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Ian Rankin: Das Souvenir des Mörders

Der Schotte Ian Rankin ist einer der besten Kriminalschriftsteller der Gegenwart. “Das Souvenir des Mörders” ist der achte Teil seiner Serie rund um Kult-Ermittler John Rebus. Und dennoch ist es nicht irgendein Teil, sondern vermutlich jener, der eine Art Initialzündung war, was seine Breitenwirksamkeit anbelangt. Bis zu diesem Buch war er einfach ein guter Krimiautor, einer von vielen. Doch mit diesem Buch erreichte Rankin ein anderes, höheres Level. Nicht zufällig hat das 1997 erschienene “Black and Blue” (Originaltitel) auch einen Platz in dem Kompendium “Books to die for”, in dem namhafte Krimiautoren ihre Lieblingskrimis empfehlen, gefunden.

Wie ich auf das Buch gestoßen bin? Ein Beitrag auf der crimealley hat mich neugierig gemacht: “Die Art und Weise wie der Schriftsteller die verschiedenen Handlungsstränge miteinander verknüpft und entwickelt, das Blickfeld seines Ermittlers erweitert, macht deutlich, dass die Lehrzeit endgültig abgeschlossen und der Ton für künftige Romane gefunden ist.” Wer mehr über “Das Souvenir des Mörders” wissen will, sollte einfach Stefans Beitrag lesen – nirgendwo werdet ihr besser und umfassender informiert als an dieser Stelle.

Nichtsdestotrotz will ich meine persönlichen Eindrücke hier kurz wiedergeben. Beim Lesen fiel mir ein anderer genialer Autor ein: Jo Nesbø (wobei mir auch Michael Connellys Harry Bosch und James Lee Burkes Dave Robicheaux in den Sinn kamen). Dessen Kriminalroman “Der Erlöser” hat einen ähnlich bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Das sind wirklich in Worte gegossene Kunstwerke, mit starken Charakteren, eingebettet in überzeugende soziale Umfelder. Und ich habe beide Bücher geliebt, obwohl eine Krimi-Zutat darin vorkommt, die für mich oft ein Grund ist, die Finger davon zu lassen: Serienmörder (in Rankins Buch genau genommen sogar zwei!). Da schrillen bei mir normalerweise immer die Alarmglocken.

Gut-Böse-Schemata, die simple Suche nach einem Täter und am Ende des Rätsels Lösung: Das wird man in “Das Souvenir des Mörders” vergebens suchen. Politik, Polizei, Journalismus, Großkonzerne und Organisierte Kriminalität: Hier bestehen Abhängigkeiten und unerwartete Seilschaften. Sehr beeindruckt haben mich die Porträts der schottischen Städte Aberdeen, Glasgow und Edinburgh. Fesselnd waren auch die Szenen auf der Ölplattform in der rauen Nordsee.

John Rebus ist in gewisser Weise auch ein Seelenverwandter von Sean Duffy, der Hauptfigur der Kriminalromane von Adrian McKinty. Beide Männer sind Raubeine mit einer sentimentalen Ader. Vor allem eines eint sie: Sie sehen auch dann noch hin, wenn es niemanden mehr interessiert und ihrer Karriere abträglich ist. Sie sind auf der Suche nach der Wahrheit und haben einen fast schon zwanghaften Sinn für Gerechtigkeit.

>>> Zu meiner Besprechung von “Mädchengrab” (John Rebus, Band 18)

10 von 10 Punkten

Ian Rankin: “Das Souvenir des Mörders”, übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini, Goldmann Verlag, 614 Seiten.

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Doug Johnstone: Der Bruch

(c) Polar Verlag

Der 17-jährige Tyler versucht anständig zu bleiben, ein guter Mensch zu sein. Das sagt sich leichter als es ist, denn der Jugendliche lebt in einem herabgekommenen Viertel in der schottischen Stadt Edinburgh und wird von seinem sadistischen Bruder Barry gezwungen, gemeinsam mit Schwester Kelly in fremde Häuser einzubrechen. Von der Mutter ist keine Hilfe zu erwarten, sie hängt an der Nadel und wandelt von Überdosis zu Überdosis.

Tylers Rettungsanker ist seine kleine Schwester Bean, um die er sich liebevoll kümmert. So gut er kann, versucht er für das Kind die Realität auszublenden, um dem Mädchen eine schöne Kindheit zu ermöglichen. Mit ihr sitzt er abends auf dem Dach des Greendykes House, einem von zwei verbliebenen Hochhäusern (umgeben von Brachland und einer riesigen Baustelle), und erzählt ihr Geschichten, in denen sie eine Superheldin ist.

Als Barry bei einem Einbruch eine Frau niedersticht und lebensgefährlich verletzt, laufen die Dinge endgültig aus dem Ruder: Bei dem Opfer handelt es sich um niemand geringeren als die Frau des gefürchteten Gangsterbosses Deke Holt, der auf Rache gegen die unbekannten Täter schwört.

Tyler nimmt sein Schicksal an, so bitter es auch sein mag. Die gut gemeinten Aufmunterungen von Lehrerinnen und Polizistinnen ob seiner familiären Situation erträgt er kaum: “Er hatte dieses Mitgefühl so unendlich satt.” Für Selbstmitleid ist ohnehin kein Platz. Er kennt kein anderes Leben. Wie sehr seine Mutter auch gesunken sein mag, sie ist seine Mutter. Genauso verhält es sich mit seinem Bruder, von dem er verachtet wird. So sehr Tyler den tyrannischen Bruder auch hassen mag, verraten würde er ihn nie. Seine Familie kann man sich nicht aussuchen.

Als Lichtblick in seinem verkorksten Leben entpuppt sich schließlich Flick, ein Mädchen aus gutem Hause, das Tyler zufällig kennenlernt. Ihre beiden Leben könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch sind sich die beiden durch ihre gesammelten Erfahrungen ähnlicher als man vermuten könnte. Das zart aufkeimende Gefühl der Hoffnung wird aber schon bald abrupt durch die absolute Auswegslosigkeit der Situation, in der er sich befindet, abgewürgt.

Empathie, nicht Gefühlsduselei, ist es, was “Der Bruch” ausmacht. Dadurch berüht der Autor, der die Geschichte eines Jugendlichen erzählt, der versucht, sich selbst zu finden und treu zu bleiben. Ich habe mich beim Lesen an Bill Beverlys “Dodgers” (Platz zwei meiner Lieblingskrimis 2018; ich habe gerade entsetzt festgestellt, dass ich das Buch hier nie extra besprochen habe – das muss ich bald nachholen!) und Steve Hamiltons “Der Mann aus dem Safe” erinnert gefühlt, die zu jenen Kriminalromanen zählen, die bei mir lange nachgewirkt haben. Auch in den beiden erwähnten Büchern stehen jeweils ein 15-jähriger und ein 17-Jähriger im Zentrum der Geschichte.

Was mir auch gut gefallen hat: Immer wieder stöpselt Tyler die Kopfhörer ein und taucht in seine eigene Welt ab. Er hört Boards of Canada, Jon Hopkins, Four Tet und Hannah Peel – alles Künstler, die mir bis zur Lektüre nichts gesagt haben, deren Musik ich über Spotify aber beim Lesen gehört habe. Großteils blubbernde Elektronik, passend minimalistisch zur verwahrlosten Gegend. Johnstone hat also den Soundtrack zu diesem Buch gleich mitgeliefert.

“Eine schonungslose, aber sympathische Darstellung von Edinburghs ignorierter Unterschicht, mit großartigen Charakteren”. So beschreibt der schottische Krimi-Großmeister Ian Rankin das Buch. Treffender kann man es nicht formulieren. Oder vielleicht doch: Der schottische Autor Doug Johnstone hat einen Kriminalroman geschrieben, wie man ihn nur alle paar Jahre liest.

10 von 10 Punkten

Doug Johnstone: “Der Bruch”, übersetzt von Jürgen Bürger, Polar Verlag, 308 Seiten.

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