Friedrich Ani: Der namenlose Tag

(c) Suhrkamp

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Bislang war Friedrich Ani einer meiner immer weniger werdenden blinden Flecken der Kriminalliteratur. Dabei genießt er mit seiner Tabor-Süden-Reihe absoluten Kultstatus. Es hatte sich aber einfach nie ergeben, immer wieder kamen mir andere Bücher dazwischen. Doch nun habe ich den hochgepriesenen deutsche Autor endlich kennengelernt – mit einer neuen Reihe, aber von seiner besten Seite. “Der namenlose Tag” ist beste (Kriminal-)Literatur, die auch nach dem Lesen haften bleibt.

Es ist immer wieder eine Freude, wahren Könnern der Schreibkunst zu folgen. Ab Seite eins hatte ich das Gefühl, diesem Mann kann ich bei der Reise, auf die er mich entführt, blind vertrauen. Dieses Gefühl hat man nicht oft. Man kann einfach Sätze schreiben, oder halt kleine Geschichten wie diese erzählen:

“In dem Zimmer, das nie ein Kinderzimmer geworden war, spielte Franck zunächst mit Rubem43, GinaRella, Toby8115, Firegreen und BellaXroma mehrere Runden Online-Poker.”

“In dem Zimmer, das nie ein Kinderzimmer geworden war”. Da passiert sehr viel zwischen den Zeilen. Da muss man nicht seitenlang Stimmung aufbauen. Und Ani schüttelt Sätze wie diese immer wieder ganz lässig aus dem Ärmel.

Zum Inhalt: Jakob Franck, ein Ex-Polizist, muss weit zurück in seine Vergangenheit reisen. Damals, vor 20 Jahren, starb ein Mädchen – Selbstmord. Er überbrachte der Mutter die Todesnachricht (“Die Kollegen riefen ihn an, wenn es eine Todesnachricht zu überbringen galt”) und tat in den darauffolgenden Stunden Dinge, von denen er nie jemandem erzählte. Nun taucht 20 Jahre später der Vater des Mädchens auf, der nicht an einen Selbstmord glaubt. Franck soll den Fall restlos aufklären.

Jakob Franck entpuppt sich als eine Art Trauer-Spezialist, wie sich immer wieder zeigen wird. Manchmal ist seine Einfühlsamkeit zwar schon ein wenig zu viel des Guten, aber es ist faszinierend, mit welcher Ruhe es der feinfühlige Erzähler Ani schafft, Spannung aufzubauen. Und mal ehrlich: Wären alle Menschen so einfühlsam wie Jakob Franck, dann hätten wir weniger Probleme – hmm, aber auch weniger Stoff für Kriminalromane 😉

Fazit: leise, lebensnah, lesenswert.

9 von 10 Punkten

Friedrich Ani: “Der namenlose Tag”, 301 Seiten, Suhrkamp.

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