Flore Vasseur: Kriminelle Bande

(c) Haffmans Tolkemitt

(c) Haffmans Tolkemitt

Ich bin eher zufällig auf Flore Vasseurs “Kriminelle Bande” gestoßen. Ich begann mit Skepsis zu lesen, war dann aber rasch von dem Stil der Französin begeistert. Der zweite Absatz liest sich so: “Er nimmt den Frühflug, keinerlei Gepäck. Die Firma stellt ihm Anzug und Waschzeug zur Verfügung. Sein Gewicht, seine Zahnpastamarke, seine Cholesterinwerte sind dort bekannt.” Da entstehen sofort Bilder im Kopf. Gleichzeitig demaskiert Vasseur immer wieder in nur wenigen Sätzen die Generation der heute 40-Jährigen, zu der sie selbst auch gehört, schonungslos. Ist das die Freiheit von der wir träumen?

Auf den ersten Blick könnte es eine Erfolgsstory sein. Denn das Buch dreht sich um Clara, Jérémie, Bertrand, Vanessa, Alison, Antoine und Sébastien. Sie alle haben an der Pariser Eliteuniversität HEC studiert und sind mit einer Ausnahme die Karriereleiter viele Sprossen hochgeklettert. Sie führen nach außen hin Vorzeigeehen, leben in Traumhäusern und haben alles, was die große Mehrheit nicht hat. Dennoch ist “Kriminelle Bande” vor allem eines: Ein Desillusionierungsroman. Die simple Erkenntnis: Macht, Geld und Karriere machen nicht glücklich – eher einsam und verbittert. “Er hat eine Familie haben wollen. Er wohnt mit Menschen zusammen, die er nicht kennt”, lautet der erschütterndste Satz dieses gesellschaftskritischen Krimis.

Mitunter liest sich das Buch wie eine Zitatesammlung: “Die Wahrheit hat keinen Wert. Es geht nur darum, die Geschichte gut zu verkaufen” lautet das Motto der Politik. An einer anderen Stelle heißt es: “Ein Ferienklub, ein weiteres Getto”. Und auch folgende zwei Sätze muss ich zitieren: “Auf dieser Ebene im Hierarchiegefüge ist Alkohol verboten und nur in Ausnahmefällen mit Zustimmung der Chefetage erlaubt. Alle vier Monate werden Bluttests bei hochrangigen Mitarbeitern angeordnet.” What the fuck? Wozu klettere ich die ganze Hierarchieleiter hinauf, buckle und verbiege mich, wozu tue ich mir das an – wenn ich dann so behandelt werde.

Wenn diese Bande von Emporkömmlingen die Fäden zieht, könnte einem schlecht werden. Intrigen, Neid und Missgunst, wo man nur hinsieht.

Ach ja, einen Toten gibt es auch. “Kriminelle Bande” ist aber nur bedingt ein Kriminalroman, jedoch auf alle Fälle spannende Lektüre. Und unterhaltsame. Vasseur macht wütend und bringt dich zum Lachen. Zwar nützt sich ihr von pointierten Dialoggefechten und bitterbösen Gedanken getragener Erzählstil mit der Zeit ein wenig ab, dennoch bleiben ihre Anspielungen auf reale Unternehmen (Die Investmentbank “Folman Pachs”) und Begebenheiten stets amüsant. Das finden nicht alle so. Maren Keller etwa sieht das auf “Spiegel Online” ein wenig anders: “Vasseur müht sich ununterbrochen, neue Metaphern zu finden für das unausweichliche Unglück. Nicht immer erfolgreich: Da wird auf der Titanic auf den Eisberg zugesteuert, Krieg geführt oder am Lenker eines verminten Lasters eine Buckelpiste entlang gefahren. Dabei wäre dieser sprachliche Katastrophenkitsch gar nicht nötig.”

Mich hat das in diesem Fall aber nicht gestört. Letztlich hat sie so nebenbein ein entlarvendes Porträt einer nach falschen Werten strebenden Generation der heute 40-Jährigen geschrieben, die beruflich über alle Maßen erfolgreich und gleichzeitig Vorzeigeeltern sein wollen. Flore Vasseur, ich ziehe meinen Hut: Chapeau!

8 von 10 Punkten

Flore Vasseur: “Kriminelle Bande”, übersetzt von Christian Driesen, 352 Seiten, Haffmans Tolkemitt.

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