Gianrico Carofiglio: In der Brandung

(c) Goldmann

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Mein erster Tipp: Nicht Klappen- und Rückentext lesen. Denn da erfährt man schon einen Großteil der Geschichte, die Carofiglio behutsam entwickelt. Da macht sich meine Angewohnheit bezahlt, Verlagstexte lange vor dem Kauf zu lesen. Ich entscheide mich bereits dann, ob mich das Buch interessiert. Wenn ja, habe ich die genauen Details bis zum Lesen meist vergessen.

Worum geht es also? Polizist Roberto Marías geht jeden Montag und Donnerstag zu seinem Psychiater. Fest steht nur, er übt seinen Beruf momentan nicht aus und hat mit den Geistern der Vergangenheit zu kämpfen. Carofiglio nimmt sich für seine Geschichte Zeit. Er erzählt ohne jede Hektik vom Innenleben des Polizisten, der langsam wieder ins normale Leben zurückzufinden versucht.

“Ich rede wie in einem schlechten Film.” (Roberto)

“Das gefällt mir, ich sehe fast nur schlechte Filme.” (Emma)

Genau genommen hat Carofiglio keinen Krimi geschrieben, sondern ein einfühlsames Porträt. Dennoch ist bei mir der Funken nie so richtig übergesprungen. Vielleicht auch weil die Patient-Psychiater-Beziehung einen wesentlichen Teil des Buches einnimmt, gleichzeitig dieser Psychologie-Strang aber ein wenig oberflächlich bleibt. “In der Brandung” ist ein netter Roman für den lauen Sommerabend oder den Urlaub, mehr aber aus meiner Sicht leider auch nicht. Die Dialoge kamen mir manchmal konstruiert und platt vor. Roberto sagt etwa zu Emma, der weiblichen Hauptperson: “Mein Leben ist immer noch ein Chaos, ich versuche, die Trümmer der Vergangenheit hinter mir zu lassen”. Wer spricht wirklich so? Das klingt wie aus einem schlechten Film. Dadurch wirkt alles ein wenig gekünstelt und nicht immer authentisch.

Als ihn der Psychiater gleich zu Beginn des Buches fragt, ob es ihm als Polizist Spaß gemacht habe, jemanden festzunehmen, antwortet Roberto ausschweifend: “So ausgedrückt klingt es tatsächlich nicht schön. Aber es ist wahr. Der echte Bulle – das sind nicht alle Carabinieri, und auch nicht alle Polizisten – lebt für die Festnahme. (…) Wer seinen Beruf liebt, will auch ein Resultat sehen. Und das Resultat unserer Arbeit, da braucht man sich nichts vorzumachen, ist es nun einmal, jemanden hinter Gitter zu bringen.”

Ein klares Ja oder Nein würde glaubwürdiger klingen. Auch die Erklärung “Der echte Bulle lebt für die Festnahme” wäre durchaus authentisch. Durch den – meiner Meinung nach völlig unnötigen – Einschub “das sind nicht alle Carabinieri, und auch nicht alle Polizisten” wird das zunichte gemacht. Das wirkt so, als würde sich der Autor in alle Richtungen absichern wollen.

Fazit: Robertos Schicksal ist mir leider nicht wirklich nahe gegangen, ich blieb während des Lesens immer distanziert zu seinem Charakter. Wer leichtgängige, ruhige Krimis sucht, könnte aber gut bedient werden.

5 von 10 Punkten

Gianrico Carofiglio: “In der Brandung”, übersetzt von Viktoria von Schirach, Goldmann, 285 Seiten.

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