“Israel ist – nach dem Tod von Batya Gur – wieder da auf der Landkarte der Kriminalliteratur”, hat Elmar Krekeler nach Erscheinen von Dror Mishanis Debüt-Krimi “Vermisst” geschrieben. Kleiner Einspruch: Da gibt es auch noch Liad Shoham (“Tag der Vergeltung”) und Katharina Höftmann, wobei Letztere eine deutsche Autorin ist, die allerdings in Israel lebt. Aber ja, Israel ist aus guter Kriminalliteratur nicht wegzudenken. Und es bedarf auch nicht zentral des Palästina-Konflikts, um einen spannende Geschichte zu erzählen.
Mishani ist kein Mann lauter Töne, wie auch sein neues Buch “Die Möglichkeit eines Verbrechens” eindrucksvoll bestätigt. Er nimmt sich viel Zeit, um Spannung aufzubauen. Diesmal wird vor einem Kindergarten eine Bombenattrappe gefunden. Danach geschieht erst einmal fast nichts. Ich muss zugeben, ich wurde ein wenig ungeduldig: Wann geht es endlich los? Furchtbar, wie konditioniert man als Leser von Spannungsliteratur ist. Doch dieses scheinbare Nichts ist voll gefüllt mit Leben, mit echten Menschen, mit echten Gefühlen, mit vielen kleinen Momenten. Die Nebensächlichkeiten entwickeln irgendwann eine Wucht der kleinen Dinge, der man sich nicht mehr entziehen kann.
Mishani erzählt mit einer ähnlich beeindruckenden Ruhe wie sein deutscher Kollege Friedrich Ani, dessen “Der namenlose Tag” ich kurz davor gelesen habe. Beide Autoren kommen auch hervorragend ohne drastische Schilderungen von Gewalt aus. Das macht ihre Bücher nicht minder spannend, denn die Spannung bezieht sich wie gesagt aus anderen Dingen.
Das führt mich auch zu einem kurzen Exkurs. Ich sehe mich immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob mir das Lesen von Krimis nicht zu fad werde. Man könnte es wohl auch anders formulieren: Wann lese ich endlich “echte” Literatur? Nun ja, das mache ich doch. Ich will nur einfach nichts lesen, was fad ist und bei Kriminalliteratur wird man einfach leichter fündig. Denn gute Literatur muss (für mich, wohlgemerkt) spannend sein. So gesehen ist – wahrscheinlich habe ich das hier eh schon strapaziert – auch Mark Twains “Huckleberry Finn” ein Musterbeispiel für ein Stück absolut gelungener Literatur. Ob man das dann in die Schachtel echte Literatur, Abenteuerroman oder gar Kinderbuch steckt, ist mir dann schon wieder ziemlich egal.
Eines noch: Ich habe Mishanis ersten Teil nicht gelesen, was nichts macht, aber auch ein wenig schade war. Denn Mishani nimmt stark Bezug auf die Geschehnisse in “Vermisst”. Zwar funktioniert “Die Möglichkeit eines Verbrechens” auch problemlos ohne Vorwissen, dennoch ist die Entwicklung Avi Avrahams sicher chronologisch besser zu lesen. Fazit: Das Buch ist nicht weniger als große, stille Krimi-Kunst.
8 von 10 Punkten
Dror Mishani: “Die Möglichkeit eines Verbrechens”, übersetzt von Markus Lemke, 333 Seiten, Zsolnay.