenfalls geehrt:

 

Dass Adrian McKinty in dieser Kategorie mit “Rain Dogs” leer ausgeht, lässt sich vor allem dadurch verschmerzen, weil sein Buch im Jänner auf Deutsch erscheinen wird.

Wer ist Bill Beverly?

In der Hauptkategorie (“Gold Dagger”), hat Bill Beverly (“Dodgers”), von dem bislang nichts übersetzt wurde, gewonnen. Beverly hat auch in der Kategorie “New Blood Dagger” für den besten Newcomer gewonnen und wird relativ euphorisch mit Richard Price, Denis Johnson und J.D. Salinger verglichen. Inhaltlich geht es laut Verlag darum: It is the story of a young LA gang member named East, who is sent by his uncle along with some other teenage boys—including East’s hothead younger brother—to kill a key witness hiding out in Wisconsin. The journey takes East out of a city he’s never left and into an America that is entirely alien to him, ultimately forcing him to grapple with his place in the world and decide what kind of man he wants to become.

Den “CWA International Dagger” konnte übrigens Pierre Lemaitre, der bereits 2013 und 2015 erfolgreich war, mit “Wir sehen uns dort oben” gewinnen. Meine Kollegin Doris Kraus hat in der “Presse” darüber folgendes geschrieben:

“Pierre Lemaitre hat mit „Wir sehen uns dort oben“ einen wunderbar vielschichtigen Roman abgeliefert. Einerseits merkt man dem Buch die bisherige literarische Erfahrung des Autors als Krimischriftsteller an. Lemaitre steigert die Spannung sukzessive und schafft es, den Leser immer wieder zu überraschen. Gleichzeitig aber hat er ein fantastisches Gesellschaftsporträt Frankreichs zwischen den Weltkriegen geschrieben. Lemaitres ganze Sympathie gilt dem kleinen Mann, als dessen Archetyp Albert durch die Geschichte stolpert, aber dennoch wild entschlossen, am Ende das Richtige zu tun.”

 

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Don Winslow: Palm Desert

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Egal, was Don Winslow schreibt, das ist gut – dieser Meinung war ich sehr lange. Ich verstand auch die Kritik an seinen zugegeben nicht gerade hochklassigen Spannungsromanen “Vergeltung” und “Missing. New York” nicht so ganz. Man kann schließlich nicht nur Meisterwerke abliefern. Die Kritik an dem meiner Meinung nach im deutschsprachigen Raum unterschätzten “Das Kartell” verstand ich noch viel weniger.

Mittlerweile ist meine felsenfeste Überzeugung aber gehörig ins Wanken geraten. Von “Germany” haben mich nicht nur die schlechten Kritiken vieler Krimi-Experten und Krimi-Blogger abgeschreckt. Schon der Verlagstext war alles andere als verlockend. Sehr banal klang das alles.

Daher dachte ich mir, ich nutze den letzten Teil der Neal-Carey-Serie, “Palm Desert” (übrigens erstmals auf Deutsch zu lesen, fein übersetzt von Conny Lösch), um mich ein wenig mit Winslow auszusöhnen. Doch nach der Lektüre dieses kurzen und kurzweiligen Krimis bin ich erneut enttäuscht. Ganz ehrlich: Dieses Buch hätte man nicht unbedingt übersetzen müssen. “Palm Desert” wirkt ein wenig wie eine Fingerübung für seine späteren kriminalliterarischen Großtaten. In Ansätzen blitzt da die typische Winslow-Qualität auf. Doch als eigenständiges Werk konnte mich Winslow in diesem Fall nicht überzeugen. Es war wohl auch eine gute Entscheidung des Autors, nach dem fünften Teil Schluss mit der Serie zu machen und sich neuen Figuren zuzuwenden.

Will man wohlmeinend sein, könnte man das Buch als Krimi-Persiflage verstehen. Für mich war es großteils aber schlichtweg Klamauk. Besonders schlimm war es, als eine der Figuren, der 80-jährige Comedian, seitenlang mit seinen lauen Scherzen langweilt. Ich weiß schon, Winslow wollte damit die Leiden des Detektivs Neal Carey näherbringen, aber ich habe diesen schier endlosen Monolog (man hätte die Passage wesentlich kürzer halten können, die Botschaft ist auch so klar) irgendwann einfach überblättert. Das passiert mir bei Winslow normalerweise nie.

Dann war da auch dieser seltsame Bruch in der Mitte des Buches, als sich plötzlich unzählige der insgesamt nur 200 Seiten um einen Briefwechsel drehen, der eigentlich gar nicht so wichtig ist. Der Plot ist schlicht dünn, die Charaktere sind nicht gerade mit viel Liebe gezeichnet. Man hat fast das Gefühl, hier musste jemand noch seinen Vertrag erfüllen und schnell ein Buch nachschießen.

Nachdem ich nun Teil eins und Teil fünf der Neal-Carey-Serie gelesen habe, muss ich sagen, so ganz mein Fall ist diese Serie nicht. Aber man muss ja auch von tollen Autoren nicht zwanghaft alles lesen. Daher ein Tipp: Wer Winslow von seiner besten Seite kennenlernen will, der sollte sein Meisterwerk  “Tage der Toten” (“Power of the Dog”) lesen.

3 von 10 Punkten

Don Winslow: “Palm Desert”, übersetzt von Conny Lösch, 195 Seiten, Suhrkamp.

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Meine Urlaubslektüre: Kriminalliteratur mal vier

(c) Crimenoir

(c) Crimenoir

Kein Urlaub ohne gute Kriminalliteratur. Nein, das ist kein Lesestress, sondern Entspannung. Daher will ich diesmal auch nur kurz vermerken, was mich begeistert hat und was weniger.

Es begann mit Lee Childs “Way Out”. Ja, ich hatte mit Child eigentlich schon abgeschlossen, nachdem mich vor vielen Jahren “Sein wahres Gesicht” so gar nicht überzeugen konnte. Ich fand das damals ziemlich klischeehaft und platt. Noch kurz vor meinem Urlaub hatte ich “Der Anhalter” absolviert, Childs aktuelles Abenteuer, Band 17 der Jack-Reacher-Reihe. Laut amazon-Kritik düfte es das schwächste Buch der Reihe sein. Doch mir hatte es Geschmack auf mehr gemacht und so kaufte ich noch auf den letzten Drücker “Way Out”. Eine gute Entscheidung. Denn Child ist in seinem 10. Abenteuer noch besser in Form – bis zum Schluss. Dieser war bei “Der Anhalter” leider eher schwach, davor hatte mich aber auch dieses Buch gut unterhalten. Dieser Jack Reacher, der einsam und nur mit dem was er am Körper trägt, durch die USA reist, hat mich gepackt. Er sorgt für Gerechtigkeit – um jeden Preis. Ja, das ist bedenklich und so weiter – aber mir war es egal. Dabei dachte ich, Thriller seien nicht mehr so wirklich mein Ding. Doch “No Way” war die perfekte Urlaubslektüre – nicht zu anspruchsvoll, aber auch nicht niveaulos. Einfach spannend, mit trockenem Humor. Eine gute Mischung. Das ist große Schreibkunst. Fest steht, Lee Child steht demnächst wieder auf meinem kriminellen Leseplan, ich hätte am liebsten gleich noch einen Jack-Reacher-Roman verschlungen.

Danach folgte “Zurück auf Start” von dem griechischen Krimiautor Petros Markaris. Ich habe seinen Vor-Vorgänger “Zahltag” gelesen, den ich gut fand. Markaris gewährt uns eine einzigartige Innensicht von Griechenland. Sein Kommissar Kostas Charitos hat Charme, er ist ein Mensch wie du und ich. Er ist kein Ermittler, der knifflige Rätsel löst und so ziemlich das Gegenteil vom CSI-Superlabor-Wissenschafts-Wunderpolizisten. Ich habe im aktuellen Buch erfahren, dass Athen die aktuelle Krise brauchte, um endlich wieder staufreien Verkehr zu haben – denn niemand fährt mehr mit dem Auto, weil es sich niemand mehr leisten kann. Mit wenigen Szenen erzählt Markaris sehr viel. Allerdings ist mir die Krimi-Handlung bei ihm generell zu simpel gestrickt. Wie schon bei “Zahltag” geschehen drei Morde (bzw. Selbstmorde), ehe man dem Täter auf die Spur kommt, die auch wieder Botschaften hinterlassen. Das ist halt doch immer gleiche, sehr durchschaubare Schema. Letztlich ist dann egal, wer der Täter ist. Doch ich werde beim Lesen gern überrascht. Wer auf klassische Krimis steht, wird bei Markaris allerdings perfekt bedient.

“Angel Baby” von Richard Lange beginnt heftig. Man sollte sich aber von den ersten zwei, drei Seiten nicht abschrecken lassen. Langes US-mexikanisches Drogendrama hat mich, im Gegensatz zu Markaris, immer wieder echt überrascht. Er hat einen facettenreichen und fesselnden Kriminalroman mit vielen tragischen Figuren geschrieben. Das ist durchaus düsterer Stoff, mit faszinierenden (Anti-)Helden. Da steckt schon viel unter die Haut gehender Noir drin, bloß gegen Ende hin wird es dann ein wenig kitschig. Es ist zwar kein reines Happy End, aber es ist doch eine kleine Enttäuschung.

(c) crimenoir

(c) crimenoir

Sehr interessant war es, abschließend Don Winslows Frühwerk “London Undercover” zu lesen. Das Buch hat mir eines bewiesen: Winslow ist einer der vielseitigsten Schreiber guter Kriminalliteratur. Wer “Tage der Toten” oder zuletzt “Das Kartell” gelesen hat, wird sich schwer tun, diesen Autor mit “London Undercover” in Verbindung zu bringen. Winslows Neal-Carey-Reihe ist weit entfernt von Winslows schmerzhaftem Hyperrealismus seiner erwähnten Drogenepen. Das liest sich eher wie ein Trevanian-Kriminalroman (den Winslow ja laut “Satori”-Nachwort durchaus als Vorbild sah) oder sogar ein wenig wie ein Tim-und-Struppi-Abenteuer. Das ist nicht abwertend gemeint: Da gibt es einfach wirklich absurde Szenen, die einen zum Lachen bringen. Dass Winslow auch die Surferromane um Boone Daniels sowie die experimentellen Drogen-Krimis “Zeit des Zorns” und “Kings of Cool” geschrieben hat, ist eigentlich unglaublich. Er erfindet sich immer wieder neu. Ich finde das in einer Literaturwelt, die zunehmend auf Bewährtes und Erfolgreiches setzt, sehr beachtlich und bewundernswert. Mag sein, dass er seine besten Kriminalromane schon geschrieben hat, aber ideenloser Mainstream sieht anders aus.

 

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Don Winslows “Das Kartell” soll verfilmt werden

(c) Knopf

(c) Knopf

Lange hieß es, Don Winslows “Tage der Toten” solle verfilmt werden. Mittlerweile zweifle ich daran. Dennoch könnte Winslow demnächst zu Hollywood-Ehren kommen. Denn nun brodelt die Gerüchteküche wieder über: Seine Fortsetzung “Das Kartell” (im Original: “The Cartel”) wird als heißer Kandidat für eine Verfilmung gehandelt. Der “Hollywood Reporter” berichtet, dass niemand geringerer als Star-Regisseur Ridley Scott federführend hinter dem Projekt stehen soll. Die Rolle von Drogenfahnder Art Keller soll laut “Deadline” Leonard Di Caprio spielen. Woher das plötzliche Interesse kommt, liegt auf der Hand: Die spektakuläre Flucht des berüchtigten mexikanischen Drogenbosses “El Chapo” Guzman hat weltweit für Schlagzeilen (siehe: “Ein Loch in den Grundfesten Mexikos”, “Wie Drogenboss ‘El Chapo’ die Flucht gelang”) gesorgt.

Nun widmet Winslow in “Das Kartell” seinem fiktiven Drogenboss Adan Barrera, der klar erkennbar an dem realen “El Chapo” angelehnt ist, und dessen Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Buches. Barrera führt im Gefängnis seine Geschäfte weiter, der große Teil des Gefängnispersonals steht auf seiner Seite. Das wird wohl auch beim realen “El Chapo” nicht viel anders gewesen sein. Wer will diesen Mann schon zum Feind haben? Eine Flucht ohne Mithilfe von innen erscheint sehr unwahrscheinlich.

Aber welche Wahl hat man schon als einfacher Gefängniswärter? “Die meisten waren scharf auf das Geld. Leute, die zögerten, bekamen im Gefängnis Besuch von Diego, und er zeigte ihnen Fotos von ihren Frauen und Kindern”, schreibt Winslow auf Seite 41 von “Das Kartell”. “Drei Wachmänner weigerten sich trotzdem, Geld zu nehmen. Diego lobte sie für ihre Integrität. Am nächsten Morgen fand man sie mit durchschnittenen Kehlen.”

Das stimmt mit den Darstellungen in Malcolm Beiths Sachbuch “El Chapo. Die Jagd auf Mexikos mächtigsten Drogenbaron” überein: “Für den seltenen Fall, dass Geld allein nicht ausreichte, einen Wärter oder Mithäftling dazu zu bringen, Chapos Anordnungen zu folgen, wurde mittels Drohungen sichergestellt, dass sie dennoch kollaborierten. Diejenigen, die sich weigerten, für Chapo zu arbeiten, wurden Jaime Leonardo Valencia Fontes gemeldet, einem Häftling, der als Chapos rechte Hand agierte. Valencia ging dann auf den Wärter oder Häftling zu und sagte: ‘Hör mal, es heißt, du bis von uns genervt und weißt unsere Freundschaft nicht zu schätzen. Mach dir keine Sorgen, hier haben wir … ‘ Dann pflegte er ein Notebook oder einen Organizer hervorzuholen und dem Widerspenstigen unter die Nase zu halten. ‘… die Adresse von dir und deiner Familie. Wie du siehst, alles kein Problem.’ Daraufhin spielten fast alle mit.”

Wer nicht so lange warten will, kann schon bald die TV-Serie “Narcos” (auf Netflix) sehen, wie “Der Schneemann” auf seinem Blog schreibt.

 

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Krimis, die man 2015 lesen sollte (VI)

(c) Polar

(c) Polar

Hiermit hole ich die – aus meiner persönlichen Sicht – interessantesten Krimi-Neuerscheinungen des Monats Juni nach. Ein Buch ragt dabei für mich heraus: Der in Vergessenheit geratene Krimi-Klassiker “Cutter und Bone” von Newton Thornburg. Ich war schon knapp davor, mir die amerikanische Originalversion zu kaufen, ehe ich vor Monaten begeistert erfuhr, dass ausgerechnet der von mir hochgeschätzte Kleinverlag Polar das Buch nach Jahren endlich wieder auf Deutsch – mit einem Vorwort von Thomas Wörtche – herausbringt.

Der Verlag schreibt: Es gibt keine Garantie für Gerechtigkeit. Santa Barbara in den frühen 1970ern. Richard Bone, der seine Frau und seine Kinder verlassen hat, um sich mit dem Verführen reicher Touristinnen durchs Leben zu schlagen, beobachtet eines Nachts, wie eine Leiche in einem Mülleimer entsorgt wird. Als er am nächsten Tag das Foto des Redneck-Millionärs J.J. Wolfe in der Zeitung sieht, glaubt er, den Mörder wiederzuerkennen. An der Seite seines Freundes Cutter, einem zynischen, versehrten Vietnamveteranen, beginnt die Jagd auf einen Mörder, der sie bis in die Ozarks führen wird.

(c) Heyne Hardcore

(c) Heyne Hardcore

Ebenfalls vielversprechend klingt Jim Thompsons “Südlich vom Himmel”. Das Besondere: Diesmal handelt es sich um eine deutsche Erstausgabe – noch dazu mit einem Nachwort von Friedrich Ani. Ich habe vor 15-20 Jahren “Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen” gelesen und war damals, das muss ich zugeben, wenig angetan. Seitdem – damals steckte ich in einer intensiven Thrillerphase –  hat sich mein Leseverhalten aber ziemlich geändert. Ich möchte Thompson daher unbedingt wieder lesen.

Südlich vom Himmel: Für die einen ist das die Hölle, für andere die harten Ölbohrarbeiten unter der Sonne von Texas. So eine Geschichte erzählt der junge Tommy Burwell, der bei einer Ölgesellschaft anheuert. Für Tommy beginnt eine harsche Zeit, denn sein alter Kumpel Four Trey Whitey setzt ihn für Sprengarbeiten ein. In diesem von hemmungsloser Gewalt geprägten Milieu muss Tommy sich seinen Platz erkämpfen. Er lebt ein Leben in Blut, Schweiß und Tränen. Als die Brüder seiner Freundin Carol planen, die Lohnkasse zu rauben, wird es eng für Tommy …

(c) Blanvalet

(c) Blanvalet

Tja, und dann gibt es dann noch so einen Autor, den ich eigentlich schon abgehakt hatte. Lee Child konnte mich vor Jahren mit “Sein wahres Gesicht” ebenfalls nicht überzeugen. “Der Anhalter”, der 17. nun auf deutsch erschienene Band rund um Kultfigur Jack Reacher, hat mich – ich habe das Buch bereits ausgelesen – wider Erwarten voll gepackt. Ich habe gleich darauf im Urlaub noch einen Reacher (“Way Out”, Band 10) gelesen. Interessanterweise schneidet “Der Anhalter” bei den amazon-Bewertungen so schlecht ab wie kein anderer Reacher-Roman. Ich bin also momentan ein wenig verwirrt: Was kann ich von meinen früheren Urteilen halten? Oder war “Sein wahres Gesicht” einfach schlecht? Und warum hat mich ausgerechnet “Der Anhalter” bei all seinen Schwächen dennoch perfekt unterhalten? Aber dazu bald mehr!

Jack Reacher bemühte sich, harmlos auszusehen, was ihm mit seiner großen, massigen Gestalt und der gebrochenen Nase nicht leicht fiel. Umso dankbarer war er, als endlich ein Auto hielt, um ihn mitzunehmen. Die Frau und die beiden Männer im Wagen waren offensichtlich Kollegen, zumindest schloss Reacher das aus ihrer einheitlichen Kleidung. Er wusste nichts von ihrer Verwicklung in den Mord, der nicht weit entfernt verübt worden war. Für die Insassen des Wagens war Reacher nur eine Möglichkeit, die Polizei von sich abzulenken. Sie ahnten nicht, wer bei ihnen im Auto saß. Schließlich sah Reacher aus wie ein harmloser Anhalter …

(c) Droemer

(c) Droemer

Und dann muss ich hier auch noch Don Winslows “Das Kartell” erwähnen, das ich ja zuletzt hier besprochen habe. Aber eine Juni-Liste ohne Winslow erscheint mir irgendwie unvollständig.

Sie waren mal beste Freunde. Aber das ist viele Jahre und unzählige Tote her. Der Drogenfahnder Art Keller tritt nun an, um Adán Barrera, dem mächtigen Drogenboss, für immer das Handwerk zu legen. Er begibt sich auf eine atemlose Jagd und in einen entfesselten Krieg, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse schon längst verschwunden sind: Eine wahrhaft erschütternde, genau recherchierte Geschichte über die mexikanisch-amerikanischen Drogenkriege, über Gier und Korruption, Rache und Gerechtigkeit, Heldenmut und Hinterhältigkeit.

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Don Winslow: Das Kartell

(c) Droemer

(c) Droemer

US-Autor Don Winslow hat einen grundlegenden Fehler gemacht: Er hat die perfekte Crime Novel “Tage der Toten” geschrieben. Damit hat er die Messlatte sehr, sehr hoch gelegt. Vergleicht man nun die Fortsetzung “Das Kartell” mit dem Vorgänger, kann man daher ernüchtert sein. Da fehlt die Raffinesse, die Eleganz, die Präzision. “Tage der Toten” überzeugte durch seine vielen Figuren und Nebenhandlungen. Da waren auch dieser Killer Sean Callan, der aussteigen will und die “heilige” Prostituierte Nora Hayden, die Pater Parada abgöttisch liebt. Da waren zwar einerseits brutale Szenen, die beim Lesen wehtaten, aber auch stille Momente, schöne Bilder.

Bei “Das Kartell” ist davon nicht viel geblieben. Es ist das gnadenlose Duell zweier Männer – des Drogenfahnders Art Keller und des Drogenbosses Adan Barrera. Es ist zudem die Stunde der Zetas, des wohl brutalsten Kartells des mexikanischen Drogenkriegs. Dessen Motto: Plata o plomo. Silber oder Blei – entweder du lässt dich bestechen, oder du (und oft deine Familie) stirb(s)t. Es ist ein hyperrealistisches Buch, das offenbar jedem einzelnen Toten des jahrelangen Drogenkriegs gerecht werden will (denn teilweise reiht sich tatsächlich fast jedes einzelne Gemetzel an das nächste). Ich verstehe daher die Kritik von Alf Mayer, der auf culturmag meint, dass Winslow die mexikanische Wirklichkeit meist nur nacherzähle und sie nicht zu etwas verdichte, “das man Literatur nennen könnte.” Und: “Es fehlen Eleganz, Besonderheit, Risiko, Temperament – und am schlimmsten, wirkliche Empathie für all das Leid, auch wenn sie behauptet wird. Winslow will cool sein, das ist sein Hauptaugenmerk. Hier ist das öfter ziemlich obszön.”

„Mexiko, das Land der Pyramiden und Paläste, der Wüsten und Dschungel, der Berge und Strände, Märkte und Gärten, Boulevards und Gassen, Plazas und Patios ist jetzt nur noch ein Schlachthof. Und wozu das Ganze? Damit sich die Amis mit Drogen vollpumpen können.“

Ich stimme ihm zu, dass Winslow tatsächlich eine Chronologie des Grauens geschrieben hat. Es ist großteils eine Nacherzählung. Aber eine Nacherzählung, die mich schockiert und gefesselt hat. Und ja, nach der weiß ich wievielten Folterszene hat auch bei mir eine Abstumpfung eingesetzt. Irgendwann habe auch ich angesichts all dieser unvorstellbaren, scheinbar sinnlosen Gewalt resigniert. Aber ist nicht genau das auch der Grund, warum hierzulande und in den USA fast jedem egal ist, was da in Mexiko passiert? Es scheint so unverständlich, so unbegreifbar, was da passiert. Wenn man da wieder von 40 kopflosen Leichen hört, interessiert das einfach niemanden mehr. Meiner Meinung nach macht Winslow diese Mechanismen mit seinem Buch begreifbar.

Ich glaube auch nicht, dass Winslow cool sein will. Mayer kritisiert, dass Winslows typischer Stil der kurzen Sätze in “Das Kartell” zu einem Bleigewicht werde: “Man stelle sich vor, die „Buddenbrooks“ oder „Krieg und Frieden“ oder „Der große Gatsby“ wären weitgehend in Hauptsätzen und mit Einzeilern erzählt. Zunehmend ertappte ich mich beim Lesen, wie ich mich Fantasien hingab, nun spaßeshalber die Winslow-Versionen großer Romane zu schreiben. Alles auf Steichholzlänge zu stutzen und damit dennoch die hohen Töne zu pfeifen versuchen. „Hundert Tage Einsamkeit in hundert Sätzen“, „Moby Dick für Dummies“, „Karl Marx für Anfänger“. Mit Pathos auf Pulp-Niveau. Kitsch und Klischees freigebig aus dem großen Streuer.” Dass sein Buch mit “Krieg und Frieden” verglichen wird, dafür kann Winslow nichts. Verlage neigen nun leider zu Superlativen. Dass diese kurzen Sätze kraftmeierisch daherkommen, finde ich nicht. Ich fände es im Gegenteil teilweise unpassend, das Grauen unnötig auszuschmücken.

„Amerikaner kiffen, schnupfen, spritzen, was das Zeug hält – Marihuana, Kokain, Heroin, Crystal Meth –, und haben dann den Nerv, auf den Süden zu zeigen und mit erhobenem Zeigefinger auf das ,mexikanische Drogenproblem‘ und die mexikanische Korruption zu verweisen.“

Auch fehlende Empathie wird Winslow vorgeworfen. Kaum eine Figur entwickle eine eigene Stimme, meint auch Sonja Hartl auf zeilenkino. Ja das stimmt. Das hat auch mir manchmal gefehlt. Allerdings hätte ich es angesichts all des Leids auch unpassend gefunden, auf die Gefühlsdrüse zu drücken. Zudem macht Winslow sehr wohl typisch mexikanische Schicksale deutlich, er nimmt sich dafür auch viele Seiten Zeit. Das bremst zwar die Handlung, hilft aber zu verstehen, was da in Mexiko passiert. Ob es nun der engagierte mexikanische Journalist ist oder jener Jugendliche, der zum brutalen Zetas-Killer wird.

Die Figur des fiktiven Drogenboss Adan Barrera ist übrigens sehr stark an den realen Drogenboss Joaquin “El Chapo” Guzman angelegt. Zu Beginn von “Das Kartell” gelingt Barrera die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis (Guzman war das 2001 gelungen). Vor wenigen Tagen ist es Guzman erneut gelungen, aus einem bis dahin ausbruchssicheren Gefängnis auszubrechen (mehr dazu auch hier: “Ein Loch in den Grundfesten Mexikos”). Das ist ohne Hilfe korrupter Beamter oder Politiker eigentlich undenkbar, wie jeder weiß, der “Das Kartell” gelesen hat.

Dankbar bin ich Alf Mayer aber für seine wertvollen Hinweise, was weiterführende Literatur betrifft. Er erwähnt Charles Bowden, Elmer Mendoza, James Carlos Blake, Sam Hawken und Johann Haris (von den beiden letztgenannten erscheinen demnächst Bücher auf Deutsch). Ich werde mich da auf alle Fälle weiter vertiefen.

Für alle Interessierten könnten auch diese Filme interessant sein:

“The House I live in” – Amerikas längster Krieg (habe ich leider zuletzt auf arte verpasst)

Die Dokumentation “Cartel Land”

Der Film “El Sicario” von “Prisoners”-Regisseur Denis Villeneuve (demnächst im Kino)

7 von 10 Punkten

Don Winslow: Das Kartell, übersetzt von Chris Hirte, 832 Seiten, Droemer.

http://www.newyorker.com/magazine/2015/07/06/the-system-books-laura-miller

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KrimiZeit-Bestenliste im Juli: Ein Abgleich

(c) Ariadne Kriminalroman

(c) Ariadne Kriminalroman

Urlaubsbedingt war es auf crimenoir in den vergangenen Woche ziemlich still. Das ändert sich nun wieder. Zunächst will ich gleich mal meinen allmonatlichen KrimiZeit-Abgleich nachholen. Über Merle Krögers “Havarie” und Don Winslows “Das Kartell” werde ich hier in Kürze schreiben. Ich finde die hohen Platzierungen beider Bücher gerechtfertigt, obwohl dies bei Winslow einige Krimiexperten durchaus anders sehen.

Vor allem Alf Mayer erklärt auf culturmag in einer Abrechnung sehr ausführlich, warum Winslows 800-Seiten-Epos seiner Meinung nach “im Meer der Fakten Schiffbruch erleidet”: “Die Buchdeckel sind eh nur pro Forma, handelt es sich doch inhaltlich um einen ziemlich geschmacksneutralen, aufgeblähten Guglhupf. Winslows Hefeteig ist die mexikanische Wirklichkeit, monströs genug, aber er erzählt sie meist nur nach, verdichtet sie nicht zu etwas, das man Literatur nennen könnte. Dies in einer Kraftmaxen-Prosa, die stets tut, als hätte sie alles im Griff. Aber es fehlen Eleganz, Besonderheit, Risiko, Temperament – und am schlimmsten, wirkliche Empathie für all das Leid, auch wenn sie behauptet wird. Winslow will cool sein, das ist sein Hauptaugenmerk. Hier ist das öfter ziemlich obszön.”

Auch Sonja Hartl zeigt sich auf zeilenkino wenig begeistert: “Doch obwohl das Buch über 800 Seiten lang ist, entwickelt kaum Figur eine eigene Stimme – eine mögliche Ausnahme ist der Reporter Pablo Mora, dessen Potential Winslow leider nicht ausschöpft –, vielmehr werden Ereignisse und Erlebnisabschnitte abgehandelt. Möglichst schnell, möglichst abgehakt und möglichst didaktisch.”

Die beiden haben mit ihrer Kritik durchaus recht, ich werde aber zu erklären versuchen, warum ich “Das Kartell” und Don Winslow weiterhin für ausgesprochen lesenswert halte.

Zu den weiteren Büchern: Sara Grans “Dope” werde ich wohl auslassen, ich konnte schon die allgemeine Begeisterung über die Claire-DeWitt-Krimis nicht ganz nachvollziehen und ich werde daher von diesem Frühwerk mal die Finger lassen. Ebenso wie von Dominique Manottis “Abpfiff” – auch mit dieser hochgelobten Autorin bin ich noch nicht so ganz warm geworden.

Gary Victors Haiti-Krimi “Soro” will ich hingegen unbedingt lesen. Antonin Varennes “Die sieben Leben des Arthur Bowman” habe ich hier ja schon mal erwähnt, ich werde aber wohl erst das Erscheinen der Taschenbuch-Ausgabe abwarten.

Die Liste im Überblick:

1 (-) Merle Kröger: Havarie
2 (3) Sara Gran: Dope
3 (-) Don Winslow: Das Kartell
4 (2) Dominique Manotti: Abpfiff
5 (5) Gary Victor: Soro
6 (-) Carol O’Connell: Kreidemädchen
7 (-) Roger Smith: Leichtes Opfer
8 (-) Wu Ming: 54
9 (8) James Ellroy: Perfidia
10 (-) Antonin Varenne: Die sieben Leben des Arthur Bowman

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