Dennis Lehane: In der Nacht

(c) Diogenes

(c) Diogenes

Jetzt ist mir auch noch Sonja mit ihrer “In der Nacht”-Besprechung auf zeilenkino zuvor gekommen. Und sie bringt es ganz gut auf den Punkt: “Mit seinem knapp 600 Seiten langen Buch über den Aufstieg und Fall eines Bostoner Kriminellen bedient Dennis Lehane sämtliche Klischees über Gangster, auch verläuft Joes Leben in den zu erwartenden Bahnen. Dass dieses Buch dennoch von Anfang bis Ende fesselt, liegt vor allem an Lehanes lässig-ironischem Erzählstil. Er verleiht den Figuren nicht mehr Dramatik als nötig und behandelt sie zwar distanziert, aber nicht lieblos.”

In meiner aktuellen “Presse”-Rezension habe ich das sehr ähnlich formuliert: “Lehane erzählt eine bereits oft erzählte Geschichte so fesselnd, dass man niemals meint, er wandere auf abgetretenen Pfaden. Er versucht nicht, zwanghaft innovativ zu sein, sondern Altbekanntem neue Seiten abzugewinnen.” Das beweist eindrucksvoll, dass US-Autor Lehane zweifellos einer der größten zeitgenössischen Geschichtenerzähler seines Landes ist.

Worum es eigentlich geht? Ich zitierte mich noch einmal selbst: “Fesselnd erzählt Lehane die Geschichte von Joe Coughlin, einem kleinen Bostoner Kriminellen, der zum mächtigsten Rum-Schmuggler Floridas während der letzten Jahre der US-Prohibitionszeit aufsteigt. Die zentrale Frage des Romans lautet: Gibt es zwischen Gesetzlosen und Gangstern einen Unterschied? Eines ist klar, so sauber man auch in einer schmutzigen Welt zu bleiben versucht, schmutzig wird man immer. Während der Hochblüte des organisierten Verbrechens war das Überleben als „unabhängiger“, eigenständiger Krimineller fast nicht möglich. War man nicht für eine bestimmte Organisation, war man automatisch dagegen und somit vogelfrei.”

“In der Nacht” ist einer der besten Krimis des Jahres, wie auch aus meiner in den nächsten Tagen hier erscheinenden persönlichen Bestenliste ersichtlich wird. Einziger Kritikpunkt: Das liest sich fast schon zu gut, zu glatt, zu perfekt. Ich muss zugeben, das ist rational schwer zu begründen. Aber irgendwas hat mich gestört bzw. hat mir gefehlt. Vielleicht ist es auch diese Figur des Joe Coughlin, die einfach zu schön ist, um wahr zu sein. Deshalb ein Punkt Abzug. Ich warte also immer noch auf meinen ersten 10er hier! Interessante Beiträge gibt es übrigens auch bei den Blogs Analog-Lesen und Kaffeehaussitzer. Und wenn ich es richtig verstehe, in Kürze auch bei My Crime Time. Oder Nicole?

9 von 10 Punkten

Dennis Lehane: “In der Nacht”, übersetzt von Sky Nonhoff, Diogenes, 584 Seiten.

6 Comments

Filed under Rezensionen

6 responses to “Dennis Lehane: In der Nacht

  1. Vielleicht liegt es ja an der Arbeit Lehanes für Film und Fernsehen. Da muss ja für eine wesentlich breitere Masse geschrieben werden und mit eindeutig mehr Gefälligkeit für jedermann. Da werden Ecken und Kanten schon schnell abgefeilt.

  2. My Crime Time

    Jepp, “In der Nacht” liegt hier schon bereit. Nach Sonjas Rezension habe ich allerdings beschlossen, dass ich zuerst “Aufruhr jener Tage” lesen möchte. Das leiht mir ne Freundin nach Weihnachten aus. Kann also noch ein paar Tage dauern, bis auch ich die beiden Bücher bespreche. Aber dann rede ich mit, gar keine Frage. Schließlich habt ihr mich jetzt alle mehr als neugierig gemacht. 🙂

  3. Pingback: Mitten im Lebenswahnsinn: „Im Aufruhr jener Tage“ von Dennis Lehane | My Crime Time

  4. Pingback: Dennis Lehane – In der Nacht | Muromez

Leave a comment