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Das Dunkle bleibt

(c) Kunstmann Verlag

Sehr still ist es geworden auf diesem Blog. Keine besonderen Ereignisse waren dafür verantwortlich. Ich bin auch angesichts der pandemischen Situation und der weltpolitischen Lage nicht in Depression verfallen. Weiterhin lese ich begeistert Kriminalromane, aber über diese hier zu schreiben, hat mir einfach die Muse gefehlt. Mag sein, dass ich hier nur mehr in größeren Abständen meine Eindrücke niederschreibe, aber ganz verstummen mag ich noch nicht. Es gibt jedenfalls kaum ein passenderes Buch als “Das Dunkle bleibt”, um zurückzukehren. Die anbetungswürdigen schottischen Krimigrößen Ian Rankin und William McIlvanney vereint – ja, wo gibt es denn so etwas?

Dass lebende Autoren das Werk verstorbener Krimischriftsteller- und schriftstellerinnen fortsetzen, ist keine Seltenheit. Sophie Hannah etwa hat zahlreiche Agatha-Christie-Romane verfasst, auch Ian Flemings James Bond trinkt weiter Martinis und Robert Ludlums Jason Bourne sieht sich noch immer mit unglaublichen Verschwörungen konfrontiert. Die Serie rund um Stieg Larssons widerspenstige Hackerin Lisbeth Salander, die David Lagercrantz nach dem Tod des schwedischen Autors fortgesetzt hat, wird ab nächstem Jahr von Karin Smirnoff literarisch wiedererweckt.

Seltener kommt es vor, dass unvollendete Manuskripte von Kollegen fertig geschrieben werden. Dies war etwa bei Raymond Chandlers „Einsame Klasse“ der Fall, das Robert B. Parker – selbst namhafter Krimiautor und bekannt für seine Figur des Privatdetektivs Spenser (der nach Parkers Tod dank Ace Atkins ebenfalls weiterermitteln durfte) – zu einem Ende brachte. Oder nun bei William McIlvanneys „Das Dunkle bleibt“, das niemand Geringerer als sein schottischer Landsmann Ian Rankin vollendet hat, dessen Ermittler John Rebus (zb. “Das Souvenir des Mörders”, “Mädchengrab”) Kultstatus genießt.

Fast vergessene Laidlaw-Trilogie

Der im Glasgow des Jahres 1972 angesiedelte Kriminalroman ist ein Prequel zu McIlvanneys fast vergessener Laidlaw-Trilogie (“Laidlaw”, “Die Suche nach Tony Veitch”, “Fremde Treue”) die unter Kennern hoch angesehen ist. Für seinen Nachfahren Rankin waren es diese drei Bücher, die ihn überhaupt zum Schreiben brachten. „Da war dieser literarische Schriftsteller, der sich dem urbanen, zeitgenössischen Krimi zugewandt hatte und zeigte, dass das Genre große moralische und soziale Fragen angehen konnte.“ Ohne ihn wäre er wohl kein Krimiautor geworden, so Rankin. Allein, dass nun ausgerechnet ihm die Ehre zufiel, das Unvollendete zu vollenden, macht „Das Dunkle bleibt“ besonders. McIlvanneys Witwe zeigte sich jedenfalls zufrieden: Als sie das Buch gelesen habe, habe es sich angefühlt, als wäre ihr Mann bei ihr im Zimmer gewesen.

Worum es darin geht? Bobby Carter, Anwalt des Unterweltbosses Cam Colvin, ist ermordet worden. Hinter der Tat werden die Konkurrenten John Rhodes und Matt Mason vermutet. Ein Krieg der rivalisierenden Gangs wird befürchtet. Doch Jack Laidlaw, der Neue bei der Glasgow Crime Squad, hat Zweifel. Laidlaw ist ein unangepasster Einzelgänger, ein Störenfried im bürokratischen Polizeiapparat. Das muss auch sein Kollege Bob Lilley rasch feststellen, der später über Laidlaw sagen wird: „Er ist ein Unikat in einer Welt der Massenproduktion. Kein Polizist, der zufällig auch Mensch ist. Er ist ein Mensch, der zufällig auch Polizist ist, und die Bürde schleppt er überall mit sich herum.“ Allerdings eilt ihm der Ruf voraus, einen sechsten Sinn dafür zu haben, was auf der Straße geschieht.

“Das Gesetz hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun”

Entstanden ist ein glaubwürdiges, lakonisches Stück Kriminalliteratur. Laidlaw ist kein Held, ganz im Gegenteil. Er ist ein mitunter unangenehmer Zeitgenosse, der seine Familie vernachlässigt. Es ist so, als trage er die dunkle Seite Glasgows ständig mit sich herum. Versuche von Laidlaws Frau, eine Verbindung zur Familie seines neuen Kollegen Lilley aufzubauen, sind ein offenkundiger Hilferuf. Ein gemeinsames Abendessen der Paare Laidlaw und Lilley offenbart das Schlachtfeld Ehe im Hause Laidlaw.

Die hohe Kunst Rankins liegt darin, dass man sich bei der Lektüre des Buchs nicht mit der Frage beschäftigen muss, welcher der beiden Autoren denn nun welchen Teil geschrieben hat. Sowohl die beiden Schriftsteller als auch ihre Figuren haben einen ähnlich abgeklärten Blick auf die Dinge, der sich auch in folgendem Zitat perfekt zusammenfassen lässt: „Das Gesetz hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Das ist ein System, das wir installiert haben, weil’s keine Gerechtigkeit gibt.“

Fast würde man sich wünschen, dass Rankin neben seiner Rebus-Reihe ab und zu auch einen Laidlaw-Krimi einstreuen würde. Andererseits ist es aber vielleicht auch einfach gut, die Dinge würdig zu einem Abschluss zu bringen.

Aus Prinzip vergebe ich:

10 von 10 Punkten

William McIlvanney/Ian Rankin: „Das Dunkle bleibt“, übersetzt von Conny Lösch, Antje Kunstmann Verlag, 286 Seiten.

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Greg Buchanan: Sechzehn Pferde

(c) S. Fischer

Es ist ein grausiger Fund, den ein Farmermädchen im kleinen Ort Ilmarsh macht: Sechzehn Pferdeköpfe, kreisförmig eingegraben im Ackerboden. Der lokale Polizist Alec ist einer der ersten, der zum Tatort gerufen wird. “Alec zählte sechzehn Köpfe, auf der Seite liegend und fast vollständig eingegraben. Nur ein Auge lag frei, und bei einem Kopf konnte man ein Stück des Halses erkennen.”

Warum ausgerechnet sechzehn Pferde, die noch dazu von unterschiedlichen Besitzern stammen? Warum diese Anordnung der Köpfe? Um die Tat zu klären, wird die Veterinärforensikerin Cooper Allen gerufen. Die Expertin hat schon viel gesehen, wenn es darum geht, wie grausam Menschen mit Tieren umgehen. Alec, der erst vor vier Jahren in das scheinbar idyllische Örtchen gezogen ist, hat ebenso wie seine Ermittler-Kollegin mit seinen eigenen Geistern der Vergangenheit zu kämpfen. Alec ist nicht angekommen in Ilmarsh, nicht Teil der Gesellschaft und auf der Suche nach Bedeutung. Seine Persönlichkeit scheint sich aufzulösen.

Wie passend, dass nahezu jede Person in Ilmarsh, mit der das Duo konfrontiert wird, eigene Geheimnisse zu hüten scheint. “Jeder, der uns helfen könnte, ist tot oder lügt oder hat sich aus dem Staub gemacht”, sagt Allen einmal. Greg Buchanan hat mit seinem Debüt “Sechzehn Pferde” aber nur vordergründig einen Kriminalroman geschrieben. Ihm geht es um ganz etwas anderes als um die Lösung des Falls, der zunehmend in den Hintergrund gerät. Der Autor versucht in die Seelen seiner Figuren zu blicken. Der Leser wird dabei aber vor allem Leere vorfinden. Abgestumpft vom Leben, vegetieren die Menschen dahin, teilweise wie Geister – genau so wie der dahinsiechende Ort selbst, dem das Schicksal einer Geisterstadt droht. Es ist, als würden sich die Menschen verflüchtigen, ehe es auch der Ort tut.

Die Geschichte löst sich im Nichts auf

Buchanan hat ein gutes Auge für Details, ihm gelingen viele kleine wahrhaftige Momente. Aber umso mehr er das Rätsel der Pferdeköpfe aus dem Blick verliert, umso stärker schwindet auch das Interesse an dieser Geschichte. Schwer einordenbare Dialogteile und nicht immer nachvollziehbare Sprünge in der Perspektive bremsen das Lesevergnügen ebenso wie verweigerte Erklärungen und ins Nichts führende Erzählstränge.

Grundsätzlich ging es mir bei der Lektüre ähnlich wie Marius in seinem Blog Buch-Haltung schreibt: “Ich muss gestehen, dass ich mit den Sechzehn Pferden nicht wirklich warm wurde, auch wenn ich die erzählerischen Ansätze und die Weiterentwicklung eines konventionellen Krimis hier durchaus goutieren. Im Ganzen waren es mir dann aber doch einfach zu viele Brüche, Fragen und skizzenhafte Erzählelemente, die unaufgelöst blieben und keinen tieferen Sinn ergaben.”

Wie auch Marius kam mir Jon McGregors “Speicher 13” in den Sinn, das einen noch entschleunigteren Zugang hatte. Buchanan hat jedenfalls ein vielschichtiges Porträt eines im Sterben befindlichen Dorfes und seiner Bewohner geschrieben. Nach der vielversprechenden ersten Hälfte des Buches schwindet aber eben zunehmend das Interesse am Schicksal der beschriebenen Menschen. Fast gleichgültig nimmt man das Ende hin.

Aber vielleicht ist das ja die eigentliche düstere Botschaft des Autors: Wir alle verschwinden irgendwann, und nichts wird von uns bleiben.

7 von 10 Punkten

Greg Buchanan: “Sechzehn Pferde”, übersetzt von Henning Ahrens, S. Fischer-Verlag, 443 Seiten.

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Doug Johnstone: Der Bruch

(c) Polar Verlag

Der 17-jährige Tyler versucht anständig zu bleiben, ein guter Mensch zu sein. Das sagt sich leichter als es ist, denn der Jugendliche lebt in einem herabgekommenen Viertel in der schottischen Stadt Edinburgh und wird von seinem sadistischen Bruder Barry gezwungen, gemeinsam mit Schwester Kelly in fremde Häuser einzubrechen. Von der Mutter ist keine Hilfe zu erwarten, sie hängt an der Nadel und wandelt von Überdosis zu Überdosis.

Tylers Rettungsanker ist seine kleine Schwester Bean, um die er sich liebevoll kümmert. So gut er kann, versucht er für das Kind die Realität auszublenden, um dem Mädchen eine schöne Kindheit zu ermöglichen. Mit ihr sitzt er abends auf dem Dach des Greendykes House, einem von zwei verbliebenen Hochhäusern (umgeben von Brachland und einer riesigen Baustelle), und erzählt ihr Geschichten, in denen sie eine Superheldin ist.

Als Barry bei einem Einbruch eine Frau niedersticht und lebensgefährlich verletzt, laufen die Dinge endgültig aus dem Ruder: Bei dem Opfer handelt es sich um niemand geringeren als die Frau des gefürchteten Gangsterbosses Deke Holt, der auf Rache gegen die unbekannten Täter schwört.

Tyler nimmt sein Schicksal an, so bitter es auch sein mag. Die gut gemeinten Aufmunterungen von Lehrerinnen und Polizistinnen ob seiner familiären Situation erträgt er kaum: “Er hatte dieses Mitgefühl so unendlich satt.” Für Selbstmitleid ist ohnehin kein Platz. Er kennt kein anderes Leben. Wie sehr seine Mutter auch gesunken sein mag, sie ist seine Mutter. Genauso verhält es sich mit seinem Bruder, von dem er verachtet wird. So sehr Tyler den tyrannischen Bruder auch hassen mag, verraten würde er ihn nie. Seine Familie kann man sich nicht aussuchen.

Als Lichtblick in seinem verkorksten Leben entpuppt sich schließlich Flick, ein Mädchen aus gutem Hause, das Tyler zufällig kennenlernt. Ihre beiden Leben könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch sind sich die beiden durch ihre gesammelten Erfahrungen ähnlicher als man vermuten könnte. Das zart aufkeimende Gefühl der Hoffnung wird aber schon bald abrupt durch die absolute Auswegslosigkeit der Situation, in der er sich befindet, abgewürgt.

Empathie, nicht Gefühlsduselei, ist es, was “Der Bruch” ausmacht. Dadurch berüht der Autor, der die Geschichte eines Jugendlichen erzählt, der versucht, sich selbst zu finden und treu zu bleiben. Ich habe mich beim Lesen an Bill Beverlys “Dodgers” (Platz zwei meiner Lieblingskrimis 2018; ich habe gerade entsetzt festgestellt, dass ich das Buch hier nie extra besprochen habe – das muss ich bald nachholen!) und Steve Hamiltons “Der Mann aus dem Safe” erinnert gefühlt, die zu jenen Kriminalromanen zählen, die bei mir lange nachgewirkt haben. Auch in den beiden erwähnten Büchern stehen jeweils ein 15-jähriger und ein 17-Jähriger im Zentrum der Geschichte.

Was mir auch gut gefallen hat: Immer wieder stöpselt Tyler die Kopfhörer ein und taucht in seine eigene Welt ab. Er hört Boards of Canada, Jon Hopkins, Four Tet und Hannah Peel – alles Künstler, die mir bis zur Lektüre nichts gesagt haben, deren Musik ich über Spotify aber beim Lesen gehört habe. Großteils blubbernde Elektronik, passend minimalistisch zur verwahrlosten Gegend. Johnstone hat also den Soundtrack zu diesem Buch gleich mitgeliefert.

“Eine schonungslose, aber sympathische Darstellung von Edinburghs ignorierter Unterschicht, mit großartigen Charakteren”. So beschreibt der schottische Krimi-Großmeister Ian Rankin das Buch. Treffender kann man es nicht formulieren. Oder vielleicht doch: Der schottische Autor Doug Johnstone hat einen Kriminalroman geschrieben, wie man ihn nur alle paar Jahre liest.

10 von 10 Punkten

Doug Johnstone: “Der Bruch”, übersetzt von Jürgen Bürger, Polar Verlag, 308 Seiten.

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