Dem Österreicher Marc Elsberg ist mit dem Energiethriller “Blackout” ein Sensationserfolg gelungen: Über 600.000 Exemplare davon wurden im deutschsprachigen Raum verkauft. Meine Vorfreude auf sein neues Buch “Zero” war daher groß. Ich habe Elsberg im Vorfeld der Lektüre auch interviewt und finde sein Buch inhaltlich sehr wichtig und brisant. Denn wir werden nicht nur von Geheimdiensten – wie jeder spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden weiß – abgehört und überwacht. Das Wirken der sogenannten Datenkraken, das er in “Zero” beschreibt, ist vor allem deswegen so erschreckend, weil kein wirkliches Bewusstsein darüber besteht. “Wir sind nicht nur gläsern, sondern auch vorhersehbar für viele Unternehmen”, ist sich Elsberg sicher. Schon allein deshalb wünsche ich Elsberg viele Leser. Sein Buch ist bewusstseinsbildend.
In meiner ausführlichen Kritik in der “Presse” schildere ich aber auch, warum mir Elsbergs Buch nicht nur Lesefreude bereitet hat. Denn als Erzähler kann er diesmal nicht überzeugen: “Zu sehr ist er bemüht, jedes wissenswerte Detail in die Handlung zu pressen. Darunter leiden Dialoge und Figuren. Erstere dienen allzu oft dem Zweck, Botschaften zu vermitteln und Dinge zu erklären. Sie wirken dadurch oft bemüht. Seine Figuren sind eindimensional gezeichnet und bleiben blass. Teilweise kratzen sie am Kitsch.” Ein Beispiel: Als sich die über 40-jährige Cynthia, Mutter einer Tochter im Teenageralter, in einen indischen IT-Forensiker verliebt, liest sich das so: “In seinen dunklen Augen kann Cyn nicht lesen, aber das will sie auch gar nicht. Versinken möchte sie darin. Seine Haut schimmerte in der Farbe ewigen Sommers.” Und wenn ich zum cirka zwanzigsten Mal den Satz “Willkommen in Paranoia” lese, werde ich unrund. Als mündiger Leser verstehe ich die Botschaft auch so.
Literarische Erwartungen muss man also leider zurückstellen (da greift man besser zu Tom Hillenbrands “Drohnenland”). Vielleicht hilft es, “Zero” als in Romanform gegossenes Sachbuch begreifen.
Tja, das ist meine Meinung. Ich will hier wohlmeinende Stimmen aber nicht vorenthalten: Der geschätzte “Kaffeehaussitzer” meint in seinem Blog: “Was dieses Buch absolut lesenswert macht ist die Tatsache, dass es kein Sciencefiction-Roman ist, auch wenn es manchmal so klingt. Nein, die Handlung spielt heute, im Hier und Jetzt, im Jahr 2014. Sämtliche geschilderten technischen Möglichkeiten gibt es schon, auch wenn sie noch nicht alle so flächendeckend eingesetzt werden. Wir hinterlassen unaufhörlich Spuren im Netz, die gesammelt, ausgewertet und zusammengefügt werden können. Algorithmen kontrollieren unser Verhalten – das beginnt schon bei jeder Google-Suche, deren Ergebnisse individuell aus den früheren Sucheingaben errechnet werden.”
Und Elmar Krekeler lobt in seiner Kolumne in der “Welt”: “Elsberg ist ein gnadenlos effektiver Erzähler, seine Sprache spannt sich über den Plot wie das Trikot über den Oberkörper eines uruguayischen Angriffsspielers. Das ist spannend, da fehlt jeder poetische Fettansatz.”
Es ist wohl dieser “poetische Fettansatz” (eine geniale Formulierung übrigens!), der mir gefehlt hat. Daher:
5 von 10 Punkten
Marc Elsberg: “Zero”, 480 Seiten, Blanvalet.